OGH 7Ob164/10h

OGH7Ob164/10h24.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** S***** KG, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wegen Herausgabe, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. März 2010, GZ 15 R 259/09g-28, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 6. Oktober 2009, GZ 42 Cg 113/08w-24, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin beauftragte die Beklagte am 15. 5. 2005, den Zahnriemen an ihrem PKW bei einem Kilometerstand von 92.195 zu tauschen. Infolge eines Risses bereits nach (weiteren) 31.651 km musste der Zahnriemen am 25. 7. 2006 von der Beklagten abermals getauscht werden. Im Mai 2008 riss nach weiteren 36.584 km der Zahnriemen erneut, wodurch nun auch ein Motorschaden verursacht wurde. Die Zahnriemenrisse sind unüblich und auf eine vorzeitige Materialermüdung zurückzuführen. Die üblichen Wechselintervalle für Zahnriemen betragen 90.000 km bzw sechs Jahre.

Am 23. 4. 2008 übergab der Komplementär der Klägerin das Fahrzeug den Mitarbeitern der Beklagten (ein drittes Mal) zum Tausch des Zahnriemens in der Meinung, es handle sich um einen Garantiefall. Einen Reparaturauftrag erteilte er nicht. Die Beklagte stellte ihm für die Dauer der Reparatur einen 15 bis 16 Jahre alten Leihwagen zur Verfügung. Es erfolgte kein Hinweis, dass für dieses Fahrzeug kein Vollkaskoschutz bestand. Während der Benützung des Leihwagens durch die Klägerin platzte in einer Linkskurve der vordere rechte Reifen, wodurch es zur Kollision mit einem anderen PKW kam. Am Leihwagen trat ein Totalschaden ein. Sein Wiederbeschaffungswert beträgt zwischen 300 und 500 EUR. Die Beklagte veranlasste den Austausch des geplatzten Reifens und schleppte das Fahrzeug ab. Was danach mit dem Fahrzeug geschah, konnte nicht festgestellt werden. Im Zuge des vorliegenden Verfahrens verrechnete die Beklagte der Klägerin „Kosten für das Leihfahrzeug“ von 1.619,04 EUR, die ihr durch den Unfall entstanden seien.

Die Beklagte stellte der Klägerin für die „Reparatur“ 3.590,10 EUR in Rechnung, wobei auch der Austausch einer Vakuumpumpe verrechnet wurde. Diese wurde zwar ausgebaut, aber nicht ersetzt, weshalb der PKW der Klägerin nicht fahrbereit ist. Da sich die Klägerin weigerte, die Rechnung zu bezahlen, gab die Beklagte das Auto unter Hinweis auf das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht nicht heraus.

Die Klägerin begehrt die Herausgabe ihres Fahrzeugs. Der Beklagten stehe kein Zurückbehaltungsrecht zu. Die Klägerin habe im Rahmen der Gewährleistung den Austausch des gerissenen Zahnriemens verlangt. Sie sei bereit, anstelle des Fahrzeugs auch einen Betrag von 7.000 EUR von der Beklagten anzunehmen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der Komplementär der Klägerin habe ausdrücklich einen Reparaturauftrag erteilt. Der Beklagten stehe ein Zurückbehaltungsrecht nach § 369 UGB zu. Zudem wendete die Beklagte compensando bis zur Höhe der Klagsforderung ihre Werklohnforderung von 3.590 EUR und eine Schadenersatzforderung wegen des am Leihfahrzeug entstandenen Totalschadens in der Höhe von 1.619,04 EUR ein.

Das Erstgericht sprach - soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist - aus, dass die Klagsforderung zu Recht, die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und die Beklagte schuldig sei, den PKW der Klägerin herauszugeben; die Beklagte könne sich durch Zahlung eines Betrags von 6.550 EUR an die Klägerin von dieser Herausgabeverpflichtung befreien. Die Beklagte sei wegen des den Einbaus eines Zahnriemens minderer Qualität Gewährleistungspflichtig und auch für den vorzeitigen Riss und damit für den Motorschaden verantwortlich. Im Rahmen der sie treffenden Verbesserungspflicht sei die Reparatur kostenlos durchzuführen gewesen. Abgesehen davon habe die Beklagte den Einbau einer Servopumpe zwar verrechnet, aber nicht durchgeführt. Da ein Verschulden des Komplementärs der Klägerin am Schaden des Leihwagens nicht feststehe, bestehe der - im Übrigen gar nicht konkret feststellbare - Schadenersatzanspruch der Beklagten nicht. Die Beklagte habe daher auch kein Zurückbehaltungsrecht.

Das Berufungsgericht bestätigte die Herausgabeverpflichtung und änderte das angefochtene Urteil hinsichtlich der Gegenforderung dahingehend ab, dass es die Einwendung der Gegenforderung abwies. Die Klägerin habe eine Alternativermächtigung gemäß § 410 ZPO, ein rechtsänderndes Gestaltungsrecht, eingeräumt. Die Lösungsbefugnis selbst sei nicht zu prüfen, die Herabsetzung durch das Erstgericht sei aber unbekämpft geblieben. Die Feststellungen des Erstgerichts seien im Zusammenhalt mit der Beweiswürdigung so zu verstehen, dass der Komplementär der Klägerin bei Übergabe des Fahrzeugs mitgeteilt habe, dass ein Gewährleistungsfall geltend gemacht werde. Das Herausgabebegehren samt Lösungsbefugnis sei daher berechtigt. Die bloße Erklärung der Beklagten, zahlen zu wollen oder aufzurechnen, stelle noch keine Leistung dar. Eine Aufrechnung sei nur mit solchen Gegenforderungen möglich, die den Betrag der Lösungsbefugnis der Höhe nach erreichten oder sogar überstiegen. Die Einwendung der (zu niedrigen) Gegenforderungen sei daher - entgegen der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 7 Ob 22/69 - unzulässig, sodass über ihren Bestand nicht zu entscheiden sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige. Es erklärte in Abänderung des ursprünglichen Ausspruchs die ordentliche Revision für zulässig. Im Hinblick auf die Entscheidung 7 Ob 22/69 liege keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Aufrechenbarkeit mit Geldforderungen gegen einen unteilbaren Herausgabeanspruch mit Lösungsbefugnis vor.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Herausgabebegehren abzuweisen, aber auszusprechen, dass die Gegenforderung zu Recht bestehe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung (auch bereits zu § 369 HGB) besteht das Zurückbehaltungsrecht des Unternehmers nach § 369 UGB im Unterschied zum Retentionsrecht nach § 471 ABGB nicht nur für konnexe Forderungen. Es ist nicht erforderlich, dass der zurückzuhaltende Gegenstand und die zu sichernde Forderung aus demselben rechtlichen Verhältnis stammen. Wesentlich ist nur, dass es sich um eine fällige Geldforderung handelt, die auf einem beiderseitigen Unternehmensgeschäft beruht. Nicht nur ein vertraglicher, sondern etwa auch ein bereicherungsrechtlicher Anspruch kommt daher als die Zurückbehaltung begründende Forderung in Betracht (5 Ob 113/09t mwN, RIS-Justiz RS0011480).

Die Beklagte wendet gegen den Herausgabeanspruch der Klägerin ein, ihr stehe ein Retentionsrecht aufgrund von zwei Forderungen gegen die Klägerin zu (Werklohn und Schadenersatz hinsichtlich des Leihwagens). Der Bestand dieser Forderungen ist daher als Vorfrage zur Beurteilung des Zurückbehaltungsrechts zu prüfen.

Der Einwand der Revision, das Verhalten des Komplementärs der Klägerin habe nur so verstanden werden können, dass ein entgeltlicher Reparaturauftrag erteilt werde, weshalb der Beklagten Werklohn zustehe, negiert den festgestellten Sachverhalt. Danach wurde das Fahrzeug übergeben, weil ein Zahnriemen vorzeitig (aufgrund eines Materialfehlers) defekt war. Daraus ergibt sich konkludent, dass eine Verbesserung hinsichtlich des defekten Zahnriemens begehrt wurde, sollte ein Materialfehler vorliegen. Gegenteiliges wurde nicht gesprochen und lässt sich auch nicht aus der Übergabe des Leihwagens ableiten. Nicht bekämpft wurde die Feststellung, dass der Zahnriemen aufgrund eines Materialfehlers gerissen war. Da ein Gewährleistungsfall vorliegt, hat die Beklagte die Verbesserung (Reparatur) kostenlos vorzunehmen.

Es steht fest, dass der Komplementär der Klägerin den Unfall nicht verschuldet hat, sondern der Schaden auf einen Mangel der geliehenen Sache selbst zurückzuführen ist. Daraus lässt sich kein Schadenersatzanspruch (§§ 978 f ABGB) ableiten.

Da der Beklagten also keine Forderungen gegen die Klägerin zustehen, hat sie auch kein Zurückbehaltungsrecht. Der Herausgabeanspruch der Klägerin besteht zu Recht.

Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob über den Bestand der compensando eingewandten Gegenforderungen mit Rechtskraftwirkung (RIS-Justiz RS0041281) abzusprechen ist oder ob die Aufrechnungsvoraussetzungen fehlen und die Aufrechnungseinrede daher abzuweisen ist.

Wird dem Schuldner eine Lösungsbefugnis eingeräumt, schuldet er im Gegensatz zur Wahlschuld nur eine bestimmte Leistung. Ihm steht das Recht zu, anstelle der geschuldeten eine andere Leistung mit schuldbefreiender Wirkung zu erbringen. Die Lösungsbefugnis unterscheidet sich von einer Leistung an Zahlungsstatt dadurch, dass das alte Schuldverhältnis nicht durch ein neues ersetzt wird. Es liegt vielmehr die Einräumung eines Gestaltungsrechts vor (RIS-Justiz RS0017669). Beim Anbot im Sinn des § 410 ZPO handelt es sich materiell-rechtlich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Gläubigers, die mit ihrem Zugang an den Erklärungsempfänger für den Gläubiger bindend wird (RIS-Justiz RS0041514). Die Alternativermächtigung ist nicht Gegenstand der richterlichen Entscheidung. Sie ist nur, falls der Klage stattgegeben wird, in den Urteilsspruch aufzunehmen (RIS-Justiz RS0041484). Die in das Urteil aufgenommene Lösungsbefugnis bildet keinen Exekutionstitel. Nur die ursprünglich geschuldete Leistung kann exekutiv hereingebracht werden (RIS-Justiz RS0017669 [T1] = 3 Ob 56/05i; RS0001415; RS0041477). Es entspricht einheitlicher Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass durch die Einräumung einer Lösungsbefugnis der Kläger selbst dem Beklagten die Möglichkeit eröffnet, statt der Sachleistung eine Geldleistung zu erbringen und dass er dadurch dem Beklagten auch ermöglicht, Gegenforderungen einzuwenden. Durch die Einwendung der Gegenforderung gibt der Beklagte die Erklärung ab, dass er von der Ersetzungsbefugnis Gebrauch machen und mit seiner Gegenforderung aufrechnen will (RIS-Justiz RS0024633). Die Entscheidungen SZ 28/236 und EvBl 1959/231 gehen davon aus, dass gegen eine unteilbare Klagsforderung nur eine gleich hohe oder eine höhere Gegenforderung compensando eingewandt werden kann. Erreicht die Gegenforderung die Klagsforderung nicht, so kann mangels Teilbarkeit der Klagsforderung und mangels der Voraussetzung der Gleichartigkeit trotz der eingeräumten Abfindungsbefugnis eine Aufrechnung im Prozess nicht stattfinden.

Unter Ablehnung dieser Judikatur sprach 7 Ob 22/69 (=RIS-Justiz RS0024626) aus, dass nicht einzusehen sei, welchen Einfluss die Unteilbarkeit der Klagsforderung auf die Frage der Gleichartigkeit der im Zusammenhang mit der Aufrechnung in Betracht kommenden Forderungen haben sollte. Der Kläger könne der Gegenforderung vorbeugen, stehe es ihm doch frei, die Lösungsbefugnis unter ausdrücklichem Ausschluss der Kompensation einzuräumen. Die Aufrechnung sei daher auch mit einer gegenüber dem Lösungsbetrag geringeren Gegenforderung zulässig.

Der zuletzt genannten Entscheidung ist nicht zu folgen. Steht ein unteilbarer Herausgabeanspruch einer Geldforderung gegenüber, sind die Forderungen nicht gleichartig. Nur bei Einräumung einer alternativen Ermächtigung kann das anders sein. Gleichartige (Geld-)Forderungen stehen einander nur dann gegenüber, wenn sich der zur Herausgabe Verpflichtete für die Inanspruchnahme der Lösungsbefugnis entscheidet und seine Gegenforderung die Lösungsbefugnis erreicht und damit den unteilbaren Herausgabeanspruch zum Erlöschen bringt. Ist die Gegenforderung aber niedriger, kommt die alternative Ermächtigung nicht zum Tragen und es bleibt der unteilbare Herausgabeanspruch von vornherein bestehen. Abgesehen davon bildet - wie oben dargelegt - die in das Urteil aufgenommene Lösungsbefugnis keinen Exekutionstitel. Es kann nur die ursprünglich geschuldete Leistung exekutiv hereingebracht werden. Dies bedeutet, dass bei Bestehen einer Gegenforderung, die geringer ist als die Lösungsbefugnis, einerseits der Gläubiger des Herausgeberanspruchs auf die Differenz des Lösungsbetrags nicht Exekution führen könnte. Andererseits könnte der Herausgabeschuldner der exekutiven Durchsetzung der ursprünglich geschuldeten Leistung gegenüber nicht einwenden, dass bereits ein Teil des Lösungsbetrags bezahlt worden sei.

Es ist daran festzuhalten, dass über das Bestehen oder Nichtbestehen der compensando eingewendeten Gegenforderung gegen eine alternative Ermächtigung auf Bezahlung eines Lösungsbetrags bei einem unteilbaren Herausgabeanspruch nur dann inhaltlich entschieden werden kann, wenn die Gegenforderung den Lösungsbetrag zumindest erreicht. Ansonsten ist, weil die Aufrechnungsvoraussetzung der Gleichartigkeit fehlt, die Gegenforderung abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte