OGH 1Ob214/08i

OGH1Ob214/08i25.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Matthias S*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, sowie der Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei 1.) Reinhard G*****, und 2.) Thomas E*****, beide vertreten durch Walch & Zehetbauer Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) Ing. K***** GmbH & Co KG, und 2.) Ing. K***** GmbH, beide *****, vertreten durch Dr. Nikolaus Gabor, Rechtsanwalt in Wien, wegen 21.536,75 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), infolge der Rekurse der klagenden Partei sowie der Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juli 2008, GZ 4 R 50/08i-51, mit dem das Teil- und Zwischenurteil des Handelsgerichts Wien vom 19. Dezember 2007, GZ 47 Cg 7/07t-45, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Teil- und Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Unstrittig ist, dass der Kläger als Teilnehmer an einem Snowboard-Wettbewerb dadurch erheblich verletzt wurde, dass er nach einem Sturz auf einer von den Beklagten hergestellten Stahlkonstruktion mit der Hand in einen Spalt zwischen zwei Blechteilen geriet. Die Beklagten ziehen auch nicht mehr in Zweifel, dass sie für die nachteiligen Folgen dieser als Produktfehler zu qualifizierenden Beschaffenheit der Stahlkonstruktion gemäß den Bestimmungen des PHG haften. Strittig ist im Rekursverfahren allein die Frage eines allfälligen Mitverschuldens des Klägers, der die Stahlkonstruktion befahren hat, ohne Handschuhe zu verwenden.

Das Erstgericht sprach mit Teil- und Zwischenurteil aus, dass ein bestimmter Teil des Zahlungsbegehrens dem Grunde nach zu Recht bestehe und die Beklagten dem Kläger zur Gänze für alle künftigen Schäden aus dem Unfall haften. Es stellte unter anderem fest, dass in der österreichischen Wettkampfordnung das Tragen von Snowboard-Handschuhen weder detailliert geregelt noch gar - anders als etwa für Helme oder Rückenprotektoren - vorgeschrieben ist. Es ist aber völlig gängig und üblich, dass bei Wettkämpfen (auch) zur Sicherheit (Schutz vor Verletzungen) auch bei wärmeren Temperaturen Handschuhe getragen werden. Der Kläger besaß sogenannte „Pipe"-Handschuhe, die einen speziellen Schutz durch Verstärkungen im Handgelenksbereich aufweisen. Ein Fingerschutz befindet sich (als Schlagschutz) eher auf der Außenseite, nicht jedoch auf der Innenseite. Es gibt auch dünnere Handschuhe, die keine speziellen Verstärkungen aufweisen und nicht gegen Abrieb im harten Schnee, sondern nur gegen Kälte schützen. Bei Wettbewerben wie dem hier ausgetragenen werden von praktisch allen Teilnehmern Handschuhe getragen, wobei nicht feststellbar ist, zu welchem Anteil es sich dabei um verstärkte Handschuhe oder um dünnere Handschuhe ohne Verstärkung handelt. Im Hinblick auf das erhöhte Verletzungsrisiko beim Befahren einer solchen Konstruktion (Sturz aus größerer Höhe) ist das Tragen von verstärkten Handschuhen sinnvoll. Im Ergebnis verneinte das Erstgericht ein Mitverschulden des Klägers. Auch wenn im Rahmen von Snowboard-Wettkämpfen das Tragen von Snowboard-Handschuhen fast ausnahmslos von allen Teilnehmern praktiziert werde, habe es sich bei der vorliegenden Veranstaltung doch nicht um einen solchen „Wettkampf" gehandelt. Anhaltspunkte dafür, dass bei einem „Wettbewerb" wie dem hier durchgeführten praktisch alle vernünftigen Teilnehmer mit verstärkten Handschuhen fahren, um dadurch Verletzungen vorzubeugen, lägen nicht vor. Darüber hinaus wäre auch fraglich und nicht hinreichend erwiesen, ob das Tragen von Schutzhandschuhen die Verletzungen verhindert oder zumindest vermindert hätte.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Gemäß § 11 PHG sei das Mitverschulden des Geschädigten nach § 1304 ABGB zu beurteilen. Es bestehe in einer Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern. Bei Unterlassung von Schutzmaßnahmen zur eigenen Sicherheit sei der Vorwurf des Mitverschuldens begründet, wenn sich bereits ein allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise dahin gebildet habe, dass jeder Einsichtige und Vernünftige solche Schutzmaßnahmen anzuwenden pflegt. In der Rechtsprechung werde auf das Erfordernis abgestellt, dass der Geschädigte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Mensch im eigenen Interesse aufgewendet hätte, um sich vor Schaden zu bewahren. Maßgeblich sei die vernünftige und allgemein übliche Verkehrsanschauung. Darüber hinausgehende Sicherungsmaßnahmen würden vom Geschädigten selbst dann nicht erwartet, wenn sie den Schaden vermieden oder geringer gehalten hätten. Wende man diese Grundsätze auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt an, so sei auch ohne Vorliegen eines Wettbewerbs oder Wettkampfs für jeden Teilnehmer eine Sturzgefahr evident, bilde doch das sturzfreie Passieren der Stahlkonstruktion gerade die Schwierigkeit und damit die Herausforderung bei diesem Bewerb. Nach den Feststellungen des Erstgerichts würden bei derartigen Wettbewerben von praktisch allen Teilnehmern Handschuhe getragen. An einem gefestigten Bewusstsein der beteiligten Verkehrskreise, bei Veranstaltungen wie der vorliegenden, Handschuhe zu tragen, könne daher nicht gezweifelt werden. Zweifel an der Kausalität des Mitverschuldens gingen zu Lasten des Geschädigten. Es seien allerdings keine ausreichenden Feststellungen über den genauen Verlauf des Unfalls und zur Frage der Auswirkung von Handschuhen auf Verletzungsfolgen getroffen worden. Im fortgesetzten Verfahren werde gegebenenfalls zu beachten sein, dass dem Geschädigten nicht (?) nur aufgrund des Nichttragens von Handschuhen ein Mitverschulden anzulasten sein werde. Es liege ein dem „Gurten- und Sturzhelm-Mitverschulden" vergleichbarer Sachverhalt vor.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobenen Rekurse des Klägers und der auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenienten sind zulässig und berechtigt.

Zutreffend weisen die Rekurswerber insbesondere darauf hin, dass es sich bei der schließlich unfallkausalen Gefahrenstelle, nämlich dem Spalt zwischen den Metallblechen, um ein für den Kläger unvorhersehbares Risiko gehandelt hat, das er nicht mitbedenken und gegen das er sich auch nicht durch besondere Maßnahmen schützen musste. Auch nach den Feststellungen der Vorinstanzen werden verstärkte Schutzhandschuhe bei Snowboard-Bewerben einerseits zum Schutz vor Verletzungen durch Abrieb im harten Schnee, andererseits als „Schlagschutz" getragen; beim Befahren einer derartigen Stahlkonstruktion ist das Tragen von verstärkten Handschuhen wegen der Gefahr eines Sturzes aus größerer Höhe sinnvoll.

Dient nun aber das Verwenden von (allenfalls besonders verstärkten) Handschuhen - was durchaus lebensnah erscheint - dem Schutz vor bei Ausübung des Snowboard-Sports naheliegenden Gefahren wie Stürzen aus größerer Höhe, vor dem heftigen Aufprall auf hartem Untergrund bzw vor der Berührung von scharfkantigen Schnee- oder Eiskristallen, kann keine Rede davon sein, dass es eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten bedeuten würde, eine solche Maßnahme unterlassen zu haben, durch die „unbeabsichtigt" allenfalls auch Verletzungen durch ganz andere, untypische Ursachen verhindert worden wären. Daher geht auch die Argumentation der Rekursgegner am Problem vorbei, wenn sie meinen, der Kläger hätte Handschuhe auch deshalb tragen müssen, um die Verletzungsgefahr bei einem „geradezu zu erwartenden Sturz auf der Stahlkonstruktion" zu mindern. Der Kläger hat sich seine Verletzung weder durch den Sturz auf die Stahlkonstruktion, noch etwa durch ein Einzwicken der Finger zwischen Snowboard und Stahlkonstruktion zugezogen, sondern durch eine ganz atypische Gefahrenquelle, die von den Beklagten geschaffen worden war (zum „Mitverschuldenszusammenhang" vgl etwa die Nachweise bei Reischauer in Rummel3 II/2a § 1304 ABGB Rz 3). Sie können ihm nun nicht vorwerfen, dagegen keine präventiven Sicherungsmaßnahmen ergriffen zu haben.

Da dem Kläger somit kein Mitverschulden vorzuwerfen ist, ist die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 iVm § 393 Abs 4 ZPO.

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