Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 742,27 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 123,71 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte verkaufte dem ihm seit langem gut bekannten Kläger am 2. 4. 2007 um 9.000 EUR einen PKW.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Er brachte vor, den Vertrag wegen List, Irrtums und Verkürzung über die Hälfte anzufechten. Der PKW sei tatsächlich weniger als 4.500 EUR wert gewesen. Der Beklagte habe ihm wesentliche, die Betriebs- und Verkehrssicherheit ausschließende Mängel im Zusammenhang mit einem unfallbedingten Achsschaden und der Klimaanlage verschwiegen. Hätte der Kläger von diesen Mängeln gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.
Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Er habe von den nunmehr bekannt gewordenen Mängeln selbst nichts gewusst. Im Vertrag sei jegliche Gewährleistung ausgeschlossen worden. Fehler bei der vom ÖAMTC durchgeführten Ankaufsüberprüfung könnten nicht dem Beklagten angelastet werden. Diese Überprüfung habe ergeben, dass der PKW damals betriebs- und verkehrssicher gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
Bei den dem Kauf vorangehenden Verhandlungen verwies der Beklagte auf einen (ohnehin erkennbaren) Unfallschaden am Fahrzeug. Über die tatsächliche Dimension dieses Schadens und über die damit zusammenhängenden Auswirkungen auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs hatte der Beklagte als Laie keine Ahnung. Er vereinbarte mit dem Kläger, dass dieser vor der Entscheidung über den Kauf den Zustand des PKW durch eine Probefahrt und eine Ankaufsüberprüfung des ÖAMTC genau überprüfen könne. Der Kläger ließ daraufhin tatsächlich das Fahrzeug vom ÖAMTC überprüfen, der auch einige für die hier zu treffende Entscheidung nicht relevante Mängel feststellte. Der Kläger ließ diese Mängel auf eigene Kosten beheben und holte sodann vom ÖAMTC ein Gutachten gemäß § 57a Abs 4 KFG 1967 ein. Darin wurde dem Fahrzeug - obzwar noch einzelne geringfügige Mängel festgestellt wurden - die Verkehrs- und Betriebssicherheit sowie die Umweltverträglichkeit attestiert.
Nunmehr teilte der Kläger dem Beklagten mit, das Fahrzeug kaufen zu wollen. Der Beklagte füllte ein Kaufvertragsformular aus, in das er handschriftlich folgenden Text einfügte: „Auto wurde so gekauft wie gesehen und Probe gefahren, mit Unfallschaden keine Garantie." Der vorgedruckte Vertragstext enthält überdies die Klausel „Der Verkäufer übernimmt für die Beschaffenheit des verkauften Kraftfahrzeuges keine Gewährleistung". Der Kläger hat den gesamten Vertragstext vor der Unterfertigung des Vertrags gelesen.
Im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger wies es mehrere Mängel auf (siehe im Detail S 5 des Ersturteils), von denen folgende nicht vom ÖAMTC bei der Ankaufsüberprüfung aufgezeigt wurden:
Trocknerflasche der Klimaanlage aufgerissen; Kondensator deformiert; Schwelle verformt; Radstand abweichend; Achsversatz hinten; Spur und Sturz teilweise nicht in der Toleranz.
Wegen der Abweichungen und Deformationen im Fahrwerksbereich war das Fahrzeug insgesamt nicht verkehrs- und betriebssicher.
Abgesehen von den ohnedies ersichtlichen Unfallschäden waren die oben angeführten Mängel für beide Parteien ohne Zuhilfenahme eines Sachverständigen nicht erkennbar. Dass die Klimaanlage nicht funktioniert, wäre für die Parteien nur erkennbar gewesen, wenn sie die Anlage gezielt auf „maximales Kühlen" eingestellt hätten. Wäre die Temperatur bei der Probefahrt unter 0 Grad gelegen (was nicht ausschließbar ist), wäre der Mangel selbst für einen Fachmann nicht erkennbar gewesen.
Hätte der Kläger vom tatsächlichen Ausmaß der Mängel gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht (auch nicht um einen geringeren Preis) gekauft. Dennoch hat der Kläger das Fahrzeug weiter benützt. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ist er damit ca 2.000 km gefahren.
Mängelfrei wäre das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Kaufs 13.700 EUR wert gewesen. Unter Berücksichtigung aller Mängel betrug sein Wert aber nur 6.153,38 EUR.
Wäre die vom Kläger veranlasste Ankaufsüberprüfung vom ÖAMTC ordentlich durchgeführt worden, hätte die wegen der Abweichungen und Deformationen im Fahrwerksbereich fehlende Verkehrs- und Betriebssicherheit auffallen müssen.
Auf dieser Grundlage vertrat das Erstgericht folgende Rechtsauffassung:
Von einer Verkürzung über die Hälfte könne nicht die Rede sein, da der Kaufpreis nicht 50 % über dem tatsächlichen Wert des Fahrzeugs gelegen sei. Der vereinbarte Gewährleistungsausschluss sei rechtsverbindlich, weil der Beklagte weder bestimmte Eigenschaften zugesagt noch Mängel arglistig verschwiegen habe. Auch sei der PKW nicht von vornherein völlig unbrauchbar gewesen. Dass der vom Kläger beauftragte professionelle Prüfer Mängel übersehen habe, könne nicht zu Lasten des Beklagten gehen. Für eine Irrtumsanfechtung - auch wegen gemeinsamen Irrtums - fehlten die Grundlagen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Auch das Berufungsgericht erachtete den von den Parteien vereinbarten Gewährleistungsverzicht als wirksam und die Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums als nicht berechtigt.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Anfechtung des Vertrags wegen eines gemeinsamen Irrtums der Streitteile. Dazu vertrat die zweite Instanz folgende Rechtsauffassung:
Die Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums komme nur in Betracht, wenn der Irrtum das betreffe, was die Parteien bei ihrem Vertragsabschluss als sicher, also als unzweifelhaft und unstreitig, angenommen haben. Dies ergebe sich insbesondere aus der Entscheidung 4 Ob 510/93m, die sich auf die Anfechtung eines Vergleichs beziehe, müsse aber auch für das Vertragsrecht gelten. Damit könne hier kein relevanter gemeinsamer Irrtum angenommen werden. Der Beklagte habe nämlich keine Vorstellungen darüber gehabt, ob allenfalls über die bekannten Mängel des PKW hinaus weitere (wesentliche) Mängel vorlägen. Dies sei im Vertrag durch den Hinweis auf die fehlende Garantie und den Ausschluss der Gewährleistung offen gelassen worden.
Die Revision sei zuzulassen, weil zu den Voraussetzungen eines gemeinsamen Irrtums bei Kaufverträgen eindeutige Rechtsprechung fehle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil die vom Berufungsgericht aus der Entscheidung 4 Ob 510/93 gezogenen Schlüsse einer Korrektur bedürfen, jedoch (im Ergebnis) nicht berechtigt.
Die vom Berufungsgericht zitierten Aussagen dieser Entscheidung betreffen die Auslegung des § 1385 ABGB, nach dem die Anfechtung eines Vergleichs nur eingeschränkt möglich ist. Da die Bereinigungswirkung des Vergleichs die bisherige Unsicherheit endgültig beseitigen soll, bleibt er auch gültig, wenn sich später die wahre Rechtslage herausstellt. Daher kann er wegen eines Irrtums über den ursprünglich streitigen Sachverhalt, also über die verglichenen Punkte, nicht angefochten werden. Nur wenn die Parteien gewisse Umstände beim Vergleichsabschluss als feststehend, unzweifelhaft und unstreitig angenommen haben (Vergleichsgrundlage), kommt eine Anfechtung wegen Irrtums (über die Vergleichsgrundlage) in Betracht (Ertl in Rummel³ § 1385 Rz 1; Koziol/Welser II13 113; Neumayr in KBB² § 1385 Rz 1, je mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Dass diese der Eigenart und der Funktion des Vergleichs Rechnung tragende Einschränkung der Irrtumsanfechtung auf die Anfechtung von Kaufverträgen zu übertragen sei, ist aus der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung indes nicht abzuleiten. Darauf und auf die in der Lehre generell geäußerten Bedenken gegen die (großteils ältere) Rechtsprechung zur Vertragsanfechtung wegen gemeinsamen Irrtums (für alle: Rummel in Rummel³ § 871 Rz 18) braucht aber hier nicht eingegangen zu werden, weil die vom Kläger erklärte Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums - in der Revision stützt er sich dazu nur mehr auf die durch den Fahrwerksschaden bedingte mangelnde Verkehrs- und Betriebssicherheit - schon aus folgenden Gründen erfolglos bleiben muss:
Auf die Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums kann - außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG - im Vorhinein verzichtet werden, wenn der Irrtum nicht grob fahrlässig veranlasst wurde. Ein solcher Verzicht ist insbesondere dann zulässig, wenn der Irrende selbst in der Lage war, seinerseits rechtzeitig ausreichende Nachprüfungen über irrtumsrelevante Umstände vorzunehmen (RIS-Justiz RS0016245; 7 Ob 603/91 = SZ 64/190; 4 Ob 324/00a = SZ 74/19; 1 Ob 144/04i = SZ 2004/123).
Nun mag es zutreffen, dass aus einem (generellen) Verzicht auf Gewährleistung nicht in jedem Fall auf den Verzicht auf die Irrtumsanfechtung geschlossen werden kann (Apathy/Riedler in Schwimann IV³ § 871 Rz 37; siehe aber Rummel in Rummel³ § 871 Rz 23). Wurde aber die Haftung für einen bestimmten Umstand ausgeschlossen, so scheidet auch die Berufung auf Irrtum aus (Apathy/Riedler aaO).
Hier hat der Beklagte dem Kläger keine Zusagen über den Zustand des Fahrzeugs gemacht. Vielmehr haben die Parteien, die die tatsächliche Dimension des sichtbaren Unfallschadens und dessen Auswirkungen auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit nicht abschätzen konnten, einen Ausschluss der Haftung des Beklagten vereinbart, der - vor allem (aber nicht nur) nach dem Inhalt des handschriftlich angefügten Zusatzes - als Ausschluss jeglicher Einwände gegen den Vertrag aus dem Zustand des Fahrzeugs - insbesondere aus dem ausdrücklich erwähnten Unfallschaden - verstanden werden muss. Dieses Verständnis wird gerade durch den Umstand, dass dem Kläger vor der Unterfertigung des Vertrags noch die Möglichkeit einer Ankaufsuntersuchung des Fahrzeugs durch den ÖAMTC ermöglicht bzw sogar angeboten wurde, noch untermauert. Da nach den Feststellungen auch der Beklagte von der tatsächlichen Dimension des Schadens keine Ahnung hatte und daher von grober Fahrlässigkeit (die auch der Kläger nicht einmal behauptet) keine Rede sein kann, ist daher im Sinne der dargestellten Rechtsprechung von einem wirksamen Ausschluss auch der Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums auszugehen.
Damit erweisen sich aber die Entscheidungen der Vorinstanzen im Ergebnis als zutreffend.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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