OGH 11Os13/10m (11Os14/10h)

OGH11Os13/10m (11Os14/10h)2.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kleibel als Schriftführer, im Verfahren zur Unterbringung des Johann S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie über dessen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Geschworenengericht vom 7. Oktober 2009, GZ 11 Hv 57/09z-90, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Betroffenen wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Johann S***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer ausgeprägten paranoiden Persönlichkeitsstörung mit querulatorischem und fanatisch-expansivem Wahn beruht, Taten beging, die ihm außer diesem Zustand als das Verbrechen der Nötigung der Bundesregierung nach § 250 StGB (A), die Verbrechen des (teils versuchten, teils vollendeten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 zweiter Deliktsfall StGB, teilweise in Verbindung mit § 15 StGB (B I 1 und 2), das Vergehen des (versuchten) Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Deliktsfall StGB (B I 3) und die Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (B II) zuzurechnen gewesen wären und mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Danach hat er - soweit im Nichtigkeitsverfahren von Belang - in S*****

A) am 26. September 2008 es in einer Eingabe im Rahmen einer Anzeigenerstattung gegen Mitglieder der Justiz unternommen, die Bundesregierung durch Drohung mit Gewalt, und zwar durch die Androhung einer gezielten und spektakulären Geiselnahme von Richtern, Staatsanwälten oder Polizeibeamten zu einer Untersuchung der gegen ihn in der Vergangenheit geführten Strafverfahren 21 Hv 90/03z des Landesgerichts für Strafsachen Graz und 12 Hv 98/08g des Landesgerichts Leoben, sohin zur Ausübung ihrer Befugnisse in einem bestimmten Sinn zu nötigen, indem er Nachstehendes schriftlich äußerte:

... So stellt sich bereits die Frage nach einem berechtigten bewaffneten Widerstandskampf gegen die Republik Österreich (Justiz und Polizei).

Wie könnte nun rein hypothetisch ein bewaffneter jedoch unblutiger Widerstandskampf gegen die Republik Österreich stattfinden bzw vonstatten gehen, um die Bundesregierung, sprich ein korrumpiertes Staatswesen, zu einer Untersuchung gegen die Justiz und Polizei zu zwingen. Man könnte beispielsweise hergehen, um mit einer gezielten - spektakulären Geiselnahme von Richtern, Staatsanwälten oder Polizeibeamten (wodurch durch die automatisch einsetzende Medienberichterstattung eine weitere Vertuschungskampagne mit einem Schlag beendet würde), solcherart die Bundesregierung zu nötigen, auf dem Boden Rechtsstaatlichkeit eine Untersuchung gegen die Justiz und Polizei durchzuführen.

Dies würde bedeuten, dass die Republik Österreich, sprich ein korrumpiertes Staatswesen, aufgrund ihrer Korruptheit, zu Recht erpressbar wird. (...)

Das heißt, dass ein berechtigter bewaffneter Widerstandskampf gegen die Republik Österreich in einen Endkampf mit der Spezialeinheit Cobra so Gott will führen könnte. Zu dieser Hypothese möchte ich noch eine reale Geschichte anführen. (...)

Aufgrund der umfassenden und eklatanten Faktenlage (welche die Schuld der Justiz zu 100 % beweist) trete ich nicht mehr als Bittsteller auf.

Daher warne ich die Republik Österreich, weiterhin eine Vertuschungskampagne zu betreiben. Ich werde kein weiteres Jahr 2009 an staatlichem Terror - kein weiteres Jahr an gestohlenem Leben - hinnehmen. Ob die Bundesregierung vor oder nach dem 28. September 2008. Ich fordere eine sofortige Aufklärung dieser drei konstruierten Strafsachen gegen meine Person. (...)

Ich habe deshalb nicht die geringste Furcht, mein Leben zu opfern im Kampf für Echt und Gerechtigkeit“.

Der Betroffene hatte gleich nach Urteilsverkündung Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet (ON 89 S 99) und noch vor Zustellung einer Urteilsausfertigung an seinen Verteidiger (am 29. Oktober 2009, Rückschein bei ON 90) einen eigenhändigen, nicht von einem Verteidiger unterfertigten, weitwendige Korruptionsvorwürfe enthaltenden Schriftsatz (unter anderem als „Berufung und Nichtigkeit gegen die stattgefundene Verhandlung am 6. und 7. Oktober 2009“ betitelt) eingebracht (ON 91a), ohne auch nur ansatzweise nichtigkeitsbegründende Tatumstände so bezeichnen (weshalb zu Recht kein Verbesserungsverfahren nach §§ 285a Z 3 letzter Satz, 344 StPO durchgeführt wurde).

Die am 27. November 2009 zur Post gegebene Nichtigkeitsbeschwerde des Verteidigers (ON 99) wurde gemäß §§ 285a Z 2, Z 3, 344 StPO als verspätet zurückgewiesen (ON 101).

Nach Zustellung des letztgenannten Beschlusses an den Verteidiger am 29. Dezember 2009 (Rückschein bei ON 101) stellte dieser einen am 7. Jänner 2010 per Post übermittelten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung und führte diese Rechtsmittel (ersteres aus § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO) - neuerlich - aus (ON 103).

Rechtliche Beurteilung

Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Die Fristversäumung wird mit dem irrtümlich falschen Setzen der Eingangsstampiglie (30. statt 29. Oktober 2009) auf der dem Verteidiger zugestellten Urteilsausfertigung durch eine ansonsten jahrelang zuverlässige Bedienstete der Rechtsanwaltskanzlei des Verteidigers begründet und bescheinigt.

Dieses unvorhersehbare und fallbezogen unabwendbare Versehen minderen Grades begründet mangels Verletzung rechtsanwaltlicher Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten den berechtigten Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (RIS-Justiz RS0101310; Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 35 bis 39).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Die ausschließlich gegen den Schuldspruch A gerichtete Rechtsrüge (Z 11 lit a) verlässt die bei Geltendmachung materiellrechtlicher Nichtigkeit maßgebende Feststellungsbasis des Wahrspruchs (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 613), indem sie eine Unmutsäußerung des Angeklagten (gemeint: Betroffenen) behauptet, bei der er sich „jedoch des Konjunktivs ... bediente, da er es zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Erwägung gezogen hat, dass er diese Überlegungen tatsächlich in die Tat umsetzt“.

Ebensowenig meritorisch erwiderungsfähig ist die substratlose Behauptung eines absolut untauglichen Versuchs im Zusammenhang mit dem Schuldspruch wegen vollendeter Delinquenz (vgl Bachner-Foregger in WK² § 250 Rz 6).

Die Nichtigkeitsbeschwerde, deren Verweis auf „die handschriftliche Beilage des Angeklagten“ unbeachtlich ist (Fabrizy, StPO10 § 285b Rz 3), war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

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