OGH 14Os87/09i

OGH14Os87/09i17.11.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Dr. Walcher als Schriftführerin in der Strafsache gegen Halil C***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (idF vor BGBl I 2004/15) und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 12. Mai 2009, GZ 38 Hv 267/08v-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch III, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Halil C***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (idF vor BGBl I 2004/15 - I), (richtig - vgl ON 27 S 39) mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II) sowie jeweils mehrerer Vergehen und Verbrechen der „teils versuchten, teils vollendeten schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 und 3 und Abs 2, 15 StGB" (III) schuldig erkannt.

Danach hat er Melike C*****

(I) etwa fünf Monate nach ihrer am 6. August 1998 stattgefundenen Hochzeit in K***** durch Verhinderung ihrer Abwehrbewegungen, durch Abwehr und körperliche Unterbindung ihrer Versuche sich zu wehren und (der) Vergewaltigung zu entgehen, und durch Drücken mit seinem ganzen gegen ihren Körper, somit durch Gewalt, zur Duldung des Analverkehrs genötigt;

(II) zwischen Jänner 1999 und 18. Juli 2008 in K***** und an anderen Orten wiederholt durch Versetzen von Fußtritten und Schlägen, teilweise auch mit einem Besenstiel, wodurch die Genannte Schmerzen und Hämatome im Bereich der Hüfte und an den Beinen erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt;

(III) zwischen Jänner 1999 und 12. September 2008 in K***** und anderen Orten durch folgende Äußerungen, somit gefährliche Drohungen, teilweise mit dem Tode, sowie (zu Punkt c) durch Gewalt, zu folgenden Handlungen bzw Unterlassungen

1/ genötigt, und zwar

a/ durch die Äußerung, dass er „Melike C***** umbringen werde, wenn sie von den Übergriffen durch ihn jemandem erzählen sollte", zum Verschweigen dieser Übergriffe, wobei die Tat einen Selbstmordversuch der Melike C***** auf der Autobahn bei S***** zwischen Ende 2003 und Anfang 2004 zur Folge gehabt hat,

b/ (nach dem Selbstmordversuch der Melike C*****) durch die Äußerung, dass „alles noch schlimmer werde", zu einer falschen Aussage vor der Polizei K***** im Zuge ihrer Befragung zu dem zu Punkt III/1/a angeführten Selbstmordversuch,

c/ durch Erfassen am Arm und Schieben unter Krafteinwirkung auf den Rücksitz seines Fahrzeugs zum Platznehmen in diesem, um mit ihr in die BRD zu fahren;

2/ zu nötigen versucht, und zwar durch die Äußerung, „er werde sie umbringen", zum Beenden des Kontakts zu den gemeinsamen Kindern, somit zu einer Handlung, die besonders wichtige Interessen der genötigten Person verletzten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5, 5a, 9 lit a und b und „11" (der Sache nach Z 10) des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise berechtigt.

Die im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) in Ansehung des Schuldspruchs III geäußerte Kritik, es fehlten „überhaupt jegliche Feststellungen zur subjektiven Tatseite", trifft insofern zu, als den Entscheidungsgründen in Ansehung der Schuldsprüche III/1/b und c zwar die entsprechenden Konstatierungen zum jeweils verfolgten Nötigungsziel zu entnehmen sind (US 9 f, 11 und 16), Ausführungen dazu, dass der Beschwerdeführer die (teilweise qualifizierten) Nötigungsmittel zumindest bedingt vorsätzlich einsetzte (vgl RIS-Justiz RS0093760; Schwaighofer in WK2 § 105 Rz 88 und § 106 Rz 2), jedoch tatsächlich fehlen. Soweit hingegen derartige Feststellungen zu den Schuldsprüchen III/1/a (vgl US 16 zweiter Absatz) und III/2 (US 11 zweiter Absatz und US 16 letzter Absatz) noch mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19 und 571), ist der Einwand der Mängelrüge, die Entscheidungsgründe ließen diesbezüglich jegliche Begründung vermissen (Z 5 vierter Fall), im Recht.

Berechtigt ist in diesem Zusammenhang auch der auf „Z 11" (der Sache nach Z 10 - vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 666) gestützte Einwand, das Erstgericht habe diesen Schuldspruch (konkret III/1/a) angesichts des festgestellten Tatzeitraums („zwischen Ende 2003 und Anfang 2004" - US 3 bzw „um den 21.6.2003" - US 8) zu Unrecht auch auf § 106 Abs 2 StGB idgF mit einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe gestützt. Nach dem im materiellen Strafrecht zur Anwendung kommenden Günstigkeitsprinzip (§§ 1, 61 StGB) wäre die Tat nämlich (auch) § 106 Abs 2 StGB in der bis zum 30. April 2004 in Geltung stehenden Fassung vor BGBl I 2004/15 mit der Konsequenz eines insgesamt (unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB) zu bildenden Strafrahmens von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zu unterstellen gewesen.

Zufolge Teilkassation bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren, diesen Schuldspruch (III) betreffenden Beschwerdeargumente. Im zweiten Rechtsgang wird - im Fall eines neuerlichen Schuldspruchs - zu beachten sein, dass die Bildung einer „Subsumtionseinheit" in Betreff mehrerer als (unterschiedlich qualifizierte) Nötigungen zu beurteilender, selbstständiger Taten rechtlich verfehlt (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 292 und 623 f) und daher eine Zuordnung der Schuldsprüche (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) zu den im Erkenntnis angeführten Taten (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) im Einzelnen vorzunehmen sein wird. Im Übrigen übersieht der Beschwerdeführer mit seinem (auch im Rahmen der Mängelrüge vorgebrachten) Einwand (Z 9 lit a), es mangle dem angefochtenen Urteil hinsichtlich des Schuldspruchs II an konkreten Feststellungen zu den einzelnen Verletzungsfolgen, die entsprechenden Urteilspassagen (US 7) und verfehlt solcherart eine prozessordnungsgemäße Darstellung der Rechtsrüge (RIS-Justiz RS0099810). Weshalb das Erstgericht in diesem Punkt „in unzulässiger Weise von einem Dauerdelikt" statt von einem Erfolgsdelikt ausgegangen sei, lässt die - das Wesen einer (zulässigen) bloß pauschalen Individualisierung mehrerer, zu einer gleichartigen Verbrechensmenge zusammengefasster Taten (vgl RIS-Justiz RS0119552; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33 und 291 f) ignorierende - weitere Beschwerdeargumentation nicht erkennen.

Der im Zusammenhang mit diesem Schuldspruch erhobene Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) geht ins Leere, denn das Erstgericht hat den Inhalt der von der Verteidigung vorgelegten Urkunde (ON 28) im Wesentlichen richtig wiedergegeben (US 15); die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind hingegen nicht Gegenstand des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0099431). Die Tatsachenrüge (Z 5a) will nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen verhindern. Eine auf eigene günstigere Schlussfolgerungen aus den - im Urteil ohnehin berücksichtigten - Verfahrensergebnissen (wie insbesondere einzelnen Zeugenaussagen) gestützte Bekämpfung der Beweiswürdigung wird durch sie ebenso wenig eröffnet (RIS-Justiz RS0099674) wie eine Überprüfung der - von den Tatrichtern aufgrund ihres persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung getroffenen - Einschätzung von der (fehlenden) Glaubwürdigkeit einzelner Zeugen (RIS-Justiz RS0099649). Genau darauf beschränkt sich jedoch im Wesentlichen das in dieser Anfechtungskategorie erstattete Vorbringen.

Der im Rahmen der Tatsachenrüge weiters (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) bloß pauschal erhobene Vorwurf, das Erstgericht habe den Angeklagten entlastende Aussagen „überhaupt nicht gewürdigt", unterlässt die gebotene, deutliche und bestimmte Bezeichnung angeblich unerörtert gebliebener Beweisergebnisse (RIS-Justiz RS0119422, RS0118316). Im Übrigen enthalten - mit Blick auf die von der Teilkassation nicht betroffenen Schuldsprüche (I und II) - die im Urteil tatsächlich nicht explizit angeführten Aussagen der Zeugen Mustafa C***** (ON 17 S 33 ff), Cemile K***** (ON 27 S 15 ff) und Sevket K***** (ON 27 S 19 ff) keine Angaben zu erheblichen Tatumständen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409), weshalb sich die Entscheidungsgründe nicht mit ihnen auseinandersetzen mussten (RIS-Justiz RS0116877).

Soweit im Rahmen der Rechtsrüge (der Sache nach Z 9 lit b) das Fehlen von Feststellungen zu den Voraussetzungen einer allfälligen Verjährung in Betreff einzelner Körperverletzungen moniert wird, nimmt der Beschwerdeführer abermals gesetzwidrig nicht Bezug auf den entsprechenden Urteilsinhalt, der für den gesamten Zeitraum Jänner 1999 bis 18. Juli 2008 von „wiederholten" (US 7), „ständigen" (US 9) bzw „vielfachen" (US 9) Schlägen und Tritten mit Verletzungsfolgen ausgeht und somit die vom Erstgericht ausdrücklich bejahte Ablaufshemmung nach § 58 Abs 2 StGB trägt. Diese Bestimmung steht auch der weiteren - solcherart nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleiteten (RIS-Justiz RS0116565) - Behauptung entgegen (Z 9 lit b), sämtliche Körperverletzungen, die drei Jahre (und schwere Nötigungen, die fünf Jahre) „vor der Anzeige begangen wurden", seien verjährt.

Was der Beschwerdeführer den Schuldspruch I betreffend mit einer „Verzeihung nach zivilrechtlichen Grundsätzen" im vorliegenden Zusammenhang meint, erklärt die Rechtsrüge (Z 9 lit b) ebenso wenig wie die Behauptung, eine strafrechtliche Verfolgung wegen Vergewaltigung nach beinahe zehn Jahren, in denen „die Ehe auch vollzogen wurde", sei „unbillig".

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde nach dem Gesagten erfolglos blieb, war sie bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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