Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen deren mit 383,09 EUR (darin 63,85 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist zu einem Viertelanteil Miteigentümer der Liegenschaft in *****, der Erstbeklagte zu einem Hälfteanteil. Letzterer betreibt (ursprünglich gemeinsam mit dem Zweitbeklagten) in den Räumlichkeiten der top 5 des genannten Hauses eine Rechtsanwaltskanzlei in Form einer offenen Erwerbsgesellschaft, der Drittbeklagten. Ursprünglich war der Vater des Klägers und des Erstbeklagten Eigentümer der Liegenschaft, nach seinem Tod im Jahr 1972 seine vier Kinder zu gleichen Teilen. Ein Erbteilungsübereinkommen oder eine ausdrückliche Benützungsregelung bezüglich der gegenständlichen Liegenschaft kam nicht zustande. Die Witwe erhielt nach ihrem verstorbenen Mann das Fruchtgenussrecht an der genannten Liegenschaft, welches mit ihrem Tod im Jahr 2004 erlosch. Der Erstbeklagte kaufte den Anteil einer Schwester, wodurch er zum Hälfteeigentümer wurde. Seine zweite Schwester Dr. Susanne N***** hält nach wie vor - ebenso wie der Kläger - einen Viertelanteil. Der Erstbeklagte führte die vom Vater - im strittigen Objekt top 5 - betriebene Rechtsanwaltskanzlei weiter. Der Kläger trat nach seiner Eintragung als Rechtsanwalt im Jahr 1975 in diese Kanzlei ein und verließ sie auf Grund interner Differenzen im Jahr 1979, um im selben Haus auf top 10 eine eigene Rechtsanwaltskanzlei zu eröffnen. Die Beklagten - bzw bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1979 auch der Kläger - zahlten der fruchtgenussberechtigten Witwe keinerlei Mietzins für die Benützung des Objekts top 5; diese forderte auch nie die Zahlung eines Entgelts. Von den Miteigentümern wurde gegen die unentgeltliche Nutzung des Objekts top 5 seit 1972 nie Widerspruch erhoben.
Der Kläger begehrte die Räumung der im genannten Objekt befindlichen top 5 durch die Beklagten wegen titelloser Benützung. Es hätten weder die seinerzeitige Fruchtgenussberechtigte, noch die nunmehrigen (weiteren) Miteigentümer der Liegenschaft einer unentgeltlichen Nutzung zugestimmt. Der Kläger als Minderheitseigentümer sei daher zur Erhebung der Räumungsklage berechtigt. In eventu begehrte der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Miteigentümern der Liegenschaft und den Beklagten keine rechtswirksame Vereinbarung über die entgeltliche oder unentgeltliche Nutzung der Räumlichkeiten der top 5 dieser Liegenschaft bestehe.
Die Beklagten bestritten die Titellosigkeit ihrer Benützung, indem sie sich auf ein Erbteilungsübereinkommen aus dem Jahr 1975 beriefen. Alleine durch die jahrelange Nutzung sei zumindest von einer konkludent zustande gekommenen Nutzungsvereinbarung mit der Fruchtgenussberechtigten auszugehen, an die die Miteigentümer nach Wegfall des Fruchtgenussrechts gebunden seien. Es liege jedenfalls eine Angelegenheit der ordentlichen Verwaltung vor, weshalb es dem Kläger als Minderheitseigentümer an der Aktivlegitimation fehle. Das Eventualbegehren sei schon als Vorfrage im Räumungsprozess zu klären; außerdem habe der Kläger kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es sei kein Erbenübereinkommen zustande gekommen. Die Fruchtgenussberechtigte habe aber zumindest konkludent durch das jahrzehntelange Dulden eine Benützungsvereinbarung getroffen, an welche die Eigentümer nunmehr gebunden seien. Somit nutzten der Erstbeklagte und von diesem abgeleitet auch der Zweit- und die Drittbeklagte die streitgegenständlichen Räumlichkeiten nicht titellos. Das Eventualbegehren sei abzuweisen, weil es dem Kläger am rechtlichen Interesse mangle; überdies sei nach den Feststellungen davon auszugehen, dass eine wirksame Vereinbarung getroffen worden sei.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und dass die Revision zulässig sei. Die jahrelange unentgeltliche Benützung der Räumlichkeiten bis zum Ableben der Fruchtgenussberechtigten begründe keine konkludente Benützungsvereinbarung zwischen den Miteigentümern. Mangels Entgeltlichkeit sei zwischen der Fruchtgenussberechtigten und dem Erstbeklagten kein Bestandverhältnis begründet worden und mangels Vereinbarung der freien Widerrufbarkeit auch kein Prekarium, sondern ein Leihvertrag auf die Dauer des Bestehens des Fruchtgenussrechts. Trotz der Beendigung dieses Leiheverhältnisses mit dem Tod der Usufruktuarin sei von keiner titellosen Benützung durch die Beklagten auszugehen, weil jeder Miteigentümer - bei beschränkter Gebrauchsmöglichkeit - berechtigt sei, das gemeinschaftliche Gut zu benützen, soweit er dadurch nicht den konkreten Gebrauch eines anderen Miteigentümers störe, und der Kläger sich gar nicht berühme, einen konkreten Gebrauch für sich zu beanspruchen. Damit sei einer Räumungsklage der Boden entzogen. Bei Uneinigkeit über die Benützung bleibe den Teilhabern nichts anderes als der Antrag auf richterliche Benützungsregelung im außerstreitigen Verfahren, wobei es dem der faktischen Benützung widersprechenden Miteigentümer eher zumutbar sei, die bisher gelebten faktischen Benützungsverhältnisse vorerst hinzunehmen und selbst den Antrag zu stellen. Das Eventualbegehren sei wegen des Fehlens eines rechtlichen Interesses des Klägers abzuweisen, weil das begehrte Feststellungsurteil für die Viertelanteilseigentümerin Dr. Susanne N***** keine Bindungswirkung entfalten könne, zumal sie nicht Partei dieses Verfahrens sei. Die Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu einer bestimmten Lehrmeinung noch nicht Stellung genommen habe und weil aus der Entscheidung 6 Ob 119/04z eine Änderung der bisherigen Judikaturlinie zum Klagerecht zwischen Miteigentümern herausgelesen werden könnte.
Die Revision des Klägers ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Der Revisionswerber argumentiert, dass er sehr wohl ein konkretes Gebrauchsrecht an den streitgegenständlichen Räumen geltend mache. Es gehe ihm um eine gleichmäßige entgeltliche Verwertung der gemeinsamen Sache. Zu Lebzeiten der Fruchtgenussberechtigten sei ihm die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung der unentgeltlichen Nutzung von top 5 durch den Erstbeklagten entzogen gewesen. Es sei „unzutreffend", einzelnen, zufällig schon in der Vergangenheit über eine konkrete Gebrauchsmöglichkeit der gemeinsamen Sache verfügenden Miteigentümern bis zum Ergehen einer künftigen gerichtlichen Entscheidung über eine (andere) Gebrauchsordnung eine „Sondernutzung" zu bewilligen. Dies führte zu einer enteignungsgleichen Belastung der Miteigentumsanteile der übrigen Miteigentümer, die vom Gesetz nicht gewollt sein könne. Den §§ 825 ff ABGB sei nicht zu entnehmen, dass der übermäßige Gebrauch der gemeinsamen Sache durch einen Miteigentümer rechtmäßig sei. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der tatsächliche Gebrauch der übrigen Miteigentümer nicht beeinträchtigt werde und diese sich auch sonst diesem übermäßigen Gebrauch nicht widersetzten. Das rechtliche Interesse für das - hilfsweise erhobene - Feststellungsbegehren sei gegeben, da sämtlichen Miteigentümern das Recht auf eine gleichmäßige entgeltliche Verwertung der gemeinsamen Sache zustehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Senat hat dazu wie folgt erwogen:
1. Gemäß § 828 Abs 1 ABGB stellen alle Teilhaber, solange sie einverstanden sind, nur eine Person vor und haben das Recht, mit der gemeinschaftlichen Sache nach Belieben zu schalten. Sobald sie uneinig sind, kann kein Teilhaber in der gemeinschaftlichen Sache eine Veränderung vornehmen, wodurch über den Anteil des andern verfügt würde.
2. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs findet der Gebrauch des einen Miteigentümers nur in dem tatsächlichen Gebrauch des anderen seine Schranke und nicht in jeder denkbaren Möglichkeit des Gebrauchs. Ein Miteigentümer ist auch bei nur beschränkter Gebrauchsmöglichkeit berechtigt, das gemeinschaftliche Gut nach Willkür zu benützen, soweit er dadurch nicht den konkreten Gebrauch eines anderen Miteigentümers stört (RIS‑Justiz RS0013211). Ohne Beanspruchung eines konkreten Gebrauchs durch den Kläger als Miteigentümer liegt keine titellose Benützung durch die anderen Miteigentümer vor (9 Ob 85/00s). Der sich beschwert erachtende Miteigentümer muss die Nutzung einvernehmlich oder gerichtlich regeln (RIS‑Justiz RS0013185).
3. In der Entscheidung 6 Ob 119/04z billigte der Oberste Gerichtshof den Mehrheitseigentümern einer Liegenschaft die Räumungsklage gegen den Sohn einer Minderheitseigentümerin zu, die diesem die Benützung der Wohnung gestattet hatte und somit eine andere Nutzung als die Mehrheit - die eine gewinnbringende Vermietung anstrebte - beanspruchte. Der dort zu beurteilende Sachverhalt ist mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar.
Vonkilch vertritt in wobl 2006, 138 ff, die Lehrmeinung, dass es ab dem (wirksamen) Widerspruch der übrigen Miteigentümer gegen die übermäßige Nutzung der gemeinsamen Sache Aufgabe desjenigen Miteigentümers sei, der weiterhin am übermäßigen Gebrauch der gemeinsamen Sache interessiert sei, sich um eine einvernehmliche Lösung mit den übrigen Teilhabern oder um eine entsprechende Benützungsregelung durch den Außerstreitrichter zu bemühen. Nicht aber sei es Sache der durch den übermäßigen Gebrauch in ihren Anteilsrechten rechtswidrig beeinträchtigten Miteigentümer, zur Wahrung ihrer Anteilsrechte einen derartigen Rechtsbehelf zu ergreifen. Ihnen stünden alle Klagen „aus dem Anteilsrecht" zu.
Auch Oberhofer kritisiert die zu Punkt 2. auszugsweise wiedergegebene Rechtsprechung, da diese darauf hinaus laufe, dass man das dem Miteigentumsanteil entsprechende Gebrauchsrecht durch das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" ersetze (wobl 2004, 209 ff).
4. Im konkreten Fall ist zunächst festzuhalten, dass ein „übermäßiger Gebrauch" des Erstbeklagten an der gemeinsamen Sache nicht erwiesen und auch nicht wahrscheinlich - bedenkt man das Hälfteeigentum des Erstbeklagten und die Anzahl der einzelnen Räumlichkeiten im Haus - ist. Der Erstbeklagte - und von ihm abgeleitet ehemals der Zweitbeklagte und nunmehr jedenfalls die Drittbeklagte - benützt die gegenständlichen Räumlichkeiten seit mehr als dreißig Jahren zum Betrieb einer Rechtsanwaltskanzlei. Welche Vereinbarungen - sofern überhaupt welche getroffen wurden - zwischen ihm und seiner fruchtgenussberechtigten Mutter zur Unentgeltlichkeit der Benützung führten, ist für die Lösung der hier anstehenden Rechtsfragen ohne Belang, zumal das Fruchtgenussrecht mit dem Tod der daraus Berechtigten erloschen ist. Der Titel zur Benützung der strittigen Räumlichkeiten durch die Beklagten liegt jedenfalls jetzt in der Hälfte‑Miteigentümerschaft des Erstbeklagten. Die seit Beendigung des Fruchtgenussrechts fortgesetzte Benützung der Kanzleiräumlichkeiten durch die Beklagten ist weder eine „Veränderung" im Sinne des § 828 Abs 1 ABGB, noch eine eigenmächtige Störung des „ruhigen Besitzstands" (Eccher in KBB2, Rz 1 zu § 339 ABGB). Das Verbot der Eigenmacht bildet geradezu ein Grundprinzip der Rechtsordnung. Es darf sich niemand durch eine derartige Eigenmacht einen Vorteil verschaffen können (G. Kodek, Die Besitzstörung, 39). Die eigenmächtige Veränderung der bisherigen Benützungsverhältnisse durch einzelne Miteigentümer stellt einen rechtswidrigen Eingriff in die Anteilsrechte der anderen dar. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Veränderung ist die bisherige Ausübung des Mitbesitzes (Egglmeier/Gruber/Sprohar in Schwimann, ABGB3, Rz 29 zu § 828). Zur Wahrung seines Anteilsrechts stehen dem Miteigentümer im Fall von eigenmächtigen Veränderungen - insbesondere einer bestehenden Gebrauchsordnung - durch andere Miteigentümer alle possessorischen und petitorischen Rechtsbehelfe zu (Egglmeier/Gruber/Sprohar aaO, Rz 9 zu § 829).
Im vorliegenden Fall haben die Beklagten jedenfalls keine Veränderung in der seit mehr als dreißig Jahren geübten Nutzung der Rechtsanwaltskanzlei in top 5 des Hauses vorgenommen. Vorbehaltlos ist der Rechtsansicht des Berufungsgerichts beizutreten, dass es dem der (bislang unwidersprochenen) faktischen Benützung widersprechenden Miteigentümer eher zumutbar ist, die bisher gelebten faktischen Benützungsverhältnisse vorerst hinzunehmen und selbst einen Antrag auf gerichtliche Benützungsregelung zu stellen, insbesondere wenn nichts auf einen „übermäßigen Gebrauch" durch den faktisch nutzenden Miteigentümer hindeutet. Ein Räumungsanspruch des klagenden Minderheitseigentümers gegen den erstbeklagten Häfteeigentümer und die weiteren Beklagten, die ihr Benützungsrecht vom Erstbeklagten ableiten, besteht daher nicht.
5. Dem Kläger mangelt es am rechtlichen Interesse an der Feststellung des Fehlens einer rechtswirksamen Vereinbarung über die Nutzung der strittigen Räumlichkeiten, zumal dies eine Vorfrage zur Beurteilung des Räumungsanspruchs ist (vgl RIS‑Justiz RS0038429).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO.
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