OGH 10ObS29/08z

OGH10ObS29/08z10.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Maggale (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Adelheid H*****, vertreten durch Mag. Markus Hager, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2007, GZ 11 Rs 130/07b-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Juli 2007, GZ 30 Cgs 243/05h-26, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 25. 5. 2005 lehnte die beklagte Partei den Antrag der 1955 geborenen Klägerin auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin, die Beklagte zur Gewährung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 4. 2005 zu verpflichten. Aufgrund ihrer Gesundheitsstörungen sei sie nicht mehr in der Lage, eine am Arbeitsmarkt bewertete Tätigkeit auszuüben.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin könne noch immer ständig leichte Arbeiten in uneingeschränkter, abwechselnder Körperhaltung verrichten. Es gäbe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Reihe von Beschäftigungen, die sie ausführen könne.

Das Erstgericht wies auch im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren ab und stellte fest:

Die Klägerin ist aufgrund ihrer Leiden nur noch in der Lage, leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen zu verrichten. Extremhaltungen des Rumpfes und des Nackens sowie Arbeiten mit langandauernden stereotypen Handbewegungen mit entsprechender Belastung der Gelenksregionen sind ihr nicht mehr zumutbar. Eine Beeinträchtigung der Feinmotorik besteht nicht. Ihr ist nur noch eine 20 Stunden Woche zumutbar. Auch bei dieser Halbtagstätigkeit muss sie eine 20-minütige Arbeitspause einhalten. Diese Pause kann sie einarbeiten. Exposition gegenüber Kälte und Nässe muss gemieden werden. Extreme Exposition gegenüber Hitze, Staub, Rauch und Gas soll vermieden werden. Arbeiten unter häufig erhöhtem Zeitdruck, Akkord-, Nacht-, und Schichtarbeit sind ihr nicht mehr möglich. Intensiver Parteien- und Kundenverkehr sowie Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an Eigeninitiative und Eigenverantwortung können nicht mehr durchgeführt werden. Die Klägerin kann Lasten bis 10 kg heben und Lasten bis 5 kg tragen. Auf Leitern und Gerüsten in geringer Höhe kann sie noch tätig werden. Einschränkungen im ortsüblichen Anmarschweg sowie bei der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels bestehen nicht. Bei Einhaltung des Leistungskalküls und allfälliger notwendiger medizinischer Behandlungen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Krankenständen im Ausmaß von insgesamt 5 Wochen zu rechnen. Kurbehandlungen zur Hintanhaltung der Verschlechterung des Gesundheitszustands sind nicht unbedingt notwendig. Die prognostizierten Krankenstände und Kuraufenthalte gelten auch bei Einhaltung einer 20 Stunden Arbeitswoche. Dieser Zustand besteht seit 1. 4. 2005 unter Berücksichtigung von Maßnahmen der Krankenbehandlung und Rehabilitation. Unter Bedachtnahme auf die Weiterentwicklung der medizinischen Behandlungsmethoden kann die Chance auf eine Verbesserung des Leidenszustands sowie die Chance auf eine Verbesserung des Leistungskalküls mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Arbeiten über Schulterhöhe mit Gewichtsbelastung sind ausgeschlossen. Die Klägerin war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 4. 2005) 18 Monate als Hilfsarbeiterin, nämlich als Näherin, und 16 Monate als Umschülerin tätig. Die Tätigkeit einer Näherin kann sie nicht mehr ausüben. Sie ist aber in der Lage, als Garderobiere, Platzanweiserin oder Billeteurin (Bundes- und Landestheater, Konzerthäuser, sonstige Kulturstätten und Veranstaltungseinrichtungen) zu arbeiten. In diesem Verweisungsfeld existieren weit mehr als 100 freie oder besetzte Arbeitsstellen, die auch mit Teilzeitauslastung (maximal 20 Stunden Arbeitswoche) verbunden sind. Bei der Tätigkeit als Garderobiere oder Platzanweiserin ist eine zusätzliche Arbeitspause möglich. Insbesondere in der Zeit, in der die Veranstaltung läuft, kann eine Garderobiere sich in sitzender Körperhaltung ausruhen. Sie hat gelegentlich, wenn Besucher verspätet kommen oder vorzeitig gehen, aber auch in der Pause, Kleidungsstücke entgegenzunehmen und auszugeben. Während etwa 50 % der Arbeitszeit besteht eine Art Bereitschaftsdienst, der als Arbeitspause gewertet werden kann. Der dabei auftretende Parteien- und Kundenverkehr ist der Klägerin möglich. Die Einhaltung einer 20-minütigen zusätzlichen Arbeitspause bei einem vier Stunden Arbeitstag setzt kein überdurchschnittliches Entgegenkommen eines Arbeitgebers voraus, wenn die Pause eingearbeitet werden kann. In allen Arbeitsmarktsegmenten, in denen die Arbeit nicht als Schichtarbeit oder in arbeitsteiliger Organisation verrichtet wird, ist eine Verlängerung der Arbeitszeit um die Zeit der zusätzlich erforderlichen Arbeitspause „sicherlich tolerierbar". Dies gilt nicht für Arbeitstätigkeiten, bei denen in genauen Zeitintervallen (zB bei Bandarbeiten, Schichtarbeiten etc) gearbeitet wird. Die Klägerin kann Nachtarbeit zwar nicht verrichten, das bei einer Garderobiere, Platzanweiserin oder Billeteurin gelegentlich auftretende Erfordernis länger als bis 22:00 Uhr zu arbeiten, schließt sie von dieser Tätigkeit aber nicht aus. Durch diese verlängerte Arbeitszeit entsteht keine Biorhythmusirritation und es kann der normale Schlaf-Wach-Rhythmus eingehalten werden. Darüber hinaus ist die Klägerin auch in der Lage, leichte Verpackungsarbeiten, die als Tischarbeit ausgeführt werden, durchzuführen.

Rechtlich würdigte das Erstgericht seine Feststellungen dahin, die Klägerin sei nicht invalide im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG. Sie sei nämlich noch in der Lage, Tischarbeiten in Form von leichten Verpackungsarbeiten sowie Überwachungstätigkeiten in Form von Portierstätigkeiten (im Tagdienst) zu verrichten. Mit den Portierstätigkeiten sei kein derart intensiver Parteien- und Kundenverkehr verbunden, der es ihr unmöglich machen würde, diese Tätigkeit auszuüben. Sie sei auch noch in der Lage, die bei der Portierstätigkeit auf sie zukommenden Zusatzbelastungen, wie das Bedienen einer Telefonanlage, die Überwachung von Alarmanlagen, einen Schlüsseldienst sowie einfache Verwaltungsaufgaben zu erledigen. Ihr seien auch leichte Montagearbeiten in der Leichtmetall- oder Kunststoffindustrie zumutbar. Häufig erhöhter Zeitdruck bestehe dabei nicht. Eigeninitiative und Eigenverantwortung sei ebenfalls nicht gefordert. Die Trageleistung von 5 kg und die Hebeleistung von 10 kg werde dabei nicht überschritten. Die Klägerin könne zwar nur noch einer Halbtagstätigkeit nachgehen, es gäbe aber noch eine ausreichende Anzahl von Tätigkeiten, die auch eine Halbtagsbeschäftigung ermöglichten. Dass sie eine 20-minütige Pause einhalten müsse, falle nicht ins Gewicht, weil die Unterbrechung eingearbeitet werden könne. Das Vorbringen der Klägerin, ihr stehe nur der regionale Arbeitsmarkt zur Verfügung, sei verspätet erstattet worden.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin Folge. Es hob die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Erstgericht habe offenbar die Ausführungen des Berufungsgerichts in seinem Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang missverstanden. Unzutreffend sei die Erwägung des Erstgerichts, dass das Vorbringen der Klägerin, aufgrund wirtschaftlicher Unzumutbarkeit einer Wohnsitzverlegung oder eines Wochenpendelns komme für sie nur noch der regionale Arbeitsmarkt in Betracht, verspätet sei. Die von der Klägerin ins Treffen geführten Fragen der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit des Wochenpendelns bzw einer Wohnsitzverlegung und des daraus resultierenden auf die Region beschränkten Arbeitsmarkts stellten lediglich Teilaspekte der Frage der Verweisbarkeit dar. Zwar habe die Lage des Wohnorts des Versicherten, sofern medizinische Gründe einen Wohnortwechsel oder Pendeln nicht ausschließen, auf die Verweisbarkeit grundsätzlich keinen Einfluss. Einem Versicherten, der nur noch halbtägig einfache Tätigkeiten in Billiglohnbranchen verrichten könne, sei aber eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln nicht zumutbar. Einem Pensionswerber, dem dann wie im Anlassfall nicht mehr der gesamte österreichische Arbeitsmarkt, wohl aber ein regionaler Arbeitsmarkt offenstehe, müssten auf dem von ihm erreichbaren Teilarbeitsmarkt nicht mehr mindestens 100 für ihn geeignete Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Es genüge in diesem Bezug vielmehr, wenn es in der betreffenden Region für an sich zumutbare Verweisungstätigkeiten eine solche Zahl von - offenen oder besetzten - Stellen gebe, die die Annahme rechtfertigten, dass ein Arbeitsfähiger und Arbeitswilliger einen solchen Arbeitsplatz auch erlangen könne. Bestünden höchstens 20 erreichbare, adäquate Arbeitsplätze, sei diese Zahl jedenfalls zu gering. Sei auf einem - im Hinblick auf die eigene eingeschränkte Mobilität des Versicherten - regional begrenzten, durch Tagespendeln erreichbaren Arbeitsmarkt aber 40 Arbeitsplätze vorhanden, liege eine so nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen vor, dass eine für die Verweisbarkeit ausreichende Nachfrage nach Arbeitskräften gewährleistet sei. Beim Tagespendeln bewege sich der hiezu notwendige finanzielle Aufwand noch in einem vertretbaren Ausmaß. Auch medizinischerseits läge bei der Klägerin keine diesbezügliche Einschränkung vor. Sie sei im ortsüblichen Anmarschweg sowie bei der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht eingeschränkt. Das Erstgericht werde daher weitere Feststellungen darüber zu treffen haben, ob im Umkreis der der Klägerin möglichen Gehstrecke oder in dem durch die Benützbarkeit eines Massenverkehrsmittels erweiterten Umkreis eine entsprechende Anzahl von adäquaten Arbeitsplätzen zur Verfügung stehe. Erst dann sei die abschließende Beurteilung der Rechtsfrage, ob die in einem Verweisungsberuf zu Verfügung stehende Anzahl von Arbeitsplätzen ausreiche, um unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen einen Versicherten darauf zu verweisen, möglich.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung der generellen Unzumutbarkeit des Wochenpendelns bzw der Wohnsitzverlegung bei Versicherten, denen nur noch eine Halbzeitbeschäftigung in Billiglohnbranchen möglich sei, im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung stehe, wonach individuelle Momente wie die Lage des Wohnorts bei der Prüfung der Invalidität außer Betracht zu bleiben hätten.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Klägerin beantwortete Rekurs der beklagten Partei ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin macht zusammengefasst geltend, § 255 Abs 3 ASVG erlaube nicht, bei der Beurteilung der Verweisbarkeit wirtschaftliche oder persönliche Kriterien des Versicherten einfließen zu lassen. Die Frage der Lohnhälfte bleibe von der Frage der Zumutbarkeit eines Umzugs oder des Wochenpendelns unberührt. Der vom Berufungsgericht verwendete Begriff der „Billiglohnbranche" sei unbestimmt und lasse offen, bis zu welchem Einkommen von einer derartigen Branche ausgegangen werden könne.

Hiezu wurde erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, dass das Vorliegen der Invalidität bei der Klägerin unstrittig nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen ist: War der Versicherte nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig, gilt er als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr im Stande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

§ 255 Abs 3 ASVG stellt in Bezug auf die zumutbare Entgelthöhe im Verweisungsberuf nur auf die „gesetzliche Lohnhälfte" als Mindesteinkommensgrenze ab, ohne dass Bedürftigkeitskriterien eine Rolle spielen. Völlig unabhängig von der Beurteilung der Invalidität wird ein aus sozialen Gründen notwendiges Mindesteinkommen eines Versicherten erst durch die (aus allgemeinen Steuermitteln finanzierte und als Fürsorgeleistung zu qualifizierende) Ausgleichszulage bewerkstelligt, die einen Pensionsanspruch voraussetzt. Abgesehen von der fehlenden Bezugnahme in § 255 Abs 3 ASVG eignen sich im Hinblick auf den Fürsorgecharakter weder der Ausgleichszulagenrichtsatz noch ein Sozialhilferichtsatz als maßgebliche Kriterien zur Begründung von Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG (10 ObS 109/06m = SSV-NF 20/58).

Zu dieser „gesetzlichen Lohnhälfte" hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass als Vergleichsmaßstab der übliche Verdienst heranzuziehen ist, den ein gesunder Versicherter durch die Verweisungstätigkeit als Vollzeitbeschäftigter regelmäßig in der Normalarbeitszeit erzielen kann. Der an der Höhe des regelmäßig erzielbaren Entgelts zu messenden vollen Arbeitsfähigkeit der typisierten Vergleichsperson ist sodann die nach denselben Kriterien zu messende individuelle Arbeitsfähigkeit des Versicherten gegenüberzustellen (10 ObS 109/06m mwN).

Soweit der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für gesunde Versicherte regelmäßig erzielbare (durchschnittliche) Verdienst in Kollektivverträgen festgelegt ist, sind die danach zustehenden Löhne auch dann als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, wenn in Einzelfällen höhere Verdienste erreicht werden. Werden jedoch in den in Betracht kommenden Berufsgruppen regelmäßig über den Tariflöhnen liegende Entgelte bezahlt, sind diese zugrunde zulegen. Regelmäßig ist dabei von dem in der Normalarbeitszeit erzielbaren Durchschnittsverdienst auszugehen. Diesbezüglich fehlen Feststellungen des Erstgerichts. Insbesondere steht nicht fest, ob in den in Betracht kommenden Verweisungsberufen regelmäßig überkollektivvertragliche Gehälter bezahlt werden bzw ob und welche Kollektivverträge in der Praxis überhaupt zur Anwendung kommen. Schon aus diesem Grund erweist sich die Aufhebung als unumgänglich. Es bedarf daher entsprechend repräsentativer Erhebungen, welches Einkommen gesunde Versicherte in den Verweisungsberufen in der Normalarbeitszeit - ohne Anrechnung von Vordienstzeiten - durchschnittlich erzielen und welches Erwerbseinkommen die Klägerin mit ihrem eingeschränkten Leistungskalkül durch eine Halbtagsbeschäftigung in den Verweisungsberufen - einschließlich Sonderzahlungen und anderen regelmäßigen Gehaltsbestandteilen - konkret erreichen kann (vgl 10 ObS 109/06m). Diese Fragen sind im fortzusetzenden Verfahren mit den Parteien zu erörtern.

Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits ausgesprochen, dass er die Auffassung, dass einem Versicherten, der nur noch Teilzeit arbeiten kann, in der Regel ein Umzug oder ein Wochenpendeln nicht zuzumuten sei und es infolge dessen nur auf den regionalen Arbeitsmarkt ankomme, den der Versicherte durch tägliches Pendeln von seiner Wohnung aus erreichen könne, in dieser Allgemeinheit nicht teilt (10

ObS 56/93 = SZ 66/184 = SSV-NF 7/126 = DRdA 1994/50, 516

[Windisch-Graetz] = ZAS 1995/24, 199 [Pfeil]). Dies beruht auf der Erwägung, dass das Verweisungsfeld und die Anforderungen, die mit der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit auch bezüglich der Erreichung des Arbeitsplatzes verbunden sind, in der Regel an den Verhältnissen des gesamten Arbeitsmarkts gemessen werden. Nur auf diese Weise ist nämlich eine gleiche Beurteilung in allen Fällen sichergestellt. Die Lage des Wohnorts im Einzelfall bildet ein persönliches Moment, das bei der Prüfung der Frage, ob Invalidität besteht, außer Betracht zu bleiben hat, weil es andernfalls einem Versicherten möglich wäre, durch die Wahl seines Wohnorts die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pensionsleistung zu beeinflussen. Ist ein Versicherter imstande, die unter den üblichen Bedingungen erforderlichen Anmarschwege zurückzulegen, so liegt unabhängig von der Lage seines Wohnorts in einem konkreten Fall ein Ausschluss vom Arbeitsmarkt aus diesem Grund nicht vor, mögen auch die gesundheitsbedingten Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit einer täglichen Zurücklegung des Wegs zwischen Arbeitsplatz und diesem Wohnort entgegenstehen. In diesem Fall ist grundsätzlich vom Versicherten zu verlangen, dass er - sofern nicht medizinische Gründe dem entgegenstehen - durch entsprechende Wahl seines Wohnorts, allenfalls Wochenpendeln, die Bedingungen für die Erreichung des Arbeitsplatzes herstellt, die für Arbeitnehmer im Allgemeinen gegeben sind (vgl RIS-Justiz RS0084939; RS0085017; RS0084871). Diese Grundsätze gelten in der Regel auch für die Verweisung auf Teilzeitarbeitsplätze (10 ObS 56/93). Daran ist festzuhalten. Dies schließt jedoch im Einzelfall nicht aus, dass mit Rücksicht auf den durch die mögliche Teilzeitbeschäftigung erzielbaren geringeren Lohn eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln nicht zumutbar sein können (10 ObS 56/93). Insoweit kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalls an. Ob im Anlassfall eine Unzumutbarkeit eines Umzugs oder eines Wochenpendelns für die Klägerin gegeben ist, lässt sich demnach erst beantworten, wenn feststeht, welches Erwerbseinkommen die Klägerin mit ihrem eingeschränkten Leistungskalkül durch eine Halbtagsbeschäftigung in den Verweisungsberufen - einschließlich Sonderzahlungen und anderen regelmäßigen Gehaltsbestandteilen - konkret erreichen kann.

Die Frage der Zumutbarkeit einer Wohnsitzverlegung oder eines Wochenpendelns stellt sich aber gar nicht, wenn auf dem regionalen Arbeitsmarkt, den die Klägerin durch tägliches Pendeln von ihrer Wohnung aus erreichen kann, in den ihrer Arbeitsfähigkeit angemessenen Verweisungsberufen eine solche Anzahl von - offenen oder besetzten - Stellen gegeben ist, die die Annahme rechtfertigen, dass ein Arbeitsfähiger und Arbeitswilliger einen solchen Arbeitsplatz auch erlangen kann. Jedenfalls dann, wenn dem Versicherten auf dem für ihn in Frage kommenden regional begrenzten, durch Tagespendeln erreichbaren Arbeitsmarkt 40 freie oder besetzte Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, liegt eine so nennenswerte Zahl von Stellen vor, dass eine für die Verweisbarkeit ausreichende Nachfrage nach Arbeitskräften gewährleistet ist (10 ObS 262/03g = SSV-NF 18/5). Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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