Spruch:
In den Strafsachen gegen Anton I***** verletzen
1./ im Verfahren AZ 51 E Hv 170/04y des Landesgerichts für Strafsachen Wien
a./ das Urteil vom 22. November 2004 §§ 31 Abs 1 und 40 StGB, b./ der Beschluss vom 22. November 2004 § 53 Abs 1 und 3 StGB sowie § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO
2./ im Verfahren AZ 13 Hv 30/08m des Landesgerichts St. Pölten der Beschluss vom 10. Juli 2008 auf Verlängerung der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. November 2008, GZ 51 E Hv 170/04y-21, gewährten Probezeit auf fünf Jahre den im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.
Es werden aufgehoben
das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. November 2004, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Strafausspruch und der unter einem gefasste Beschluss gemäß § 53 Abs 3 StGB, § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO und
der Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 10. Juli 2008 auf Verlängerung der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. November 2004 bestimmten Probezeit.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der zu AZ 51 E Hv 170/04y des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsicht wird zurückgewiesen.
Dem Landesgericht für Strafsachen Wien wird im Verfahren AZ 51 E Hv 170/04y die neuerliche Verhandlung und Entscheidung in der Straffrage aufgetragen.
Text
Gründe:
Anton I***** wurde mit (rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts Leoben vom 18. Dezember 2003, GZ 11 Hv 172/03b-26, des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und nach § 198 Abs 1 StGB zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt.
Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. November 2004, GZ 51 E Hv 170/04y-21, wurde Anton I***** des am 11. September 2002 begangenen Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts Leoben vom 18. Dezember 2003, AZ 11 Hv 172/03b, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
Mit rechtskräftigem Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11. Juni 2008, GZ 51 E Hv 170/04y-25, wurde diese Strafe endgültig nachgesehen.
Über Anton I***** wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 10. Juli 2008, GZ 13 Hv 30/08m-78, wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12, 302 Abs 1 StGB und des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt. Zugleich fasste das Schöffengericht den Beschluss, gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO vom Widerruf der zu AZ 51 E Hv 170/04y des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen und die Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen diese Entscheidungen mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat anlässlich des Urteils vom 22. November 2004 durch Unterlassen der Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 18. Dezember 2003 gegen die Bestimmungen der §§ 31 Abs 1 und 40 StGB und durch die Verlängerung der vom Landesgericht Leoben bestimmten Probezeit auf fünf Jahre gegen die Bestimmungen der § 53 Abs 1 und Abs 3 StGB und § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO, das Landesgericht St. Pölten durch die Verlängerung der vom Landesgericht für Strafsachen Wien bestimmten Probezeit auf fünf Jahre gegen den im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen verstoßen.
Das am 11. September 2002 begangene Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB hätte nach der Zeit seiner Begehung schon mit dem Urteil des Landesgerichts Leoben vom 18. Dezember 2003 abgeurteilt werden können, sodass das Landesgericht für Strafsachen Wien verpflichtet gewesen wäre, anlässlich seines Urteils vom 22. November 2004 gemäß §§ 31 Abs 1 und 40 StGB auf jenes des Landesgerichts Leoben Bedacht zu nehmen. Die Nichtanwendung des § 31 StGB begründet Nichtigkeit des Strafausspruchs nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO (RIS-Justiz RS0108409).
Die Vorschriften des § 53 StGB und § 494a StPO betreffen nur solche Taten, die in der Probezeit begangen wurden. Diese Bestimmungen waren vom Landesgericht für Strafsachen Wien nicht anzuwenden, weil die zu Grunde liegende strafbare Handlung nicht in die mit Urteil des Landesgerichts Leoben vom 18. Dezember 2003 festgesetzte dreijährige Probezeit fiel. Vielmehr hätte sich bei rechtsrichtiger Bedachtnahme gemäß §§ 31 Abs 1 und 40 StGB und neuerlicher Gewährung bedingter Strafnachsicht die vom Landesgericht Leoben festgesetzte Probezeit ex-lege gemäß § 55 Abs 3 StGB verlängert.
Aus Anlass der Ausschreibung der Hauptverhandlung vom 10. Juli 2008 ordnete das Landesgericht St. Pölten unter anderem die Beischaffung des Vorstrafakts (AZ 51 E Hv 170/04y des Landesgerichts für Strafsachen Wien) an, der am 30. Juni 2008 einlangte und in der Hauptverhandlung ebenso wie andere beigeschaffte oder angeschlossene Vorstrafakten verlesen wurde (S 588 in AZ 13 Hv 30/08m). Dem verlesenen Akt war die endgültige Strafnachsicht (ON 25) zu entnehmen.
Dessen ungeachtet fasste das Schöffengericht den Beschluss auf Verlängerung der Probezeit hinsichtlich der bereits endgültig nachgesehenen Strafe.
Dieser Beschluss konnte zwar weder den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien beseitigen noch sonst für den Verurteilten Rechtsfolgen nach sich ziehen, war aber aus Gründen der Rechtssicherheit aufzuheben und der entsprechende Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen (§ 292 letzter Satz StPO). Auch das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. November 2004 in seinem Strafausspruch und der Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO waren, weil sie dem Verurteilten zum Nachteil gereichen, aufzuheben. Diesem war schon zufolge der Abwesenheit des Anton I***** beim Gerichtstag die neuerliche Verhandlung und Entscheidung in der Straffrage aufzutragen, wobei es bei erneuter Gewährung bedingter Strafnachsicht diese unter einem endgültig nachzusehen haben wird.
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