Spruch:
Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin enthalten 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin begehrte aufgrund des mit der beklagten Luftfahrtgesellschaft abgeschlossenen Beförderungsvertrags aus dem Titel des Schadenersatzes zwei Drittel des ihr durch den Verlust eines Gepäckstücks auf dem Flug von Madrid über Palma die Mallorca nach Salzburg entstandenen Schadens in Höhe von 6.169,08 EUR (unter Berücksichtigung eines Abzugs „neu für alt“) samt 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 7. November 2008.
Die Beklagte wendete ein, das Montrealer Abkommen und die darin vorgesehene Haftungshöchstgrenze von 1.000 Sonderziehungsrechten (SZR) würde zur Anwendung gelangen. Der Klägerin stehe maximal ein Betrag von 785,02 EUR zu (das sind 66 % der Haftungshöchstgrenze, die in Euro umgerechnet 1.171,67 EUR betrage). Im Falle einer Teileinklagung sei die Haftungshöchstgrenze im Ausmaß der nicht eingeklagten Quote zu reduzieren.
In der Folge anerkannte die Beklagte das Klagebegehren im Umfang von 785,02 EUR als zu Recht bestehend; über diesen Betrag erging auf Antrag der Klägerin ein Teilanerkenntnisurteil.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von weiteren 354,75 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 5.029,31 EUR sowie das über 4 % hinausgehende Zinsenmehrbegehren ab. Anwendbar sei das Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr („Montrealer Übereinkommen“). Mit der Aufgabe des Gepäckstücks am dafür vorgesehenen Abfertigungsschalter der beklagten Luftfahrtgesellschaft in Madrid sei dieses in deren Obhut übergegangen. Die beklagte Partei treffe daher für dessen Verlust die verschuldensunabhängige Haftung nach Art 17 Abs 2 MÜ. Sie hafte allerdings nur im Ausmaß der in Art 22 Abs 2 MÜ vorgesehenen Haftungsbeschränkung, weil von der Klägerin kein Interesse an der Ablieferung am Bestimmungsort betragsmäßig angegeben und auch kein Zuschlag entrichtet worden sei. Ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten der Beklagten oder ihrer Leute liege nicht vor. Es handle sich bei dem zugesprochenen Schadenersatzbetrag um einen Pauschalbetrag, der der Klägerin zur Gänze zustehe, auch wenn diese nur einen Teil des ihr entstandenen Schadens eingeklagt habe. Die Umrechnung der Sonderziehungsrechte nach der Landeswährung sei zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erfolgt. Mit der Auszahlung dieser Summe sei der Schaden nach dem Montrealer Übereinkommen abgegolten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es änderte den Ausspruch über das Zinsenbegehren dahin ab, dass es Zinsen nach § 352 UGB zusprach. Die Klägerin, die den Beruf einer Zahnärztin ausübe, falle als Angehörige eines freien Berufs unter den Unternehmerbegriff. Der Flug zu einem zahnärztlichen Kongress und zurück gehöre zum Betrieb einer zahnärztlichen Praxis. Im Übrigen teilte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts. Es sei rechtlich unerheblich, wo und zu welchem Zeitpunkt das Gepäckstück nach dem Einchecken verloren gegangen sei, solange die Obhut des Luftfrachtführers nicht unterbrochen werde. Nach Art 22 Abs 6 MÜ habe das Gericht den Ersatz der Gerichtskosten nach seinem Recht vorzunehmen; der Klägerin stehe nach der ZPO kein Kostenersatz zu. Art 22 Abs 6 MÜ sei auf den Ersatz von Zinsen auszuweiten, sodass nicht nur Zinsen aus den Gerichtskosten und sonstigen Ausgaben für den Rechtsstreit, sondern auch Zinsen aus dem letztlich zuerkannten Betrag zuzusprechen seien.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, da Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung der Art 17 Abs 2 undArt 22 Abs 6 MÜ fehle. Es erhebe sich ferner die Frage, ob eine Kompetenz des EuGH zur Auslegung der genannten Bestimmungen vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Selbst wenn das Berufungsgericht zu Recht ausgesprochen haben sollte, die ordentliche Revision sei zulässig, das Rechtsmittel dann aber - wie hier - nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, ist die Revision trotz Zulässigerklärung zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0102059). Dies ist kurz zu begründen:
1. Sowohl Österreich als auch Spanien sind Vertragsstaaten des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. Mai 1999 („Montrealer Übereinkommen“ - „MÜ“) - BGBl III 131/2004, dem auch die Europäische Union beigetreten ist. Dieses Übereinkommen ersetzt das Warschauer Abkommen (Art 55 MÜ), es wurde von Österreich am 29. April 2004 ratifiziert und ist damit Teil des innerstaatlichen Rechts. Als internationales Übereinkommen kommt dem Montrealer Übereinkommen Vorrang vor dem X. Teil des LuftfahrtG zu (§ 146 Abs 1 Z 1 LuftfahrtG); es ist auf die - im vorliegenden Fall zu beurteilende - Beförderung von Reisegepäck in einem Luftfahrzeug zwischen Spanien und Österreich anwendbar (Art 1 Abs 1 MÜ).
2. Nach Art 17 Abs 2 MÜ hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck entsteht, jedoch nur wenn das Ereignis, durch das die Zerstörung, der Verlust oder die Beschädigung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder während eines Zeitraums eingetreten ist, in dem sich das aufgegebene Reisegepäck in der Obhut des Luftfrachtführers befand. Wenngleich der Haftungshöchstbetrag bei Verlust beförderten Gepäcks nicht in Art 17 Abs 2 MÜ enthalten ist, ergibt er sich ausdrücklich aus Art 22 Abs 2 MÜ. Nach Art 22 Abs 2 haftet der Luftfrachtführer für Schäden an aufgegebenem Reisegepäck ohne Verschulden, seine Haftung ist in diesem Fall mit einem Haftungshöchstbetrag begrenzt; dieser wird bei Nachweis eines dem Frachtführer zurechenbaren Verschuldens jedoch „außer Kraft gesetzt“ (Art 22 Abs 5 MÜ; ErlRV, 13 BlgNR XXII. GP 8). Mit ihren abstrakten Ausführungen, Reisende hätten mit Schwierigkeiten beim Erbringen des Verschuldensbeweises zu rechnen, zeigt die Revisionswerberin keine unrichtige rechtliche Beurteilung durch die Vorinstanzen auf; im Übrigen ist sie auf § 184 ZPO (vgl dazu nur 9 Ob 12/05p = SZ 2005/73) hinzuweisen. Da dem Montrealer Übereinkommen gemäß Art 1 Abs 1 Anwendungsvorrang vor den innerstaatlichen Schadenersatzbestimmungen und den innerstaatlichen Regelungen über den Verwahrungsvertrag zukommt, trifft dies auch auf die weiteren Revisionsausführungen zu, mit denen auf Lehrmeinungen zu Haftungshöchstbeträgen im österreichischen Schadenersatzrecht sowie auf die nach ABGB gegebenen Pflichten eines Verwahrers verwiesen wird. Die Revisionswerberin erklärt auch nicht, warum subsidiär gerade österreichisches materielles Recht zur Anwendung kommen sollte.
3. Nach Art 22 Abs 2 MÜ haftet der Luftfrachtführer bei der Beförderung von Gütern für Zerstörung, Verlust, Beschädigung oder Verspätung (verschuldensunabhängig) bis zu einem näher genannten Haftungshöchstbetrag; diese Beschränkung gilt nicht, wenn der Reisende bei der Übergabe des aufgegebenen Reisegepäcks an den Luftfrachtführer das Interesse an der Ablieferung am Bestimmungsort angegeben und den verlangten Zuschlag entrichtet hat. Die Revisionswerberin vermeint, der in Art 22 Abs 2 MÜ verwendete Begriff der „Beförderung“ umfasse ausschließlich den „Lufttransport“ (und nicht den Transport des Gepäckstücks am Flughafen nach Übergabe an den Luftfrachtführer), weshalb der Haftungshöchstbetrag im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung komme. Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht muss jedoch nicht abschließend überprüft werden, steht doch gar nicht fest, dass das Gepäckstück außerhalb des „Lufttransports“ in Verlust geraten ist. Auszugehen ist vielmehr von der negativen Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, wo, wann und durch welchen Umstand der Koffer der Klägerin verloren gegangen war. Damit weicht die Revisionswerberin mit ihrem Vorbringen von der Tatsachengrundlage der angefochtenen Entscheidung ab; sie zeigt deshalb keine entscheidungswesentliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
Zum Unterschied zu dem der Entscheidung 6 Ob 11/02i zu Grunde liegenden Sachverhalt steht auch nicht fest, dass das Gepäckstück überhaupt nicht befördert wurde, weshalb kein „Nichterfüllungsfall“ vorliegt. Zudem stünde die Rechtsansicht, der in Art 22 Abs 2 MÜ verwendete Begriff der „Beförderung“ umfasse nur den „Lufttransport“, in Widerspruch zum zweiten Satz des Art 22 Abs 2 MÜ sowie zu Art 17 Abs 2 MÜ, weil in beiden Regelungen von der Aufgabe bzw Übergabe des Gepäckstücks an den Luftfrachtführer die Rede ist; in Art 17 Abs 2 wird ausdrücklich auf den Zeitraum abgestellt, in dem sich das Gepäckstück zwecks Ausführung des Luftbeförderungsvertrags in der Obhut des Luftfrachtführers befindet.
4. Nach Art 22 Abs 6 MÜ hindern die in Art 22 festgesetzten Haftungsbeschränkungen das Gericht nicht, zusätzlich nach seinem Recht einen Betrag zuzusprechen, der ganz oder teilweise den vom Kläger aufgewendeten Gerichtskosten und sonstigen Ausgaben für den Rechtsstreit, einschließlich der Zinsen, entspricht. Art 22 Abs 6 MÜ regelt somit ausschließlich die Ersatzfähigkeit von Rechtsverfolgungskosten und Zinsen (ErlRV 13 BlgNR XXII. GP 9). Das von der Revisionswerberin dieser Bestimmung beigelegte Verständnis, das Gericht habe auch den Schadenersatz nicht allein nach den Regeln des Montrealer Übereinkommens, sondern „zusätzlich“ nach den nationalen Rechtsvorschriften zu gewähren, findet schon im Wortlaut keine entsprechende Grundlage. Außerdem widerspräche diese Auslegung Art 1 sowie dem Zweck des Abkommens, durch gemeinsames Handeln der Staaten die weitere Harmonisierung und Kodifizierung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr zu erreichen.
5. Die Ansicht des Berufungsgerichts, von Art 22 Abs 6 MÜ seien auch Zinsen aus dem letztlich zugesprochenen Betrag umfasst, ist nicht mehr zu überprüfen, weil die beklagte Partei keine Revision erhoben hat, sodass der Zuspruch in diesem Umfang in Rechtskraft erwachsen ist.
6. Infolge Beitritts der Europäischen Union zum Montrealer Übereinkommen ist die Kompetenz des EuGH zur Auslegung dessen Bestimmungen im Wege der Vorabentscheidung zu bejahen, da ein vom Rat für die Europäische Gemeinschaft geschlossenes Abkommen eine Handlung eines Gemeinschaftsorgans ist; die Bestimmungen eines solchen Abkommens sind von dessen Inkrafttreten an integraler Bestandteil der Gemeinschaftsordnung. Im Rahmen dieser Rechtsordnung ist der Gerichtshof zuständig, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Übereinkommens zu befinden (EuGH 22. Oktober 2009, Rs C-301/08 Bogiatzi [verh. Ventouras] / Deutscher Luftpool ua Rn 23 mwN).
Im vorliegenden Fall konnte eine Vorlage zur Lösung gemeinschaftsrechtlicher Fragen jedoch unterbleiben, weil die von der Revisionswerberin aufgeworfenen Rechtsfragen zu Art 17 Abs 2 undArt 22 Abs 2 MÜ nicht entscheidungswesentlich sind und die richtige Auslegung des Art 22 Abs 6 MÜ iS eines Anwendungsvorrangs derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (RIS-Justiz RS0082949).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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