OGH 8ObA31/08d

OGH8ObA31/08d27.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Spenling, die Hofrätin Dr. Glawischnig und die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mehmet S*****, vertreten durch Summer/Schertler/ Stieger/Droop, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, wegen 5.743,36 EUR sA, über den Rekurs des Klägers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Februar 2008, GZ 13 Ra 5/08w-19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. November 2007, GZ 35 Cga 117/07p-14, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war vom 26. 6. 2000 bis 30. 11. 2005 bei der beklagten Partei als Arbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 30. 11. 2005 durch Arbeitgeberkündigung, da dem Kläger die Invaliditätspension zuerkannt wurde.

Am 19. 12. 2002 schloss der Kläger mit der beklagten Partei eine schriftliche Vereinbarung gemäß § 47 Abs 3 BMVG (nunmehr [BGBl I 2007/102]: BMSVG) mit folgendem wesentlichen Inhalt:

„Mit Stichtag 1. 1. 2003 wird (für) das bestehende Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber für die weitere Dauer die Geltung des BMVG anstelle der Abfertigungsregelungen nach dem AngstelltenG festgelegt.

Ansprüche nach dem bisherigen AngG werden nicht auf die neue Regelung übertragen. Mit Inkrafttreten dieser Vereinbarung sind alle weiteren Ansprüche aus dem Titel der künftigen Gewährung einer Abfertigung durch den Arbeitgeber für alle Zukunft erloschen und bestehen ab diesem Zeitpunkt nur mehr gegenüber der Mitarbeitervorsorgekasse."

Nach Beendigung des Dienstverhältnisses erhielt der Kläger von der B*****-Mitarbeitervorsorgekassen AG den Betrag von 1.259,83 EUR an Abfertigung neu abzüglich 6 % Lohnsteuer ausbezahlt. Der Kläger begehrt von der beklagten Partei 5.743,36 EUR sA an Abfertigung. Im Hinblick auf die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses habe er gegenüber der beklagten Partei einen Abfertigungsanspruch von drei Monatsentgelten (7.003,19 EUR). Unter Berücksichtigung der Zahlung der Mitarbeitervorsorgekasse werde lediglich der Klagsbetrag geltend gemacht. Der (nur mangelhaft deutsch sprechende) Kläger habe am 19. 12. 2002 ein ihm von seinem Vorgesetzten vorgelegtes Schriftstück unterzeichnet, wobei ihm lediglich erklärt worden sei, dass die Vereinbarung für ihn von Vorteil sei, weil er im Fall der Eigenkündigung einen Teil der Abfertigung erhalte, während er im Fall der Arbeitgeberkündigung die gesamte Abfertigung bekomme. Im Übrigen sei der Kläger über die Rechtsfolgen der Übertrittserklärung von der Beklagten nicht aufgeklärt worden. Die Vereinbarung sei als unwirksam anzusehen, weil kein übereinstimmender Parteiwille vorgelegen habe. Jedenfalls habe aber die beklagte Partei die ihr obliegende Fürsorgeverpflichtung und Aufklärungspflicht verletzt und den Kläger in Irrtum geführt. Überdies sei die Vereinbarung bereits vor Inkrafttreten des BMVG abgeschlossen worden. In § 47 Abs 1 BMVG sei ausdrücklich festgehalten, dass erst ab 1. 1. 2003 eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinsichtlich der Überführung in das neue System getroffen werden könne. Da die Vereinbarung vorher abgeschlossen worden sei, könne sie keine rechtsverbindliche Wirkung haben.

Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung. Eine Irreführung oder Verletzung der Fürsorge- und Aufklärungspflicht liege nicht vor. In der im Dezember 2002 abgeschlossenen Vereinbarung sei ausdrücklich die Wirksamkeit derselben mit Inkrafttreten des BMVG am 1. 1. 2003 festgehalten worden, weshalb diese jedenfalls verbindlich und rechtsgültig sei.

Das Erstgericht wies lediglich das über 4 % seit 1. 12. 2005 hinausgehende Zinsenmehrbegehren (unangefochten und damit rechtskräftig) ab und gab dem Klagebegehren im Übrigen statt. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Auffassung, dass gemäß § 47 Abs 1 BMVG für zum 31. 12. 2002 bestehende Arbeitsverhältnisse erst ab 1. 1. 2003 zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine schriftliche Vereinbarung über die Geltung dieses Bundesgesetzes, anstelle der bisherigen Abfertigungsregelungen rechtswirksam habe getroffen werden können. In der Literatur bestehe die nahezu einhellige Meinung, dass eine Vereinbarung gemäß § 47 Abs 1 BMVG, frühestens am 1. 1. 2003 habe geschlossen werden können. Vor diesem Zeitpunkt habe keine Rechtsmacht bestanden, eine Überleitungsvereinbarung zu treffen, was zur Folge habe, dass vor diesem Zeitpunkt geschlossene Vereinbarungen absolut nichtig seien. Auch aus dem Umstand, dass noch im ersten Ministerialentwurf zum BMVG der Stichtag 1. 1. 2003 nicht in § 47 Abs 1 BMVG aufgeschienen sei, sondern erst in dem (dann Gesetz gewordenen) zweiten Ministerialentwurf, sei zu schließen, dass dem Stichtag die ihm in der Literatur zugewiesene Stellung zukomme und lasse auch die wörtliche Interpretation des § 47 Abs 1 BMVG keinen anderen Schluss zu.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der beklagten Partei das erstgerichtliche Urteil in seinem klagestattgebenden Teil auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Seine rechtliche Beurteilung lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Das am 1. 7. 2002 in Kraft getretene betriebliche Mitarbeitervorsorgegesetz (BMVG; jetzt: BMSVG) gelte grundsätzlich für alle privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31. 12. 2002 liege, sofern diese Arbeitsverhältnisse länger als einen Monat dauern. Auf zum 31. 12. 2002 bestehende privatrechtliche Arbeitsverhältnisse fänden weiterhin die jeweils geltenden gesetzlichen Abfertigungsbestimmungen (etwa nach dem Angestelltengesetz) sowie nach den Kollektivverträgen Anwendung. Für derartige Arbeitsverhältnisse, worunter auch das klagsgegenständliche falle, sehe das BMVG allerdings die Möglichkeit vor, dass in einer schriftlichen Einzelvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Geltung des BMVG für das jeweilige Arbeitsverhältnis ab einem in dieser Vereinbarung festzulegenden Stichtag anstelle der bisher für das jeweilige Arbeitsverhältnis geltenden Abfertigungsbestimmungen vereinbart werde. Gemäß § 47 Abs 1 BMVG könne ein solcher Übertritt ab 1. 1. 2003 schriftlich vereinbart werden. Normzweck dieser Bestimmung sei sohin, dass das BMVG auf Arbeitsverhältnisse anzuwenden sei, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31. 12. 2002 liege (§ 46 Abs 1 BMVG), während für Arbeitsverhältnisse, deren vertraglich vereinbarter Beginn vor diesem Datum liege, weiterhin die jeweils geltenden Abfertigungsbestimmungen des Systems der „Abfertigung alt" gälten. Gemäß der Übergangsbestimmung des § 47 Abs 1 BMVG könne auch der Übertritt in das neue System erst ab 1. 1. 2003 vereinbart werden. In der zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vereinbarung sei ausdrücklich der Stichtag 1. 1. 2003 angeführt und werde aus der Diktion „mit Inkrafttreten dieser Vereinbarung" in Verbindung mit dem Stichtag 1. 1. 2003 unmissverständlich klargestellt, dass die Vereinbarung erst mit 1. 1. 2003 wirksam werden sollte. Der Umstand, dass die schriftliche Vereinbarung am 19. 12. 2002 abgeschlossen worden sei, ändere nichts daran, dass diese erst am 1. 1. 2003 habe wirksam werden sollen. § 47 Abs 1 BMVG stehe daher der Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung nicht entgegen und es bedürfe auch nicht des von der Berufungswerberin angestellten Günstigkeitsvergleichs. Dass die vor dem 1. 1. 2003 abgeschlossene, jedoch erst zu diesem Zeitpunkt wirksam werdende Vereinbarung als absolut nichtig zu qualifizieren sei, könne aus dem Normzweck der „Überleitungsbestimmungen" des BMVG nicht abgeleitet werden.

Da sich das Erstgericht - ausgehend von seiner vom Berufungsgericht nicht geteilten Rechtsansicht - mit den weiteren, vom Kläger gegen die Rechtswirksamkeit der Vereinbarung ins Treffen geführten Behauptungen, etwa jener, von der beklagten Partei in die Irre geführt worden zu sein, nicht auseinander gesetzt habe, sei das erstinstanzliche Verfahren im Sinn der Verfahrensrüge der beklagten Partei mangelhaft, was zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Umfang der Anfechtung führe.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zu, weil es sich bei der Frage der Rechts(un)wirksamkeit einer vor dem 1. 1. 2003 abgeschlossenen, mit diesem Tag wirksam werdenden Vereinbarung im Sinn des § 47 Abs 1 BMVG um eine Rechtsfrage handle, der über den Anlassfall hinaus rechtliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof die Auffassung des Berufungsgerichts billigt, sodass es ausreicht, auf dessen zutreffende rechtliche Beurteilung zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Rekurswerbers Folgendes entgegenzuhalten:

§ 47 Abs 1 (nunmehr) BMSVG lautet:

„Für zum 31. Dezember 2002 bestehende Arbeitsverhältnisse kann ab 1. Jänner 2003 in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab einem zu vereinbarenden Stichtag für die weitere Dauer des Arbeitsverhältnisses die Geltung dieses Bundesgesetzes anstelle der Abfertigungsregelungen nach dem Angestelltengesetz, dem Arbeiter-Abfertigungsgesetz, dem Gutsangestelltengesetz, dem ORF-Gesetz, den allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen (AVB) und dem Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz festgelegt werden".

Die Ausführungen des Rechtsmittelwerbers, wonach die Wendung „kann ab ... 1. 1. 2003 festgelegt werden" nur dahingehend verstanden werden könne, dass derartige Vereinbarungen frühestens am 1. 1. 2003 geschlossen werden können, vermögen nicht zu überzeugen. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut der zitierten Bestimmung lediglich, dass die Festlegung der Geltung des Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbstständigenvorsorgegesetzes für die weitere Dauer des Arbeitsverhältnisses erst ab 1. 1. 2003 erfolgen kann. Diese Voraussetzung erfüllt aber die hier zur Beurteilung stehende schriftliche Vereinbarung. Aus der zitierten Norm ergibt sich der Regelungszweck, dass auch der Übertritt in das System „Abfertigung neu" erst ab einem Zeitpunkt gelten soll, zu dem auch neu begründete Arbeitsverhältnisse diesem Regime unterstellt werden. Eine den Standpunkt des Rechtsmittelwerbers stützende Auslegung der Übergangsbestimmungen (§ 47 BMVG) lässt sich auch aus den Gesetzesmaterialien (RV 1131 BlgNR 21. GP, 59) nicht ableiten. Die von einem Teil der Lehre (Binder/Schifko, Abfertigung Neu, 154; Rath/Kaszanits, Übertritt in das neue Abfertigungssystem In-Kraft-Treten und Übergangsrecht - §§ 46, 47, 48 BMVG, ASok 2002, 322; Mazal/Risak „Das Arbeitsrecht" Rz 119; Mazal „Umstieg" auf das BMVG - Rechtsprobleme der innerbetrieblichen Umstellung des Abfertigungsrechts, ZAS 2003, 27 [28]; Gruber, Übertritt in das neue Abfertigungsystem, ecolex 2002, 484 [486 FN 14]) vertretene Auffassung, dass vor dem 1. 1. 2003 geschlossene Vereinbarungen allein deswegen als (absolut) nichtig zu qualifizieren seien, entbehrt damit einer vom Gesetzeswortlaut des § 47 Abs 1 BMSVG getragenen Grundlage.

Die den Aufhebungsbeschluss begründende Ansicht des Berufungsgerichts erweist sich somit als richtig, weshalb der Oberste Gerichtshof nicht mehr prüfen kann, ob eine Ergänzung des Verfahrens tatsächlich erforderlich ist (Zechner in Fasching/Konecny, ZPO² § 519 Rz 107 mwN; RIS-Justiz RS0042179).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte