Spruch:
In der Strafsache AZ 514 Hv 72/06h des Landesgerichts Korneuburg verletzen das Gesetz die Urteile
1. dieses Gerichts vom 15. November 2006 (ON 20) im Umfang des Schuldspruchs Stefan A*****s in § 267 StPO aF iVm § 488 StPO aF;
2. des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. August 2007, AZ 21 Bs 138/07h (ON 32), soweit der Berufung des Angeklagten Stefan A***** wegen Nichtigkeit nicht Folge gegeben wurde, in § 281 Abs 1 Z 8 StPO iVm § 267 StPO aF.
Dieses Urteil des Landesgerichts Korneuburg im Umfang des Schuldspruchs Stefan A*****s und jenes des Oberlandesgerichts Wien im Umfang der teilweisen Bestätigung dieses Schuldspruchs sowie im darauf bezogenen Straf- und Kostenausspruch werden ersatzlos aufgehoben.
Text
Gründe:
In der Strafsache AZ 514 Hv 72/06h des Landesgerichts Korneuburg legte die Staatsanwaltschaft mit - in der Hauptverhandlung modifiziertem (S 228 f/I) - Strafantrag vom 17. August 2006 (ON 13) Stefan A***** zur Last, am 3. Juni 2006 in Laa an der Thaya den Beamten der Militärpolizei Ferdinand F***** durch Schläge und Tritte sowie einen Biss in die rechte Hand, was Prellungen des rechten Mittelfingers, Ringfingers und Kleinfingers und beider Knie sowie Abschürfungen am Ringfinger und Kleinfinger und an beiden Knien und Bissspuren an der rechten Hand zur Folge hatte, mithin einen Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben, am Körper verletzt und dadurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB begangen zu haben.
Mit dem selben Strafantrag wurde Ferdinand F***** das an Stefan A***** begangene Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB vorgeworfen.
Unter einem gab die Anklagebehörde die Erklärung ab (AV-Bogen S 1 c), zur weiteren gerichtlichen Verfolgung des Stefan A***** wegen „§§ 83, 269 StGB" aus dem Grunde des § 269 Abs 4 StGB keinen Grund zu finden (§ 90 Abs 1 StPO aF - Teileinstellung). Über Anfrage des Einzelrichters gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass sich die Teileinstellungserklärung wegen § 83 StGB auf die - somit nicht unter Anklage gestellte - Verletzung des Gerald P***** beziehe, und erklärte weiters, der Tatbestand des § 12 Abs 1 MilStG sei nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar (S 1 c verso bis 1 d).
In der Hauptverhandlung gab der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft aus Anlass der Erörterung einer allfälligen Strafbarkeit A*****s nach § 12 Abs 1 Z 1, Z 2 MilStG keine Stellungnahme ab und verwies auf die schriftliche Erklärung (S 290/I).
Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 15. November 2006 (ON 20) wurde Stefan A***** des Vergehens des Ungehorsams nach § 12 Abs 1 Z 1, Z 2 MilStG schuldig erkannt, weil er am 3. Juni 2006 in Laa an der Thaya einen Befehl nicht befolgte, indem er sich gegen den Befehl des Militärpolizisten Ferdinand F*****, aufzustehen und sein aggressives Verhalten einzustellen, mit beleidigenden Worten wie sinngemäß „schleichts euch" und anderen Schimpfwörtern auflehnte, dabei wild gestikulierte und sich weigerte, eine Überprüfung seiner Alkoholisierung durchführen zu lassen, wobei er trotz Abmahnung im Ungehorsam verharrte.
Vom Anklagevorwurf, Ferdinand F***** vorsätzlich am Körper verletzt zu haben, wurde er gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Ferdinand F***** hingegen wurde wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB verurteilt, wobei er nach Aufhebung dieses Schuldspruchs durch das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 31. August 2007, AZ 21 Bs 138/07h (ON 32), im zweiten Rechtsgang - nunmehr rechtskräftig (ON 44) - neuerlich dieses Vergehens schuldig erkannt wurde (ON 39).
Soweit hier von Bedeutung stellte das Erstgericht fest, dass es am 3. Juni 2006 zwischen dem Militärmusiker Vzlt Stefan A***** und dem Militärpolizisten OStv Ferdinand F***** zu einer Auseinandersetzung kam.
Dem Militärpolizisten oblag während des stattfindenden internationalen Militärmusikertreffens die Überwachung der Einhaltung sämtlicher Vorschriften, die das Verhalten von Soldaten, insbesondere auch im Zusammenhang mit dem nur bei einer bewilligten Ausnahme nicht geltenden Alkoholverbot während des Dienstes, regeln. In dieser Funktion war er gegenüber sämtlichen Soldaten ungeachtet deren Ranges anordnungsbefugt
F***** sah A***** Bier trinken und versuchte über dessen Kommandanten Abhilfe zu erlangen. Als dies fehlschlug, wandte sich der Militärpolizist direkt an den Militärmusiker, der sofort aggressiv ablehnend reagierte. F***** forderte A***** auf, sein aggressives Verhalten einzustellen und einen Alkomattest durchzuführen.
Der Vizeleutnant lehnte sich gegen die Anordnung auf, indem er den Befehlsgeber beschimpfte, wild mit den Armen gestikulierte und sinngemäß sagte: „Ich stehe sicher nicht auf, wenn du mich angreifst, hau ich dir eine runter". Zu diesem Zeitpunkt setzte A***** noch keine Tätlichkeiten gegen den Offizierstellvertreter. Trotz Abmahnung und Androhung der Festnahme machte A***** deutlich, an eine Befolgung des Befehles nicht zu denken.
In weiterer Folge sprach F***** die Festnahme A*****s aus, deren Vornahme zu einem Gerangel ohne Verletzungsfolgen führte.
Schließlich verlor der Militärpolizist F***** die Selbstbeherrschung und prügelte auf A***** ein, der sich dagegen mit Schlägen, Tritten und einem Biss wehrte. In dieser Phase fügten einander die Kontrahenten wechselseitig Verletzungen zu.
Während der Einzelrichter dem Stefan A***** hiezu Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB) zubilligte und aus diesem Grund zu einem Teilfreispruch gelangte (US 18 zweiter Absatz), verurteilte er ihn - wie bereits angeführt - wegen des Vergehens des Ungehorsams nach § 12 Abs 1 Z 1 und 2 MilStG.
Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht gab mit Urteil vom 31. August 2007, AZ 21 Bs 138/07h (ON 32), der Berufung Stefan A*****s wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO) teilweise Folge, hob den Schuldspruch in der Wortfolge „wobei er trotz Abmahnung im Ungehorsam verharrte" und demgemäß in der rechtlichen Unterstellung der Tat als Vergehen des Ungehorsams (auch) nach § 12 Abs 1 Z 2 MilStG sowie im Strafausspruch auf, bestätigte jedoch die wegen § 12 Abs 1 Z 1 MilStG ergangene Verurteilung.
Den Gründen zufolge sei „Verharren im Ungehorsam" im Sinne der Z 2 des § 12 Abs 1 MilStG als Vorwurf einer Unterlassung zu werten und beinhalte daher - im Unterschied zum Auflehnen im Sinne der Z 1 des § 12 Abs 1 MilStG (Berufungsurteil S 13) - nicht den gleichen Lebenssachverhalt oder strafgesetzwidrigen Erfolg, sodass diesbezüglich eine Anklageüberschreitung vorliege (Berufungsurteil S 14 zweiter Absatz).
Rechtliche Beurteilung
Die Generalprokuratur macht in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend, dass das Urteil des Landesgerichts Korneuburg im Umfang des Schuldspruchs von Stefan A***** gegen § 267 StPO aF iVm § 488 StPO aF und das Urteil des Oberlandesgerichts Wien im Umfang der Bestätigung des nach § 12 Abs 1 Z 1 MilStG ergangenen Schuldspruchs gegen § 281 Abs 1 Z 8 StPO iVm § 267 StPO aF verstößt.
Gegenstand einer Anklage ist immer ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis, nämlich die Beteiligung eines Menschen an einem bestimmten Vorfall, die nach Ansicht des Anklägers einen strafbaren Erfolg herbeiführen sollte oder herbeiführte oder sonst ein Tatbild erfüllt. Die Tat und nicht ihre Qualifikation durch den Ankläger ist Gegenstand der Anklage, wobei Anklagesatz und Begründung der Anklageschrift ein einheitliches Ganzes bilden.
Das Gericht ist an die rechtliche Beurteilung der Tat durch den Ankläger nicht gebunden und verpflichtet, den der Anklage zugrunde liegenden Sachverhalt auch dahin zu prüfen, ob er nicht etwa einen anderen Tatbestand verwirklicht. Allerdings muss die Identität des angeklagten und des verurteilten Sachverhalts gewahrt bleiben (Fabrizy, StPO10 § 262 Rz 1).
Allgemeine Mindestvoraussetzungen zur inhaltlichen Bejahung oder Verneinung der Identität von Anklage- und Urteilsgegenstand lassen sich nur typischerweise angeben, nicht aber begriffslogisch fassen. Zu sehr kommt es auf die faktischen Umstände des Einzelfalls unter dem Aspekt eines fairen, die Interessen von Anklage und Verteidigung sichernden Verfahrens an. Mehr oder minder relevant sind Zeit, Ort und Gegenstand der Tat, die Bezeichnung von Tatopfern sowie der vom Täter ins Auge gefasste strafgesetzwidrige Erfolg (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 512).
Vorliegend wurde Stefan A***** ausschließlich die vorsätzliche Verletzung Ferdinand F*****s vorgeworfen, wobei die Staatsanwaltschaft seine Verfolgung wegen Ungehorsams ausdrücklich ablehnte. Somit wurde nur jene spätere Konfliktphase unter Anklage gestellt, in welcher F***** Verletzungen erlitten hatte, nicht aber die zu Beginn der Auseinandersetzung erfolgte Befehlsverweigerung. Nur das damit real konkurrierende gewaltsame Vorgehen A*****s gegen den Militärpolizisten bildete den Gegenstand der Anklage, in dessen tatsächlicher und rechtlicher Beurteilung das Gericht frei war. Diese Anklage hat der Einzelrichter auf die Weise erledigt, dass er Stefan A***** vom Vorwurf der Körperverletzung freisprach.
Wohl kann ein unter Anklage gestelltes Gesamtgeschehen (zum prozessualen Tatbegriff s Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 19 f, ders, WK-StPO § 281 Rz 502 ff) auch mehreren Taten im materiellen Sinn entsprechen (Lendl, WK-StPO Vorbem zu §§ 259, 260 Rz 5 f mwN), hinsichtlich derer die Anklage unterschiedlich erledigt werden kann, doch erstreckt sich das vom Gericht zu beurteilende historische Geschehen ausschließlich auf den angeklagten Lebenssachverhalt. Nur dieser ist Prozessgegenstand.
Die Erklärung der Staatsanwaltschaft, wonach angesichts der „Angaben des unbeteiligten Zeugen F***** S 57 über die ansatzlosen und nicht verhältnismäßigen Tätlichkeiten des F*****, denen ein Befehl des F***** oder P***** nicht zu entnehmen ist", der „Tatbestand des § 12 Abs 2 MilStG nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar ist" (S 1 c verso, 1 d), spricht nicht erst die rechtliche Beurteilung, sondern schon die Sachverhaltsebene im ersten Abschnitt des Geschehens an, stellt also nicht etwa eine bloße - unwirksame - Subsumtionseinstellung (in Ansehung einer von mehreren ideell konkurrierenden strafbaren Handlungen) dar (wie in 15 Os 5/05g), sondern bringt fallbezogen klar genug zum Ausdruck, dass die Staatsanwaltschaft keinen Verfolgungswillen dahin hatte, einen Befehlserteilung und -verweigerung betreffenden Sachverhaltsteil zum Prozessgegenstand zu machen. Der Ankläger hatte demnach - zulässig und somit beachtlich - in Hinsicht auf eine real konkurrierende Tat (im materiellen Sinn) auf die Verfolgung verzichtet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 504; Schroll, WK-StPO § 34 Rz 46; s auch JBl 2006, 291 ff und JBl 2006, 336 f).
Da das vom Erstgericht rechtlich als Vergehen des Ungehorsams nach § 12 Abs 1 Z 1, Z 2 MilStG beurteilte Verhalten des Stefan A***** vom gegenständlichen Anklagevorwurf nicht umfasst war, hätte das Erstgericht nicht wegen dieses Verhaltens verurteilen dürfen. Das Berufungsgericht wiederum hätte wegen Überschreitung der Anklage (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO) den Schuldspruch des Genannten nicht nur hinsichtlich § 12 Abs 1 Z 2 MilStG, sondern auch hinsichtlich § 12 Abs 1 Z 1 MilStG aufheben müssen.
Die Rechtsfehler wirkten sich zum Nachteil des Verurteilten aus. In Ausübung des ihm gemäß § 292 letzter Satz StPO zustehenden Ermessens sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, wie aus dem Spruch ersichtlich kassatorisch vorzugehen.
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