OGH 12Os46/10x (12Os64/10v)

OGH12Os46/10x (12Os64/10v)6.5.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Mai 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Wöss als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Karl N*****, wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 und Z 3 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 8. Mai 2009, GZ 17 Hv 3/08d-86, sowie über diese Rechtsmittel nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Angeklagten wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung seiner Rechtsmittel bewilligt.

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Umfang des Schuldspruchs II./, demgemäß auch im Ausspruch über die Strafe und über die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB aufgehoben und insoweit dem Erstgericht die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung aufgetragen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mag. Karl N***** im zweiten Rechtsgang - zusätzlich zu den bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Schuldsprüchen - des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 und Z 3 StGB (I./), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II./) und der Vergehen der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach (richtig nur:) § 207a Abs 1 Z 1 StGB (III./) begangen. Danach hat er

I./ zwischen dem 17. November 2002 und dem 18. November 2003 in wiederholten Angriffen Christina R***** durch die Äußerung, von ihm selbst mittels Bildbearbeitungsprogramm erstellte, sie in erotischen Posen darstellende Lichtbilder in ihrer Schule und an öffentlichen Plätzen zu affichieren und sie sonst aus von ihm mit ihr geschlossenen und vorgeblich vom Gericht beglaubigten „Verträgen“ klagsweise in Anspruch zu nehmen, somit durch Drohung mit der Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung und unter Verletzung besonders wichtiger Interessen zur Duldung der Herstellung weiterer erotischer Bilder genötigt;

II./ von 2005 bis 19. August 2007 eine Urkunde, über die er nicht verfügten durfte, nämlich den Führerschein des Robert Andreas G***** durch Ansichnahme und Behalten mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde;

III./ pornographische Darstellungen minderjähriger Personen hergestellt, und zwar

1./ von September 2005 bis 19. August 2007 in wiederholten Angriffen von der am 11. Jänner 1995 geborenen unmündigen Stephanie Gö*****, Fotos und Videoaufnahmen, auf welchen diese bei mit ihm vollzogenem Oral- und zumindest angesetztem Vaginal- und Analverkehr sowie bei der Verwendung eines Vibrators im Genitalbereich an sich selbst abgebildet ist, wobei er ihr zum Teil Dessous und andere Utensilien zur Verfügung stellte;

2./ zwischen Mitte 2006 und dem 19. August 2007 in wiederholten Angriffen von der am 1. Februar 1994 geborenen unmündigen Melanie K*****, Fotos und Videoaufnahmen, auf welchen diese bei mit ihm vollzogenem Oral- und Vaginalverkehr sowie bei der Verwendung von Vibratoren im Genitalbereich an sich selbst abgebildet ist, wobei er ihr zum Teil Dessous und andere Utensilien zur Verfügung stellte und sie teilweise auch mit Handschellen und Gürtel ans Bett fesselte;

3./ im Sommer 2007 von der am 5. Mai 1995 geborenen unmündigen Almedina H*****, Fotos, die wirklichkeitsnahe Abbildungen deren Genital- und Brustbereichs darstellen.

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte am 11. Mai 2009 auf elektronischem Weg Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 87). Dem Verteidiger wurde am 11. Jänner 2010 eine Ausfertigung des Urteils zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung zugestellt (S 3r in ON 1). Am 9. Februar 2010, somit einen Tag nach Ablauf der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel, langte beim Erstgericht ein Antrag des Angeklagten auf Verlängerung der Rechtsmittelausführungsfrist ein. Diesen Antrag wies das Erstgericht mit Beschluss vom 12. Februar 2010 (ON 93) ab; die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wurde unter einem zurückgewiesen.

Am 22. Februar 2010 stellte der Angeklagte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der angewendeten Rechtsmittel, mit welchem er die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung verband (ON 94). Die Nichtigkeitsbeschwerde stützt der Angeklagte auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a, 9 lit b und 11 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Der Antragsteller macht im Wesentlichen eine einmalige Fehlleistung der Kanzleileiterin des Verteidigers geltend. Diese habe es versehentlich unterlassen, die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, die in der Vorwoche verfasst, am Wochenende überprüft und ihr am Montag den 8. Februar 2010 auf elektronischem Weg mit dem - auch mündlich erteilten - Auftrag übermittelt worden waren, diese Rechtsmittel wegen der ablaufenden Frist am selben Tag auf elektronischem Weg beim Landesgericht Klagenfurt einzubringen, tatsächlich „per Knopfdruck“ abzusenden. Die betreffende Kanzleileiterin sei seit rund zehn Jahren in der Kanzlei des Verteidigers beschäftigt; sie sei ihren Aufgaben bislang mit größter Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt nachgekommen. Ihre gegenständliche Fehlleistung habe sie - erst - am nächsten Tag bemerkt.

Dem - durch eidesstättige Erklärung der Kanzleileiterin des Verteidigers sowie des kanzleiintern zuständigen Verfassers der Rechtsmittel gestützten - Antrag kommt Berechtigung zu, weil das Verschulden einer Kanzleiangestellten der Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht entgegensteht, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - um ein einmaliges Versehen handelt, welches angesichts des Ausbildungsstands, der Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war, und dem Verteidiger keine Verletzung der sonst von ihm zu erwartenden Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss und daher insgesamt bloß ein auf einem Versehen minderen Grades des Vertreters des Angeklagten beruhendes unabwendbares Ereignis vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0101310, RS0101329).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer (Z 5) das Fehlen einer Begründung zum Schuldspruch II./ auf.

Die vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Urteilsannahmen (US 10 mit Verweis auf das aufgehobene Urteil aus dem ersten Rechtsgang sowie US 8 und 14) bilden zwar eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für einen neuerlichen Schuldspruch nach § 229 Abs 1 StGB, doch fehlt jegliche Begründung dazu.

Schon aus diesem Grund war der Schuldspruch II./ und demzufolge der Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie das Einweisungserkenntnis aufzuheben und in diesem Umfang ein dritter Rechtsgang anzuordnen.

Insofern erübrigt sich ein Eingehen auf das (weitere) Vorbringen zur Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall), die in Ansehung des Schuldspruchs II./ ein Übergehen des vom Angeklagten angesprochenen (S 10 in ON 85 iVm S 141 in ON 64) Fehlens eines Lichtbilds im betroffenen Führerschein (vgl S 45 in ON 3) demnach eines für den nach § 229 Abs 1 StGB erforderlichen Gebrauchsverhinderungsvorsatz durchaus erheblichen Umstands behauptet.

Gleiches gilt für das Beschwerdevorbringen aus Z 11.

Aus Z 9 lit b bekämpft der Beschwerdeführer unzulässigerweise den Schuldspruch nach § 207 Abs 1 StGB. Dieser ist nämlich bereits durch das Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 15. Jänner 2009, AZ 12 Os 151/08k (ON 81) im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsen. Im Übrigen wurde in dieser Entscheidung auch der nunmehr wiederholte Einwand einer Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem behandelt (US 7 in 12 Os 151/08k).

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der die Vergehen nach „§ 207a Abs 1 Z 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB“ bezeichnende Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO (Schuldspruch III./) fehlerhaft ist, weil es sich bei den in den Absätzen 1 und 3 des § 207a StGB beschriebenen Tatbeständen um zwei eigenständige Deliktstypen handelt, die zueinander nicht im Verhältnis von Grunddelikt und Qualifikation stehen. Da im vorliegenden Urteil vom Besitz pornografischer Darstellungen mündiger Minderjähriger im Sinn des Abs 3 zweiter Fall leg cit aber gar keine Rede ist, sondern aus dem Ausspruch zu III./ in Verbindung mit den dazu getroffenen Feststellungen (US 11 f) deutlich und bestimmt hervorgeht, dass das Erstgericht den Angeklagten (nur) der Herstellung pornografischer Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB schuldig befunden hat, handelt es sich bei der Anführung des Abs 3 zweiter Fall um einen bloßen Zitierfehler (vgl Lendl in WK-StPO § 260 Rz 32).

Bleibt anzumerken, dass im Hinblick auf den nach Aufhebung des Schuldspruchs IV./1./ des Ersturteils vom 3. April 2008 (ON 70) erfolgten Rücktritt der Staatsanwaltschaft von dem diesem Schuldspruch entsprechenden Anklagepunkt (S 3 f in ON 1) formell einwandfrei mit einem ausdrücklichen Freispruch von diesen Taten nach § 259 Z 2 StPO anstelle einer bloßen Erwähnung des Rücktritts der Staatsanwaltschaft in den Gründen (US 6) vorzugehen gewesen wäre.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war somit im Umfang des Schuldspruchs II./ bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben (§ 285e StPO), das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Umfang des Schuldspruchs II./, demgemäß auch im Ausspruch über die Strafe und über die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB aufzuheben und insoweit dem Erstgericht die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung aufzutragen.

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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