Spruch:
I./ Es verletzen das Gesetz
1./ das (Abwesenheits-)Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 1. März 2004, GZ 9 U 106/03k-13, im Schuldspruch des Andreas G***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB auch für den Tatzeitraum von 10. November bis 31. Dezember 2003 in der Bestimmung des § 459 StPO aF iVm Art 6 MRK; 2./ das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 19. November 2007, AZ 9 Bl 80/07z, im Verfahren AZ 9 U 288/06d des Bezirksgerichts St. Pölten, insoweit es die über Andreas G***** verhängte Freiheitsstrafe auf acht Monate anhob und dabei die gesetzlich vorgesehene Höchststrafe überschritt, in der Bestimmung des § 198 Abs 1 StGB.
II./ Aufgehoben werden
1./ das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 1. März 2004, GZ 9 U 106/03k-13, - das im Übrigen unberührt bleibt - im Schuldspruch, soweit dieser den Tatzeitraum vom 10. November bis 31. Dezember 2003 betrifft, weiters im Strafausspruch, ebenso wie der gemeinsam mit diesem Urteil ergangene Beschluss auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO im Verfahren AZ 9 U 131/00g des Bezirksgerichts St. Pölten;
2./ das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht, AZ 9 Bl 80/07z, im Verfahren AZ 9 U 288/06d des Bezirksgerichts St. Pölten, im Ausspruch über die Erhöhung der Strafe auf acht Monate.
III./ In der Sache selbst wird erkannt:
1./ Über Andreas G***** wird im Verfahren AZ 9 U 106/03k des Bezirksgerichts St. Pölten wegen des unberührt bleibenden Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten verhängt.
2./ Aus Anlass der zu 1./ genannten Verurteilung wird die Andreas G***** im Verfahren AZ 9 U 131/00g des Bezirksgerichts St. Pölten gewährte bedingte Strafnachsicht gemäß § 53 Abs 1 StGB, § 494a Abs 1 Z 4 StPO widerrufen.
3./ Der zu den Urteilen AZ 9 U 106/03k und AZ 9 U 131/00g jeweils des Bezirksgerichts St. Pölten noch nicht als verbüßt geltende Rest der Strafen in der Dauer von einem Monat und sechs Tagen (9 U 106/03k) und von sechs Monaten (9 U 131/00g) wird unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, die mit 13. Oktober 2006 beginnt, bedingt nachgesehen.
4./ Die im Verfahren AZ 9 U 288/06d des Bezirksgerichts St. Pölten unter - in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft erfolgter - Ausschaltung der bedingten Strafnachsicht auszumessende Freiheitsstrafe beträgt fünf Monate.
Text
Gründe:
Der am 24. Juli 1970 geborene Andreas G***** wurde zu folgenden Verfahren des Bezirksgerichts St. Pölten jeweils des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt:
1./ Zum AZ 9 U 131/00g wurde er mit Urteil vom 26. April 2001 (ON 16) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, welche unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. 2./ Zum AZ 9 U 106/03 wurde er mit (Abwesenheits-)Urteil vom 1. März 2004 (ON 12) zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem wurde beschlussmäßig die im zu 1./ genannten Verfahren gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.
Dem (Abwesenheits-)Urteil lag ein Bestrafungsantrag vom 13. März 2003 (ON 4) zugrunde, mit welchem dem Angeklagten das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB gegenüber seiner minderjährigen Tochter Julia S***** „im Zeitraum 1. Juli 2002 bis 21. Februar 2003, vorbehaltlich allfälliger Zeiten danach" zur Last gelegt wurde. In der Hauptverhandlung vom 10. November 2003 dehnte der Bezirksanwalt in Anwesenheit des Beschuldigten den Strafantrag hinsichtlich des Deliktszeitraums bis zum 9. November 2003 aus. In der am 1. März 2004 gemäß § 459 StPO aF in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Beschuldigten durchgeführten Hauptverhandlung dehnte der Bezirksanwalt den Strafantrag neuerlich aus, nunmehr hinsichtlich des Deliktszeitraums von 10. November bis zum 31. Dezember 2003. Andreas G***** wurde im Sinne des ausgedehnten Strafantrags (somit auch hinsichtlich des letztgenannten Deliktszeitraums) schuldig erkannt.
Zu 1./ und 2./ trat Andreas G***** am 19. Juni 2006 den Vollzug der beiden angeführten Freiheitsstrafen im Gesamtausmaß von elf Monaten in der Justizanstalt St. Pölten an, wobei zuerst die zu AZ 9 U 106/03k verhängte Freiheitsstrafe (teilweise) vollzogen wurde. Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 9. Oktober 2006 (Einzelbegnadigung) wurde er am 13. Oktober 2006 aus der Strafhaft entlassen; der offene Strafrest wurde mit den Wirkungen der bedingten Strafnachsicht unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren erlassen.
3./ Im Verfahren AZ 9 U 288/06d wurde er mit Urteil vom 24. April 2007 (ON 15) neuerlich wegen § 198 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Das Landesgericht St. Pölten hob in Stattgebung der zum Nachteil des Angeklagten erhobenen Strafberufung der Staatsanwaltschaft, die (explizit lediglich, jedoch ohne Erklärung einer Beschränkung darauf [vgl Ratz, WK-StPO § 295 Rz 8]) die Ausschaltung der bedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe beantragt hatte, mit Urteil vom 19. November 2007, AZ 9 Bl 80/07z, die Freiheitsstrafe unter Ausschaltung deren bedingter Nachsicht auf acht Monate an.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, liegen folgende Gesetzesverletzungen vor:
Im Verfahren AZ 9 U 106/03k des Bezirksgerichts St. Pölten verletzt der Schuldspruch hinsichtlich des Tatzeitraums von 10. November bis 31. Dezember 2003 § 459 StPO aF: Wird der Bestrafungsantrag in einer in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführten Hauptverhandlung auf einen weiteren Sachverhalt ausgedehnt, so ist die Ausdehnung auch der Verhandlung und des Urteils darauf unzulässig, weil der Beschuldigte solcherart im Verfahren niemals Gelegenheit hatte, zum erweiterten Anklagevorwurf Stellung zu nehmen. Durch das insoweit durchgeführte Verfahren und das Urteil in diesem Umfang wurde daher sein auch im bezirksgerichtlichen Abwesenheitsverfahren nach § 459 StPO aF geltendes rechtliches Gehör nach Art 6 MRK verletzt. Die Urteilsfällung ist auch dann unzulässig, wenn - wie im vorliegenden Fall - im Bestrafungsantrag auf eine beabsichtigte, jedoch nicht näher präzisierte Ausdehnung des Deliktszeitraums hingewiesen wurde (RIS-Justiz RS0111828, 15 Os 41/07d).
Weil sich diese Gesetzesverletzung zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, das bezeichnete Urteil in diesem Umfang aufzuheben (§§ 292 letzter Satz, 288 Abs 2 Z 3 StPO), wobei es dem Ankläger freisteht, diesbezüglich nach § 263 Abs 4 StPO vorzugehen.
Bei der infolge Aufhebung auch des Strafausspruchs notwendigen, nach § 198 Abs 1 StGB vorzunehmenden Strafneubemessung waren die einschlägigen Vorstrafen, der rasche Rückfall und der lange Deliktszeitraum als erschwerend zu werten, als mildernd hingegen kein Umstand. Eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten wird dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat gerecht, ihre bedingte Nachsicht ist aus spezial- und generalpräventiven Gründen nicht gerechtfertigt. Infolge der ebenfalls notwendigen Aufhebung des mit dem Strafausspruch untrennbar verbundenen Widerrufsbeschlusses war neuerlich auch über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu entscheiden; dessen Anordnung erschien im gegebenen Fall aus spezialpräventiven Gründen geboten.
In Hinblick auf die zu 1./ und 2./ dargestellte gnadenweise Nachsicht nach Verbüßung eines Teils der Strafen war zur Vermeidung einer reformatio in peius der noch nicht als verbüßt geltende Rest der Strafen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen, die mit dem ursprünglichen Probezeitbeginn am 13. Oktober 2006 zu beginnen hat.
Indem das Landesgericht St. Pölten als Berufungsgericht in Stattgebung der Strafberufung der Staatsanwaltschaft nicht nur die bedingte Strafnachsicht ausschaltete, sondern auch die nach § 198 Abs 1 StGB verhängte Freiheitsstrafe auf acht Monate, somit über die gesetzlich vorgesehene Höchststrafe von sechs Monaten hinaus anhob, verletzte es § 198 Abs 1 StGB. Das - zulässiger Weise die bedingte Strafnachsicht ausschaltende - Berufungsurteil war daher im Ausspruch über die Erhöhung der Strafe aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden. Dabei erschien dem Obersten Gerichtshof unter Abwägung aller für und wider den Beschuldigten sprechenden Umstände die vom Bezirksgericht verhängte fünfmonatige Freiheitsstrafe ausreichend, sodass es - neben der Ausschaltung ihrer bedingten Nachsicht - nicht auch einer Erhöhung bedarf.
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