Spruch:
Im Verfahren AZ 11 U 414/09s des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien verletzen das Gesetz
1./ die Unterlassung der Einholung einer Auskunft und Stellungnahme gemäß § 35 Abs 3 Z 1 und 2 SMG und der Zustimmung des Angeklagten zur allfälligen notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme (§ 35 Abs 6 SMG) in § 35 Abs 1 SMG iVm § 37 SMG;
2./ der in der Hauptverhandlung vom 16. September 2009 vorgenommene Vortrag des wesentlichen Akteninhalts in § 252 Abs 2a StPO iVm § 447 StPO;
3./ die mangelnde Anführung aller den Strafsatz bestimmenden Merkmale im Spruch des Urteils vom 16. September 2009 (ON 7) in § 260 Abs 1 Z 1 iVm § 447 StPO;
4./ die Unterlassung der Fällung eines Einziehungserkenntnisses in § 34 SMG.
Das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. September 2009, GZ 11 U 414/09s-7, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht verwiesen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Wien brachte am 20. Juli 2009 beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien zum AZ 11 U 414/09s einen Strafantrag gegen Anton B***** wegen des Verdachts des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG ein und erklärte unter einem, „dass aufgrund der einschlägigen Vorstrafen nur mehr eine Verurteilung geeignet erscheint, um den Beschuldigten von solchen Straftaten abzuhalten - § 35 Abs 2 Z 3 SMG“. Weiters beantragte die Anklagebehörde die Einziehung des sichergestellten Suchtgifts gemäß § 34 SMG iVm § 26 Abs 1 StGB (ON 1, S 1; ON 3).
Die Bezirksrichterin führte am 16. September 2009 die Hauptverhandlung in Abwesenheit des trotz (durch Hinterlegung) zugestellter Ladung (ON 1, S 2) nicht zu Gericht gekommenen Angeklagten durch. Das Beweisverfahren erschöpfte sich darin, dass die Richterin „gemäß § 252 Abs 2a StPO […] einverständlich den wesentlichen Akteninhalt“ vortrug (ON 5, S 2).
Mit (Abwesenheits-)Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom selben Tag wurde Anton B***** schuldig erkannt, bis 6. Juni 2009 (diesbezüglich - wenn auch im Ergebnis nicht zum Nachteil des Angeklagten - entgegen § 260 Abs 1 Z 1 StPO mangels bestimmten Beginns des Tatzeitraums mangelhaft individualisiert) regelmäßig vorschriftswidrig Suchtmittel, zuletzt am 6. Juni 2009 eine Menge von 0,7 Gramm Cannabis, (erg: erworben und) besessen zu haben und solcherart das (richtig: die) Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln nach § 27 Abs 1 und 2 SMG begangen zu haben. Über den Antrag auf Einziehung des sichergestellten Suchtgifts sprach die Bezirksrichterin nicht ab (ON 7).
Erhebungen zum Vorliegen der in den Abs 3 bis 7 des § 35 SMG genannten Voraussetzungen und Bedingungen wurden weder von der Staatsanwaltschaft noch - iVm § 37 SMG - vom Gericht durchgeführt.
Die telefonische Auskunft des Verurteilten, sich keinesfalls einer Therapie zu unterziehen und die Strafe verbüßen zu wollen, erfolgte erst am 25. September 2009 (ON 1, S 2).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, wurde durch diese Vorgangsweise das Gesetz in mehrfacher Weise verletzt:
1./ Nach § 35 Abs 1 SMG (in der hier anzuwendenden, mit 1. Jänner 2008 in Kraft getretenen geltenden Fassung der Suchtmittelgesetz-Novelle 2007, BGBl I 2007/110) hat die Staatsanwaltschaft unter den in den Abs 3 bis 7 genannten Voraussetzungen und Bedingungen von der Verfolgung einer Straftat nach den §§ 27 Abs 1 und 2 oder 30 SMG, die ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden ist, ohne dass der Beschuldigte daraus einen Vorteil gezogen hat, unter Bestimmung einer Probezeit von einem bis zu zwei Jahren vorläufig zurückzutreten.
Gemäß § 37 SMG hat nach Einbringung der Anklage das Gericht die §§ 35 und 36 SMG sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.
Die Bezirksrichterin hätte daher im Hinblick auf die Bejahung ausschließlich zum persönlichen Gebrauch (uneigennützig) begangener Straftaten nach § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG die - an keine weiteren Voraussetzungen gebundenen - zwingenden Diversionsbestimmungen nach den §§ 35 Abs 1, 37 SMG anzuwenden und demzufolge grundsätzlich eine Auskunft sowie eine Stellungnahme gemäß § 35 Abs 3 Z 1 und 2 SMG und die Zustimmung des Angeklagten zur allfälligen notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme (§ 35 Abs 6 SMG) einzuholen gehabt.
Die oben angeführte telefonische Stellungnahme des Verurteilten vom 25. September 2009 hat außer Betracht zu bleiben, weil die Bezirksrichterin bei der Fällung des Urteils am 16. September 2009 von der mangelnden Bereitschaft des Angeklagten nicht in Kenntnis war.
2./ Nach der - gemäß § 447 StPO im Verfahren vor dem Bezirksgericht gleichfalls geltenden - Bestimmung des § 252 Abs 2a StPO kann der Vorsitzende (hier: der Bezirksrichter) anstelle der Vorlesung oder Vorführung (Abs 1 und Abs 2 leg cit) den erheblichen Inhalt der Aktenstücke vortragen, - ua - soweit die Beteiligten des Verfahrens zustimmen. Da aus dem Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung dessen Einverständnis iSd § 252 Abs 2a StPO nicht abgeleitet werden kann (RIS-Justiz RS0117012), war der Vortrag des Akteninhalts unzulässig.
3./ Nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO hat der Urteilsspruch (das Referat der entscheidenden Tatsachen) die Tat (den historischen Sachverhalt) zu bezeichnen, welcher der Angeklagte schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Umstände. Der Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) hinwieder benennt - diesem Referat (und allenfalls den zur Verdeutlichung heranzuziehenden Entscheidungsgründen [Lendl, WK-StPO § 260 Rz 8]) folgend - die strafbare Handlung durch Wiedergabe der gesetzlichen Bezeichnung (Lendl, WK-StPO § 260 Rz 6, 27).
Im vorliegenden Fall erging ein - wenn auch aus den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgender (US 2: „konsumiert täglich Suchtgift“) - Schuldspruch nach § 27 Abs 1 und 2 SMG, obwohl der Urteilsspruch das privilegierende Merkmal der Begehung der Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch nicht bezeichnet.
4./ § 34 SMG ordnet die idR (vgl Litzka/Matzka/Zeder SMG § 34 Rz 9) zwingende Einziehung des Suchtmittels, das den Gegenstand einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem Suchtmittelgesetz bildet, nach Maßgabe des § 26 StGB an. Entgegen dieser Verpflichtung und trotz des nicht erforderlichen, jedoch vorliegenden Antrags der Staatsanwaltschaft hat die Bezirksrichterin keine Entscheidung zur Einziehung des sichergestellten Suchtgifts (0,7 Gramm Cannabis brutto) getroffen. Mittlerweile wurde das Suchtgift vernichtet (vgl Pkt 15./b./ in ON 8 und ON 11, sodass die vorübergehende Maßnahme nunmehr obsolet geworden ist).
Da schon die zu 1./ und 2./ dargestellten Gesetzesverletzungen geeignet sind, zum Nachteil des Verurteilten zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Davon rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichfalls als beseitigt (RIS-Justiz RS0100444; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 28).
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