OGH 15Os151/08g (15Os152/08d)

OGH15Os151/08g (15Os152/08d)15.12.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Metz als Schriftführer, in der Medienrechtssache des Antragstellers Mag. Karl-Heinz G***** gegen die Antragsgegnerinnen „D*****" *****gmbH & Co KG und d***** GmbH & Co KG, wegen § 7 MedienG, AZ 093 Hv 86/06g des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. September 2006 und das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Februar 2007, AZ 18 Bs 353/06b, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Mag. Holzleithner, des Vertreters des Antragstellers, Dr. Rami, sowie des Vertreters der Antragsgegnerinnen, Dr. Lausegger, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. September 2006, GZ 093 Hv 86/06g-13, verletzt § 34 Abs 2 MedienG.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers Mag. Karl-Heinz G***** gegen die Antragsgegnerinnen „D*****" ***** GmbH & Co KG und d***** GmbH & Co KG wurde mit Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. September 2006, GZ 093 Hv 86/06g-13, ausgesprochen, dass durch die am 3. Jänner 2006 inhaltsgleich erfolgten Veröffentlichungen im periodischen Druckwerk „D*****" und auf der Internet-Website http://www.d*****.at/ mit der Überschrift „Fiona S***** soll im vierten Monat Baby verloren haben", in denen behauptet wurde, das ungeborene Kind des Antragstellers wäre im vierten Monat der Schwangerschaft der Frau des Antragstellers gestorben, in einem Medium der höchstpersönliche Lebensbereich des Antragstellers in einer Weise erörtert und dargestellt wurde, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Die Antragsgegnerinnen als Medieninhaberinnen wurden demzufolge nach § 7 Abs 1 MedienG zu Entschädigungszahlungen verurteilt (1./). Weiters wurden die Genannten gemäß § 8a Abs 6 MedienG zur Urteilsveröffentlichung (2./) sowie gemäß §§ 8a Abs 1, 41 Abs 1 MedienG iVm § 389 Abs 1 StPO zum Kostenersatz (3./) verpflichtet.

Eine Zustimmung der Ehefrau des Antragstellers zur Urteilsveröffentlichung lag nach dem Akteninhalt bis zum Schluss der Hauptverhandlung erster Instanz nicht vor.

Das Oberlandesgericht Wien gab der gegen dieses Urteil von den Antragsgegnerinnen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über Schuld und Strafe mit Urteil vom 19. Februar 2007, AZ 18 Bs 353/06b (ON 22), nicht Folge.

Den - hier allein relevanten - gegen die Urteilsveröffentlichung gerichteten, auf den Nichtigkeitsgrund der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Einwand der Berufungswerberinnen, die Aussprüche über die Urteilsveröffentlichung seien wegen der fehlenden Zustimmung (§ 34 Abs 2 MedienG) der mitbetroffenen Gattin des Antragstellers (in deren höchstpersönlichen Lebensbereich die inkriminierten Veröffentlichungen unstrittigerweise gleichfalls eingegriffen hätten) zu Unrecht erfolgt, hielt das Oberlandesgericht Wien „angesichts der in der Berufungsverhandlung am 19. Februar 2007 verlesenen Erklärung der Genannten, mit der Urteilsveröffentlichung einverstanden zu sein", für „obsolet". Denn „die Frage des § 34 Abs 2 MedienG" sei - so das Oberlandesgericht weiter - im Rahmen der Berufung wegen Strafe abzuhandeln, für welche kein Neuerungsverbot gelte; gegen ein erst im Berufungsverfahren erklärtes Einverständnis bestünden daher keine Bedenken.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer gegen diese Urteile zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur folgendes aus:

Gemäß § 8a Abs 6 iVm § 34 Abs 2 MedienG darf ua bei einer mit Strafe bedrohten Handlung, die - wie hier - Umstände oder Tatsachen des Privat- oder Familienlebens betrifft, die Urteilsveröffentlichung nur mit Zustimmung des Verletzten angeordnet werden.

Eine solche Zustimmung muss - entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichtes Wien - spätestens bis zum Schluss der Hauptverhandlung vorliegen (vgl Polley in Berka/Höhne/Noll/Polley MedienG Praxiskommentar² § 34 Rz 14; Brandstetter/Schmid, MedienG² § 34 Rz 7 f; Rami in WK² MedienG § 34 Rz 4).

Fallbezogen war der Antragsteller Mag. Karl-Heinz G***** ersichtlich nicht der einzige Verletzte iSd § 34 Abs 2 MedienG. Eine Zustimmung der (durch die inkriminierte Veröffentlichung jedenfalls auch betroffenen und in ihrer Privatsphäre verletzten) Ehefrau des Antragstellers zur Urteilsveröffentlichung lag aber nach dem Akteninhalt bis zum Schluss der Hauptverhandlung erster Instanz nicht vor. Bei Anordnung einer Urteilsveröffentlichung ist dem Gericht aber kein Ermessensspielraum eingeräumt (Ciresa, Urteilsveröffentlichung3 [2006] Rz 421). Daraus erhellt, dass eine zwingende Strafzumessungsvorschrift verletzt wurde, die Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO begründet.

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

1./ Die inkriminierte Publikation betrifft nach den Annahmen des Oberlandesgerichts (US 9) auch das Privat- und Familienleben der Ehefrau des Antragstellers, sodass die Anordnung der Urteilsveröffentlichung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien ohne die von § 34 Abs 2 MedienG geforderte Zustimmung - wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt - unzulässig war. Die aufgezeigte Gesetzesverletzung war - ungeachtet der bereits erfolgten Korrektur durch das Rechtsmittelgericht und ohne Zuerkennung konkreter Wirkung (§ 292 letzter Satz StPO; s unten) - festzustellen.

2./ Das Erkenntnis über die Urteilsveröffentlichung bildet - wie jenes über die Einziehung - nach der eindeutigen Anordnung des § 41 Abs 7 MedienG einen Teil des Ausspruchs über die Strafe, der im Einzelrichterverfahren mit Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 [iVm §§ 489 Abs 1, 468 Abs 1 Z 4] StPO) oder wegen des Ausspruchs über die Strafe angefochten werden kann.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts in der Sanktionsfrage zielt nicht bloß auf eine Überprüfung der erstgerichtlichen Entscheidung ab, sondern stellt einen eigenständigen Ausspruch dar, der an die Stelle des bekämpften tritt. Sogar dann, wenn das Berufungsgericht sich im Rahmen eines Berufungspunktes von einer Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs überzeugt (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO), hat es den betroffenen Ausspruch nicht zu kassieren, sondern durch einen eigenen Ausspruch zu ersetzen (Ratz, WK-StPO § 295 Rz 4).

Beim Ausspruch über die Strafe durch das Rechtsmittelgericht besteht kein Neuerungsverbot, es können (auch noch im Gerichtstag) neue (auch nach dem Urteil erster Instanz entstandene) Tatsachen und Beweismittel geltend gemacht werden (WK-StPO § 295 Rz 2; Fabrizy, StPO10 § 294 Rz 4). Das Berufungsgericht hat alle nach dem angefochtenen Urteil eingetretenen Änderungen - auch nicht vom Berufungswerber geltend gemachte Umstände (§ 3 Abs 2 StPO) - zu berücksichtigen (Fabrizy, StPO10 § 295 Rz 1a).

Eine Beschränkung dieser Neuerungserlaubnis auf Strafzumessungstatsachen im engeren Sinn (Erschwerungs- und Milderungsgründe) lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Sie gilt somit - lege non distinguente - auch für das Erfordernis der Zustimmung der verletzten Person (§ 34 Abs 2 MedienG). Die von der Generalprokuratur zitierten gegenteiligen Literaturmeinungen hingegen beschränken sich auf die bloße Rechtsbehauptung, ohne diese argumentativ aus dem Normbestand zu entwickeln.

Auch eine Präklusionswirkung durch den Schluss der Verhandlung erster Instanz (wie etwa für die Zurückziehung der Anklage; Immutabilitätsprinzip [§§ 259 Z 2, 310 Abs 2 StPO]) wird in dieser Frage weder von der StPO noch vom MedienG positivrechtlich angeordnet. Insbesondere setzt das Gesetz das Erfordernis der Zustimmung nicht mit der Verfolgungsvoraussetzung der Ermächtigung gleich (ausdrücklich unterscheidend: § 34 Abs 2 letzter Halbsatz MedienG), die spätestens bei Einbringen der Anklage oder Einleitung diversioneller Maßnahmen vorliegen muss (§ 92 Abs 2 StPO).

Indem das Berufungsgericht im vorliegenden Fall aussprach, gegen ein erst im Berufungsverfahren erklärtes Einverständnis bestünden mangels Neuerungsverbot keine Bedenken, und den Einwand mangelnder Zustimmung angesichts der in der Berufungsverhandlung erfolgten Verlesung der nachträglich erfolgten Zustimmung (S 147) für „obsolet" erklärte, hat es somit der Sache nach der von den Antragsgegnerinnen aufgezeigten Nichtigkeit nach Z 11 erster Fall Rechnung getragen und den Sanktionsausspruch insoweit nach Beweisergänzung durch einen eigenen Ausspruch (Anordnung der Veröffentlichung) ersetzt.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts erweist sich somit als im Ergebnis gesetzeskonform, die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Generalprokuratur war daher zu verwerfen.

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