OGH 11Os50/10b

OGH11Os50/10b28.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Rumpl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian S***** wegen §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 12 HR 11/10z des Landesgerichts Steyr, über dessen Grundrechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom 17. März 2010, AZ 9 Bs 35/10a (ON 48 des HR-Akts), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Christian S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Steyr führt gegen Christian S***** ein Ermittlungsverfahren wegen der Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB sowie der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 iVm § 161 StGB.

Über den am 5. Februar 2010 festgenommenen (ON 15) Beschuldigten wurde am 7. Februar 2010 die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit b StPO verhängt (ON 16, 17) und in der Haftverhandlung vom 22. Februar 2010 aus dem Haftgrund des § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt (ON 33).

Das Oberlandesgericht Linz gab der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten (ON 38) mit Beschluss vom 17. März 2010 (ON 48) nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichteten fristgerechten (Übermittlung im elektronischen Rechtsverkehr am 8. April 2010) Grundrechtsbeschwerde, die sowohl das Vorliegen des dringenden Tatverdachts als auch des Haftgrundes bekämpft, dessen Substituierbarkeit wie auch die Unverhältnismäßigkeit der Haft behauptet, kommt keine Berechtigung zu.

Das Oberlandesgericht Linz gründet den zum Gegenstand seiner eigenen Überzeugung gemachten dringenden Tatverdacht (RIS-Justiz RS0122394; Kirchbacher/Rami WK-StPO § 173 Rz 3) auf die polizeilichen Erhebungen (insbesondere die Berichte ON 8, 15, 22 und 30), den Bericht des Masseverwalters im Konkurs der I***** GmbH (im Folgenden kurz I***** GmbH) und auf die belastenden Angaben der Zeugen Mag. P***** und Franz P***** (ON 9, 10), Mag. Kurt Pöl***** (ON 35), Bernd P***** (ON 36) sowie Mag. Helmut G***** (ON 37).

Demnach liegt dem Beschuldigten - neben weiteren, nicht zur Begründung der Untersuchungshaft herangezogenen Verdachtsmomenten - zur Last,

er habe als verantwortlicher Geschäftsführer der I***** GmbH, die sich mit der Herstellung von Solaranlagen sowie mit dem Handel von entsprechenden Teilen befasst, nachdem dieses Unternehmen - laut Bericht des Masseverwalters (ON 8 S 121 ff) als Folge zweier, am 2. Februar 2007 und am 22. Oktober 2007 mit dem russischen Unternehmen M***** geschlossener Verträge, wonach die letztgenannte Gesellschaft Bestandteile für Fotovoltaikzellen im Wert von etwa 8 Millionen Euro liefern sollte, nach den Buchhaltungsunterlagen aber nur Waren im Wert von etwa 400.000 Euro lieferte, sodass die I***** GmbH infolge vertragsmäßig geleisteter, anderweitig nicht besicherter Vorauszahlungen und unter Berücksichtigung von Rückbuchungen um mehr als 7,5 Millionen Euro geschädigt wurde - im Jahr 2007 zahlungsunfähig geworden und dies ab Anfang 2008 auch für Christian S***** erkennbar war,

I./ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch wiederkehrende Begehung von schwerem Betrug eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen,

1./ Ende Mai 2008 durch Vortäuschen gegebener Zahlungsfähigkeit und -willigkeit Verantwortliche der P***** zur Lieferung von Waren im Wert von 653.964,90 Euro verleitet, wobei trotz wiederholter Zahlungszusagen tatsächlich bloß Teilzahlungen über insgesamt 45.708,40 Euro im Herbst 2008 erfolgten (ON 8 S 171 ff);

2./ im Oktober 2008 die E***** GmbH & Co KG, die bei der I***** GmbH Module bestellte, deren Lieferung für die 45. Kalenderwoche vereinbart wurde, unter Vorspiegelung der Lieferfähigkeit und -willigkeit zur Vorauszahlung des Kaufpreises in Höhe von 739.705 Euro veranlasst, die bestellten und bezahlten Waren jedoch nie geliefert (ON 8 S 181 ff);

3./ die H***** GmbH & Co KG (im folgenden „H*****“ genannt) unter der Vorspiegelung gegebener Rückzahlungswilligkeit zum Abschluss eines „sale and lease back“-Vertrags hinsichtlich einer Fotovoltaikanlage („Projekt St*****“) veranlasst, bei der die H***** zwischen 8. August 2007 und 17. Dezember 2008 Kaufpreiszahlungen für Teilmodule der Anlage in Gesamthöhe von 7.632.000 Euro leistete, deren Rückzahlung ab 1. Jänner 2009 in 180 Monatsraten in Höhe von 42.000 Euro erfolgen sollte (ON 8 S 213 ff);

4./ unter Vortäuschen des Eigentums der I***** GmbH an der spanischen Gesellschaft Hu***** sowie der Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit Verantwortliche nachstehender Unternehmen zur Gewährung von Darlehen verleitet, und zwar

a./ der A***** in Höhe von 1.600.000 Euro;

b./ der PE***** GmbH in Höhe von 3 Millionen Euro;

II./ mit dem Vorsatz sich und die I***** GmbH unrechtmäßig zu bereichern, an die Darlehensgeber (4./a./ und 4./b./) zur Sicherheit abgetretene, jedoch im Verfügungsbereich des Beschwerdeführers verbliebene, sohin anvertraute Solarmodule im Wert von mehreren Millionen Euro und die unter Eigentumsvorbehalt übernommenen Module der P***** vereinbarungswidrig an andere Abnehmer verkauft.

Zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr verwies das Oberlandesgericht auf die nach dem Tatverdacht anzunehmende, die Wertqualifikation des § 147 Abs 3 StGB um ein Vielfaches überschreitende Schadenssumme, die mehrfachen, sich über einen einjährigen Zeitraum erstreckenden Tathandlungen sowie auf das strukturierte und planvolle Vorgehen des Beschuldigten.

Dass er mittlerweile seine Geschäftsführerfunktionen zurückgelegt hat, erachtete das Beschwerdegericht in Ansehung der trotz Konkurseröffnung möglichen weiteren privaten Geschäfte nicht geeignet, die Gefahr im Sinn des § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO auch nur zu schmälern.

Gelindere Mittel, die diesen Haftgrund zu substituieren vermöchten, betrachtete es als nicht realistisch und verneinte eine Unverhältnismäßigkeit der seit 5. Februar 2010 andauernden Haft.

Der Beschwerdeführer verfehlt die gebotene Bezugnahme auf die Argumentation des Oberlandesgerichts und legt weder Begründungsmängel (iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO) dar noch gelingt es ihm nach Maßgabe deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenteile, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken (iSd § 281 Abs 1 Z 5a StPO) zu wecken (RIS-Justiz RS0110146).

Unzutreffend erweist sich der Einwand, seine Verantwortung, im Besonderen in der Haftverhandlung vom 22. Februar 2010, sei unberücksichtigt geblieben, weil das Oberlandesgericht diese Argumentation, die Finanzierung sei zwar riskant aber durchkalkuliert gewesen und hätte einen hohen Deckungsbeitrag von rund 4 Millionen Euro erwarten lassen, in seine Erwägungen einbezogen hat (ON 48 S 7).

Der Behauptung, dass die Errichtung einer Fotovoltaikanlage in Spanien bloß an der Zurückziehung von Finanzierungszusagen von Banken im Gefolge der Wirtschaftskrise gescheitert wäre, begegnete das Oberlandesgericht mit dem Hinweis, es habe sich lediglich um das Angebot einer Finanzierung gehandelt. Diese war nach den Unterlagen der E***** von einer „detaillierten Projektprüfung sowie der Entscheidung der Gremien der Kreditgeber“ abhängig gewesen und wäre nur unter weiteren Bedingungen, etwa der Vorfinanzierung durch einen Sponsor sowie der „Fertigstellung, Inbetriebnahme und Eintragung der Anlage in das dafür vorgesehene Register bis spätestens 29. September 2008“ und der Erbringung eines Eigenkapitalanteils von 10 %, das sind 1.680.000 Euro (ON 8 S 593), möglich gewesen, sodass eben keine „Zusage“ vorlag.

Die den Erwägungen des Beschwerdegerichts bloß gegenübergestellte, dessen vorläufige Beweiswürdigung bestreitende Behauptung, dass die Darlehensgeber über sämtliche relevanten Unterlagen des „von vorne bis hinten durchkalkulierten Projekts“ verfügten und über alles informiert gewesen wären, legt keinen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren relevanten Mangel im Sinne des § 281 Abs 1 Z 5 StPO dar.

Es misslingt dem Beschwerdeführer aber auch, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken (§ 281 Abs 1 Z 5a StPO) an der Richtigkeit der der dringenden Verdachtslage zu Grunde liegenden Annahmen zu wecken. Er übergeht nämlich die nach den bisher vorliegenden Beweisergebnissen im Jahr 2007 eingetretene, für ihn seit Anfang 2008 erkennbare Zahlungsunfähigkeit der I***** GmbH und behauptet nicht einmal, die Geschäftspartner auf diese finanzielle Situation der Gesellschaft, insbesondere auf die nicht einbringbaren Außenstände bei der M***** in Höhe von mehr als 7 Millionen Euro und auf die seit 2007 massiven wirtschaftlichen Verluste (ON 8 S 7), hingewiesen zu haben. Vielmehr argumentiert er ohne Bezug auf die vom Beschwerdegericht herangezogenen Ermittlungsergebnisse auf Basis seiner Verantwortung, dass die den Banken zur Verfügung stehenden Bilanzen und deren (fragliche) Richtigkeit von untergeordneter Bedeutung wären, weil es sich um eine „reine Projektfinanzierung und keine Unternehmensfinanzierung“ gehandelt hätte (ON 33 S 8).

Das Beschwerdegericht hat bei Beurteilung des Haftgrundes - dem weiteren Vorbringen zuwider - auch die Tatsache der Zurücklegung der Geschäftsführerfunktionen und die Konkurseröffnung sowohl über das Vermögen der Gesellschaft als auch über den Beschwerdeführer selbst berücksichtigt (ON 48 S 8).

Der Hinweis auf Eintragungen in der Insolvenzdatei übergeht, dass diese nur vor österreichischen Gerichten anhängige Insolvenzverfahren betrifft, demnach in Ansehung grenzüberschreitender geschäftlicher, aber auch privater Aktivitäten kein taugliches Argument gegen die Gefahr neuerlicher Delinquenz darstellt.

Unzutreffend ist der Einwand der Grundrechtsbeschwerde (dem überdies die Nichterschöpfung des Instanzenzugs entgegen zu halten ist), die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft wäre ungeprüft geblieben, weil das Oberlandesgericht diese (im Hinblick auf den Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren) ausdrücklich (ON 48 S 8) bejahte.

Eines näheren Eingehens auf die ohne weitere Argumentation begehrte Anordnung vorläufiger Bewährungshilfe und „die Erteilung von Weisungen“ bedarf es nicht, weil der Beschuldigte in der Beschwerde gegen den Beschluss des Einzelrichters bloß beantragte, die Untersuchungshaft „allenfalls unter Anwendung gelinderer Mittel“ aufzuheben, ohne solche konkret zu bezeichnen, sodass in der Grundrechtsbeschwerde nicht aufgezeigt wird, worin dem Beschwerdegericht, das die Substituierbarkeit verneinte (ON 48 S 8), ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (RIS-Justiz RS0116422).

Weil somit in der angefochtenen Entscheidung eine Grundrechtsverletzung nicht zu erblicken ist, war die Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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