OGH 6Ob186/09k

OGH6Ob186/09k16.10.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei N*****, vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei K*****, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen einstweiligen Unterhalts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 11. August 2009, GZ 45 R 381/09a-33, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Frau meint in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs, sie habe den Mann nicht grundlos verlassen; vielmehr habe der Mann zu viel getrunken, aufgrund seines beeinträchtigten Gesundheitszustands sei es nur zu eingeschränkten sexuellen Aktivitäten gekommen, er habe geringes Interesse an ihrem Herkunftsland gezeigt und ihren Wunsch, in die beruflichen Aktivitäten des Mannes eingebunden zu werden, abgelehnt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darf bei der Wertung des Gewichts der Eheverfehlungen und ihrer Eignung, den Unterhaltsanspruch bei aufrechtem Bestand der Ehe zum Erlöschen zu bringen, auch das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden (7 Ob 211/07s EFSlg 116.194 mwN). Ein Verlassen der Haushaltsgemeinschaft führt daher nur dann zur Unterhaltsverwirkung nach § 94 Abs 2 ABGB, wenn es grundlos erfolgte, also ohne objektiv vorhandenen Grund (vgl die Nachweise bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht² [2008] Rz 594/1 und 5).

2. Beweispflichtig für eine Unterhaltsverwirkung ist grundsätzlich der unterhaltspflichtige Ehegatte (Gitschthaler aaO Rz 592/4), ein Umstand, der in älteren Entscheidungen auch im Zusammenhang mit der Grundlosigkeit des Verlassens der Haushaltsgemeinschaft betont wurde (5 Ob 635/89; 5 Ob 569/93). In der jüngeren Rechtsprechung wurde jedoch im Zusammenhang mit Ehescheidungsverfahren mehrfach hervorgehoben, dass derjenige Ehegatte, der die Ehewohnung verlässt, zu behaupten und zu beweisen hat, dass die Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft zu Recht erfolgte (3 Ob 313/97v; 2 Ob 170/98h).

In der Entscheidung 3 Ob 188/07d begründete der Oberste Gerichtshof dies ausführlich mit den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung und mit der Verpflichtung der Ehegatten zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen; Ausnahmen davon enthielten § 92 Abs 2 ABGB und Vorschriften der Exekutionsordnung, das Vorliegen dieser Ausnahmen müsse jedoch jener Ehegatte behaupten und beweisen, der den anderen verlassen hatte.

In der Entscheidung 6 Ob 5/08s (EF-Z 2008/83 [Deixler-Hübner]) wendete der erkennende Senat diese jüngere Rechtsprechung bereits (auch) im unterhaltsrechtlichen Kontext an.

Damit muss der unterhaltspflichtige Ehegatte bei der Beurteilung der Grundlosigkeit des Verlassens der Haushaltsgemeinschaft durch den unterhaltsberechtigten Ehegatten im Zusammenhang mit einer (allfälligen) Verwirkung der Unterhaltsansprüche im Hinblick auf die Eheleute treffende Pflicht zur gemeinsamem Wohnung nur das Verlassen der Ehewohnung beweisen; der Unterhaltsberechtigte hat hingegen den Beweis für jene Tatsachen zu erbringen, aus denen er die Unzumutbarkeit eines Verbleibs in der gemeinsamen Wohnung ableiten will (vgl 3 Ob 188/07d). Dieser Grundsatz gilt auch im Provisorialunterhaltsverfahren.

3. Dass der Frau im vorliegenden Fall ein Verbleib in der gemeinsamen Wohnung unzumutbar gewesen wäre, lässt sich dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt der Vorinstanzen nicht entnehmen. Die Frau hatte lediglich begonnen, sich innerlich von der Ehe zu distanzieren; sie war unzufrieden mit dem Lebensstil des Mannes, wünschte sich gemeinsame Aktivitäten mit ihm, ein Eingebundenwerden, informiert zu werden über die Aktivitäten jener Privatstiftung, von deren Zuwendungen die beiden lebten, wozu der Mann jedoch nicht bereit gewesen war. Die Frau langweilte sich in der Ehe, Shoppengehen allein füllte sie nicht ausreichend aus, sie dachte über einen Kinderwunsch nach, auch um eine neue Aufgabe zu haben; der Mann reagierte diesbezüglich jedoch ablehnend, er fühlte sich für Kinder zu alt und zu krank. Tatsächlich befindet sich der Mann in keinem guten Gesundheitszustand, er hat Bypassoperationen hinter sich, muss ständig Medikamente nehmen, ist wegen Schmerzen in den Beinen in seiner Mobilität eingeschränkt; infolge Durchblutungsstörungen ist auch seine Aktivität im sexuellen Bereich eingeschränkt. Der Mann lebt nicht gesund, trinkt zu viel, raucht zu viel, isst auch nicht gesund und macht zu wenig Bewegung. Dieser ungesunde Lebensstil störte zwar die Frau, die über ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein verfügt, sehr viel für ihre eigene Gesundheit tut und stets bemüht war, den Mann von einem anderen, gesünderen Lebensstil zu überzeugen. Einen Bruch in der Beziehung gab es allerdings bis zuletzt (dem Auszug der Frau) nicht. Der Auszug aus der ehelichen Wohnung und damit die Trennung vom Mann erfolgten vielmehr aus ihrem Entschluss heraus, die Ehe zu beenden und die Scheidungsklage einzureichen; um einen Streit mit dem Mann auszuweichen, gab sie diesem gegenüber an, es handle sich bloß um eine, wie vorher schon oft übliche Reise nach Belgrad.

Damit ist aber die Auffassung des Rekursgerichts, die Frau habe ihre Unterhaltsansprüche infolge Verlassens der Haushaltsgemeinschaft mit dem Mann gemäß § 94 Abs 2 ABGB verwirkt, durchaus vertretbar. Im Übrigen sind für die Frage, ob die Geltendmachung von Unterhalt nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts Rechtsmissbrauch bedeutet, die besonderen Umstände des Einzelfall maßgeblich (stRsp, etwa 7 Ob 211/07s EFSlg 116.198 mwN), weshalb regelmäßig eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne der §§ 502 Abs 1, 528 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen ist.

4. Es entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Verletzung der Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen - wie jede andere Eheverfehlung - nur dann einen Scheidungsgrund darstellt, wenn sie schuldhaft erfolgt. Ein Verschulden ist jedoch nicht gegeben, wenn die Weigerung zum (weiteren) gemeinsamen Wohnen zwar objektiv gesehen unberechtigt war, aber im guten Glauben an ihre Berechtigung erfolgte, wenn also der Ehegatte aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte das Recht zum Getrenntleben in Anspruch nahm und der subjektiv begründete Verdacht bestimmend oder wenigstens mitbestimmend für die Entscheidung war (RIS-Justiz RS0047213, insbesondere 4 Ob 533/88; 5 Ob 580/89; 1 Ob 514/90).

Auf diesen Umstand hat sich die Frau jedoch im Verfahren erster Instanz nicht berufen, weshalb sie sich auch im Revisionsrekursverfahren darauf nicht stützen kann.

5. Schließlich verlangt die Rechtsprechung zwar bei grundlosem Verlassen der Haushaltsgemeinschaft durch einen Ehegatten für die Bejahung einer Unterhaltsverwirkung regelmäßig auch eine ernstliche, jedoch abgelehnte Rückkehraufforderung des verlassenen Ehegatten (vgl Gitschthaler, Unterhaltsrecht² [2008] Rz 594/8 und 9), wofür dieser auch behauptungs- und beweispflichtig wäre (3 Ob 188/07d). Darauf braucht im vorliegenden Fall jedoch nicht näher eingegangen zu werden, weil die Frau im Revisionsrekursverfahren diese Frage nicht aufgreift.

Stichworte