Spruch:
Im Strafverfahren 12 Ur 96/06m des Landesgerichts St. Pölten verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 9. November 2006, AZ 22 Bs 279/06z (ON 10) das Gesetz in der Bestimmung des § 263 StPO.
Text
Gründe:
Mit - unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem - Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 26. Juni 2006, GZ 9 U 420/05i-22, wurde Ingo D***** von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, er habe am 22. April 2005 in St. Pölten als Lenker eines PKWs unter Außerachtlassung der erforderlichen Aufmerksamkeit im Straßenverkehr das Vorrangzeichen „Halt" missachtet und dadurch eine Kollision mit einem anderen Fahrzeug verursacht, wodurch der Lenker dieses Fahrzeuges und dessen Beifahrerin Prellungen erlitten, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
In der Hauptverhandlung hatte sich der Beschuldigte - entgegen seiner ursprünglich geständigen Einlassung unmittelbar nach dem Vorfall (S 13, 27 ff im bezughabenden Akt), aber im Einklang mit früheren Depositionen vor Gericht (S 1 verso) und Polizei (ON 4) - nicht schuldig bekannt und behauptet, tatsächlich sei nicht er, sondern der - bisher von ihm als Beifahrer bezeichnete - Fahrzeughalter, Ronald J*****, Lenker des PKW gewesen. Als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft schritt in der Hauptverhandlung (die am 17. Jänner 2006 und am 26. Juni 2006 durchgeführt wurde) jeweils ein (nicht geprüfter) Richteramtsanwärter ein. Eine Ausdehnung der Anklage in Richtung § 299 StGB erfolgte nicht (ON 7, 22).
Am 9. August 2006 beantragte die Staatsanwaltschaft St. Pölten zu AZ 12 Ur 96/06m zunächst (ua) Vorerhebungen gegen Ingo D***** durch dessen verantwortliche Abhörung gemäß § 38 Abs 3 StPO „wegen § 299 Abs 1 StGB im Hinblick auf dessen Aussage im Verfahren 9 U 420/05i des Bezirksgerichts St. Pölten" (S 1). Mit Beschluss des Untersuchungsrichters des Landesgerichts St. Pölten vom 28. September 2006 wurde über weiteren Antrag der Anklagebehörde vom 26. September 2006 (S 3f und 3g) die Voruntersuchung gegen Ingo D***** wegen des Vergehens der Begünstigung nach § 299 Abs 1 StGB eingeleitet (ON 5).
Das Oberlandesgericht Wien gab der dagegen von Ingo D***** erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 9. November 2006, AZ 22 Bs 279/06z (ON 10), nicht Folge und führte begründend aus, dass im bezirksgerichtlichen Verfahren ein Vorbehalt nur hinsichtlich solcher Straftaten erforderlich sei, die in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallen. Denn der öffentliche Ankläger könne sich beim Bezirksgericht - unabhängig davon, ob der Bezirksanwalt, ein Staatsanwalt oder (wie hier) ein Richteramtsanwärter die öffentliche Anklage vertrete - nicht die Verfolgung von Straftaten vorbehalten lassen, zu deren Verfolgung er gar nicht berechtigt sei. Die Vorschrift des § 263 StPO finde nämlich ihre natürliche Grenze im Anklagerecht des Anklägers; fehle es an diesem so könne er die Anklage nicht ausdehnen. Daraus folge zwingend, dass er seines Anklagerechts auch nicht durch Verschweigen verlustig gehe (13 Os 79/91).
In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur in Ansehung der darin aufgegriffenen Verletzung der Bestimmung des § 263 StPO im Wesentlichen aus:
„Das Oberlandesgericht Wien ist mit seinem Beschluss vom 9. November 2006 im Ergebnis .... im Recht. Der Beschluss steht allerdings in seiner (zusammengefassten) Begründung, wonach im bezirksgerichtlichen Verfahren eine Anklageausdehnung und ein Verfolgungsvorbehalt zur Vermeidung des Anklageverlusts unabhängig von der Person des öffentlichen Anklägers nur hinsichtlich jener Straftaten erforderlich seien, die in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallen, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
§ 263 StPO regelt den Fall, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung noch einer anderen, von der bisherigen Anklage noch nicht erfassten Tat beschuldigt wird. Ist diese von Amts wegen zu verfolgen, muss der Staatsanwalt (oder der durch die Tat Verletzte) - sofern die Hauptverhandlung nicht vertagt wird - den Verfolgungsantrag auf die neu hinzugekommene Tat ausdehnen; handelt es sich indes um kein Offizialdelikt, kommt die Befugnis zur Anklageausdehnung nur dem zur Erhebung der Privatanklage Berechtigten zu (Abs 1).
Ist eine sofortige Aburteilung der hinzugekommenen Tat nicht möglich, muss der berechtigte Ankläger vom Gericht verlangen, ihm deren selbständige Verfolgung vorzubehalten, widrigenfalls eine Verfolgung wegen dieser Straftat gemäß § 263 Abs 2 StPO nicht mehr zulässig ist. Voraussetzung für die Anwendung der Vorschriften des § 263 StPO ist allerdings, dass der berechtigte Ankläger (und der Angeklagte) in der Hauptverhandlung auch anwesend ist (Fabrizy StPO9 § 263 Rz 9).
...
Die Bestimmung des § 263 StPO, die auch für das bezirksgerichtliche Verfahren gilt (RIS-Justiz RS0098859; Mayerhofer aaO § 263 E 67), dient nicht nur der Verwirklichung des sogenannten Absorptionsprinzips, also den Regeln für die Strafbemessung bei mehreren (real- oder idealkonkurrierend) zusammentreffenden strafbaren Handlungen (§ 28 StGB), über die nach Möglichkeit in einem gemeinsamen Verfahren entschieden werden soll (§ 56 StPO; siehe SSt 61/73). Ihr Schutzzweck liegt vielmehr (auch) darin, den Angeklagten darüber zu informieren, ob und wegen welcher Taten er noch verfolgt werden soll (13 Os 111/04).
§ 263 StPO wäre zwar grundsätzlich auch dann zu beachten wenn das Gericht zur Ahndung der neu hervorgekommenen Tat nicht zuständig ist (RIS-Justiz RS0098808; Mayerhofer aaO § 263 E 73), doch findet diese Vorschrift ihre natürliche Grenze im Anklagerecht des Anklägers (SSt 61/73), zumal nicht nur zur Erhebung einer Anklage, sondern auch zu deren Ausdehnung in der Hauptverhandlung immer nur der jeweils berechtigte Ankläger berufen sein kann (vgl Lohsing/Serini4 403). Abs 1 leg cit spricht daher bei Offizialdelikten folgerichtig vom „Staatsanwalt" und nicht bloß vom „Anklagevertreter". demnach ist es Bezirksanwälten im bezirksgerichtlichen Verfahren nach herrschender Ansicht verwehrt, die Anklage wegen einer in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fallenden Tat auszudehnen (KH 3085; KH 3587; SSt 8/83; EvBl 1953/133; SSt 61/73; ebenso Lohsing/Serini4 403 f; Mayerhofer aaO § 263 Anm 4 sowie E 68; aM Fabrizy StPO9 § 263 Rz 12).
Der Umstand, dass die Anklagebehörde im Anlassfall sowohl in der Hauptverhandlung vom 17. Jänner 2006 als auch in jener vom 26. Juni 2006 durch (zu den jeweiligen Zeitpunkten - laut Auskunft des Präsidiums des Oberlandesgerichts Wien - noch nicht geprüfte) Richteramtsanwärter vertreten war, vermag am Fehlen eines zur Verfolgung in die Zuständigkeit des Einzelrichters beim Gerichtshof erster Instanz fallender Straftaten berechtigten Anklägers nichts zu ändern.
Während nämlich Bezirksanwälte von Gesetzes wegen zur öffentlichen Anklage im Verfahren vor dem Bezirksgericht (nicht aber im Gerichtshofverfahren; vgl § 42 Abs 2 DV-StAG) berufen sind (§ 448 StPO; § 4 Abs 1 zweiter Satz StAG), kommt Richteramtsanwärtern, die einer staatsanwaltlichen Behörde zur Dienstleistung zugewiesen wurden, die Befugnis zur selbständigen Anklageerhebung nur unter der weiteren Voraussetzung der bereits erfolgreich abgelegten Richteramtsprüfung zu (§ 3 Abs 3 StAG). Denn die staatsanwaltlichen Behörden üben die ihnen vom Gesetz zugewiesene Tätigkeit - mit Ausnahme der Anklagevertretung vor Bezirksgerichten durch Bezirksanwälte (§ 4 Abs 1 StAG) - entweder durch ernannte Staatsanwälte (§ 3 Abs 1 und Abs 2 StAG) oder durch ihnen zur Dienstleistung zugewiesene Richter und Richteramtsanwärter nach erfolgreicher Ablegung der Richteramtsprüfung aus (§ 3 Abs 3 StAG). Nur diese Personen sind auch zur selbständigen Führung eines staatsanwaltschaftlichen Referats berufen (Schindler/Pöll StAG² § 3 StAG Anm 3).
Soweit Richteramtsanwärtern ohne Prüfung die Vertretung der Anklage in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht oder vor dem Einzelrichter eines Gerichtshofs (nicht aber vor dem Schöffen- oder Geschworenengericht) übertragen (§ 32 Abs 3 StAG) und im bezirksgerichtlichen Verfahren - bei Verhinderung des Bezirksanwalts - allenfalls auch eine andere geeignete Person zum Anklagevertreter bestellt werden kann (§ 4 Abs 3 StAG), bezieht sich eine solche - vom Behördenleiter (oder dessen Stellvertreter) gemäß § 2 Abs 2 StAG iVm § 15 Abs 2 DV-StAG zu treffende - Anordnung immer nur auf den jeweiligen Einzelfall und die davon betroffene Verfahrensart. Einem als Sitzungsvertreter im bezirksgerichtlichen Verfahren eingeteilten Richteramtsanwärter ohne erfolgreich abgelegte Richteramtsprüfung, dem im Übrigen kein Anklagerecht zukommt, werden damit nur die Befugnisse jener ansonsten vor dem Bezirksgericht einschreitenden Anklagevertreter eingeräumt, die - ebenso wie Richteramtsanwärter - keine Staatsanwälte sind, nämlich der Bezirksanwälte. Denn allein aus der gesetzlich eingeräumten, fallbezogen aber nicht umgesetzten Möglichkeit, einem Richteramtsanwärter die Vertretung der Anklage auch in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter übertragen zu können (in welchem Fall ihm allerdings alle Befugnisse des Anklagevertreters im Gerichtshofverfahren zukommen, weshalb er auch die Vorschriften des § 263 StPO nicht nur hinsichtlich Straftaten, die in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts und des Einzelrichters fallen, sondern auch hinsichtlich jener, für die das Schöffen- oder Geschworenengericht zuständig ist, zu beachten hat), kann per se noch nicht dessen uneingeschränktes Verfolgungsrecht hinsichtlich aller in die Zuständigkeit des Einzelrichters fallender Delikte abgeleitet werden.
Da somit den in der Hauptverhandlung vom 17. Jänner 2006 und jener vom 26. Juni 2006 zur Vertretung der Anklage berufenen geprüften Richteramtsanwärtern kein Anklagerecht in Ansehung des in die Zuständigkeit des Einzelrichters beim Gerichtshof fallenden Vergehens der Begünstigung nach § 299 Abs 1 StGB zukam, konnte dieses auch nicht durch Verschweigung gemäß § 263 StPO verlustig gehen.
Hingegen trifft diese auch für Bezirksanwälte geltende Einschränkung - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichte Wien - nicht die in § 3 Abs 3 StAG genannten Organe."
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen: Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 263 StPO, allerdings aus anderen als den vom Generalprokurator aufgezeigten Gründen.
Richtig ist, dass Voraussetzung für die Anwendung der Vorschriften des § 263 StPO die Anwesenheit des berechtigten Anklägers in der Hauptverhandlung ist (Fabrizy StPO9 § 263 Rz 9).
Richtig ist auch, dass in älteren Entscheidungen die Vorschrift des § 263 StPO dahin reduziert wurde, dass es eines Vorbehalts dann nicht bedurfte, wenn in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht eine Tat hervorkam, welche den Tatbestand eines Verbrechens oder Vergehens (und nicht bloß einer - in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallenden - Übertretung) bildete (KH 3085; KH 3587; SSt 8/83; EvBl 1953/133; ebenso Lohsing/Serini4 403 f, in diesem Sinn auch Mayerhofer/Hollaender StPO5 § 263 Anm 4 mit ausschließlichem Bezug auf die alte Rechtssprechung, aM Fabrizy StPO9 § 263 Rz 12). Diese Judikatur bezog sich aber auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des Strafprozessanpassungsgesetzes BGBl Nr 423/1974, des StAG und der darauf basierenden DV-StAG (die in der Nichtigkeitsbeschwerde angeführte Entscheidung SSt 61/73 sprach zwar aus, dass dem Vorbringen der Generalprokuratur, das auch ein Referat der in Rede stehenden älteren Judikatur zu diesem Prozesshindernis enthielt, im Ergebnis beizupflichten sei, nahm aber inhaltlich nur zur Frage der Alternativanklage konkret Stellung), auf eine Zeit also, als die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft in Verfahren wegen Übertretungsfällen durch die hiefür mit Verordnung zu bezeichnenden Organe, sogenannte staatsanwaltschaftliche Funktionäre, ausgeübt wurden (§ 448 StPO in der damals geltenden Fassung) und die staatsanwaltschaftlichen Verrichtungen bei Gerichtstagen - soferne das Bundesministerium für Justiz nichts anderes anordnete - von vorübergehend bestellten staatsanwaltschaftlichen Funktionären zu besorgen waren (§ 45 Abs 2 StAGeo). Vorübergehend bestellte staatsanwaltschaftliche Funktionäre aber wurden als (auch) vom Vorsteher des Bezirksgerichts bestellte Verfahrensbeteiligte (§ 57 StAGeo) nicht der Staatsanwaltschaft zugerechnet und daher nicht als berechtigte Ankläger gesehen. Nur unter diesem - auch für nicht anwesende Privatankläger relevanten - Gesichtspunkt war es sachgerecht, diese Personen nicht als Normadressaten des § 263 StPO anzusehen, soweit in die Gerichtshofkompetenz fallende Straftaten hervorgekommen sind.
Nach § 448 StPO in der im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidungsbegründung geltenden Fassung oblag die öffentliche Anklage vor dem Bezirksgericht Bediensteten der Staatsanwaltschaft, die nicht rechtskundig sein mussten, mithin Beamten des Fachdiensts oder in gleichartiger Verwendung stehenden Vertragsbediensteten. Ist der Bezirksanwalt verhindert, sich an der Hauptverhandlung zu beteiligen, so kann der Leiter der Staatsanwaltschaft auch eine andere geeignete Person mit deren Zustimmung zum Anklagevertreter bestellen (§ 4 StAG).
Da Bezirksanwälte demgemäß unzweifelhaft Organe der Staatsanwaltschaft und nicht von Dritten mit der Wahrnehmung einzelner staatsanwaltlicher Agenden betraut sind, war die zitierte Argumentation schon im Zeitpunkt der von der Anfechtung betroffenen Entscheidung unbeachtlich (nunmehr eindeutig § 20 Abs 2 StPO idgF).
§ 263 StPO gilt lege non distinguente auch im bezirksgerichtlichen Verfahren (vgl RIS-Justiz RS0098859).
Einschränkungen oder Modifikationen von für das Landesgericht als Schöffengericht formulierten Verfahrensvorschriften im Verfahren vor dem Bezirksgericht sind nach alter wie auch neuer Rechtslage nur in jenen Fällen vorgesehen, in denen abweichende Gesetzesbestimmungen vorliegen (vgl § 447 StPO aF und gF sowie § 458 Abs 5 StPO aF und gF). Zu § 263 StPO finden sich - anders als etwa zu den staatsanwaltschaftlichen Rügepflichten (vgl § 468 Abs 2 StPO) - im 22. Hauptstück der Strafprozessordnung keine abweichenden Regelungen (vgl auch das XXVI. Hauptstück der StPO aF).
§ 263 StPO regelt ausdrücklich auch den Fall sachlicher Unzuständigkeit des mit dem ursprünglichen Vorwurf befassten Gerichts für die neu hervorgekommene Tat. Der berechtigte Ankläger hat zur Vermeidung der in § 263 Abs 2 letzter Teilsatz StPO normierten Folge auch dann sogleich einen eindeutigen und ausdrücklichen Verfolgungsantrag zu stellen, wenn die Urteilsfällung über diese Tat im gegenständlichen Verfahren gar nicht zulässig wäre (vgl auch RIS-Justiz RS0098808; EvBl 1949/377). Die Vorschrift des § 263 StPO stellt damit unmissverständlich klar, dass die Anklageberechtigung nicht unter dem Aspekt der Anklagebefugnis gegenüber dem für die Aburteilung der neu hervorgekommenen Straftat sachlich zuständigen Gericht zu sehen ist, vielmehr bloß unter dem Aspekt der Ausdehnung (§ 263 Abs 2 dritter Fall StPO). Insoweit steht nämlich nur eine (wenn auch als Verfolgungshandlung zu sehende) notwendige Voraussetzung zur - solcherart noch gar nicht geschehenen (vgl § 263 Abs 4 StPO) - Anklageerhebung vor dem sachlich zuständigen Gericht in Rede (§ 263 StPO ist nämlich als lex specialis zu § 261 StPO zu sehen).
Nur so ist es im Übrigen möglich, auch dem Schutzzweck der Norm, den Angeklagten darüber zu informieren, ob und welcher Taten er noch verfolgt werden soll (vgl 13 Os 111/04), ausreichend Rechnung zu tragen und nicht wünschenswerte Konsequenzen der Reduktion der Vorschrift des § 263 StPO zu vermeiden (vgl etwa den Fall, dass das erkennende Landesgericht, das in der vor dem Bezirksgericht neu hervorgekommenen Tat, auf die die Anklage nicht ausgedehnt wurde, doch bloß ein in dessen Zuständigkeit fallendes Vergehen erblickt, den Angeklagten bei solcherart im Nachhinein als rechtsirrig erkannter Unterlassung der Ausdehnung wegen Vorliegens eines Verfolgungshindernisses freisprechen müsste, oder den Fall, dass das Hervorkommen eines [für sich alleine bezirksgerichtliche Zuständigkeit bewirkenden] gleichartigen Vergehens, das über § 29 StGB zu einer Zuständigkeit des Landesgerichts führen würde, die rechtsrichtige Erfassung von Subsumtionseinheiten verhindern würde).
Daran, dass demnach der Bezirksanwalt zur Vermeidung eines Anklageverlusts auch einen Verfolgungsantrag wegen in der Hauptverhandlung neu hervorgekommener Taten, die in die sachliche Zuständigkeit des Gerichtshofs fallen, zu stellen hat, vermag auch der Hinweis der Nichtigkeitsbeschwerde nichts zu ändern, dass § 263 Abs 1 StPO bei Offizialdelikten vom „Staatsanwalt" und nicht bloß vom Anklagevertreter spricht, was sich nämlich aus der notwendigen Differenzierung zum ebenfalls handlungspflichtigen Privatankläger ergibt (vgl demgegenüber Abs 2 leg cit, wo wieder auf die Pflichten des Anklägers abgestellt wird). Daraus lässt sich nämlich keine Beschränkung der Anklägerfunktion des Bezirksanwalts oder einer sonst an Stelle des Staatsanwalts die Anklagevertretung beim Bezirksgericht wahrnehmenden Person ableiten. Dies widerspräche vielmehr der in §§ 4 Abs 1 zweiter Satz, 32 Abs 3 StAG aF und gF uneingeschränkt (vgl „Anklagevertretung" bzw „Vertretung der Anklage") zum Ausdruck gebrachten Vertretungsbefugnis eines Bezirksanwalts oder eines (ungeprüften) Richteramtsanwärters im bezirksgerichtlichen Verfahren (vgl Schroll, WK-StPO § 29 Rz 8; siehe schon S. Mayer, Commentar Bd 3, 633). § 448 StPO aF schränkt diese allgemeine Vertretungsmacht des Bezirksanwalts ebensowenig ein wie § 42 Abs 2 DV-StAG aF, mit welchem ausschließlich die Behandlung einer Anzeige, nicht aber das Verhalten in der Hauptverhandlung determiniert wird.
Indem das Oberlandesgericht der Beschwerde des Angeklagten gegen die Einleitung der Voruntersuchung mit der Begründung nicht Folge gegeben hat, dass im bezirksgerichtlichen Verfahren ein Vorbehalt nur hinsichtlich solcher Straftaten erforderlich sei, die in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallen, weil sich der öffentliche Ankläger beim Bezirksgericht - unabhängig davon, ob der Bezirksanwalt, ein Staatsanwalt oder ein Richteramtsanwärter die öffentliche Anklage vertrete - nicht die Verfolgung von Straftaten vorbehalten lassen könne, zu deren Verfolgung er gar nicht zuständig sei, sodass er seines Anklagerechts auch nicht durch Verschweigen verlustig gehe, hat es demgemäß das Gesetz in der Bestimmung des § 263 StPO verletzt.
Prozessgegenstand der Wahrungsbeschwerde war nur das Fehlen einer für das Ergebnis der Entscheidung des Oberlandesgerichts irrelevanten Einschränkung fehlender Ausdehnungsobliegenheit für im bezirksgerichtlichen Verfahren einschreitende Ankläger und demnach eine Differenzierung nach der Person des Organwalters. Da der angesprochene Fehler auf die - bloß aus den aufgezeigten anderen Gründen - verfehlte Entscheidung selbst keinerlei Einfluss hat, die Entscheidung mithin nicht aufgrund des allein den Prozessgegenstand der Wahrungsbeschwerde bildenden Vorgangs als verfehlt anzusehen ist, kommt deren Aufhebung nicht in Betracht. Denn der Oberste Gerichtshof hat sich nach § 292 erster Satz StPO mangels Geltung des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO für Beschlüsse bei solchen Entscheidungen strikt auf die geltend gemachten Rechtsfehler zu beschränken.
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