OGH 1Ob135/08x

OGH1Ob135/08x16.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter B*****, vertreten durch Dr. Robert Zauchinger, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagten Parteien 1.) Ing. Josef B***** und 2.) Gerda B*****, vertreten durch Prunbauer Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 4. März 2008, GZ 22 R 64/07b‑19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Korneuburg vom 24. Juli 2007, GZ 2 C 481/06h‑15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.324,16 EUR (darin 192,50 EUR an Barauslagen und 188,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten sind seit 1988 Mieter eines Hauses, an dem der Kläger im Jahr 2006 im Erbweg Eigentum erworben hat. Der Kläger bewohnt seit rund 6 Jahren eine Gemeindewohnung in Wien, für die er seither auch den vorgeschriebenen Mietzins zahlt. Andere Wohnmöglichkeiten stehen ihm derzeit nicht zur Verfügung. (Mit‑)Mieter dieser Gemeindewohnung sind die Mutter und ein Halbbruder des Klägers. Die Mutter bewohnte diese Wohnung bereits zum Zeitpunkt des Einzugs des Klägers nicht mehr; sie hat auch keine Absicht, jemals zurückzukehren, zumal sie nach einem Schlaganfall pflegebedürftig ist. Der Halbbruder ist bereits vor rund 20 Jahren aus der Wohnung ausgezogen und hat ebenfalls keine Absicht, jemals in diese Wohnung zurückzukehren. Er hat nichts dagegen, dass der Kläger in der Gemeindewohnung wohnt und ist auch bereit, zu dessen Gunsten auf seine Mietrechte zu verzichten.

Aufgrund eines Beschlusses des Stadtrats ermöglicht die Stadt Wien für die von ihr vermieteten Gemeindewohnungen eine „erweiterte Wohnungsweitergabe" unter nahen Angehörigen auch ohne Vorliegen der im MRG festgelegten Voraussetzung eines gemeinsamen Haushalts. Nach den internen Richtlinien der Stadt werden an Personen, die Eigentümer von Häusern bzw Wohnungen im Umkreis von 100 bis 150 km sind, keine Gemeindewohnungen vergeben. Anfang 2006 sprach die Mutter des Klägers bei der Gemeinde vor, um die Abtretung ihrer Mietrechte an den Kläger bekannt zu geben. Ihr wurde mitgeteilt, dass eine Zustimmungserklärung des zweiten Hauptmieters erforderlich sei. Da zwischen den Halbbrüdern jedoch kein gutes Verhältnis herrscht, bemühte sich der Kläger nicht um die Zustimmung seines Halbbruders zu einer Abtretung der Mietrechte.

Mit gerichtlicher Aufkündigung vom 22. 12. 2006 kündigte er den Mietvertrag der Beklagten auf, wobei er dringenden Eigenbedarf geltend machte. Er habe bisher in der Gemeindewohnung seiner Mutter gewohnt, welche nach dem Tod des Vaters nunmehr einen Wohnungswechsel vornehme und die Gemeindewohnung aufgebe. Ein selbstverschuldeter Eigenbedarf liege nicht vor, weil er sich darum bemüht habe, die Weitergabe der Gemeindewohnung zu erreichen. Dies scheitere jedoch daran, dass sein Halbbruder die Zustimmung zur Weitergabe nicht erteile. Dem Kläger sei es nicht zumutbar, in einer derart unsicheren Wohnsituation zu verharren. Zuletzt brachte der Kläger noch vor, die Frage der Zustimmung seines Halbbruders zur Übertragung der Hauptmietrechte sei rechtlich nicht relevant. Eine Aufkündigung der Mietrechte seitens der Gemeinde stünde unmittelbar bevor.

Die Beklagten wandten im Wesentlichen ein, es liege ein selbstverschuldeter Eigenbedarf des Klägers vor, der die Geltendmachung des Kündigungsgrunds nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG hindere, sofern der Kläger nicht ohnehin ein gesetzliches Eintrittsrecht in die Mietrechte seiner Mutter habe. Ein Kündigungsverfahren sei im Hinblick auf die von ihm bewohnte Gemeindewohnung nicht anhängig. Es liege auch kein Kündigungsgrund für die Kündigung der Gemeindewohnung vor.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab, wobei es von den eingangs wiedergegebenen Tatsachenfeststellungen ausging. Nach § 12 Abs 1 MRG dürfe der Hauptmieter einer Wohnung, der diese verlässt, seine Hauptmietrechte seinem Ehegatten oder Verwandten in gerader Linie einschließlich der Wahlkinder oder Geschwister abtreten, falls diese eine bestimmte Zeit lang mit dem Hauptmieter im gemeinsamen Haushalt in der Wohnung gewohnt haben. Die Stadt Wien ermögliche für die von ihr vermieteten Gemeindewohnungen eine „erweiterte Wohnungsweitergabe" unter nahen Angehörigen auch ohne Vorliegen der im MRG festgelegten Voraussetzung eines gemeinsamen Haushalts. Die Wirksamkeit der Mietrechtsabtretung setze somit lediglich voraus, dass der bisherige Hauptmieter die Wohnung verlässt und eine ‑ zumindest konkludente - Willensübereinstimmung zwischen dem Mieter und dessen Angehörigen hinsichtlich des Übergangs der Mietrechte auf den Angehörigen bestehe bzw dieser die Wohnung zur künftigen Alleinbenützung übernehme. Der Kläger sei als Sohn bzw Halbbruder der bisherigen Hauptmieter somit „hinsichtlich der Mietrechte an der Gemeindewohnung" eintrittsberechtigt. Zwischen ihm und seiner Mutter habe es eine ausdrückliche Willensübereinstimmung gegeben. Der Halbbruder habe einer Übernahme der Mietrechte dadurch konkludent zugestimmt, dass er keine Schritte unternommen habe, um einen Auszug des Klägers zu erwirken. Er habe auch im Laufe des Verfahrens sein ausdrückliches Einverständnis zu einer Übernahme der Mietrechte erteilt. Dass der Halbbruder des Klägers seine Zustimmungserklärung bislang gegenüber der Vermieterin nicht abgegeben habe, bewirke nur, dass die bisherigen Hauptmieter weiter für allfällige Mietzinsrückstände hafteten. Da kein Fall einer Neuvergabe einer Gemeindewohnung vorliege, kämen die internen Richtlinien, wonach an Personen, die Eigentümer von Häusern bzw Wohnungen im Umkreis von 100 bis 150 km sind, keine Gemeindewohnungen vergeben werden, nicht zum Tragen. Die im § 12 MRG geregelte Abtretung der Hauptmietrechte sei eine volle Vertragsübernahme, die der Vermieter bei Vorliegen der Voraussetzungen hinnehmen müsse. Da der Kläger somit ausreichend wohnversorgt sei, liege kein dringender Eigenbedarf im Sinne des § 30 Abs 2 Z 8 MRG vor.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es die Aufkündigung für rechtswirksam erklärte und die Beklagten zur Räumung des Hauses verpflichtete. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Voraussetzungen des § 12 MRG lägen schon deshalb nicht vor, weil der Kläger mit den Hauptmietern der Wohnung niemals im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Dass diese Voraussetzung im Hinblick auf die von der Stadt Wien für die von ihr vermieteten Gemeindewohnungen ermöglichte erweiterte Wohnungsweitergabe unter nahen Angehörigen nicht vorliegen müsse, weshalb dem Kläger ein Rechtsanspruch auf die Abtretung der Rechte an dieser Wohnung zustehe, lasse sich aus dem Verfahren, insbesondere auch aus der vom Erstgericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Urkunden keinesfalls entnehmen. Diese verneine nämlich ausdrücklich das Vorliegen eines Rechtsanspruchs auf die Gewährung der erweiterten Wohnungsweitergabe. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Stadt Wien eingeräumte Weitergabemöglichkeit ein vertraglich vereinbartes Weitergaberecht darstelle, das dem Kläger bei Vorliegen der Voraussetzungen ein unbedingtes Recht der Vertragsübernahme sichere. Für die Beurteilung des Vorliegens eines Kündigungsgrunds komme es allein auf den Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an den Kündigungsgegner an. Es habe nicht festgestellt werden können, dass eine Zustimmung des Halbbruders des Klägers zur Übernahme der Mietrechte zum Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung bereits - sei es auch nur konkludent ‑ bestanden habe. Die neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs erachte eine Erleichterung der Eigenbedarfskündigung gemäß § 30 Abs 2 Z 8 MRG für geboten. Da dem Kläger derzeit keine weitere Wohnmöglichkeit zustehe und er den Eintritt in die Mietrechte an der Gemeindewohnung nicht erzwingen könne, sei der dringende Eigenbedarf zu bejahen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Die Beklagten haben der Behauptung des Klägers, es bestünde dringender Eigenbedarf am vermieteten Haus im Sinne des § 30 Abs 2 Z 8 MRG, weil er über keine gesicherte Wohnmöglichkeit verfüge, einerseits ein (vermeintliches) Eintrittsrecht in die Mietrechte an der Gemeindewohnung und andererseits einen allenfalls selbstverschuldeten Eigenbedarf entgegen gehalten, der im Verhältnis zu ihnen unbeachtlich sei. Da ein Eintrittsrecht des Klägers ersichtlich nicht besteht, beschränken sich die Revisionswerber auch auf Rechtsausführungen zum Verschulden des Klägers an seiner derzeitigen rechtlich ungesicherten Wohnsituation, die sich nach Auffassung des erkennenden Senats im Ergebnis als zutreffend erweisen.

In Lehre und Judikatur ist unbestritten, dass eine Eigenbedarfskündigung dann nicht in Betracht kommt, wenn zwar ein Eigenbedarf des Vermieters objektiv besteht, dieser jedoch durch zumutbare Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten hätte verhindert werden können (vgl nur RIS‑Justiz RS0107875, RS0070602 ua).

Im vorliegenden Fall haben die Beklagten unter Vorlage einer Mitteilung der Stadt Wien über die „erweiterte Wohnungsweitergabe" vorgebracht, dass der Kläger die Mietrechte an der Gemeindewohnung hätte erwerben können, wenn er sich darum bemüht hätte. Der Kläger hat dem (tatsachenwidrig) entgegengehalten, dass sein Halbbruder als Mitmieter der Wohnung seine Zustimmung zur Weitergabe nicht erteile, und - ebenso tatsachenwidrig - behauptet, er habe bisher mit seiner Mutter in der Gemeindewohnung gewohnt, welche nunmehr einen Wohnungswechsel vornehme und die Gemeindewohnung aufgebe.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ermöglicht die Stadt Wien für die von ihr vermieteten Gemeindewohnungen eine Abtretung der Mietrechte an nahe Angehörige auch ohne das Erfordernis eines vorhergehenden gemeinsamen Haushalts. Die Mutter des Klägers hat gemeinsam mit diesem auch bei der Gemeinde vorgesprochen und dort die Antwort erhalten, dass ohne Zustimmungserklärung des zweiten Hauptmieters eine solche Abtretung nicht akzeptiert werde. Der Halbbruder hätte eine solche Zustimmung ohne weiteres erklärt, zumal er kein Interesse an der Wohnung mehr hatte. Der Kläger hat es jedoch unterlassen, mit ihm diesbezüglich Kontakt aufzunehmen. Unter diesen Umständen kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass der Kläger einen allfälligen Eigenbedarf selbst verschuldet hat. Hätte er seinen Halbbruder um die Zustimmung ersucht, wäre der von seiner Mutter ins Auge gefassten Abtretung der Mietrechte an ihn nichts im Wege gestanden.

Wenn das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang in Frage stellt, ob der Kläger einen Rechtsanspruch auf Erlangung der Mietrechte gegenüber der Vermieterin gehabt hätte und dabei auf eine Beweisurkunde hinweist, ist festzuhalten, dass es insoweit weder Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts noch ein entsprechendes Prozessvorbringen des Klägers gibt, sodass sich diese Erwägungen als überschießend und damit unbeachtlich darstellen. Nur der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass in dieser Urkunde im Zusammenhang mit dem fehlenden Rechtsanspruch nur ganz besonders extreme Konstellationen erwähnt werden - wie etwa ein geplanter Abbruch oder eine erforderliche Sanierung der Wohnhausanlage oder mietrechtliche Bedenken wie Mietzinsrückstand oder ein Kündigungs- oder Räumungsverfahren -, wovon im vorliegenden Fall keine Rede sein kann. Darüber hinaus ist bei der Beurteilung des hypothetischen Kausalverlaufs nicht entscheidend, ob ein Rechtsanspruch bestanden hätte, sondern ob der Kläger bei sorgfältigem Vorgehen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die Hauptmietrechte an der Wohnung durch die von seiner Mutter mit Zustimmung seines Halbbruders erklärte Abtretung erlangt hätte.

Dagegen bestehen - wie bereits dargelegt - unter Zugrundelegung der erstgerichtlichen Feststellungen keine Bedenken. Soweit sich der Revisionsgegner auf die „Umkreisklausel" beruft, ist ihm entgegenzuhalten, dass er dazu in erster Instanz kein Vorbringen erstattet hat. Darüber hinaus hat schon das Erstgericht unter Hinweis auf den Wortlaut zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Regelung lediglich die (erste) Vergabe von Gemeindewohnungen zum Gegenstand hat, nicht aber auf jene Fälle erstreckt werden kann, in denen Mietrechte im Rahmen der „erweiterten Wohnungsweitergabe" an einen Angehörigen abgetreten werden sollen, der im genannten Umkreis über eine - noch dazu vermietete - Liegenschaft verfügt. Umstände, die ein anderes Verständnis dieser Regelung nahelegen könnten, hätte der Kläger bereits im Verfahren erster Instanz vorbringen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bemessungsgrundlage für die Pauschalgebühr nur 694 EUR beträgt (§ 16 Abs 1 Z 1 lit b GGG).

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