Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 10. 2005 weiterzugewähren, besteht dem Grunde nach bis zum 30. 9. 2009 zu Recht.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger ab 1. 10. 2005 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheids, längstens bis zum 30. 9. 2009, eine vorläufige Zahlung von 1.635 EUR monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Zustellung dieses Urteils fälligen vorläufigen Zahlungen binnen 14 Tagen, die weiteren jeweils im Nachhinein am Ersten des Folgemonats."
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 1.500,77 EUR (darin 250,13 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 341,26 EUR (darin 80,98 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 333,12 EUR (darin 55,52 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 9. 2. 1949 geborene Kläger war in den letzten Jahren seiner aktiven Berufslaufbahn als Geschäftsführer tätig. Nach einem Rektumkarzinom mit anschließender Chemotherapie ist er - wegen des Erfordernisses zusätzlicher Pausen von 40 Minuten täglich - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr verwendbar. Dieser Zustand könnte durch eine aus medizinischer Sicht zumutbare Korrekturoperation beseitigt werden. Nach erfolgreicher Durchführung der Operation wäre der Kläger in der Lage, als Abteilungsleiter, Assistent der Geschäftsleitung, als Geschäftsführer oder als Manager zu arbeiten, da dann diese zusätzlichen Pausen von 40 Minuten nicht mehr notwendig sind.
Im Vorverfahren (8 Cgs 79/04w des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht) hat die beklagte Partei mit Stellungnahme vom 17. 2. 2005 (ON 16) „zur Kenntnis genommen", dass der von einem Sachverständigen beschriebene Zustand hinsichtlich des Bauchwandbruchs und der Paracolostomiehernie bereits seit Juni 2003 besteht; im Hinblick auf die weiteren Ausführungen des chirurgischen Sachverständigen wurde eine befristete Berufsunfähigkeitspension vom 1. 6. 2003 bis 30. 9. 2005 angeboten, „da nicht auszuschließen ist, dass sich der vom Sachverständigen beschriebene Zustand durch eine notwendige und dem Kläger zumutbare Operation bessern lässt". In der Folge (ON 17) hat die beklagte Partei den Anspruch das Klägers auf Zuerkennung einer befristeten Berufsunfähigkeitspension vom 1. 8. 2003 bis 30. 9. 2005 anerkannt. Nach Ausstellung eines „neuen" Bescheids hat der Kläger seine Klage zurückgezogen (ON 20). Mit Bescheid vom 6. 10. 2005 hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 5. Juli 2005 auf Weitergewährung der mit 30. 9. 2005 befristeten Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung abgelehnt, dass über den 30. 9. 2005 hinaus keine Berufsunfähigkeit vorliege. Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, offensichtlich auf Zuspruch der Berufsunfähigkeitspension ab 1. 10. 2005 gerichtete Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass eine zumindest leicht fahrlässige Verletzung der Mitwirkungspflicht des Versicherten, sich einer zumutbaren Heilbehandlung zu unterziehen, durch die seine herabgesunkene Arbeitsfähigkeit so weit gebessert werden könne, dass Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege, zum Verlust des Anspruchs führe. Da dem Kläger die Durchführung der Operation, die eine Änderung der Situation bewirken würde, zumutbar sei, ihm diese Operation bereits in einem vorangegangenen Verfahren angeraten worden und ihm die Berufsunfähigkeitspension gerade zur Durchführung der angeratenen Operation bereits einmal befristet gewährt worden sei, habe er gegen eine „Anordnung" der beklagten Partei verstoßen. Die Folgen der Nichtdurchführung der Operation seien ihm durch die lediglich befristete Gewährung der Berufsunfähigkeitspension bewusst gewesen. Durch die schuldhafte Verletzung seiner Mitwirkungspflicht habe der Kläger seinen Pensionsanspruch verwirkt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es erachtete die Tatsachenrüge als rechtlich nicht relevant und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass dem Kläger „schon durch die zeitlich begrenzte Zuerkennung der Pension bei vorübergehender Berufsunfähigkeit ... vor Augen geführt" worden sei, dass er damit rechnen müsse, dass die Pension nach Ablauf der Frist, für die sie zuerkannt worden sei, wegfallen könne. Auch das im Vorverfahren letztlich zum Anerkenntnis führende Vergleichsanbot der beklagten Partei sei unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die notwendige und zumutbare Operation abgegeben worden. Aufgrund dieser Umstände hätten für den Kläger keine Zweifel bestehen können, dass von ihm erwartet werde, dass er seine Arbeitsfähigkeit durch die erforderliche Behandlung wiederherstelle. Somit seien die Voraussetzungen für die weitere Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension nicht erfüllt.
Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat die ihr freigestellte Revisionsbeantwortung nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum „Verlangen" des Versicherungsträgers als Voraussetzung einer schuldhaften Verletzung der Mitwirkungspflicht abgewichen ist; sie ist auch berechtigt. Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, eine Leistung könne wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht nur versagt werden, wenn der Versicherungsträger eine förmliche Anordnung an den Versicherten erlassen und ihn gleichzeitig auf die Folgen eines anordnungswidrigen Verhaltens hingewiesen habe.
Dazu hat der Senat erwogen:
Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung 10 ObS 188/04a (SSV-NF 20/13 = EvBl 2006/90 = RIS-Justiz RS0083949 [T1] und [T2]) unter Berufung auf Schrammel (Anmerkung zu 10 ObS 90/91, DRdA 1992/8, 120) ausführlich mit der Frage einer Pflicht des Versicherten zur Heilbehandlung auseinandergesetzt und ist zur Auffassung gelangt, dass eine solche Pflicht generell (und nicht nur im Fall des Entzugs einer Leistung) von einem entsprechenden „Verlangen" des Versicherungsträgers abhängt. Die Entscheidung wurde zuletzt zu 10 ObS 88/07z und 10 ObS 134/07i bestätigt; erneut wurde auch ausgesprochen, dass bei den Mitwirkungspflichten kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Gewährung und Entziehung einer Leistung besteht.
Im vorliegenden Fall geht es um den Fall einer Leistungsgewährung:
Der Kläger hat einen Weitergewährungsantrag gestellt, aufgrund dessen die Leistungsvoraussetzungen neu zu prüfen sind. Nach den Feststellungen ist der Kläger ohne die Durchführung der Korrekturoperation auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin, also auch ab 1. 10. 2005, nicht verwendbar. Die Nichtgewährung der begehrten Leistung würde nach der Judikatur voraussetzen, dass der Leistungsberechtigte trotz ausdrücklichen Hinweises auf die Folgen seines (Fehl-)Verhaltens, nämlich den Verlust des geltend gemachten Anspruchs, eine Aufforderung des zuständigen Versicherungsträgers, sich einer zumutbaren Behandlung zu unterziehen, nicht befolgt hat. Fehlt ein solches eindeutiges „Verlangen", entsteht keine Mitwirkungspflicht des Versicherten.
Im vorliegenden Fall hat die beklagte Partei nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit darauf hingewiesen, dass die befristete Gewährung die weitere Bedingung beinhaltet, dass der Kläger eine Operation durchführen lässt und andernfalls eine Weitergewährung von vornherein abgelehnt wird. Der Versicherte ist nicht genötigt, das (Prozess-)Verhalten des Versicherungsträgers zu interpretieren oder daraus Schlüsse im Hinblick auf eine mögliche Mitwirkungspflicht zu ziehen.
Da somit eine Mitwirkungspflicht des Klägers nicht entstanden ist, besteht sein Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension auch ab dem 1. 10. 2005.
Sofern nicht der Ausnahmefall des § 256 Abs 2 ASVG gegeben ist, gebührt die Berufsunfähigkeitspension längstens für die Dauer von 24 Monaten ab dem Stichtag (§§ 271 Abs 3 iVm 256 Abs 1 ASVG). Im vorliegenden Fall ist Stichtag der 1. 10. 2005, sodass zum Zeitpunkt der - klagsstattgebenden - Entscheidung des Obersten Gerichtshofs am 5. 2. 2008 die Zweijahresfrist des § 256 Abs 2 ASVG bereits abgelaufen war. Da die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz unverändert bestanden, sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der begehrten Leistung für eine weitere Frist von längstens zwei Jahren gegeben (10 ObS 160/01d = SSV-NF 15/84; 10 ObS 53/02w = SSV-NF 16/24). Unter Bedachtnahme auf die für das Verlangen des Versicherungsträgers und die Durchführung der Korrekturoperation voraussichtlich erforderliche Zeit erscheint eine Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension bis 30. 9. 2009 angemessen. In Stattgebung der Revision des Klägers war daher das angefochtene Urteil im Sinne des Zuspruchs einer befristeten Berufsunfähigkeitspension (1. 10. 2005 - 30. 9. 2009) abzuändern, weshalb der beklagten Partei unter sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO auch die Erbringung einer vorläufigen Zahlung ab 1. 10. 2005, längstens bis 30. 9. 2009, aufzutragen ist. Deren Höhe orientiert sich an der Höhe der vom Kläger bis 30. 9. 2005 bezogenen Pensionsleistung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG. Für die Klage gebührt mangels der Voraussetzungen des § 23 Abs 6 RATG nur der einfache Einheitssatz. Der Tarifansatz für die Revision beträgt 173,50 EUR.
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