OGH 12Ns67/08m

OGH12Ns67/08m23.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärter Mag. Metz als Schriftführer in der Strafsache gegen Herbert R***** wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2 StGB im Zuständigkeitsstreit der Landesgerichte für Strafsachen Wien und Graz betreffend das Verfahren 063 Hv 112/08t des Landesgerichts für Strafsachen Wien gemäß § 38 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Das Strafverfahren ist vom Landesgericht für Strafsachen Graz zu führen.

Text

Gründe:

Am 13. August 2008 brachte die Staatsanwaltschaft Graz beim Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien einen Strafantrag gegen Herbert R***** ein (ON 5). Diesem Angeklagten wird zur Last gelegt, am 19. März 2008 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem von der Staatsanwaltschaft Graz abgesondert verfolgten Friedrich Ra***** einen schweren Betrug versucht zu haben. Hinsichtlich dieses Mittäters behängt beim Landesgericht für Strafsachen Graz zu AZ 13 Hv 104/08g ein offenes (Haupt-)Verfahren vor dem Schöffengericht.

Mit Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. August 2008 wurde das Verfahren an das Landesgericht für Strafsachen Graz zur Einbeziehung in das dortige Verfahren AZ 13 Hv 104/08g abgetreten.

Mit Beschluss des Vorsitzenden des Schöffengerichts des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 4. September 2008 erfolgte die Rückabtretung des Aktes an das Landesgericht für Strafsachen Wien mit der Begründung, dass einer Einbeziehung des gegen Herbert R***** geführten Verfahrens in jenes gegen den Angeklagten Friedrich Ra***** „verfahrensökonomische Erwägungen entgegenstehen (Einzelrichter, Schöffengericht, Hv bereits am 4. September)".

Der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien übermittelte daraufhin den Akt im Wege des Oberlandesgerichts Wien dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist festzuhalten, dass die mit dem Strafprozessreformgesetz erfolgte Neuregelung des Vorgehens bei Kompetenzkonflikten in § 38 StPO eine im Vergleich zur alten Rechtslage inhaltliche Änderung brachte. Sie sieht vor, dass bei Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen zwei Gerichten die Entscheidung des gemeinsam übergeordneten Gerichts zu erwirken ist. Bei Gerichten aus verschiedenen Oberlandesgerichtssprengeln kommt im Streitfall somit nunmehr eine unmittelbare Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofs als „gemeinsam übergeordnetes Gericht" zum Tragen; Stellungnahmen der verschiedenen Oberlandesgerichte sind insoweit nicht mehr nötig (vgl 12 Ns 1/08f).

Der im vorliegenden Fall maßgebliche Anknüpfungsgegenstand ist die Herbert R***** und Friedrich Ra***** nach der jeweiligen Anklage vorgeworfene Mittäterschaft. Im Falle gleichzeitiger Anklage ist das Hauptverfahren gegen mehrere beteiligte Personen (§ 12 StGB) vom selben Gericht gemeinsam zu führen (§ 37 Abs 1 erster Satz StPO). Das Gericht, welches für den unmittelbaren Täter zuständig ist, zieht das Verfahren gegen Beteiligte (§ 12 StGB) an sich. Im Fall der Mittäterschaft (also zweier unmittelbarer Täter) greift insoweit die Bestimmung des § 37 Abs 3 erster Halbsatz StPO, wonach Verfahren zu verbinden sind, sofern im Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage gegen einen dieser unmittelbaren Täter bereits ein Hauptverfahren gegen einen anderen Mittäter anhängig ist.

Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere zuständig (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO).

Da im Zeitpunkt der Einbringung des Strafantrags gegen Herbert R***** beim Landesgericht für Strafsachen Wien gegen den unmittelbaren Täter Friedrich Ra***** beim Landesgericht für Strafsachen Graz als Schöffengericht ein Verfahren mit rechtswirksamer Anklage vorlag, war das Landesgericht für Strafsachen Graz auch für die Führung des Verfahrens gegen den Mittäter Herbert R***** zuständig. Die Tatsache, dass das Landesgericht für Strafsachen Graz formal keine Einbeziehung nach § 37 StPO verfügte und allenfalls das gegen Friedrich Ra***** geführte Verfahren in der Zwischenzeit abgeschlossen ist, vermag an der auf Grund des Zusammenhangs im Gesetz vorgegebenen Zuständigkeit nichts zu ändern, läge es doch andernfalls in der Hand des zur Einbeziehung verpflichteten Gerichts, durch die Verweigerung der Einbeziehung eine unberechtigte Verfahrensabtretung und durch eigene rasche Verfahrensführung das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) zu beeinflussen.

Eine Trennung aus Gründen der Verfahrensökonomie nach § 36 Abs 4 StPO (vgl Fabrizy StPO10 § 36 Rz 4) kann eine auf Grund des Zusammenhangs bestehende Zuständigkeit - von den Ausnahmen der Ausscheidung einer allgemeinen strafbaren Handlung durch ein Gericht mit Sonderzuständigkeit oder der Ausscheidung einer vor das Bezirksgericht gehörenden Straftat durch ein Landesgericht abgesehen - nicht verändern. Eine dem § 58 StPO aF gleichstehende Bestimmung ist der nunmehr geltenden StPO fremd, sodass die vom Landesgericht für Strafsachen Graz ohne Einbeziehung gemäß § 37 StPO verfügte Abtretung des Strafverfahrens an das Landesgericht für Strafsachen Wien einer gesetzlichen Basis entbehrt.

Das bislang zum AZ 063 Hv 112/08t des Landesgerichts für Strafsachen Wien geführte Verfahren fällt daher jedenfalls in die Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Graz.

Für den Fall einer noch möglichen Verbindung des Verfahrens gegen Herbert R***** mit jenem gegen Friedrich Ra***** wird allerdings zu beachten sein, dass der zum AZ 063 Hv 112/08t des Landesgerichts für Strafsachen Wien ohne Begründung eingebrachte Strafantrag im schöffengerichtlichen Verfahren den Kriterien des § 211 Abs 2 StPO nicht entspricht. Sofern die Staatsanwaltschaft nicht gemäß § 227 Abs 2 StPO vorgeht, hätte der Vorsitzende des Schöffengerichts - in analoger Anwendung des § 485 Abs 1 Z 2 StPO - diesen Strafantrag mit Beschluss zurückzuweisen.

Andernfalls wäre eine nach Einbeziehung zu verfügende Trennung des Verfahrens aus Zweckmäßigkeitsgründen (§ 36 Abs 4 StPO) vorzunehmen; solcherart könnte dann über den eingebrachten Strafantrag der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz verhandeln.

Stichworte