OGH 13Os53/10h

OGH13Os53/10h18.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. November 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Saadati als Schriftführerin in der Strafsache gegen Kurt P***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. Jänner 2010, GZ 122 Hv 93/09d-50, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Angeklagten Kurt P***** und seines Verteidigers Mag. Reichenbach zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Nichtvornahme der Subsumtion des der Ingebrauchnahme des Pkw folgenden Tatgeschehens nach § 105 Abs 1 StGB sowie demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Kurt P***** des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 17. April 2009 in Wien den Pkw BMW 320i des Erich Z***** ohne Einwilligung des Berechtigten in Gebrauch genommen, wobei er sich die Gewalt über das Fahrzeug dadurch verschaffte, dass er durch den Einsatz eines Pfeffersprays die Kellnerin des Lokals „S*****“ und Fahrzeuginhaberin Monika R***** sowie mehrere Gäste zum Verlassen des Lokals nötigte, sodann den dort verwahrten Pkw-Schlüssel an sich und schließlich unter Verwendung dieses Schlüssels das bezeichnete Fahrzeug in Betrieb nahm.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist teilweise im Recht.

Soweit die Mängelrüge (Z 5) Verfahrensergebnisse aufzeigt, die aus ihrer Sicht für die Annahme sprechen, der Angeklagte habe Monika R***** nach Inbetriebnahme des Pkw durch Zufahren zu einem Standortwechsel genötigt, und auf dieser Basis einen zusätzlichen Schuldspruch nach § 105 Abs 1 StGB anstrebt, ist vorweg festzuhalten, dass dieses Tatgeschehen zwar nicht vom Anklagetenor (ON 19 S 1), wohl aber - unter dem Aspekt der Identität von Anklage- und Urteilsgegenstand gleichbedeutend (RIS-Justiz RS0097672) - von der Anklagebegründung (ON 19 S 5) umfasst ist. Hievon ging im Übrigen auch das Erstgericht aus, indem es Feststellungen dazu traf, dabei aber einen auf Nötigung der Monika R***** gerichteten Vorsatz des Angeklagten nicht annahm (US 6, 10), und solcherart insoweit einen Teilfreispruch zum Ausdruck brachte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 503).

Von diesen Überlegungen ausgehend ist weiters zu untersuchen, ob eine allfällige Nötigung der Monika R***** nach Inbetriebnahme des Pkw in der Qualifikation des § 136 Abs 2 StGB aufgeht, in welchem Fall das Beschwerdevorbringen nicht auf entscheidende Tatsachen gerichtet wäre:

Der in § 136 Abs 2 StGB enthaltene Verweis auf § 131 StGB mag auf den ersten Blick den Schluss nahelegen, die in Rede stehende Qualifikation sei dann erfüllt, wenn der auf frischer Tat Betretene Gewalt gegen eine Person anwendet oder sie mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben bedroht, um sich das Fahrzeug (zur Ingebrauchnahme) zu erhalten. Demgegenüber verstehen Rechtsprechung und Lehre den Verweis auf § 131 StGB dahin, dass die dort genannten Handlungen dem Täter die Inbetriebnahme ermöglichen, zeitlich also vor dieser gelegen sein müssen (SSt 54/59; Triffterer SbgK § 136 Rz 20; Lewisch BT I², 206; Schwaighofer, Zur Qualifikation des unbefugten Fahrzeuggebrauchs nach § 136 Abs 2 StGB, ZVR 2000, 187 [190 f]). Dem ist zuzustimmen, weil § 136 Abs 2 StGB darauf abstellt, dass sich der Täter die Gewalt über das Fahrzeug durch (ua) eine der in § 131 StGB geschilderten Handlungen „verschafft“.

Bleibt zu prüfen, ab welchem Zeitpunkt sich jemand iSd § 136 StGB die „Gewalt“ über ein Fahrzeug verschafft hat. Hiezu ist es jedenfalls nicht erforderlich, dass der Täter an dem Fahrzeug Gewahrsam erlangt hat, weil der Tatbestand des § 136 StGB nach einhelliger Lehrmeinung keinen Gewahrsamsbruch voraussetzt (Bertel in WK² § 136 Rz 5; Triffterer SbgK § 136 Rz 15; Fuchs/Reindl BT I, 131; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 136 Rz 11). Der Täter hat sich die Gewalt über das Fahrzeug im Sinn des § 136 StGB vielmehr verschafft, sobald es ihm gelungen ist, dieses in Gebrauch zu nehmen. Bezogen auf die hier interessierende Inbetriebnahme mittels bestimmungsgemäßen Einsatzes der Maschinenkraft bedeutet dies, dass der Motor gestartet und das Fahrzeug - wenn auch nur geringfügig - bewegt worden sein muss (SSt 54/59; Bertel in WK² § 136 Rz 2; Lewisch BT I², 203 f). Ansätze, die Deliktsvollendung von einer - im Übrigen dogmatisch kaum fassbaren - Mindestfahrtstrecke abhängig zu machen (Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 136 Rz 15; in diesem Sinn wohl auch Triffterer SbgK § 136 Rz 12), finden im Gesetzeswortlaut keine Deckung.

Fallbezogen hat sich somit der Angeklagte dadurch, dass er den Motor des Pkw anließ, ausparkte und das Fahrzeug aus der Parklücke lenkte (US 6), die Gewalt über dieses verschafft, womit das in Rede stehende Tatgeschehen nicht von der angenommenen Qualifikation nach § 136 Abs 2 StGB umfasst ist, darauf bezogenes Vorbringen also entscheidende Tatsachen anspricht.

Diesbezüglich wendet die Beschwerde zu Recht ein, dass der tatrichterliche Ansatz, (ua) fehlender Nötigungsvorsatz folge aus den „glaubwürdigen und nachvollziehbaren Angaben der Zeugin R*****“ (US 10), den Kriterien hinreichender Urteilsbegründung nicht gerecht wird (Z 5 vierter Fall). Sie zeigt zutreffend auf, dass Monika R***** nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 49) zur insoweit wesentlichen Frage, ob der Angeklagte ihre Versuche, ihn am Wegfahren zu hindern, bemerkt habe, angab, sie habe versucht, die Beifahrertüre zu öffnen, mit der Hand gegen die Scheibe geschlagen und gerufen, der Angeklagte solle stehenbleiben, und nehme deshalb (wenngleich sie dies - was hinsichtlich geistiger oder seelischer Vorgänge eines anderen auf der Hand liegt - nicht mit Sicherheit wisse) an, dass er sie sehr wohl wahrgenommen habe (ON 49 S 19, 21). Warum diese Aussage die Urteilsannahme, der Angeklagte habe ohne Nötigungsvorsatz gehandelt, tragen soll, ist nicht ersichtlich, sodass der lapidare Hinweis auf die Depositionen der Zeugin R***** - entgegen der Ansicht der Generalprokuratur - in Bezug auf die angesprochene Negativfeststellung dem Begründungsgebot des § 270 Abs 2 Z 5 StPO nicht genügt.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) strebt nach einem Schuldspruch wegen des Vergehens der Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) in Bezug auf den Einsatz des Pfeffersprays zum Nachteil der Gäste des Lokals „S*****“. Dabei geht sie allerdings nicht von den Urteilskonstatierungen, wonach der Angeklagte das Verlassen des Lokals zu dem Zweck erzwang, den Pkw-Schlüssel zu erlangen (US 6), aus und leitet die behauptete rechtliche Konsequenz auch nicht aus dem Gesetz ab.

Im Hinblick darauf, dass § 136 Abs 2 StGB in Bezug auf die Begehungsweise durch eine der in § 131 StGB geschilderten Handlungen gegenüber dem Tatbestand des § 105 Abs 1 StGB eine spezielle Norm darstellt (hiezu eingehend Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 32 bis 35), hätte die Beschwerde darlegen müssen, aus welchen Gründen davon auszugehen sei, dass es hier trotz der Feststellung des Gewalteinsatzes zum Zweck der Ingebrauchnahme eines fremden Pkw nicht zur Verdrängung des Tatbestands des § 105 Abs 1 StGB durch jenen des § 136 Abs 2 StGB komme.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher hinsichtlich des nach der Inbetriebnahme des Pkw, nicht jedoch bezüglich des davor gelegenen Geschehens zu folgen.

Die solcherart erforderliche Teilkassation des Schuldspruchs hat auch die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge, worauf die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung zu verweisen war.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte