OGH 9Ob19/10z

OGH9Ob19/10z24.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil, Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** M*****, Taxilenker, *****, vertreten durch Dr. Wenzel Drögsler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei mj. Petra M*****, Schülerin, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Steiner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 4 C 179/02y des Bezirksgerichts Hernals (Streitwert 13.423,54 EUR), über den Rekurs des Wiederaufnahmsklägers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 1. Dezember 2009, GZ 40 R 74/09t-18, womit aus Anlass der Berufung des Wiederaufnahmsklägers gegen das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 24. März 2009, GZ 4 C 409/08f-14, die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 908,64 EUR (darin 151,44 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

B e g r ü n d u n g :

Im Verfahren 4 C 179/02y des Bezirksgerichts Hernals begehrte die hier Widerbeklagte als Klägerin vom Widerkläger (dort: Beklagten) zuletzt die Zahlung von 23.192,49 EUR sA, und zwar aus dem Titel rückständiger Mietzinse, Betriebskosten und Möbelmietzinse für den Zeitraum von April 1999 bis März 2005 aus der Vermietung der Wohnung top 18 im Haus *****. Mit Urteil vom 16. 5. 2006 erklärte das Erstgericht 1.) das Klagebegehren mit 21.993,38 EUR als der Höhe nach zu Recht bestehend, 2.) die Gegenforderung mit 897,26 EUR als zu Recht bestehend und 3.) den dort Beklagten daher für schuldig, der Klägerin 21.096,12 EUR sA zu zahlen. Ein Mehrbegehren von 2.096,37 EUR sA wies es ab.

Mit Urteil vom 27. 6. 2007, GZ 40 R 10/07b-82, gab das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht der Berufung des dort Beklagten teilweise Folge, erkannte 1.) das Klagebegehren mit 14.320,80 EUR der Höhe nach als zu Recht bestehend, 2.) die eingewendete Gegenforderung mit 897,26 EUR als der Höhe nach zu Recht bestehend und 3.) den Beklagten für schuldig, der Klägerin 13.423,54 EUR sA zu zahlen; weiters wies es das Mehrbegehren auf Zahlung von 9.768,95 EUR sA ab. Gegenstand des Berufungsverfahrens war nicht mehr die Höhe der Betriebskosten, sondern im Wesentlichen der Umstand, ob vom Beklagten an den Vater der Klägerin geleistete Zahlungen schuldbefreiend waren oder nicht, was das Berufungsgericht zu Gunsten des Beklagten bejahte. Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision des Beklagten wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 28. 9. 2007 zurück (9 Ob 55/07i).

Zwischen den Streitteilen war zu 4 Msch 34/03b ein Verfahren auf Überprüfung des Hauptmietzinses und der Betriebskosten anhängig, welches vom Wiederaufnahmskläger als Antragsteller angestrengt worden war. Gegenständlich war insbesondere auch der Zeitraum vom 1. 1. 1998 bis 30. 4. 2003. Nach einer Aufhebung des Sachbeschlusses der ersten Instanz durch das Rekursgericht legte der Vertreter der Antragsgegnerin (= Wiederaufnahmsbeklagten) mit Schriftsatz vom 6. 5. 2008 bzw 8. 5. 2008 (Datum der Postaufgabe), welcher am 13. 5. 2008 beim Außerstreitgericht einlangte, die Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 1994, 1998, 1999, 2000, 2001, 2002 und 2003 vor. Dieser Schriftsatz samt Beilagen wurde am 8. 5. 2008 per Fax an den Antragstellervertreter (= Vertreter des Wiederaufnahmsklägers) übersendet. Die für das Jahr 1999 vorgelegte Abrechnung war kaum leserlich, enthielt jedoch eine lesbare Zwischensumme von 275.324,92 ATS und eine händisch angegebene Endsumme von 318.444,61 ATS. Die Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2001 bis 2003 waren jedenfalls lesbar. Am 4. 6. 2008 fand im außerstreitigen Bestandverfahren eine Tagsatzung statt, bei der der dortige Antragsgegnervertreter wie im Schriftsatz der Urkundenvorlage vortrug und die vorgelegten Urkunden zum Akt genommen wurden. Außerdem fand in jener Tagsatzung die Parteienvernehmung des Vaters der Wiederaufnahmsbeklagten statt.

Mit seiner Klage vom 1. 7. 2008 begehrt der im Verfahren 4 C 179/02y des Bezirksgerichts Hernals Beklagte die Wiederaufnahme des Verfahrens, wobei der Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO ins Treffen geführt wird: Wären die Betriebskostenabrechnungen, welche im außerstreitigen Bestandverfahren vorgelegt worden waren, auch im streitigen Verfahren 4 C 179/02y vorgelegen, wären die vom Beklagten zu zahlenden Betriebskosten wesentlich geringer gewesen, das heißt, das Klagebegehren hätte nur mit 12.589,75 EUR zu Recht bestanden, die Gegenforderung mit 897,26 EUR, sodass die Zahlungspflicht des Wiederaufnahmsklägers insgesamt nur 11.692,49 EUR sA betragen hätte. Dem Wiederaufnahmskläger sei es erst ab 4. 6. 2008 möglich gewesen, von diesen Urkunden Gebrauch zu machen, insbesondere die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 1999 sei nur schwer leserlich gewesen und hätte daher der Erörterung bedurft, welche in dieser Tagsatzung erfolgt sei. Die Wiederaufnahmsklage sei daher fristgerecht eingebracht worden.

Die Beklagte (und Klägerin des wiederaufzunehmenden Verfahrens) beantragte die Abweisung der Wiederaufnahmsklage und wendete insbesondere deren Verfristung ein.

Das Erstgericht erachtete die Einbringung der Wiederaufnahmsklage am 1. 7. 2008 als verfristet, da die vierwöchige Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO - unter Berücksichtigung des Postenlaufs - bereits einige Tage nach dem 8. 5. 2008 zu laufen begonnen habe, nicht aber erst ab der Erörterung in der Tagsatzung des außerstreitigen Bestandverfahrens.

Das Berufungsgericht teilte diese Auffassung des Erstgerichts. Richtigerweise wäre jedoch nicht mit Abweisung vorzugehen, sondern die Klage gemäß § 543 ZPO mit Beschluss zurückzuweisen gewesen, was nunmehr anlässlich der Vorlage der Berufung zu erfolgen habe.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Wiederaufnahmsklägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligt werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der Wiederaufnahmskläger stützt sich auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, weil er durch die Vorlagen der Betriebskostenabrechnungen im außerstreitigen Verfahren in die Lage versetzt worden sei, diese Urkunden nunmehr als Beweismittel zu benützen.

Die Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO nimmt ihren Anfang zwar erst dann, wenn der Wiederaufnahmskläger die neuen Beweismittel soweit kennt, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann, doch beginnt die Frist nicht erst dann, wenn der Wiederaufnahmskläger schon weiß, dass das Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu abweichenden und eine günstigere Entscheidung bewirkenden Tatsachenfeststellungen führen wird (RIS-Justiz RS0044635 [T6]). Gemäß § 530 Abs 2 ZPO kommt aber die Wiederaufnahmsklage aus den Gründen des § 530 Abs 1 Z 6 und Z 7 ZPO nur dann in Betracht, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen (6 Ob 230/09f uva). Es ist nicht Sinn und Zweck der Wiederaufnahmsklage, Fehler einer Partei bei der Führung des Vorprozesses zu korrigieren (5 Ob 7/04x). Ein Verschulden iSd § 530 Abs 2 ZPO liegt dann vor, wenn die die Wiederaufnahme anstrebende Partei bereitstehende Beweismittel nicht anbietet. Ein Verstoß gegen die prozessuale Diligenzpflicht kann aber auch darin bestehen, dass eine Partei nicht die ihr zumutbaren Erhebungen pflegt, um die zur Dartuung ihres Prozessstandpunkts erforderlichen Beweismittel auszuforschen (RIS-Justiz RS0044619 [T7]). Den Mangel des Verschuldens hat die Partei, welche die prozessuale Diligenzpflicht trifft, zu beweisen (RIS-Justiz RS0044619 [T8]). Eine Wiederaufnahmsklage ist daher nach neuerer einhelliger Rechtsprechung nicht erst bei erwiesener Verspätung, sondern mangels Glaubhaftung ihrer Rechtzeitigkeit zurückzuweisen, weil dem Gesetz die Vermutung der Rechtzeitigkeit einer Wiederaufnahmsklage fremd ist (RIS-Justiz RS0111662).

Was nun die Abrechnungen für die Jahre 2000 und folgende anlangt, ergibt sich die Verspätung jedenfalls schon daraus, dass die Kenntnis des mit Prozessvollmacht ausgestatteten Parteienvertreters von neuen Tatsachen und Beweismitteln iSd § 530 Abs 1 Z 7 ZPO der Partei zuzurechnen ist (RIS-Justiz RS0044790 [T3]) und diese Kenntnisnahme jedenfalls noch im Mai 2008 erfolgt ist. Wenngleich die für das Betriebskostenjahr 1999 gelegte Abrechnung auch teilweise unleserlich gewesen sein mag, so konnte der Wiederaufnahmskläger dennoch nicht bis zu einer Erörterung in der nachfolgenden Tagsatzung zuwarten, um dann zur Wahrung der Rechtzeitigkeit die Klage erst am 1. 7. 2008 einzubringen: Gemäß § 21 Abs 3 zweiter Satz MRG (in der hier anzuwendenden Fassung) hatte nämlich die Wiederaufnahmsbeklagte als Vermieterin die im Lauf des Kalenderjahrs fällig gewordenen Betriebskosten und öffentlichen Abgaben spätestens zum 30. 6. des folgenden Kalenderjahrs abzurechnen und die Abrechnung beim Hausbesorger oder an einer geeigneten Stelle im Haus zur Einsicht durch die Hauptmieter aufzulegen. Weiters bestand die Verpflichtung, den Hauptmietern in geeigneter Weise Einsicht in die Belege zu gewähren und auf Verlangen eines Hauptmieters von der Abrechnung und (oder) den Belegen auf dessen Kosten Abschriften (Ablichtungen) anfertigen zu lassen. Vom Wiederaufnahmskläger wird nun nicht einmal behauptet, dass entweder eine solche Abrechnung nicht erfolgt sei oder von der Wiederaufnahmsbeklagten im Hauptverfahren die Herausgabe von Abschriften bzw Ablichtungen verweigert worden und es ihm daher verwehrt gewesen sei, eine allfällige Unrichtigkeit der Klagebehauptungen im wiederaufzunehmenden Verfahren zu widerlegen. Diese Unterlassung muss sich der Wiederaufnahmskläger aber als Verschulden iSd § 530 Abs 2 ZPO anrechnen lassen, weshalb es darauf nicht mehr ankommen kann, dass die Erörterung einer - wenn auch schwer leserlichen - Urkunde erst am 4. 6. 2008 stattgefunden hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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