OGH 2Ob154/08y

OGH2Ob154/08y27.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1203 Wien, Webergasse 4, 2. Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Burgenland, 7001 Eisenstadt, Ödenburger Straße 8, beide vertreten durch Dr. Heinrich Keller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, sowie die auf Seite der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenienten 1. E***** Ges.m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Riedl & Dr. Ludwig, Rechtsanwälte GmbH in Haag,

2. B***** GmbH, *****, vertreten durch Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 42.311,42 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. Mai 2008, GZ 3 R 243/07m-49, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Am 23. 4. 2003 ereignete sich bei der Zweitnebenintervenientin ein Arbeitsunfall, bei dem der bei der Erstklägerin unfallversicherte und bei der Zweitklägerin pensionsversicherte Arbeitnehmer der Zweitnebenintervenientin, Mehmet B*****, schwer verletzt wurde. Zum Unfall kam es, als Mehmet B***** Reinigungsarbeiten im Inneren einer Mischtrommel durchführte. Als sich Mehmet B***** gerade mit dem Oberkörper in die Mischtrommel beugte, um Pulverreste zu entfernen, lief die Maschine an und verletzte Mehmet B***** schwer. Die Beklagte hatte die Maschine über Bestellung der Zweitnebenintervenientin im Jahr 1998 geliefert und installiert. Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme war durch die sicherheitstechnische Ausgestaltung der Maschine gewährleistet, dass bei geöffnetem Deckel der Öffnung der Mischtrommel die Stromversorgung der Maschine unterbrochen war, sodass ein Anfahren der Maschine ausgeschlossen war. Nur bei geschlossenem Deckel war ein Anfahren oder Laufen der Maschine möglich. Bei laufender Maschine war auch ein Öffnen des Deckels nicht möglich.

Aufgrund der Bestimmungen der Maschinen-Sicherheitsverordnung (BGBl 1994/306 - MSV) bzw der harmonisierten Normen für die Sicherheit von Maschinen ist der Inverkehrbringer einer Maschine, also insbesondere auch ihr Lieferant, zu Risikoanalysen über die möglichen Gefahren für Leben und Gesundheit der Verwender bzw für Maßnahmen zur Vorbeugung gegenüber solchen Gefahren verpflichtet (vgl ÖNORM EN 954-1). Je nach möglicher Verletzungsschwere, Häufigkeit und/oder Dauer der Gefährdungsexposition bzw ihrer Vermeidungsmöglichkeiten sind Anlagen sicherheitstechnisch verschieden auszustatten. Für den Lieferanten bzw Inverkehrbringer der gegenständlichen Maschine lag eine sicherheitsnotwendige Ausstattung der Maschine in der „Kategorie 3" vor. Diese Kategorie sieht unter anderem vor, dass sicherheitsbezogene Teile der Anlage so gestaltet werden müssen, dass ein einzelner Fehler in jedem dieser Teile nicht zum Verlust der Sicherheitsfunktion führt. Das bedeutet unter anderem eine zweikanalige Sicherungsausführung. Diese wäre gegeben gewesen, wenn bei Ausfall eines Sicherungsschalters ein weiterer Sicherungsschalter eine Inbetriebnahme der Anlage bei geöffnetem Deckel ebenfalls unterbunden hätte.

Tatsächlich war bei der Maschine nur ein Sicherungsschalter montiert, der zwar sowohl eine Verriegelungsfunktion gegen ein Öffnen der Klappe bei laufender Maschine wie auch eine Stromunterbrechung bei geöffnetem Deckel bewirkte, in der Praxis am Unfalltag aber wirkungslos war, da er durch eine Lusterklemme elektrotechnisch überbrückt und damit ausgeschaltet war.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass auch bei Einbau eines zweiten Sicherheitsschalters dessen Funktion durch Kurzschluss der Stromspeisungen überbrückt worden wäre.

Die Vorinstanzen gaben den Feststellungsbegehren der Klägerinnen, die ein 50%iges Eigenverschulden des Verletzten berücksichtigten, sowie dem Zahlungsbegehren der Erstklägerin dem Grunde nach statt. Das Berufungsgericht führte aus, die MSV gelte für Maschinen, von denen bei bestimmungsgemäßer Verwendung wegen der Bauart oder der Wirkungsweise Gefahren für das Leben oder die Gesundheit der Verwender ausgehen. Zweck dieser Regelungen sei demnach der Schutz derjenigen, die mit bzw an den Maschinen arbeiteten, somit im Wesentlichen der Arbeitnehmerschutz. Diese Schutzfunktion sei eine umfassende, normiere doch § 15 Abs 3 MSV, dass die Maschine so auszulegen sei, dass eine nicht ordnungsgemäße Verwendung, falls sie ein Risiko mit sich bringe, verhindert werde und, falls dies nicht möglich sei, in der Betriebsanleitung auf sachwidrige Verwendungen, die erfahrungsgemäß vorkommen könnten, besonders hinzuweisen sei. Damit werde zum Ausdruck gebracht, dass auch Gefahren, die durch nicht ordnungsgemäße Verwendung der Maschine entstünden, verhindert werden sollten. Zur Erfüllung dieses Zwecks wäre im vorliegenden Fall die sicherheitsnotwendige Ausstattung der Maschine in der „Kategorie 3" geboten gewesen; dem habe die vorliegende Maschine mit nur einem Sicherheitsschalter nicht entsprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte sieht in ihrer Revision eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO unter anderem darin, es gebe bislang keine oberstgerichtliche Rechtsprechung über den Normzweck der MSV oder der ÖNORM EN 954-1. Die Beklagte vertritt dazu die Ansicht, Normzweck der MSV bzw der angeführten ÖNORM sei nicht eine Verhinderung von - hier vorliegenden - Manipulationen, also von bewussten Eingriffen in das Sicherheitssystem, sondern (nur) der Schutz vor Betriebsausfällen und technischen Fehlern.

Damit zeigt die Revisionswerberin aber keine erhebliche Rechtsfrage auf: Dass das Gebot, die Maschine in der - hier maßgeblichen - „Kategorie 3" mit einer zweikanaligen Sicherungsausführung auszustatten, gerade die Verhinderung von Arbeitsunfällen wie dem vorliegenden bezweckt, hat schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt und kann nicht zweifelhaft sein. Damit steht aber fest, dass Schutzzweck der von der Beklagten übertretenen Norm durchaus die Verhinderung des eingetretenen Unfalls war.

Wäre die Maschine sicherheitstechnisch vorschriftsmäßig (mit einer zweikanaligen Sicherungsausführung) ausgestattet gewesen, hätte sich die Maschine bei geöffnetem Deckel nicht in Bewegung setzen können. Es wäre daher der Unfall nicht passiert. Das Fehlverhalten der Beklagten war somit kausal für den eingetretenen Schaden. Der Umstand, dass nicht festgestellt werden konnte, dass auch bei Einbau eines zweiten Sicherheitsschalters dessen Funktion durch Kurzschluss der Stromspeisung überbrückt worden wäre (und somit der Unfall ebenso passiert wäre), fällt der Beklagten zur Last. Diese Negativfeststellung betrifft nämlich die Haftungsbefreiung des Schädigers, die eintritt, wenn der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. Die Beweislast dafür, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre, trifft aber nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung den Schädiger (RIS-Justiz RS0112234 [T5]; RS0111706 [T1]).

Stichworte