OGH 9Ob60/09b

OGH9Ob60/09b30.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil, Dr. Hopf, Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N***** C*****, vertreten durch Mag. Hans Teuchtmann, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei S***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Maxwald - Bauer, Rechtsanwälte in Linz, und die beiden Nebenintervenienten auf Seite der beklagten Partei 1. V***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Kempf, Rechtsanwalt in Linz, 2. K***** AG, *****, vertreten durch die Brandstetter Pritz & Partner Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen 37.614,37 EUR sA, Gewährung einer Rente (Streitwert 2.268 EUR) und Feststellung (Streitwert 4.000 EUR), über die Revisionen und die Rekurse der beklagten Partei und der Zweitnebenintervenientin gegen das Teil- und Teil‑Zwischenurteil und den darin enthaltenen Teil‑Aufhebungsbeschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. April 2009, GZ 3 R 203/08f‑53, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 19. September 2008, GZ 4 Cg 120/07w-44, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:0090OB00060.09B.0630.000

 

Spruch:

Den Revisionen und Rekursen wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Klägerin war am 10. 3. 2006 als Reinigungskraft der D***** GmbH bei der W***** mit Reinigungsarbeiten betraut. Als sie gegen 16:00 Uhr in einem im 2. Stock gelegenen Besprechungszimmer der Sparte G***** eine Kühlschranktür öffnete, kam es zur Explosion einer im Kühlschrank befindlichen, von der Beklagten abgefüllten 1 Liter-Mineralwasserflasche der Marke „F*****“. Durch die Explosion der Flasche wurden Eissplitter in das rechte Auge der Klägerin geschleudert, wodurch dieses so schwer verletzt wurde, dass es letztlich operativ entfernt werden musste.

Von der W***** wurden regelmäßig Mineralwasserflaschen der Beklagten bestellt, den einzelnen Abteilungen zur Verfügung gestellt und in verschiedenen Kühlschränken eingekühlt. Die gegenständliche Mineralwasserflasche war vor der Explosion ‑ ohne dass Zeitpunkt und Urheber näher feststellbar waren ‑ in teilentleertem Zustand zunächst in das Gefrierfach des Kühlschranks gelegt und sodann wieder dem Gefrierfach entnommen und in den normalen Kühlbereich des Kühlschranks gestellt worden.

„F*****“ enthält karbonisiertes Mineralwasser mit 6 g/l Kohlendioxid. Eine mit 1000 ml kohlendioxidhaltigem Wasser befüllte AF-Normflasche kann nicht ohne Zerstörung der Flasche eingefroren werden, weil es beim Gefrierprozess zu einer Ausdehnung des Wassers und schließlich zur Zerstörung der Flasche kommt. Ist die Flasche hingegen mit weniger als 950 ml Mineralwasser befüllt, reicht die Ausdehnung des Wassers beim Einfrieren nicht aus, um die Flasche zu zerstören. Beim Einfrieren von Mineralwasser kommt es ‑ neben der Ausdehnung des Wassers ‑ zu einem Austreiben des Kohlendioxids, das in Eis nur gering löslich ist. Während es aber beim Einfrieren einer mit 1000 ml Mineralwasser befüllten 1 Liter-Flasche zu keiner (gefährlichen) Druckerhöhung durch freigesetztes Kohlendioxid kommt, kommt es bei weniger als 950 ml Wasser in der Flasche (durch den größeren Leerraum in der Flasche) zu einem gravierenden Druckanstieg durch freigesetztes Kohlendioxid. Bei Hinzutreten einer zusätzlichen Stoßbelastung kann es dann zu einer Explosion der Flasche kommen. Im vorliegenden Fall erfolgte beim Öffnen der Kühlschranktür durch die Klägerin diese die Explosion auslösende Stoßbelastung entweder durch ein leichtes Zusammenstoßen der gegenständlichen Flasche mit einer anderen Flasche oder durch ein Herausfallen der Flasche aus dem Kühlschrank.

Die Flaschenetiketten der Beklagten enthalten keinen Hinweis, dass das Einfrieren von Mineralwasserflaschen gefährlich sein könnte. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass es beim Einfrieren von vollen Mineralwasserflaschen durch die Ausdehnung des Wassers zu einem Zerbrechen der Flasche kommen kann. Da dies zu einem Schaden am Produkt Mineralwasser führt, ist eine derartige Verwendung durch den Hersteller nicht vorgesehen. Dass es beim Auftauen eingefrorener teilentleerter Mineralwasserflaschen zu einer Explosion kommen kann, war bisher weder allgemein noch in einschlägigen Produzentenkreisen bekannt. Die gegenständlichen Zusammenhänge konnten aber vom Sachverständigen durch diverse Versuchsreihen mit verschieden stark befüllten Flaschen geklärt werden. In der vom gerichtlichen Sachverständigen für Warenverpackung eingesehenen Fachliteratur war dieses Phänomen nicht bekannt.

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage für die beim Unfall erlittene Verletzung ihres rechten Auges, die schließlich zu seiner operativen Entfernung und Ersetzung durch ein Glasauge, zu erheblichen Schmerzen und zu einer schweren Depression geführt habe, nach Ausdehnung des Klagebegehrens den Betrag von 37.614,37 EUR sA. Dieser Betrag umfasse die Gewährung von Schmerzengeld und einer Verunstaltungsentschädigung, den Ersatz der Heilungskosten und der vermehrten Bedürfnisse sowie den Ersatz des erlittenen Verdienstentgangs. Weiters begehrt die Klägerin den Zuspruch einer abstrakten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit von 100 EUR monatlich und die Feststellung, dass die Beklagte der Klägerin aus dem Unfall vom 10. 3. 2006 für Dauer- und Spätfolgen hafte. Die Klägerin stütze ihre Ansprüche vor allem auf das Produkthaftungsgesetz (PHG). Danach hafte die Beklagte verschuldensunabhängig für den Schaden der Klägerin, weil sie ein fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht habe. Es sei hier kein für die Beklagte nicht vorhersehbarer oder gar absurder Gebrauch der gegenständlichen Mineralwasserflasche vorgelegen. Die Mineralwasserflaschen der Beklagten enthielten keine Warnhinweise bezüglich der Aufbewahrung in Kühlschränken oder Gefrierfächern. Hilfsweise werde das Klagebegehren auch auf § 1325 ABGB, das Vorliegen eines Vertrags mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter, die allgemeine Gefährdungshaftung, die Verletzung von Schutzgesetzen und überhaupt auf jeden erdenklichen Rechtsgrund gestützt.

Die Beklagte und die beiden auf ihrer Seite dem Prozess beigetretenen Nebenintervenientinnen bestreiten das Klagevorbringen und beantragen die Abweisung des Klagebegehrens. Wasser, das zu Eis gefriere, dehne sich bekanntlich um 10 % aus. Es könne daher durchaus sein, dass die gegenständliche Flasche durch das Einfrieren des Mineralwassers Haarrisse bekommen habe, die dann infolge einer Erschütterung (beispielsweise beim Öffnen des Kühlschranks oder beim Hantieren mit der Flasche) zum Zerbersten der Flasche geführt haben. Der Schaden sei nicht durch einen Fehler des Produkts, sondern durch eine unsachgemäße Verwendung des Produkts herbeigeführt worden. Das Einfrieren von Mineralwasser im Tiefkühlfach eines Kühlschranks stelle eine krasse Fehlbehandlung des Produkts dar, mit der der Erzeuger nicht rechnen müsse. Eine Verletzung von Instruktionspflichten liege nicht vor. Die vom gerichtlichen Sachverständigen dargelegte Möglichkeit des Schadenseintritts durch Einfrieren einer nicht vollständig befüllten Mineralwasserflasche sei zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens in einschlägigen Produzentenkreisen nicht bekannt gewesen. Auch der Sachverständige habe diese Möglichkeit erst nach Durchführung seiner Versuchsreihen erkannt. Im Übrigen könne die Flasche auch aus dem Kühlschrank gefallen und geborsten sein. Die Beklagte hafte daher weder nach dem Produkthaftungsgesetz noch nach den anderen von der Klägerin geltend gemachten Anspruchsgrundlagen. Der von der Klägerin begehrte Schadenersatz sei im Übrigen weit überhöht. Es werde bestritten, dass die Klägerin aufgrund des gegenständlichen Unfalls in eine schwere Depression verfallen sei. Die Voraussetzungen einer abstrakten Rente lägen nicht vor. Bei der Klägerin sei keine Einkommensminderung zu erwarten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren unter Zugrundelegung der einleitend wiedergegebenen Feststellungen ab. Die Konsumenten von Mineralwasserflaschen dürften zwar berechtigterweise erwarten, dass die Flaschen nicht ohne weiteres explodieren. Zu berücksichtigen sei aber auch der vom Hersteller billigerweise zu erwartende Gebrauch des Produkts. Mit einer völlig unvernünftigen Verwendung oder einem gar absichtlichen Missbrauch müsse der Hersteller nicht rechnen. Dass es durch die Ausdehnung des Wassers zum Brechen eingefrorener Flaschen komme, sei allgemein bekannt. Eine Zusammenschau der verschiedenen Aspekte ergebe, dass die Beklagte billigerweise nicht damit rechnen musste, dass ihr Produkt in vollem oder teilentleertem Zustand eingefroren werde. Ohne das nicht sozialadäquate Einfrieren und Wiederauftauen einer teilentleerten Mineralwasserflasche wäre es nicht zum Schadensfall gekommen, sodass hier kein fehlerhaftes Produkt vorliege. Ein Instruktionsfehler liege nicht vor, weil der Umstand, dass es beim Einfrieren teilentleerter Mineralwasserflaschen zu einer Explosion kommen könne, vor dem gegenständlichen Sachverständigengutachten nicht bekannt gewesen sei.

Das Berufungsgericht verwarf die gegen das Ersturteil erhobene Berufung der Klägerin wegen Nichtigkeit, gab ihr jedoch im Übrigen Folge und änderte das Ersturteil im Sinn eines Teil- und Teil-Zwischenurteils dahin ab, dass das Klagebegehren über 37.614,37 EUR sA dem Grund nach zu Recht bestehe, und zwischen den Streitteilen festgestellt werde, dass die Beklagte der Klägerin für alle aus dem gegenständlichen Unfall resultierenden Dauer- und Spätfolgen hafte. Hinsichtlich des Begehrens der Klägerin auf Zuerkennung einer abstrakten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit von 100 EUR jeweils am Ersten eines jeden Monats ab Schluss der Verhandlung und hinsichtlich der Kostenentscheidung hob das Berufungsgericht das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass es üblich sei, dass Mineralwasser gekühlt getrunken werde. Dass Verbraucher zwecks rascheren Erreichens der gewünschten Kühltemperatur volle, aber auch teilentleerte Mineralwasserflaschen in das Tiefkühlfach eines Kühlschranks oder im Winter bei Minustemperaturen in das Freie stellen, liege nach der allgemeinen Lebenserfahrung im Gewohnheitsbereich der Produktbenutzer. Ebenso sei auch der Transport von vollen oder teilentleerten Mineralwasserflaschen im Winter bei Minusgraden im Auto als sozialübliches Verhalten einzustufen. Dass es dabei infolge Unachtsamkeit zu einem nicht gewünschten Einfrieren des Mineralwassers in der Flasche kommen könne, sei eine Verwendungssituation, die für den Hersteller von Mineralwasser nach alltäglicher Erfahrung vorhersehbar sei. Dem Publikum sei zwar bekannt, dass es beim Einfrieren von vollen Mineralwasserflaschen zum Brechen der Flaschen kommen könne. Diesem Benutzerkreis sei aber nicht bekannt, dass es infolge Gefrierens teilentleerter Mineralwasserflaschen zu einer Explosion kommen könne. Niemand gehe daher mit besonderer Vorsicht an derart gefrorene Mineralwasserflaschen heran. Es bedürfe keiner besonderen Erörterung, dass eine explodierende Mineralwasserflasche die berechtigten Sicherheitserwartungen nicht erfülle und daher fehlerhaft im Sinn des PHG sei. Den Freibeweis nach § 7 Abs 2 PHG, dass ein solcher Druck, wie er am 10. 3. 2006 in der explodierten Flasche eingetreten sei, nicht entstehen und erhalten bleiben konnte, habe die Beklagte, lege man das einzukalkulierende Verbraucherverhalten zugrunde, nicht erbringen können. Die Beklagte entscheide über die Zusammensetzung des Getränks, über die den Innendruck bestimmende Kohlensäurevernetzung und über die Verpackung. Sie trage deshalb auch die Verantwortung dafür, dass die Flaschen nach ihrer Beschaffenheit den Beanspruchungen durch Handel und Verbraucher, mit denen gerechnet werden müsse, gewachsen seien.

Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg auf den Haftungsausschluss nach § 8 Z 2 PHG bezüglich typischer Entwicklungsrisiken berufen. Der Haftungsausschluss nach dieser Bestimmung setze voraus, dass der Fehler (die Gefährlichkeit) des Produkts nach dem Stand von Wissenschaft und Technik beim Inverkehrbringen nicht erkannt werden konnte. Entgegen der Annahme der Beklagten sei nicht entscheidend, ob dem Hersteller die Fehlerhaftigkeit des Produkts bekannt gewesen sei. Es komme auch nicht auf die üblichen Sicherheitspraktiken und -standards in dem Industriesektor, in dem der Hersteller tätig sei, an. Maßgeblich sei vielmehr nach der Rechtsprechung des EuGH (Rs C-300/95 ) der höchste Stand von Wissenschaft und Technik beim Inverkehrbringen des Produkts. Nur die Unmöglichkeit, eine bekannte Eigenschaft der Sache als Fehler zu beurteilen, schließe die Haftung aus. Die potentielle Gefährlichkeit von Glasflaschen, die mit kohlensäurehaltigen Getränken befüllt werden, sei aber schon seit langem bekannt und habe auch schon wiederholt die Gerichte beschäftigt. Der bekannte Sicherheitsmangel solcher Glasflaschen bestehe darin, dass sie explodieren können. Es sei Sache des Getränkeherstellers, im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren und des technisch Möglichen durch ein wesentliches Herabsetzen des Vernetzungsdrucks, durch eine weniger bruchgefährliche Gestaltung der Flasche, durch einem allfälligen Überdruck vorbeugende Verschlüsse oder durch andere Maßnahmen solche spezifischen Gefahren mit den daraus resultierenden schweren Verletzungen der Verbraucher auszuschalten. Die Gefährlichkeit tiefgefrorener teilentleerter verschlossener Mineralwasserflaschen könne mit verhältnismäßig einfachen Labormethoden festgestellt werden. Es entspreche der alltäglichen Erfahrung, dass es sich diesbezüglich um keine neuen Erkenntnismethoden handle. Der Haftungsausschluss sei daher nach § 8 Z 2 PHG nicht gegeben.

Damit erweise sich aber das Leistungsbegehren der Klägerin von 37.614,37 EUR sA dem Grund nach als berechtigt, weshalb insoweit ein stattgebendes Teil‑Zwischenurteil zu erlassen sei. Da die Klägerin beim Unfall ihr rechtes Auge verloren habe, stehe eine Dauerfolge fest, die auch die Möglichkeit impliziere, dass das schädigende Ereignis für einen künftigen Schadenseintritt ursächlich sein könne. Das Feststellungsbegehren der Klägerin sei daher ebenfalls gerechtfertigt. Ob auch ihr Rentenbegehren berechtigt sei, könne nach den erstgerichtlichen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden, weshalb insoweit mit einer teilweisen Aufhebung vorzugehen sei.

Die ordentliche Revision und der Rekurs seien gemäß § 502 Abs 1 ZPO bzw § 519 Abs 2 ZPO zuzulassen, weil zu der in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage, welche Anforderungen an die Produktsicherheit von kohlensäurehaltigen Mineralwasserflaschen im Fall einer Gefrierkühlung zu stellen seien, eine höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen die Berufungsentscheidung richten sich die Revisionen und die Rekurse der Beklagten und der Zweitnebenintervenientin. Sie beantragen, gestützt auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, die Zweitnebenintervenientin unter Geltendmachung auch der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, die Abänderung der Berufungsentscheidung im Sinn der gänzlichen Klageabweisung; hilfsweise wird die Aufhebung der Berufungsentscheidung begehrt.

Die Klägerin beantragt, die Rechtsmittel der Beklagten und der Zweitnebenintervenientin zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen und Rekurse der Beklagten und der Zweitnebenintervenientin sind zulässig; sie sind auch im Sinn der gestellten Aufhebungsanträge berechtigt.

Die von der Zweitnebenintervenientin erhobene Rüge der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) wurde vom Senat geprüft, sie ist aber nicht berechtigt. Diese Beurteilung bedarf gemäß § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner Begründung. Es genügt der Hinweis, dass in erster Instanz weder die Berechtigung der Klägerin, den Kühlschrank zu öffnen, in Frage gestellt, noch ein allfälliges Mitverschulden eingewendet wurde. Der Schwerpunkt des Verfahrens lag auf der Klärung der Ursache der Explosion der gegenständliche Mineralwasserflasche. Dabei ergab sich nicht, dass es „wesentlich wahrscheinlicher“ sei, dass die Flasche beim Herunterfallen explodierte.

In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung bereits mehrfach mit Unfällen infolge explodierender Getränkeflaschen oder explosionsartig abschleudernder Verschlusskappen befasst war (vgl 6 Ob 560/93; 4 Ob 87/97s; 10 Ob 19/01v; 9 Ob 238/01t; 7 Ob 125/03p ua; für Deutschland: BGH VI ZR 158/94, BGHZ 129, 353; VI ZR 24/92, NJW 1993, 528; VI ZR 91/87, BGHZ 104, 323 ua). Derartige Unfälle waren für die Betroffenen häufig ‑ so auch im vorliegenden Fall ‑ mit schweren Augenverletzungen verbunden. Wird durch den Fehler eines Produkts ein Mensch getötet, am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt oder eine von dem Produkt verschiedene körperliche Sache beschädigt, so haftet der Unternehmer, der es hergestellt und in den Verkehr gebracht hat, gemäß § 1 Abs 1 Z 1 Produkthaftungsgesetz (PHG), BGBl 1988/99, für den Ersatz des Schadens. Hersteller im Sinn dieser Bestimmung ist gemäß § 3 PHG derjenige, der das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt erzeugt hat, sowie jeder, der als Hersteller auftritt, indem er seinen Namen, seine Marke oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt. Produkt ist gemäß § 4 PHG jede bewegliche körperliche Sache, auch wenn sie ein Teil einer anderen beweglichen Sache oder mit einer unbeweglichen Sache verbunden worden ist, einschließlich Energie. Ein Produkt ist gemäß § 5 Abs 1 PHG fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, besonders angesichts 1. der Darbietung des Produkts, 2. des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, 3. des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Klägerin durch ein Produkt iSd § 4 PHG ‑ eine 1 Liter‑Flasche „F*****“ ‑ am Körper verletzt wurde, und dass die Beklagte Hersteller dieses Produkts iSd § 3 PHG war. Strittig ist die Fehlerhaftigkeit dieser Mineralwasserflasche nach § 5 Abs 1 PHG. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist der Begriff des Fehlers im PHG von zentraler Bedeutung, weil jede Ersatzpflicht nach diesem Gesetz ein fehlerhaftes Produkt voraussetzt (4 Ob 87/97s; 10 Ob 19/01v; RIS-Justiz RS0107605 ua). Das Kernstück des PHG bildet daher die Fehlerdefinition des § 5 PHG, die sich nahezu wörtlich an Art 6 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. 7. 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte anlehnt. Schutzauslösendes Moment ist das sowohl den Körper- als auch den Sachschaden umfassende Integritätsinteresse jeder durch das Produkt geschädigten Person. Ausschlaggebend hiefür sind die berechtigten Sicherheitserwartungen, ein objektiver Maßstab, dessen Konkretisierung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände vorzunehmen ist. Was im Einzelfall an Produktsicherheit erwartet werden darf, ist (jedenfalls auch) eine Rechtsfrage (4 Ob 87/97s mwN; 10 Ob 19/01v ua).

Dass eine beim Öffnen des Kühlschranks explodierende Mineralwasserflasche nicht die berechtigten Sicherheitserwartungen der Verbraucher erfüllt, bedarf keiner besonderen Erörterung (vgl 9 Ob 238/01t ua). Umstritten ist jedoch im vorliegenden Fall, ob die der Explosion vorhergehende Verwendung der Mineralwasserflasche ‑ nämlich das Einfrieren der Flasche in teilentleertem Zustand in einem Gefrierfach und das anschließende Einstellen der Flasche in den normalen Kühlbereich des Kühlschranks durch eine nicht näher bekannte Person ‑ auch noch einen Gebrauch des Produkts iSd § 5 Abs 1 Z 2 PHG darstellt, mit dem billigerweise gerechnet werden kann. Dabei ist zu prüfen, ob das geübte Verbraucherverhalten für den Hersteller vorhersehbar war. Für unvorhersehbare oder geradezu absurde Gebrauchsarten hat der Hersteller nämlich nicht einzustehen (Welser/Rabl, PHG² § 5 Rz 24; RIS-Justiz RS0107610 ua).

Das Berufungsgericht hat die vorstehende Frage bejaht und zutreffend darauf hingewiesen, dass es üblich sei, dass Mineralwasser gekühlt getrunken werde. 1 Liter‑Mineralwasserflaschen sind zufolge ihrer Füllmenge und des vorhandenen Schraubverschlusses dazu prädestiniert, nicht unbedingt auf einmal, sondern auch auf Raten ausgetrunken zu werden. Häufig werden daher 1 Liter‑Flaschen nach einer ersten Teilentleerung wieder eingekühlt. Generell werden Mineralwasserflaschen entweder außerhalb eines Kühlschranks gelagert oder nach Maßgabe des vorhandenen, meist aber beschränkten Platzes in Kühlschränken gekühlt, bis sie benötigt werden. In der Praxis kommt es vor, dass zwecks rascheren Erreichens der gewünschten (kühlen) Trinktemperatur sowohl volle als auch teilentleerte Mineralwasserflaschen (aber auch sonstige Getränke) von Verbrauchern vorübergehend in das Tiefkühlfach eines Kühlschranks oder gleich in einen Tiefkühlschrank gegeben werden. Im Winter kann bei entsprechend tiefen Temperaturen auch beobachtet werden, dass Mineralwasserflaschen (und sonstige Getränke) für einige Zeit in das Freie (zB Balkon, Terrasse etc) gestellt werden, um eine raschere Kühlung als im Kühlschrank zu erreichen. Kurzfristiges Tiefkühlen ‑ zum rascheren Erreichen der gewünschten Trinktemperatur, nicht zum Frieren ‑ liegt daher nach der allgemeinen Lebenserfahrung, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, im Gewohnheitsbereich von Verbrauchern.

Der vermutlich vielen Verbrauchern, wie schon das Erstgericht ausführte, aus dem Physikunterricht in der Schule oder aus sonstigen Quellen bekannte Effekt, dass Wasser bei Minustemperaturen gefriert, sich beim Gefriervorgang ausdehnt und eine Glasflasche zum Platzen bringen kann, dürfte viele Verbraucher davon abhalten, Mineralwasserflaschen gezielt einzufrieren. Er hält aber erfahrungsgemäß nicht vom vorstehend erwähnten kurzfristigen Tiefkühlen ab, bei dem ja gerade kein Gefrieren des Getränks beabsichtigt ist, sondern lediglich ein möglichst rasches Kühlen erreicht werden soll; dies beispielsweise dann, wenn auf das Einkühlen eines Getränks vergessen oder der Getränkebedarf für Gäste unterschätzt wurde. Gelegentlich wird allerdings beim als kurzfristig geplanten Tiefkühlen auf die rechtzeitige Beendigung dieses Vorgangs vergessen. Dies kann dann dazu führen, dass solcherart eingekühlte Getränkeflaschen letztlich doch gefrieren und in der Folge je nach Dauer des Vergessens Schaden nehmen. Dies räumt nun auch die Beklagte in ihrer Revision ein, und gibt Ratschläge, dass man das Vergessen etwa durch Einstellen einer Erinnerung am Mobiltelefon verhindern könne. Hier geht es aber zunächst nur darum, ob das nicht beabsichtigte Einfrieren einer Mineralwasserflasche in teilentleertem Zustand in einem Gefrierfach und ihr anschließendes Einstellen in einen Kühlschrank zum Wiederauftauen noch einen Gebrauch des Produkts iSd § 5 Abs 1 Z 2 PHG darstellt, mit dem billigerweise gerechnet werden kann und der nicht geradezu absurd ist. Dies ist nach Auffassung des Senats zu bejahen, denn selbst unterhalb der Schwelle der Sozialüblichkeit hat der Hersteller mit bestimmten Verbrauchergewohnheiten zu rechnen, solange es sich nicht bloß um einen theoretisch denkbaren, sondern um einen naheliegenden Abusus handelt (10 Ob 19/01v ua). Zutreffend nannte das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auch den Transport von vollen oder teilentleerten Mineralwasserflaschen im Winter im Auto. Auch dabei kann es, wenn die Flaschen im Auto vergessen werden, zum vorbeschriebenen unbeabsichtigten Gefrieren der Flaschen kommen. Auch das spricht dafür, dass das Gefrieren von Mineralwasserflaschen (voll oder teilentleert) beim Verbraucher keineswegs eine Situation ist, die für den Mineralwasserhersteller unvorhersehbar ist oder einen geradezu absurden Produktgebrauch darstellt (vgl 10 Ob 19/01v zur Explosion einer teilentleerten Fruchtsaftflasche zufolge Gärung infolge hochsommerlicher Temperaturen im Auto).

Die Klägerin hat damit einen Produktfehler ‑ nämlich den im Zeitpunkt des Öffnens des Kühlschranks bestehenden Überdruck in der gegenständlichen Mineralwasserflasche, der durch ein leichtes Zusammenstoßen dieser Flasche mit einer anderen Flasche oder durch ein Herausfallen der Flasche aus dem Kühlschrank, zur Explosion führte ‑ nachgewiesen. Darauf, dass das Produkt nicht fehlerhaft sei, weil die Verbraucher vom Hersteller vor der gegenständlichen Verwendung gewarnt worden wären, Mineralwasserflaschen unter keinen Umständen einzufrieren, und überdies besonders instruiert worden wären, wie sie sich im Fall eines allfälligen versehentlichen Gefrierens von Mineralwasserflaschen zu verhalten haben, hat sich die Beklagte nicht berufen. Dass ein solcher Druck (wie er am 10. 3. 2006 beim Öffnen des Kühlschranks tatsächlich aufgetreten ist) beim Inverkehrbringen der Flasche durch die Beklagte noch nicht bestanden haben mag, beweist die Fehlerfreiheit des Produkts solange nicht, als der Hersteller nicht beweist, dass in der Flasche bei der von ihm als Erzeuger einzukalkulierenden Möglichkeit physikalischer und sonstiger Einwirkungen von außen während des Transports und der Lagerung bis zum Endverbraucher ein solcher Druck (wie er am 10. 3. 2006 beim Öffnen des Kühlschranks tatsächlich aufgetreten ist) nicht entstehen und erhalten bleiben könnte. Dieser Beweis wurde nicht erbracht.

Für den Fall, dass das Vorliegen eines fehlerhaften Produkts bejaht wird, berufen sich die Beklagte und die Zweitnebenintervenientin in ihren Revisionen auf den Haftungsausschluss gemäß § 8 Z 2 PHG. Nach dieser Bestimmung, die dem Art 7 lit e der Richtlinie 85/374/EWG entspricht (RV 272 BlgNR 17. GP 11), kann die Haftung zwar nicht durch den Mangel eines Verschuldens ausgeschlossen werden, wohl aber durch den Nachweis, dass die Eigenschaften des Produkts nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem es der in Anspruch Genommene in Verkehr gebracht hat, nicht als Fehler erkannt werden konnten. Damit wird die Haftung für typische Entwicklungsrisiken ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0071562 ua), deren Kernelement darin liegt, dass die Gefährlichkeit einer bestimmten Produkteigenschaft beim Inverkehrbringen nicht erkennbar war (RIS-Justiz RS0107611 ua).

Soll dieser Haftungsausschluss zum Tragen kommen, dann müssen dessen Voraussetzungen vom Hersteller nachgewiesen werden. Es gilt ein strenger Maßstab (vgl Welser/Rabl, PHG² § 8 Rz 12 ua); andernfalls könnte der Zweck der Produkthaftung ‑ nämlich die Wahrung des sowohl den Körper- als auch den Sachschaden umfassenden Integritätsinteresses jeder durch das Produkt geschädigten Person ‑ unterlaufen werden. Vom Hersteller ist jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt zu beachten. Entscheidendes Kriterium für diesen Entlastungsgrund ist daher ‑ wie der Wortlaut der Bestimmung deutlich macht („nicht als Fehler erkannt werden konnte“) ‑ die mangelnde Erkennbarkeit des Fehlers, nicht schon das bloße Nichterkennen des Fehlers. Keinesfalls maßgebend sind „nur“ die Kenntnisse, die ein mit der Herstellung des Produkts befasster Techniker nach allgemeiner Auffassung haben muss. Es kommt auch nicht darauf an, ob der konkrete Hersteller Zugang zum letzten Stand von Wissenschaft und Technik gehabt hat oder ob er ‑ etwa durch Beauftragung von Experten ‑ alle Anstrengungen unternommen hat, um diesem Stand zu entsprechen. Ausschlaggebend ist allein, ob die Eigenschaften des Produkts in abstracto als fehlerhaft erkennbar gewesen wären (RV 272 BlgNR 17. GP 12 mwN).

Es wird also nicht speziell auf die üblichen Sicherheitspraktiken und -standards in dem Industriesektor, in dem der Hersteller tätig ist, abgestellt, sondern ohne jede Einschränkung auf den Stand der Wissenschaft und Technik ‑ der den höchsten Stand einschließt ‑, wie er zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des betreffenden Produkts existierte. Die Haftungsbefreiungsklausel berücksichtigt also nicht den Kenntnisstand, über den der jeweilige Hersteller konkret oder subjektiv informiert war oder informiert sein konnte, sondern den objektiven Stand der Wissenschaft und Technik, über den der Hersteller als informiert gilt (EuGH 29. 5. 1997, Rs C‑300/95, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg 1997, I‑2649, Rn 26 f). Die relevanten wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse müssen nur zugänglich gewesen sein (EuGH 29. 5. 1997, Rs C‑300/95, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg 1997, I‑2649, Rn 28 f; RV 272 BlgNR 17. GP  12 mwN ua). Nur die Unmöglichkeit, eine bekannte Eigenschaft der Sache als Fehler zu beurteilen, soll die Haftung ausschließen (RV 272 BlgNR 17. GP 12).

„F*****“ ist ein natürliches, mit Kohlensäure versetztes Mineralwasser (Beil ./T; siehe auch die Mineralwasser- und Quellwasserverordnung, BGBl II 1999/309; Ternes/Täufel/Tunger/Zobel, Lexikon der Lebensmittel und der Lebensmittelchemie4 1204 f ua). Das vorliegende Verfahren ergab, dass ‑ neben der Reinheit des Mineralwassers und der konstanten Zusammensetzung in Bezug auf Mineralstoffe, Spurenelemente und sonstige Bestandteile (siehe § 2 Mineralwasser- und Quellwasserverordnung) ‑ vor allem das unter entsprechend hohem Vorspanndruck der Flaschen herbeigeführte Mischungsverhältnis von Wasser und zugeführtem Kohlendioxid das wesentliche Kriterium der Mineralwasserherstellung ist. Bei Kohlendioxid handelt es sich um ein farbloses und geruchloses Gas (Ternes/Täufel/Tunger/Zobel, Lexikon der Lebensmittel und der Lebensmittelchemie4 967 f ua), von dem im Mineralwasser „F*****“ 6 g pro Liter enthalten sind. Kohlendioxid löst sich im Wasser umso weniger, je höher die Temperatur des Wassers ist, womit gleichzeitig der Innendruck bei Erwärmung von Mineralwasser in einer geschlossenen Glasflasche ansteigt. Im kalten Wasser löst sich somit Kohlendioxid besser als im warmen Wasser. Gefriert allerdings Wasser zu Eis, dann tritt eine ähnliche Situation wie bei der Erwärmung des Wassers ein; das Kohlendioxid wird aus dem Wasser getrieben, womit der Innendruck einer Flasche ‑ in Abhängigkeit vom wasserfreien Raum in der Flasche ‑ ebenfalls ansteigt. Von der Beklagten wurde nicht geltend gemacht, dass sie beim Produkt „F*****“ gegenüber den Verbrauchern besondere Vorgaben bezüglich der Temperatur und der Entleerungsmenge des Mineralwassers gemacht habe. Damit liegt es ‑ nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund früherer schwerer Unfälle mit kohlensäurehaltigen Getränken (vgl 4 Ob 87/97s; 9 Ob 238/01t ua) ‑ auf der Hand, dass die Beherrschung des Drucks des Kohlendioxids, sobald dieses innerhalb der verschlossenen Flasche wieder aus dem Wasser entweicht (zB durch Schütteln oder Temperaturveränderungen), eine wesentliche technische Herausforderung für den Mineralwasserhersteller ist.

Das erstinstanzliche Vorbringen auf Beklagtenseite zur Frage des Haftungsausschlusses dürfte die Voraussetzungen des § 8 Z 2 PHG unterschätzt haben. Es kommt nämlich, wie schon ausgeführt, nicht auf die Kenntnisse an, die ein mit der Herstellung des Produkts befasster Techniker haben muss. Insoweit ging daher der Verweis auf die fehlenden Kenntnisse in einschlägigen Produzentenkreisen ins Leere. Es kommt auch nicht darauf an, ob der konkrete Hersteller Zugang zum letzten Stand von Wissenschaft und Technik gehabt hat. Entscheidend ist entgegen der Annahme des Erstgerichts auch nicht, ob bestimmte Produkteigenschaften „allgemein“ bekannt waren; es kommt nämlich beim Haftungsausschluss nicht auf die fehlenden Kenntnisse der Allgemeinheit an. Es wird vielmehr ‑ losgelöst vom konkreten Hersteller ‑ auf den höchsten Stand der Wissenschaft und Technik abgestellt, wie er zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des betreffenden Produkts existierte.

Wasser und Kohlendioxid kommen bei der Produktion verschiedenster Produkte zum Einsatz, besitzen daher ein breites Anwendungsspektrum. Es erscheint nun, wie schon das Berufungsgericht zum Ausdruck brachte, kaum vorstellbar, dass dem höchsten Stand der Wissenschaft und Technik bisher verborgen geblieben oder nicht zugänglich gewesen sein soll, dass Kohlendioxid in einem geschlossenen Behältnis in Abhängigkeit vom jeweiligen Lösungsmedium und der Temperatur so enormen Druck entfalten kann, dass das jeweilige Behältnis explodiert. So war etwa schon im Jahr 1988 in einem vom deutschen Bundesgerichtshof zu VI ZR 91/87 (BGHGZ 104, 323) zu beurteilenden Fall im Zusammenhang mit einem kohlensäurehaltigen Getränk von einem zu hohen Innendruck infolge zu geringer Befüllung als zumindest einer von mehreren Schadensursachen die Rede. Die Beklagte und die Zweitnebenintervenientin beharren aber dennoch in ihren Revisionen darauf, dass nach dem Stand der Wissenschaft und Technik bisher nicht bekannt gewesen sei, dass sich bei teilentleerten tiefgefrorenen kohlensäurehaltigen Getränken solche Überdrücke aufbauen, dass es zur Explosion kommen könne, somit der gerichtliche Sachverständige im vorliegenden Fall etwas gänzliches Neues herausgefunden habe. Welche Sachkunde im wissenschaftlichen und technischen Bereich vorhanden ist, kann nicht auf der Basis der Vermutungslage der Gerichte beurteilt, sondern muss in der Regel durch Sachverständige geklärt werden. Es handelt sich um eine Angelegenheit der Tatsachenfeststellung (vgl Grau, Produktfehler 154 mwN ua). Auf die von der Klägerin erst in ihren Revisionsbeantwortungen aufgrund einer Internet-Recherche vorgelegten Urkunden, die dartun sollen, dass die gegenständliche Problematik seit Jahren bekannt sei, kann zufolge des im Revisionsverfahren geltenden Neuerungsverbots nicht eingegangen werden (§ 504 Abs 2 ZPO). Da die Frage, ob die Eigenschaften des gegenständlichen Produkts nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem es die Beklagte in Verkehr gebracht hat, nicht als Fehler erkannt werden konnten, in erster Instanz weder hinreichend erörtert noch durch ein Sachverständigengutachten umfassend geklärt wurde, ist eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht unumgänglich. Der in erster Instanz beigezogene Sachverständige für Warenverpackung legte den Schwerpunkt seiner Untersuchung auf die Rekonstruktion des Unfalls und die Beschaffenheit der Abfüllanlage der Beklagten. Mit der nun gegenständlichen Frage befasste er sich eher nur am Rande und in erster Linie auf den konkreten Hersteller und dessen Anlage bezogen.

Dahingestellt bleiben kann die vom Sachverständigen zuerst aufgeworfene und dann wieder abgeschwächte Problematik der Höhe des Vorspanndrucks nach der Versandbehälterverordnung 2002 (VBV 2002), BGBl II 2002/202. Ein diesbezüglicher Fehler bei der Mineralwasserherstellung wurde von Beklagtenseite ausführlich bestritten. Die Klägerin erstattete dazu kein substantiiertes Vorbringen, sondern beschränkte sich auf eine schlichte Bestreitung des Beklagtenvorbringens. Dazu kommt, dass vom Erstgericht festgestellt wurde, dass es zur gegenständlichen Explosion auch bei Einhaltung eines höheren Vorspanndrucks von 6,4 bar gekommen wäre. Auf die Überlegungen zur VBV 2002 muss daher nach Lage des Falls nicht näher eingegangen werden (vgl 9 Ob 238/01t ua).

Soweit die Zweitnebenintervenientin nach der Mängelrüge auch in der Rechtsrüge wiederholt, dass die Klägerin nicht befugt gewesen wäre, den Kühlschrank zu öffnen, wird sie, wie schon zur Mängelrüge, darauf verwiesen, dass ein entsprechender Einwand in erster Instanz nicht erhoben wurde. Eine nähere Auseinandersetzung mit der rechtlichen Relevanz dieses Einwands ist daher entbehrlich. In erster Instanz wurde auch kein der Klägerin zurechenbares Mitverschulden eingewendet. Es ist auch nicht ersichtlich, worin dieses liegen sollte. Die diesbezüglichen Überlegungen der Zweitnebenintervenientin gehen daher ins Leere.

Die Beklagte und die Zweitnebenintervenientin bekämpfen mit ihren Rekursen auch die Teil-Aufhebung des Ersturteils durch das Berufungsgericht hinsichtlich des Rentenbegehrens und verweisen auf ihre Revisionsausführungen, wonach eine Produkthaftung der Beklagten schon dem Grunde nach zu verneinen sei. Dem kommt jedenfalls im Augenblick Berechtigung zu, solange der Haftungsausschluss nach § 8 Z 2 PHG nicht verlässlich geklärt ist. Daher ist auch das Rentenbegehren von der vorliegenden Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen mitumfasst.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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