OGH 11Os86/09w

OGH11Os86/09w18.8.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. August 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Dr. Bachner-Foregger und Dr. Nordmeyer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alexander M***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Jugendgeschworenengericht vom 9. März 2009, GZ 33 Hv 203/08p-75, und über die Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) des Alexander M***** gegen einen Beschluss nach § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden - unter Aufrechterhaltung der unberührt bleibenden Wahrsprüche - der Schuldspruch, demzufolge auch der Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und der Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte, Letzterer auch mit seiner Beschwerde, auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde (der junge Erwachsene) Alexander M***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt. Danach hat er am 15. Juni 2008 in M***** Michael K***** zu töten versucht, indem er ihm mit einem Messer von 7,7 cm Klingenlänge insgesamt elf tiefe Stichwunden, und zwar zweifach im hohen Nackenbereich, dreifach linksseitig rücklings am Übergang vom Hals zum Rumpf und sechsfach in der linken Flanken- und hohen Gesäßregion versetzte, wobei die Milz verletzt und Rückenmarksfasern durchtrennt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit auf die Gründe des § 345 Abs 1 Z 6 und 10a StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde, der teilweise Berechtigung zukommt.

Die Fragenrüge (§ 345 Abs 1 Z 6 StPO), die unter Darstellung einzelner, aus dem Zusammenhang gelöster Angaben des Angeklagten, wonach er dem Opfer nach Zufügen jener elf Stiche keine weiteren mehr versetzt und in der Folge die Flucht ergriffen hätte, ein die (unterbliebene) Stellung einer eigentlichen Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 erster Fall StGB) hinreichend indizierendes Tatsachensubstrat zu erkennen vermeint, ist nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt.

Sie leitet nämlich nicht deutlich und bestimmt aus dem Gesetz ab, weshalb die relevierten Tatsachen - unter Berücksichtigung der zahlreichen Stichführungen und der oben wiedergegebenen Verletzungen - trotz dieser Ausführungshandlungen die Aufhebung der Strafbarkeit des Rechtsmittelwerbers im Sinn des § 16 Abs 1 erster Fall StGB zur Folge haben könnten (Hager/Massauer in WK2 §§ 15, 16 Rz 157 ff; Schindler, WK-StPO § 313 Rz 18; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23). Fassbare Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte bei seiner Abstandnahme von der Ausführung weiterer Stiche gegen das Opfer von der Annahme geleitet worden wäre, dass die Realisierung des ursprünglichen Tötungsvorhabens noch weiterer Aggressionsakte bedurft hätte, der Versuch mithin noch nicht beendet gewesen wäre, sind - insbesondere bei gebotener Bedachtnahme auf die vorangegangenen Stichführungen gegen zum Teil lebenswichtige Körperregionen - nicht gegeben (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 43). Weshalb schließlich die einstimmige Streichung (bloß) des versuchten Versetzens eines Stichs in das Herz durch den Angeklagten infolge Einschreitens des Zeugen Bedri B***** aus der nach §§ 15, 75 StGB gestellten Hauptfrage durch die Geschworenen (S 1 der unjournalisierten Fragen an die Geschworenen) geeignet wäre, dem relevierten Tatsachenvorbringen die erforderliche rechtliche Relevanz zu verleihen, lässt das Rechtsmittel gleichfalls offen.

Im Übrigen vermag der Angeklagte nicht darzulegen, aufgrund welcher in der Hauptverhandlung vorgebrachter wesentlicher Tatsachen die Stellung der Zusatzfrage nach - dem erstmals in der Beschwerde konkret behaupteten - Rücktritt vom Versuch unmittelbar oder mittelbar hinreichend indiziert gewesen wäre (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 6 f).

Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf isolierte Teile seiner Verantwortung in der Hauptverhandlung, wonach er wegen - durch entsprechende Druckausübung des Opfers auf den Hals- und Brustbereich verursachter - Atemnot in „Todesangst und Panik" geraten sei (ON 66 S 5, 7 bis 13, 15 f), ein die allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung im Sinn des § 76 StGB hinreichend indizierendes Tatsachensubstrat behauptet und so die unterbliebene Stellung einer Eventualfrage in Richtung Totschlag nach (richtig:) §§ 15, 76 StGB kritisiert, übergeht er, dass er einen Tötungsvorsatz stets bestritten (ON 66 insb S 10) und sich in diese Richtung niemals verantwortet hatte. Ob eine Behauptung als Vorbringen im Sinn der §§ 313, 314 StPO zu werten ist, ist aber nicht nach einzelnen, aus dem Kontext gelösten Aussageteilen, sondern anhand der gesamten Verantwortung des Angeklagten zu prüfen (12 Os 46/02). Bei Anlegung dieses Beurteilungsmaßstabs ist der Verantwortung des Nichtigkeitswerbers ungeachtet seiner Wortwahl (er sei in Panik geraten, „ausgeflippt" bzw „durchgedreht") kein Substrat zu entnehmen, das eine Verteidigungslinie dahin erkennen ließe, er habe sich in allgemein begreiflicher heftiger Gemütsbewegung zu einer Tötung entschlossen, deren entsprechenden Vorsatz er stets in Abrede gestellt hat.

Die beim Angeklagten eine beeinträchtigte Zurechnungsfähigkeit konstatierenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen (ON 17 S 26, ON 66 S 18 f) vermögen gleichfalls kein Vorbringen im Sinn des § 314 Abs 1 StPO zu bilden, weil das Kalkül eines Gutachters, der aufgrund seiner Sachkenntnis Schlüsse zieht, allein nicht Grundlage für die Stellung von Zusatz- oder Eventualfragen sein kann (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 15).

Insgesamt missachtet die Rüge das Fehlen jeweils entsprechenden Tatsachenvorbringens und orientiert sich daher nicht an den Prozessgesetzen.

Die Tatsachenrüge (§ 345 Abs 1 Z 10a StPO) verkennt das Wesen dieses Nichtigkeitsgrunds, der in seiner prozessualen Reichweite durch Art 91 Abs 2 B-VG - wonach über die Schuld die Geschworenen allein (§ 329 StPO) zu entscheiden haben - beschränkt wird und dessen Wirkungsbereich dort beginnt, wo die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten werden. Dieser Nichtigkeitsgrund liegt somit erst dann vor, wenn ein objektiver Beobachter aufgrund aktenkundiger Beweisergebnisse die Lösung der Schuldfrage vernünftiger Weise zu teilen nicht im Stande wäre (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470 ff).

Der - eine verfehlte Verneinung der nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr gestellten Frage kritisierende - Rechtsmittelwerber unternimmt jedoch lediglich den Versuch, unter teilweiser Erörterung einzelner Passagen in den Aussagen der Zeugen Kevin S*****, Alexander V***** und Richard H***** sowie im Gutachten des Sachverständigen (wonach der Angeklagte unter dem Tatopfer gelegen sei [ON 66 S 21, 53, 56; ON 43 S 24]) die Richtigkeit der in der Niederschrift der Geschworenen festgehaltenen Erwägungen bei gleichzeitiger Behauptung vorliegender Aktenwidrigkeit und Unvertretbarkeit in Zweifel zu ziehen. Dabei übersieht er, dass die Niederschrift nach § 331 Abs 3 StPO nicht zum Wahrspruch gehört und ihr Inhalt daher nicht zum Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde nach § 345 Abs 1 Z 10a StPO gemacht werden kann (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 16). Insgesamt misslingt es der Beschwerde beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken an der Richtigkeit der dem Wahrspruch zu Grunde liegenden Feststellungen zu wecken.

Im bisher erörterten Umfang war - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers (§ 24 StPO) - die Nichtigkeitsbeschwerde daher zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

Im Recht ist die Fragenrüge jedoch, soweit sie die unterbliebene - im Hinblick auf die oben angeführten Angaben des Angeklagten (ON 66 S 5, 7 bis 13, 15 f) indizierte - Zusatzfrage nach Putativnotwehr (§ 8 StGB) und damit ein für die gegenständliche Fallkonstellation unrichtiges Fragenschema moniert. Denn abgesehen von der (anklagekonform bejahten) Hauptfrage nach §§ 15, 75 StGB und der (unbeantwortet gebliebenen) Eventualfrage nach § 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB lässt das Fragenschema die indizierte und im Sinn des Grundsatzes der Totalabstimmung gebotene Aufnahme des Schuldausschließungsgrunds der Putativnotwehr sowie der Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt in die Zusatzfrage 1 vermissen (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 3, 30, 32; § 317 Rz 29 ff). Denn der in der Hauptverhandlung ersichtlich geäußerten Verantwortung des Angeklagten, (zumindest) in der Meinung gehandelt zu haben, sich nur der nötigen Verteidigung zu bedienen, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf sein Leben bzw seine Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit abzuwehren (ON 66 S 13), wird durch die Zusatzfrage nach Notwehr bzw deren Überschreitung nicht zur Gänze Rechnung getragen. Ohne Stellung einer Zusatzfrage auch nach Irrtum im Sinn des § 8 StGB wurden die Geschworenen nicht in die Lage versetzt, auch zu der Frage, ob der Angeklagte, wenn schon nicht in Notwehr, so doch allenfalls in Putativnotwehr gehandelt hat, Stellung zu nehmen.

Um diesem Mangel der Fragestellung abzuhelfen, genügt es, den Schuldspruch (demgemäß auch den Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung sowie den Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO) aufzuheben, die Wahrsprüche aber, die der neuerlichen Entscheidung mit zugrundezulegen sein werden (§ 349 Abs 2 StPO), aufrechtzuerhalten. Der Fragenkatalog wird entsprechend zu ergänzen sein, wobei hierin für den Fall der Bejahung einer Putativnotwehrüberschreitung auch eine Eventualfrage nach fahrlässiger Körperverletzung aufzunehmen sein wird. Daher war bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufgrund der Unvermeidbarkeit einer nochmaligen Verhandlung und Entscheidung (§§ 344 zweiter Satz [285e erster Satz], 349 Abs 1 StPO) über diesen Teil der Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu entscheiden und der Angeklagte wie auch die Staatsanwaltschaft mit den weiteren Rechtsmitteln hierauf zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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