OGH 7Ob140/10d

OGH7Ob140/10d22.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.-Ing. H***** T*****, vertreten durch Engin-Deniz Reimitz Hafner Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei H***** S*****, vertreten durch Dr. Georg Getreuer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 28.374,42 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Mai 2010, GZ 15 R 69/10t-35, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 15. März 2010, GZ 56 Cg 202/08z-30, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird so abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.080,84 EUR (darin enthalten 640,84 EUR an USt und 1.234 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer einer Liegenschaft in Wien, an die im Norden eine Liegenschaft angrenzt, deren Eigentümer der Beklagte zu 329/360tel-Anteilen ist (in der Folge: Liegenschaft des Beklagten). Nach Fertigstellung des Hauses auf der Liegenschaft des Klägers nahm der Beklagte aufgrund einer dem Kläger nicht zugestellten Baubewilligung vom 27. 8. 1986 einen Dachgeschossausbau vor und schuf fünf neue Wohnungen. Dadurch betrug nun der Abstand zwischen der zum Haus des Klägers gehörenden Rauchfanggruppe lfd Nr 1-3 und den Fenstern der neu geschaffenen Aufenthaltsräume weniger als zehn Meter.

Mit Bescheid der MA 37 vom 26. 1. 2007 wurde dem Kläger aufgetragen, die Rauchfanggruppe lfd Nr 1-3 seines Hauses bis zu 3 m über den Fenstersturz der nahe gelegenen Aufenthaltsräume höher zu führen, wobei in der Begründung ausdrücklich nur auf die Wohnung Top 3 eines im Eigentum eines Dritten stehenden Nachbarhauses Bezug genommen wurde. Der Kläger beauftragte im Juli 2007 die für die Höherführung der Rauchfanggruppe nötigen Arbeiten, aber nur in Bezug auf die im Bescheid genannten Räume im Haus des Dritten. Mit Straferkenntnis des Magistratischen Bezirksamts für den 18. Bezirk vom 11. 1. 2008 wurde über den Kläger wegen Nichterfüllung des bescheidmäßigen Auftrags vom 26. 1. 2007 eine Geldstrafe verhängt. Aufgrund seiner Berufung wurde nur die Höhe der verhängten Geldstrafe herabgesetzt. In der Hauptsache wurde ausgeführt, dass der Spruch des angefochtenen Bescheids so zu verstehen sei, dass eine Höherführung der Rauchfänge in Bezug auf alle nahe gelegenen Aufenthaltsräume angeordnet worden sei, also auch in Bezug auf das Haus des Beklagten. Dieser Verpflichtung sei der Kläger nicht nachgekommen.

Der Kläger holte drei Kostenvoranschläge ein. Das günstigste Anbot bildet die Grundlage des Klagsbetrags und enthält nur den notwendigen Aufwand für die aufgetragene Höherführung der Kamingruppe im Hinblick auf die neu geschaffenen Aufenthaltsräume im Haus des Beklagten.

Der Kläger begehrt den Ersatz dieser Kosten der Rauchfanghöherführung. Diese sei nur durch den Dachbodenausbau des Beklagten (neu geschaffene Aufenthaltsräume, sodass die gesetzlichen Mindestabstände gemäß Wr BO unterschritten worden seien) notwendig geworden. Das Haus des Beklagten sei das höhere der beiden Gebäude. Der Beklagte sei gemäß § 126 Abs 4 Wr BO als Eigentümer des höheren Gebäudes verpflichtet, die unbedingt notwendigen Kosten der Höherführung der Rauchfänge zu ersetzen. Für den Ersatzanspruch nach § 126 Abs 4 Wr BO gelte eine dreißigjährige Verjährungsfrist; außerdem habe der Kläger von Schaden und Schädiger erst mit Zustellung des Bescheids vom 27. 1. 2007 erfahren, sodass der Anspruch keinesfalls verjährt sei.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der Kläger habe im Bauverfahren die Möglichkeit gehabt, Einwendungen zu erheben und auf die Verpflichtung nach § 114 Wr BO hinzuweisen sowie Ersatz nach § 126 Abs 4 Wr BO zu begehren. Dies habe er jedoch unterlassen. Es stehe ihm nun kein zivilrechtlich einklagbarer Anspruch zu. Der Beklagte habe nur einen Dachbodenausbau und keine Aufstockung vorgenommen, sodass die für die Anwendung des § 126 Abs 4 Wr BO notwendige Änderung der Höhenunterschiede nicht gegeben sei. Die Höherführung der Rauchfanggruppe sei bisher nicht erfolgt, sodass dem Kläger noch kein Schaden entstanden und der Klagsanspruch nicht fällig sei. Andererseits sei der Anspruch verjährt, weil der Kläger mit Zustellung des Baubewilligungsbescheids am 24. 9. 1986 und durch den Bau Kenntnis von Schaden und Schädiger erhalten habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Durch den Dachbodenausbau seien Aufenthaltsräume im Haus des Beklagten nachträglich so nahe bei der Mündung der Rauchfanggruppe im Haus des Klägers entstanden, dass dies einer Änderung des Höhenunterschieds zwischen den Gebäuden gleichzusetzen sei. Da dem Kläger bescheidmäßig die Höherführung der Rauchfanggruppe lfd Nr 1-3 aufgetragen worden sei, um die durch die Bauführung des Beklagten unterschrittenen gesetzlichen Mindestabstände laut Wr BO wieder herzustellen, bestehe ein Anspruch auf Kostenersatz gemäß § 126 Abs 4 Wr BO. Der Kläger habe erstmals am 26. 1. 2007 mit Zustellung des Bescheids Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt. Verjährung sei im Hinblick auf die Klagseinbringung am 11. 12. 2008 nicht eingetreten. Mangels Ausnahmeregelung seien die Gerichte für die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch zuständig. Die dem Klagsbetrag entsprechenden Kosten seien unbedingt für die Höherführung notwendig. Darauf, ob für die Bauleistungen eine fällige oder sogar bezahlte Rechnung vorliege, komme es nicht an.

Das Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil in eine Klagsabweisung ab. Der Bescheid der MA 37 sei weder auf § 126 Abs 4 Wr BO gegründet worden, noch nehme er inhaltlich auf diese Bestimmung Bezug. Er stütze sich vielmehr auf §§ 129 Abs 2, 4 und 10 iVm 114 Abs 4 Wr BO. Die Ersatzbestimmung des § 126 Abs 4 Wr BO beschränke sich ausdrücklich auf jene Fälle, in welchen durch die Bauführung eine unterschiedliche Bauhöhe entstanden sei. Ein solcher Fall liege nicht vor, weil der Beklagte nur den Dachboden ausgebaut, nicht jedoch das Haus aufgestockt habe. Der Ersatz jener Kosten, die aufgrund des § 114 Abs 4 Wr BO, notwendig geworden seien, sei nicht vorgesehen. Eine planwidrige Lücke liege angesichts der Entscheidung des Landesgesetzgebers, beide Fälle unterschiedlich zu regeln, nicht vor. Eine andere, insbesondere schadenersatzrechtliche Anspruchsgrundlage bestehe mangels vertrags-, rechts- oder sittenwidrigen Verhaltens des Beklagten, dessen Bauführung mit Bescheid bewilligt worden sei, nicht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sich der vorliegende Sachverhalt insofern dem für einen Anspruch nach § 126 Abs 4 Wr BO vorausgesetzten annähere, als die Höherführung der Rauchfänge durch den Kläger nicht bereits bei Errichtung der ursprünglichen Rauchfänge zu erfolgen gehabt hätte, sondern erst und nur durch die Bauführung des Liegenschaftsnachbarn des Klägers erforderlich geworden sei. Eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu vergleichbaren Fällen der analogen Anwendung des § 126 Abs 4 Wr BO auch für einen Aufwand, der aufgrund des § 114 Abs 4 Wr BO entstanden sei, liege nicht vor.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Die hier relevanten Bestimmungen der Wr BO enthalten folgende Regelungen:

Die Ausmündung von Rauchfängen muss um 3 m höher als der Fenstersturz nahegelegener Aufenthaltsräume im selben Gebäude oder in anderen Gebäuden auf derselben Liegenschaft oder auf einer angrenzenden oder jenseits einer Verkehrsfläche direkt gegenüberliegenden Liegenschaft sein. Aufenthaltsräume gelten nur dann als nahe gelegen, wenn sie, der Ausmündung zugekehrt, innerhalb eines Umkreises von 10 m von der Ausmündung eines Rauchfangs liegen (§ 114 Abs 4 Wr BO). Droht dadurch, dass benachbarte Gebäude verschieden hoch sind, für die Bewohner oder Benützer eines oder beider Gebäude eine Gefährdung durch Abgase von Feuerstätten, ist der Eigentümer des niedrigeren Gebäudes verpflichtet, die Rauch- und Abgasfänge entsprechend hoch zu führen. Der Eigentümer des höheren Gebäudes ist, wenn durch seine Bauführung die verschiedene Höhe der benachbarten Gebäude entstanden ist, verpflichtet, dem Eigentümer des niedrigeren Gebäudes die unbedingt notwendigen Kosten für die Höherführung der Rauch- und Abgasfänge zu ersetzen (§ 126 Abs 4 Wr BO).

Ob die Behörde in Spruch und Gründen ihres Bescheids ausdrücklich auf § 126 Wr BO Bezug nimmt oder nicht, ist für die Beurteilung der Rechtsfrage, ob ein Ersatzanspruch nach § 126 Abs 4 Wr BO zusteht, unerheblich. Es kommt nur darauf an, ob der dem Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt eine Anwendung des § 126 Abs 4 Wr BO zulässt.

In § 114 Wr BO ist die Höhe des Rauchfangs bei Errichtung des Hauses vorgeschrieben. Es sollen durch Vorgabe bestimmter Baumaßnahmen typische Gefährdungen durch Abgase vermieden werden. Diese Vorschrift hat der Kläger bei der Errichtung seines Hauses eingehalten. Nur dadurch, dass der Beklagte den Dachausbau vornahm, wurden die zur Vermeidung typischer Gefährdungen vorgeschriebenen Abstände zwischen den Fensterstürzen nahegelegener Aufenthaltsräume und Ausmündung von Rauchfängen durch nachträgliche Bauführung an Nachbarliegenschaften unterschritten. Nur dadurch drohte erstmals eine typisierte Gefährdung der Bewohner dieser neu errichteten Wohnungen durch Abgase aus den zu nieder und zu nah liegenden Rauchfängen des Hauses des Klägers. § 126 Abs 4 Wr BO stellt allgemein auf eine Gefährdung durch Abgase ab und ist damit eine generelle Norm, die nicht nur auf die nicht konkret genannten Fälle einer Gefährdung abstellt, sondern auch die bereits typisiert im Gesetz genannten Gefährdungen umfasst. Die typisierte Gefährdung ist - wie bereits dargestellt - in § 114 Abs 4 Wr BO geregelt. Deshalb nahm die Behörde nur auf diese Bestimmung Bezug. Da es hier aber um das nachträgliche Entstehen einer Gefährdung durch Abgase durch Bauführung geht, ist grundsätzlich auf § 126 Wr BO bei der Frage eines Ersatzes der Kosten abzustellen.

Voraussetzung für einen Ersatzanspruch nach § 126 Abs 4 Wr BO ist, dass zwei Gebäude verschiedener Höhe durch die Bauführung entstanden sind und damit der Eigentümer des niedrigeren Hauses zu einer Erhöhung des Rauchfangs verpflichtet ist. Da nicht nur die Gebäude, sondern vor allem auch die Bewohner von diesen Bestimmungen geschützt sind, kann mit dem Begriff „Höhe des Gebäudes“ nicht nur die Höhe des Bauwerks vom Boden bis zum Dachfirst gemeint sein; umfasst ist auch die Höhe, bis zu der (geschützte) Wohnungen und Aufenthaltsräume eines Gebäudes reichen. Durch die Veränderung dieser Höhe werden die typisierten Gefährdungen durch Abgase, wie sie durch § 114 Wr BO verhindert werden sollen, geschaffen. Die durch eine solche Bauführung für den Eigentümer des nunmehr „niedrigeren“ Gebäudes verursachten Kosten sind vom Bauführer nach § 126 Abs 4 Wr BO zu ersetzen.

Der Einwand des Beklagten, jeder Eigentümer eines Hauses müsse einen Dachausbau des Nachbarhauses schon bei der Errichtung miteinkalkulieren und die Rauchfänge unter Vorwegnahme einer allfälligen Ausbautätigkeit entsprechend hochziehen, widerspricht den Vorgaben der Wr BO, die sich am Ist-Zustand der Nachbarhäuser im Zeitpunkt der Baubewilligung orientiert. Dass der Kläger bei Errichtung seines Hauses bereits vom konkreten Ausbauplan des Beklagten gewusst hätte, wird ohnedies nicht behauptet.

Für die Entscheidung über einen Ersatzanspruch nach § 126 Abs 4 Wr BO ist das Gericht zuständig. Die Grundlage für den Ersatzanspruch bildet zwar zulässigerweise das Landesgesetz (worauf die Revision durch den Hinweis auf Art 15 Abs 9 B-VG aufmerksam macht), es fehlt aber eine konkrete Anordnung, dass über diesen zivilrechtlichen Ersatzanspruch eine Verwaltungsbehörde zu entscheiden hat. Soweit die Entscheidungsbefugnis in solchen Materien nicht mit besonderer gesetzlicher Anordnung auf andere Behörden übertragen wird, besteht die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte (§ 1 JN). Zu vergleichbaren Streitigkeiten hat auch der Verwaltungsgerichtshof die Zuständigkeit der Gerichte bejaht (VwGH 21. 12. 1933 Slg 17.811/A, 11. 3. 1953, Slg 2.891/A).

Die Einwände des Beklagten, der Anspruch sei einerseits nicht fällig, weil noch gar kein Schaden entstanden sei, seien doch die Arbeiten noch nicht durchgeführt worden, andererseits aber verjährt, weil Schaden und Schädiger bereits bei Bauführung 1986 dem Kläger bekannt gewesen sei, sind in sich widersprüchlich. Für die Fälligkeit eines Schadenersatzanspruchs kommt es nicht darauf an, ob die von der Behörde aufgetragenen Arbeiten bereits durchgeführt wurden oder nicht, besteht doch die dem Kläger gegenüber durchsetzbare Verpflichtung zur Rauchfangerhöhung. Damit ist der Schaden entstanden und der Klagsanspruch fällig.

Die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden sind (RIS-Justiz RS0034951). Die Zahlungspflicht muss also „unverrückbar“ feststehen (1 Ob 162/07s). Bestehen allerdings Ungewissheiten darüber, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist, kommt es auf den Ausgang eines Verwaltungsverfahrens an, weil erst dann ausreichend sichere Informationen für eine Schadenersatzklage verfügbar sind (10 Ob 111/07g).

Wie schon die Argumentation des Beklagten zeigt, der sogar das Entstehen eines Schadens bezweifelt, war erst durch den genannten Bescheid aus dem Jahr 2007 klar, ob und in welchem Ausmaß die Behörde aufgrund der Baumaßnahmen des Beklagten den Kläger als zu einer Rauchfangerhöhung verpflichtet ansehen werde. Die Verjährungsfrist begann daher erst mit Zustellung des Bescheids. Der Anspruch ist nicht verjährt.

Auf die vom Beklagten gerügte „Feststellung“ in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts, dass der Kläger erst mit der Zustellung des Bescheids Kenntnis von Schaden und Schädiger gehabt habe, kommt es nicht an, zumal darin auch Rechtsausführungen zu erkennen sind. Selbst wenn der Kläger von der Bauführung schon im Jahr 1986 Kenntnis erlangt hätte, wäre seine Pflicht zur Höherführung der Rauchfanggruppe dennoch erst mit Zustellung des Bescheids und damit der Anordnung der Rauchfangerhöhung festgestanden.

Es ist daher das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Für die Revision gebührt nur der einfache Einheitssatz.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte