OGH 14Os62/10i (14Os66/10b)

OGH14Os62/10i (14Os66/10b)18.5.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Stuhl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Halid K***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wider die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. Februar 2010, GZ 034 Hv 53/09z-36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Halid K***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I) sowie jeweils mehrerer Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.

Demnach hat er in Wien Nisveta K*****

(I) Anfang August 2009 mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie am linken Handgelenk packte, in das Schlafzimmer zerrte, auf das Bett warf, sich auf ihre Oberschenkel setzte, ihre Hände über ihrem Kopf festhielt und mit seinem Penis in ihre Vagina eindrang;

(II) seit Mitte Juli 2007 wiederholt durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Körperverletzung zu Unterlassungen, und zwar zur Abstandnahme von der Verständigung der Polizei, genötigt;

(III) vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

1) im Frühjahr oder Sommer 2009, indem er ihr eine Fernbedienung auf den Kopf schlug, wodurch sie eine Schwellung am Hinterkopf erlitt;

2) am 19. Oktober 2009, indem er ihr einen Faustschlag gegen den Brustbereich versetzte, wodurch sie zu Sturz kam und Rötungen im Brustbereich sowie Abschürfungen und Rötungen am rechten Fuß erlitt.

Der Angeklagte hat (nachdem er sich in der Hauptverhandlung drei Tage Bedenkzeit erbeten hatte) gegen dieses Urteil selbst und durch seinen Verteidiger (ON 1 S 27 und ON 40) schriftlich am 15. Februar 2010 (somit rechtzeitig) Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet.

Die Zustellung der Urteilsausfertigung und des Hauptverhandlungsprotokolls erfolgte am 12. März 2010 (ON 1 S 29 mit Rückschein bei S 30), der letzte Tag der vierwöchigen Frist des § 285 Abs 1 StPO war der 9. April 2010. Die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wurde dem Erstgericht erst am 20. April 2010 per Telefax übermittelt (ON 44 S 1).

Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2010 beantragte der Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (erkennbar) wider die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde. Hiezu bringt der Wiedereinsetzungswerber inhaltlich vor, dass eine an sich stets verlässliche Kanzleikraft seines Verteidigers das Urteil am 12. März 2010 übernommen, es aber „anscheinend nicht sogleich weitergeleitet“ habe. Jedenfalls sei als Eingangsdatum laut Stempel der 22. März 2010 vermerkt, wobei eine Kopie der ersten Seite des angefochtenen Urteils versehen mit einem Stempel „Eingelangt 22. Mrz. 2010“ vorgelegt wird. Darüber hinaus habe die Kanzleikraft die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung am 19. April 2010 mit der ausdrücklichen Weisung übernommen, diese noch am selben Tag zur Post zu bringen und dort aufzugeben. Sie habe darauf vergessen und diese ohne Wissen des Verteidigers erst am 20. April 2010 abgeschickt. Es handle sich um den ersten Fehler dieser Kanzleikraft.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den Beteiligten des Verfahrens - neben anderen, hier nicht aktuellen Fällen - gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern sie nachweisen, dass ihnen die Einhaltung der Frist durch unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass das Verschulden einer Kanzleiangestellten der Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht entgegensteht, wenn es sich um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts der Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war, sodass dem Verteidiger daher keine Verletzung der ihn treffender Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten zur Last fällt (RIS-Justiz RS0101310). In Bezug auf das irrtümliche Anbringen eines falschen Eingangsstempels entspräche das Vorbringen des Wiedereinsetzungswerbers an und für sich diesen Anforderungen.

Zur weiteren Antragsbehauptung ist zunächst festzuhalten, dass auch unter Annahme der Zustellung des Urteils am 22. März 2010 die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde verspätet erfolgt wäre, weil die Frist am 19. April 2010 geendet hätte. Abgesehen davon, dass es zur Wiedereinsetzung einer hier nicht erfolgten Bescheinigung der Wiedereinsetzungsgründe bedarf und bloße Behauptungen nicht ausreichend sind (11 Os 17/97, 11 Os 18/97; Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 43), steht das Vorbringen, der Kanzleikraft sei die Nichtigkeitbeschwerde am 19. April 2010 mit der ausdrücklichen Weisung übergeben worden, diese noch am selben Tag zur Post zu bringen, im Widerspruch zum Akteninhalt. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist mit 20. April 2010 datiert und wurde somit erst nach Ablauf auch der hypothetischen zweiten Frist ausgeführt. Fehler des Rechtsanwalts selbst in der Handhabung des Fristenwesens begründen aber kein Versehen bloß minderen Grades (Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 28 mwN). Die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher nicht zu bewilligen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wiederum war mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung der Nichtigkeitsgründe bei der Anmeldung (auf die in der verspäteten Ausführung geltend gemachten Gründe war nicht Bedacht zu nehmen; vgl RIS-Justiz RS0100168) bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2, 285d Abs 1 Z 1 StPO).

Dies hat die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung zur Folge (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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