OGH 2Ob55/08i

OGH2Ob55/08i26.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Karin Maria H***** (4 C 1633/06w, führend), Dietmar H***** (20 C 719/06a), Daniela H***** (8 C 1035/06h) und Michael H***** (7 C 866/06y), *****, alle vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1.) Saadettin A*****, 2.) Yurdanur A*****, 3.) U***** AG, *****, alle vertreten durch Dr. Stefan Denifl, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen je 5.000 EUR sA über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2007, GZ 4 R 261/07y-14, womit das Urteil des Bezirksgerichts Feldkirch vom 27. August 2007, GZ 4 C 1633/06w-10 (7 C 866/06y, 8 C 1035/06h, 20 C 719/06a), bestätigt wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

1. Der Revision wird in den Verfahren 4 C 1633/06w (Karin Maria H*****) und 20 C 719/06a (Dietmar H*****) teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich der bereits rechtskräftigen Teile folgendermaßen zu lauten haben:

a) im Verfahren 4 C 1633/06w (Karin Maria H*****

„Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin 5.000 EUR samt 4 % Zinsen aus 20.000 EUR vom 13. April 2006 bis 30. Juni 2006, aus 10.000 EUR vom 1. Juli 2006 bis 7. August 2006 sowie aus 5.000 EUR seit 8. August 2006 sowie die mit 1.840,23 EUR (darin 257,44 EUR USt und 295,60 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit 713,85 EUR (darin 80,06 EUR USt und 233,50 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit 765,47 EUR (darin 64,31 EUR USt und 379,60 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

b) im Verfahren 20 C 719/06a (Dietmar H*****

„Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger 5.000 EUR samt 4 % Zinsen aus 20.000 EUR vom 13. April 2006 bis 30. Juni 2006, aus 10.000 EUR vom 1. Juli 2006 bis 7. August 2006 sowie aus 5.000 EUR seit 8. August 2006 sowie die mit 1.840,23 EUR (darin 257,44 EUR USt und 295,60 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit 713,85 EUR (darin 80,06 EUR USt und 233,50 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit 765,47 EUR (darin 64,31 EUR USt und 379,60 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Die Revision wird in den Verfahren 8 C 1035/06h (Daniela H*****) und 7 C 866/06y (Michael H*****) zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 15. Oktober 2005 wurde die damals 19-jährige Elke H***** bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt; sie starb zehn Tage nach dem Unfall an den beim Unfall erlittenen Verletzungen im Spital. Der Unfall wurde durch den Erstbeklagten als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKWs grob fahrlässig verschuldet. Die Kläger in den verbundenen Verfahren sind die Eltern (4 C 1633/06w und 20 C 719/06a), die um ein Jahr ältere Schwester (8 C 1035/06h) sowie der um ein Jahr jüngere Bruder (7 C 866/06y) der verstorbenen Elke H*****. Die Kläger hatten jeweils von der Geburt der Kinder bis zum Unfall mit Elke H***** im gemeinsamen Haushalt gelebt und - zusammengefasst - ein überaus harmonisches Familienleben geführt. Die Kläger schafften es, die belastende Situation um den Tod Elke H*****s ohne wesentliche physische oder psychische Erkrankungen und ohne Inanspruchnahme nennenswerter ärztlicher Hilfe zu überwinden.

Die Beklagten bezahlten jedem Kläger aus diesem Unfall vor Klagseinbringung ein Trauerschmerzengeld von 15.000 EUR.

Mit ihren Klagen begehren die Kläger ein weiteres Trauerschmerzengeld von je 5.000 EUR mit der Begründung, angesichts der vor dem Tod von Elke H***** bestanden habenden intensiven Gefühlsbeziehung der Kläger mit der Verstorbenen sei ein Trauerschmerzengeld von je 20.000 EUR angemessen.

Die Beklagte bestritt und brachte im Wesentlichen vor, über die geleisteten Zahlungen hinaus stehe den Klägern kein weiteres Schmerzengeld mehr zu.

Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren - abgesehen von einem geringfügigen Zinsenzuspruch - ab. Von einer psychischen Erkrankung der Kläger als Folge des Unfalls bzw von seelischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert könne nicht ausgegangen werden. Angesichts der vorliegenden oberstgerichtlichen Judikatur der letzten Jahre liege das von den Beklagten gezahlte Trauerschmerzengeld von je 15.000 EUR durchaus im Rahmen, sodass ein zusätzlicher Anspruch der Kläger zu verneinen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge und kam ebenso wie das Erstgericht zum Ergebnis, dass bei der vorliegenden oberstgerichtlichen Rechtsprechung im vorliegenden Fall ein Anspruch der Kläger auf ein höheres Trauerschmerzengeld als 15.000 EUR zu verneinen sei.

Erst über diesbezüglichen Antrag der Kläger gemäß § 508 ZPO ließ das Berufungsgericht nachträglich die Revision zu, wobei es sich den in der Folge abzuhandelnden Argumenten der Revisionswerber anschloss.

In ihrer Revision beantragen die Kläger, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer gänzlichen Klagsstattgebung abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision in den Verfahren 4 C 1633/06w (Karin Maria H*****) und 20 C 719/06a (Dietmar H*****) ist wegen Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zulässig und teilweise berechtigt; die Revision in den Verfahren 8 C 1035/06h (Daniela H*****) und 7 C 866/06y (Michael H*****) ist hingegen unzulässig.

Die Kläger und das Berufungsgericht relevieren als vermeintliche erhebliche Rechtsfragen: Der Oberste Gerichtshof habe sich bislang zur Höhe des Trauerschmerzengelds von Geschwistern eines haushaltszugehörigen Getöteten noch nicht geäußert. Es liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vor, in welcher Höhe Trauerschmerzengeld den Eltern zuzusprechen sei, die ein haushaltszugehöriges Kind im Jugendalter (bei Volljährigkeit) verloren haben. Das Berufungsgericht weiche bei der Berücksichtigung der Kriterien zur Bemessung des Trauerschmerzengelds von der Entscheidung 2 Ob 263/06z ab. Es liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vor, inwiefern der Umstand, dass der „Verletzte" (gemeint: Hinterbliebene) bei nahen Angehörigen durch „engen familiären Zusammenhalt" Trost und Betreuung finde, eine Minderung des Trauerschmerzengelds rechtfertige. Schließlich habe sich der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein mehrtägiger Aufenthalt des Unfallopfers auf der Intensivstation bis zu dessen Tod, somit die mehrtägige Unsicherheit der Angehörigen und der damit zusammenhängende Seelenschmerz beim Anblick des schwerstverletzten Angehörigen im Zusammenhang mit dem daraufhin eintretenden Tod, ein weiteres objektives (erhöhendes) Kriterium bei der Bemessung des Trauerschmerzengelds darstelle.

Damit zeigen die Kläger und das Berufungsgericht an sich keine erheblichen Rechtsfragen gemäß § 502 Abs 1 ZPO auf:

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist für die Bemessung der Anspruchshöhe von Trauerschmerzengeld auf die Intensität der familiären Bindung abzustellen (RIS-Justiz RS0031111 [T9, 19]; RS0115189 [T11]).

Die weiteren in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (beispielsweise) genannten Kriterien wie das Alter von Unfallopfer und Angehörigen oder das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft (vgl RIS-Justiz RS0031111 [T9, T19]; RS0115189 [T11]) sind dabei bloß Hilfstatsachen, also Indizien, aus denen in der Regel auf die im Einzelfall nur schwer beweisbare Intensität der Gefühlsgemeinschaft geschlossen werden kann. Dabei ist das Trauerschmerzengeld zu bemessen, und nicht (etwa nach der Anzahl der gemeinsam verbrachten Jahre oder nach dem Alter von Opfer und Angehörigen) zu berechnen. Diese Bemessung kann unter Zuhilfenahme der genannten Indizien jeweils nur im Einzelfall vorgenommen werden; sie entzieht sich einer generalisierenden Betrachtungsweise. Die auf die Gewichtung dieser einzelnen Hilfstatsachen zur Bemessung des Trauerschmerzengelds abstellenden Fragen der Revisionswerber und des Berufungsgerichts sind daher nicht erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO.

Soweit vorgebracht wird, der Oberste Gerichtshof habe sich bisher zur Höhe des Trauerschmerzengelds von Geschwistern eines haushaltszugehörigen Getöteten noch nicht geäußert, ist zu erwidern: Aus der von den Revisionswerbern selbst zitierten Entscheidung 2 Ob 90/05g geht hervor, dass Geschwistern eines Getöteten bei entsprechender Intensität der Gefühlsbeziehung auch dann ein Trauerschmerzengeldanspruch zustehen kann, wenn keine Haushaltsgemeinschaft zwischen ihnen bestanden hat. Umso eher wird ein solcher Trauerschmerzengeldanspruch bestehen, wenn es zwischen Geschwistern eine Haushaltsgemeinschaft gegeben hat. Auch die Frage, inwiefern die zur Bewältigung der Trauer förderliche Anwesenheit anderer Angehöriger einen Einfluss auf die Höhe des Trauerschmerzengelds hat, kann nur im Einzelfall entschieden werden. In diesem Zusammenhang ist aber auf die Entscheidung 2 Ob 135/07b = RIS-Justiz RS0031111 [T20] hinzuweisen, in der der Oberste Gerichtshof das Fehlen eines familiären Rückhalts in der verbliebenen Kernfamilie berücksichtigt hat.

Schließlich ist auch die Frage, ob ein mehrtägiger Aufenthalt des Unfallopfers auf der Intensivstation bis zu dessen Tod einen Einfluss auf die Höhe des Trauerschmerzengelds hat, im Einzelfall danach zu lösen, ob diese Situation zu einer Erhöhung des Seelenschmerzes geführt hat.

Entgegen der Meinung der Revisionswerber ist der (im vorliegenden Fall sehr hohe) Verschuldensgrad des Schädigers für die Bemessung der Höhe des Trauerschmerzengelds nicht ausschlaggebend. Das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers ist vielmehr im Sinn der nunmehr ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs überhaupt erst Voraussetzung für die Zuerkennung eines Trauerschmerzengelds an nahe Angehörige, wenn der Seelenschmerz - wie hier - zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung im Sinn des § 1325 ABGB geführt hat (RIS-Justiz RS0115189; RS0115190).

Geht das Berufungsgericht bei der Prüfung der Berechtigung des begehrten Schmerzengelds von den nach dem Gesetz zu berücksichtigenden Umständen - wie hier - aus, so handelt es sich bei dessen Ausmessung selbst um einen Einzelfall, auf den die Kriterien des § 502 Abs 1 ZPO nicht zutreffen (RIS-Justiz RS0042887 [T1]; vgl auch RS0031075). Nur im Fall einer eklatanten Fehlbemessung ist eine Revision dennoch ausnahmsweise zulässig (RIS-Justiz RS0042887 [T5, T6]).

Das Berufungsgericht hat - wie auch schon das Erstgericht - unter Zitierung mehrerer einschlägiger Entscheidungen (2 Ob 141/04f; 2 Ob 90/05g; 2 Ob 263/06z; 2 Ob 212/04x) ausführlich argumentiert, warum im vorliegenden Fall das von den Beklagten bezahlte Schmerzengeld von 15.000 EUR pro Kläger angemessen sei.

Zu 1. In Anbetracht der Eltern der Verstorbenen ist der erkennende Senat der Ansicht, dass das Trauerschmerzengeld mit je 15.000 EUR doch zu niedrig bemessen wurde, was im Rahmen der Leitfunktion des Obersten Gerichtshofs ausnahmsweise wahrzunehmen ist. Schon in der Entscheidung 2 Ob 263/06z hat der Senat in einem vergleichbaren Fall (Trauerschmerzengeldanspruch der Eltern eines bis zum Unfall haushaltszugehörigen, getöteten Kindes) ausgesprochen, ein Trauerschmerzengeld von 20.000 EUR je Elternteil sei nicht überhöht. Daran ist auch im vorliegenden Fall festzuhalten.

Der Revision der Eltern war somit Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung für das Verfahren erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO. Ab der Verbindung der Verfahren steht jedem Kläger anteilig nur ein Viertel der verzeichneten Kosten zu. Die verzeichneten vorprozessualen Kosten sind gemäß § 23 Abs 4 RATG im Einheitssatz gedeckt. Die Kosten der Privatbeteiligung im Strafverfahren des Erstbeklagten sind nicht ersatzfähig, weil den Klägern der dort begehrte Betrag von je 100 EUR im Strafverfahren zugesprochen wurde und daher die Voraussetzungen für einen Kostenersatz im Zivilverfahren gemäß § 393 Abs 5 StPO nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung für die Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO, wobei jeder Kläger nur anteilig Anspruch auf ein Viertel der verzeichneten Kosten hat.

Zu 2. In Anbetracht der Geschwister der Verstorbenen liegt hingegen eine solche zu niedrige Fehlbemessung nicht vor (vgl etwa 2 Ob 90/05g).

Die unzulässige Revision der Geschwister war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen.

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