Spruch:
Die Entscheidung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. April 2009, AZ 135 Bl 96/08f, verletzt das Gesetz
1. im Punkt I., mit dem einer vom Privatankläger Peter K***** erhobenen Beschwerde Folge gegeben und der erstgerichtliche Beschluss auf Einstellung des von diesem betriebenen Verfahrens ersatzlos aufgehoben wurde, in § 71 Abs 6 StPO;
2. im Punkt II., mit dem in Stattgebung einer (weder angemeldeten noch ausgeführten) „Berufung des Privatanklägers Peter K***** wegen Nichtigkeit und Schuld" ein gar nicht ergangener Freispruch von dem von dessen Privatanklage umfassten Vorwurf aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, in §§ 463, 470 Z 3 StPO.
Die Entscheidung vom 21. April 2009 wird (in ihrem Punkt II ersatzlos) aufgehoben und der Beschwerde des Privatanklägers Peter K***** gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Februar 2008 auf Einstellung des von ihm betriebenen Privatanklageverfahrens unter Kostenersatzpflicht nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
In dem beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu AZ 11 U 326/07x gegen Christine S***** geführten Strafverfahren wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB wurde der Genannten nach den von Peter K***** und Paul K***** erhobenen Privatanklagen zur Last gelegt, sie hätte die Privatankläger jeweils in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder eines unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet sei, sie in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, indem sie am 30. Juni bzw 1. Juli 2007 öffentlich wahrheitswidrig behauptete, sowohl Peter als auch Paul K***** hätten sie beschimpft, bespuckt, an ihrer Arbeit als Hausbesorgerin gehindert und absichtlich das gesamte Stiegenhaus mit einem Zement-Kalk-Mörtel-Gemisch verunreinigt, um ihr zusätzlich Arbeit zu verursachen (ON 2).
In der Hauptverhandlung am 4. Februar 2008 erklärte der Privatankläger Paul K*****, sein als LKW-Fahrer tätiger Bruder Peter K***** (dem die Ladung am 20. November 2007 durch Hinterlegung zugestellt worden war [RS zu ON 1 S 1 verso]) sei nicht erschienen, weil „es sich bei ihm aufgrund einzuhaltender Ruhezeiten beim Lkw nicht ausgegangen ist" (ON 7 S 27).
Hierauf fasste die Richterin des Bezirksgerichts gemäß § 71 Abs 6 StPO den Beschluss auf Einstellung des vom Privatankläger Peter K***** betriebenen Privatanklageverfahrens und verpflichtete den Genannten gemäß § 390 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens (ON 7 S 27, ON 12).
Nach Durchführung der Hauptverhandlung über die Privatanklage des Paul K***** wurde Christine S***** in Bezug auf den Vorwurf, sie hätte öffentlich behauptet, von diesem Privatankläger beschimpft und bespuckt worden zu sein, des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB schuldig erkannt und „gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt". Von der weiters wider sie erhobenen Anklage, sie hätte Paul K***** (insoweit wurde die ursprünglich auf Peter K***** lautende Urteilsausfertigung mit - unbekämpft gebliebenem - Beschluss des Erstgerichts dem mündlich verkündeten Urteil angeglichen [ON 28 S 98]) darüber hinaus auch zu Unrecht bezichtigt, absichtlich das gesamte Stiegenhaus mit einem Zement-Kalk-Mörtel-Gemisch verunreinigt zu haben, nach § 259 Z 3 StPO freigesprochen und die „Kostenersatzpflicht des PA gem. § 390 StPO" ausgesprochen (ON 7 S 37 f iVm ON 8 und ON 28 S 98).
Dieses Urteil erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
In seiner gegen den Einstellungsbeschluss rechtzeitig erhobenen Beschwerde brachte Peter K***** vor, durch ein „unvorhersehbares Ereignis (LKW-Schaden)" an der Teilnahme an der Hauptverhandlung am 4. Februar 2008 gehindert gewesen zu sein und ersuchte um „Fortsetzung" des Strafverfahrens (ON 21).
Mit Entscheidung vom 21. April 2009 (ON 39) gab das Landesgericht für Strafsachen Wien als Rechtsmittelgericht der Beschwerde Folge, hob den Beschluss des Bezirksgerichts auf Einstellung des von Peter K***** betriebenen Privatanklageverfahrens ersatzlos auf (I.), kassierte - die Angleichung der Urteilsausfertigung ignorierend - unter einem in Stattgebung „der Berufung des Privatanklägers Peter K***** wegen Nichtigkeit und Schuld" den Freispruch „betreffend des Privatanklägers Peter K*****" (ON 39 S 5) und verwies die Sache „im Umfang der Privatanklage des Peter K***** zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht" (II.).
Zur Beschwerde des Privatanklägers führte das Landesgericht unter ausdrücklicher Ablehnung gegenteiliger Rechtsprechung im Wesentlichen aus, dass die in der Hauptverhandlung von Paul K***** vorgetragene Erklärung für das Ausbleiben des Privatanklägers Peter K***** im Verein mit dessen Beschwerdevorbringen der nach § 71 Abs 6 StPO an das Nichterscheinen geknüpften Vermutung eines Verfolgungsverzichts des Privatanklägers entgegenstünde, weil daraus zweifelsfrei ein weiterer Verfolgungswille abzuleiten und davon auszugehen sei, der Privatankläger hätte „alles unternommen, um die ordnungsgemäße Abwicklung des Privatanklageverfahrens zu gewährleisten". Gleichzeitig vertrat das Rechtsmittelgericht die Ansicht, dass trotz Einstellung des von Peter K***** betriebenen Privatanklageverfahrens ein „(überflüssig gefasster) Freispruch" hinsichtlich der üblen Nachrede zum Nachteil dieses Privatanklägers vorläge, welcher „nicht zuletzt um einer Rechtsunsicherheit entgegenzuwirken ..." der Kassation zu verfallen habe, weshalb „... implizite auch von einer Berufung des Privatanklägers Peter K***** auszugehen" sei.
Rechtliche Beurteilung
Diese Entscheidung steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
1. § 71 Abs 6 erster Fall StPO knüpft die Annahme des Verfolgungsverzichts eines Privatanklägers - unabhängig von dessen Verschulden (vgl auch Fabrizy, StPO10 § 71 Rz 16; Korn/Zöchbauer in WK² § 46 [2006] Rz 46) - alleine an sein Nichterscheinen zur Hauptverhandlung, in welchem Fall das Verfahren durch Beschluss einzustellen ist.
Dagegen steht dem Privatankläger, dem damit unmittelbar das Recht auf weitere Verfolgung seiner Privatanklage verweigert und der Ersatz der Kosten des Strafverfahrens gemäß § 390 Abs 1 StPO auferlegt wird, eine Beschwerde zu (§ 87 Abs 1 StPO), die demgemäß nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Rücktrittsvermutung nicht den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht (beispielsweise im Falle nicht ordnungsgemäßer Ladung).
Die Beseitigung von Säumnisfolgen, die einen durch ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis an der Einhaltung einer Frist oder der Vornahme einer Prozesshandlung gehinderten Verfahrensbeteiligten treffen, sieht das Gesetz bloß in den Fällen des § 364 Abs 1 StPO durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor. Dieser Rechtsbehelf steht dem zur Hauptverhandlung nicht erschienen Privatankläger seit Inkrafttreten der Änderung der Strafprozessordnung mit BGBl I 2007/93 nicht (mehr) offen (eine solches Recht sieht erst wieder der Ministerialentwurf 82/ME 24.GP vor).
Die - den Eintritt eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses übrigens gar nicht behauptende - Erklärung des Paul K***** in der Hauptverhandlung vom 4. Februar 2008 war demnach nicht geeignet, die gesetzliche Annahme eines Verfolgungsverzichts des trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienenen Privatanklägers Peter K*****, der sich zudem eines der in § 73 StPO genannten Vertreters bedienen hätte können und über diese Möglichkeit und die Säumnisfolgen informiert war (die Ladung erfolgte mittels des, eine entsprechende Belehrung enthaltenden Formblatts H 12 [RS zu ON 1 S 1 verso]), zu widerlegen und ändert solcherart nichts am Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die obligatorische Verfahrenseinstellung nach § 71 Abs 6 StPO, womit der in diesem Sinne gefasste Beschluss des Erstgerichts dem Gesetz entsprach.
Demgemäß hätte das Landesgericht für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht der Beschwerde des Privatanklägers Peter K*****, die sich der Sache nach in einem bloßen, nach dem Vorgesagten nicht zulässigen (zudem verspäteten) Wiedereinsetzungsbegehren erschöpfte, den Erfolg versagen müssen.
2. Gemäß § 463 StPO ist gegen Urteile der Bezirksgerichte, die gegen einen Anwesenden ergangen sind, nur das Rechtsmittel der Berufung zulässig.
Eine „implizierte Berufung" ist der Prozessordnung fremd. Für die - hier vorliegende - kassatorische Entscheidung des Landesgerichts (§ 470 Z 3 StPO) in Ansehung eines im Übrigen gar nicht ergangenen Freispruchs fehlte es bereits an den gesetzlichen Voraussetzungen einer Berufung und einer dieser zugrunde liegenden Entscheidung.
Zufolge nachteiliger Wirkung der vom Landesgericht durch ersatzlose Aufhebung des erstgerichtlichen Einstellungsbeschlusses (Punkt I. der Entscheidung) bewirkten Gesetzesverletzung für die Angeklagte sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, diese Feststellung insoweit gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.
Das unter einem ergangene - rechtlich gar nicht wirksame - (Berufungs-)Urteil (Punkt II. der Entscheidung) war zur Klarstellung ebenfalls zu beseitigen (RIS-Justiz RS0116270, RS0116267; vgl auch Ratz, WK-StPO § 292 Rz 45 f).
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