OGH 14Os71/10p

OGH14Os71/10p20.7.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Juli 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Skrdla als Schriftführerin in der Strafsache gegen Arian A***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 18. März 2010, GZ 10 Hv 8/10i-24, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Staatsanwältin MMag. Sauter des Angeklagten und dessen Verteidigers Dr. Vallender zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der vom Schuldspruch II/1 umfassten Tat auch unter § 142 Abs 2 StGB, demgemäß auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Steyr verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Arian A***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB (II/1), des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127, 15 Abs 1 StGB (I/1 und III) und (richtig:) des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (I/2 und II/2) sowie jeweils mehrerer Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (I/3 und II/3) und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (I/4 und II/4) schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung - am 4. Dezember 2009 in Steyr (II)

1) dadurch, dass er Ingeborg H***** deren Handtasche samt Bargeld in Höhe von 95 Euro entriss, mit Gewalt gegen eine Person dieser eine fremde bewegliche Sache mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, wobei der Raub ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes begangen wurde und die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat;

2) Ingeborg H***** dadurch geschädigt, dass er die zu Punkt 1 beschriebene Handtasche samt zwei Geldbörsen, einem Mobiltelefon und vier Schlüsseln wegwarf, mithin aus ihrem Gewahrsam dauernd entzog, ohne die Sachen sich oder einem Dritten zuzueignen;

3) eine Urkunde, nämlich den Führerschein des Franz H***** durch Wegwerfen nach der zu Punkt 1 beschriebenen Tat mit dem Vorsatz unterdrückt zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis der Lenkerberechtigung des Genannten gebraucht werde;

4) ein unbares Zahlungsmittel, über das er nicht verfügen durfte, nämlich die Bankomatkarte der Ingeborg H***** nach der zu Punkt 1 beschriebenen Tat mit dem Vorsatz unterdrückt, die Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Staatsanwaltschaft aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO mit dem Ziel eines Schuldspruchs zu Punkt II/1 (nur) wegen § 142 Abs 1 StGB unter Ausschaltung der Privilegierung erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.

Zu Recht macht die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Subsumtionsrüge (Z 10) im Zusammenhang mit der tatrichterlichen Annahme bloß unbedeutender Tatfolgen einen Feststellungsmangel dahingehend geltend, dass das Urteil Konstatierungen zu den psychischen Beeinträchtigungen (vgl Eder-Rieder in WK2 § 142 Rz 60) der Zeugin Ingeborg H***** durch die Tat vermissen lässt, obwohl deren - von der Rüge samt Fundstelle im Akt übrigens genau bezeichnete (ON 23 S 11) - Aussage in der Hauptverhandlung („wenn ich heute jemanden mit Kapuze sehe, gehe ich immer auf die andere Straßenseite und wenn diese Person dann auch hinübergeht, bekomme ich Panik“) dies indiziert hätte. Die darauf (allein) bezugnehmende Urteilspassage (US 19) gibt im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bloß - zudem aktenwidrig - Angaben dieser Zeugin ohne erkennbaren Feststellungswillen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) der Tatrichter wieder.

Die weitere Subsumtionsrüge hingegen erweist sich als nicht prozessförmig, weil sie die Forderung nach anderer rechtlicher Unterstellung nicht auf die Gesamtheit der Urteilskonstatierungen oder die Behauptung eines - trotz indizierender Verfahrensergebnisse - nicht durch Feststellungen geklärten Sachverhalts stützt (RIS-Justiz RS0099810, RS0118580).

So übergeht die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Frage, ob die eingesetzte Gewalt nach dem anzuwendenden objektiv-individualisierenden Maßstab (vgl RIS-Justiz RS0094427) als erheblich zu beurteilen ist, die Urteilsannahmen, denen zufolge es sich bei dem 68-jährigen Opfer trotz dessen fortgeschrittenen Alters - das (wie der Vollständigkeit halber bemerkt sei) nur eines von mehreren prüfungsrelevanten Kriterien darstellt (vgl RIS-Justiz RS0094365) - um eine „sehr rüstige“, jedenfalls nicht um eine „alte, gebrechliche, hilflose“ Person handle (US 7 und 14 f). Dass die vom Erstgericht zitierte Rechtsprechung zur (mangelnden) Erheblichkeit der bei einem Handtaschenraub eingesetzten Gewalt (RIS-Justiz RS0094367, insbesondere 13 Os 157/85) angesichts der Feststellung, das Opfer habe die „Tasche mit der rechten Hand sehr fest“ gehalten (US 7), auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar sei, wird weder methodengerecht aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565) noch logisch vertretbar aus der angesprochenen Judikatur abgeleitet (RIS-Justiz RS0116962).

Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, Verletzungsfolgen komme im Hinblick auf die Erheblichkeit der Gewalt Indizwirkung zu, ignoriert sie die Ausführungen des Erkenntnisgerichts, nach welchen die vom Opfer angegebenen Beschwerden (insbesondere Schwellungen und Schmerzen im Bereich des rechten Knies und des rechten Zeigefingers) gerade nicht zweifelsfrei in kausalen Zusammenhang mit dem Tatgeschehen zu bringen seien (US 8, 15 f und 19 f). Die spekulativen Überlegungen, ob ein anderer Geschehensablauf allenfalls zu stärkeren körperlichen Beeinträchtigungen des Opfers geführt hätte, entfernen sich vom Urteilssachverhalt und entziehen sich daher einer inhaltlichen Erwiderung.

Die Forderung, das Erstgericht hätte bei Beurteilung der Geringwertigkeit der Raubbeute nicht nur das Bargeld von 95 Euro (vgl demgegenüber die Angaben des Opfers zur Höhe des Bargelds - ON 11 S 3 und 21), sondern auch die (nur zum Vergehen der dauernden Sachentziehung zu II/2 gegenständliche) Handtasche im Wert von 39 Euro einbeziehen müssen, wird abermals nicht methodengerecht aus dem Gesetz (§ 142 Abs 2 StGB) abgeleitet, das zwischen dem Wert der eigentlichen Raubbeute und den sonstigen (auch außertatbestandsmäßigen) Tatfolgen als getrennt zu prüfenden Elementen der Privilegierung unterscheidet (vgl RIS-Justiz RS0094488).

Die in diesem Zusammenhang im Hinblick auf in die Prüfung einzubeziehende opferbezogene Faktoren als fehlend reklamierte Feststellung, dem Opfer stünden „an Familienbudget lediglich monatlich Euro 800,- zur Verfügung“, ist dem Beschwerdevorbringen zuwider nach dem Akteninhalt gerade nicht indiziert (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 601), denn die Zeugin Ingeborg H***** gab bei der ins Treffen geführten Vernehmung vor der Polizei an, gemeinsam mit ihrem Mann eine doppelt so hohe Nettopension „zur Verfügung“ zu haben (ON 2 S 39).

Soweit unter dem Aspekt nicht unbedeutender Folgen der Tat abermals auf Verletzungen des Opfers rekurriert wird, ist auf die obigen Ausführungen zur - nach Überzeugung des Erstgerichts - insofern fehlenden Kausalität des Tatgeschehens zu verweisen.

Schließlich übergeht die Behauptung, unbedeutende Tatfolgen lägen auch angesichts der Entziehung weiterer Gegenstände und der Unterdrückung von Urkunden, nicht vor, die Urteilskonstatierung (US 19), wonach sämtliche weggenommenen Gegenstände (mit Ausnahme des Bargelds, das erst später zurückgegeben wurde) noch am Vorfallstag sichergestellt und „kurze Zeit“ (nämlich zwei Tage - vgl ON 11 S 31) später dem Opfer ausgefolgt wurden, wobei der Inhaber des entfremdeten Führerscheins infolge seiner Erkrankung zum Lenken eines Kraftfahrzeugs dauerhaft nicht mehr imstande ist (vgl 12 Os 148/09w, 13 Os 125/08v). Ein Feststellungsmangel dahin, dass etwa die weggenommene Bankomatkarte innerhalb des angeführten Zeitraums benötigt worden wäre, wird nicht geltend gemacht.

Da die Annahme der Privilegierung des § 142 Abs 2 StGB nur in Frage kommt, wenn sämtliche der dort genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen, erfordert der von der Staatsanwaltschaft in einem Punkt zutreffend aufgezeigte Feststellungsmangel die Kassation der davon betroffenen Subsumtion samt Rückverweisung an das Erstgericht (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO).

Aufgrund der damit einhergehenden Aufhebung des Sanktionsausspruchs ist die Berufung der Staatsanwaltschaft gegenstandslos.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a StPO.

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