Spruch:
Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 6. Dezember 2007, GZ 35 Hv 201/07i-69, verletzt den sich aus dem XX. Hauptstück der StPO aF (nunmehr 16. Hauptstück der StPO) ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und der ihm zugrunde liegende Antrag des öffentlichen Anklägers zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit rechtskräftigen (Abwesenheits-)Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 23. März 2005, GZ 3 U 230/04d-18, wurde Dragan S***** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine zweijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.
Mit Beschluss vom 22. Mai 2007, GZ 3 U 230/04d-25 (vgl auch ON 27 des Akts), sah das Bezirksgericht Kufstein die bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe gemäß § 43 Abs 2 StGB endgültig nach. Dieser Beschluss wurde von der Staatsanwaltschaft nicht bekämpft. Mit seit 11. Februar 2008 rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 6. Dezember 2007, GZ 35 Hv 201/07i-69, wurde Dragan S***** wegen des (während der Probezeit begangenen) Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt. Mit zugleich gefasstem, ebenfalls in Rechtskraft erwachsenen Beschluss wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die im Verfahren AZ 3 U 230/04d des Bezirksgerichts Kufstein gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen; diese Entscheidung erging, obwohl die beschriebene endgültige Strafnachsicht für das Landesgericht Innsbruck aus dem angeschlossenen (vgl S 100 iVm 193/II) Vorstrafakt ersichtlich war.
Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 6. Dezember 2007, GZ 35 Hv 201/07i-69, über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht steht - wie die Generalprokuratur in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Der (zeitlich vorangegangene) rechtskräftige Beschluss des Bezirksgerichts Kufstein vom 22. Mai 2007, GZ 3 U 230/04d-25, auf endgültige Strafnachsicht entfaltete nämlich eine Sperrwirkung. Daher durfte über den Entscheidungsgegenstand ohne vorangegangene prozessordnungsgemäße Kassation dieses Beschlusses nicht neuerlich abgesprochen werden (RIS-Justiz RS0091864). Das Landesgericht Innsbruck hat durch seine Beschlussfassung gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO eine ihm nicht (mehr) zustehende Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen.
Aus Gründen der Rechtssicherheit war daher der in Rede stehende Beschluss des Landesgerichts Innsbruck aufzuheben und der darauf abzielende Antrag der Staatsanwaltschaft (S 92/II) zurückzuweisen.
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