Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Daniela K***** des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie sich am 18. Mai 2007 in Kapfenberg in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung, nämlich in einem massiven Angstzustand nach vorangegangenen Tätlichkeiten und Bedrohungen durch Karim T*****, dazu hinreißen lassen, diesen durch das Versetzen mehrerer wuchtiger Stiche mit einem Küchenmesser gegen seinen Körper zu töten.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten; sie ist im Recht.
Im Ergebnis zutreffend zeigt die Rechtsrüge (Z 9 lit b) auf, dass dem Urteil keine Feststellungen zur Frage einer irrtümlichen Annahme eines im Tatzeitpunkt bestehenden gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriffs iSd § 3 Abs 1 StGB zu entnehmen sind, obwohl Konstatierungen dazu nach den Verfahrensergebnissen indiziert gewesen wären.
Das Schöffengericht hat nämlich in diesem Zusammenhang lediglich folgenden Sachverhalt festgestellt:
Karim T***** hat Daniela K***** zunächst auf im Urteil detailliert konstatierte Weise durch wiederholte Gewaltanwendungen am Körper schwer verletzt und zuletzt unter Anhalten eines Messers am Hals verbal mit dem Umbringen bedroht. Die Angeklagte befand sie dadurch in Todesangst. Sie entriss ihm die Tatwaffe und stach auf ihn ein, fügte ihm aber zunächst mit drei Messerstichen nur unerhebliche und oberflächliche Verletzungen im Bauchbereich zu. T***** sank dadurch in eine knieende Position und führte nun keine weiteren „Aggressionshandlungen" mehr aus, sondern setzte „wenn überhaupt" nur noch „Verteidigungs- oder Abwehrhandlungen". Die Angeklagte hätte ab dem Moment, in dem das Tatopfer in eine knieende Position sank, die Möglichkeit gehabt, zu fliehen. Ungeachtet dessen stach sie „in ihrer massiven Gemütsbewegung" so lange auf T***** ein, bis er gegen sie fiel und äußerte, dass er jetzt tot sei. Drei dieser weiteren Messerstiche in Schulter und Brust führten zum Tod des Genannten (US 5 ff, 9 f, 15, 18).
In rechtlicher Hinsicht hat das Schöffengericht den Rechtfertigungsgrund der Notwehr iSd § 3 Abs 1 StGB mit der Begründung verneint, dass zum Zeitpunkt der Tötungshandlungen kein gegenwärtiger oder unmittelbar drohender Angriff des Tatopfers gegen die Angeklagte (mehr) vorlag.
Die Tatrichter haben aber keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Angeklagte nach den ersten drei Stichen irrtümlich das Weiterbestehen eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriffs iSd § 3 Abs 1 erster Satz StGB angenommen hat. Konstatierungen hierüber waren aufgrund der vorliegenden - im Urteil grundsätzlich berücksichtigten - Verfahrensergebnisse, insbesondere des Sachverständigengutachtens Dris H***** und der Verantwortung der Angeklagten, wonach sie durch die unmittelbar vorangegangenen Gewalthandlungen und Drohungen des Opfers in Todesangst bzw in einem „massiven panikartigen Angstzustand, verbunden mit katastrophierenden Fantasien" war (s auch US 8, 11, 13 f), indiziert (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600).
Somit wurden Anhaltspunkte, welche in Richtung irrtümlicher Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (§ 8 StGB) deuten, in sachverhaltsmäßiger Hinsicht nicht geklärt. Hievon hängt aber die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts in Richtung Putativnotwehr und Putativnotwehrexzess ab.
Soweit das Schöffengericht argumentativ wiederholt darauf abstellt, dass die Angeklagte ab dem Moment, in dem das Tatopfer in eine knieende Position sank, die Möglichkeit gehabt hätte, zu fliehen (US 9, 15, 18), wird bemerkt, dass ein Angriff iSd § 3 Abs 1 erster Satz StGB so lange noch gegenwärtig ist, als er nicht aufgegeben oder bezwungen wurde oder misslungen ist (Lewisch in WK2 § 3 Rz 75). Gegen diesen ist jede Verteidigungshandlung als notwendig zu beurteilen, die aus der ex-ante-Sicht des Angegriffenen, wenn auch unter Beachtung objektiver Kriterien, so weit in die Rechtsgüter des Angreifers eingreift, dass der Angriff verlässlich, das heißt sofort und endgültig abgewehrt werden kann (WK2 § 3 Rz 87 f; RIS-Justiz RS0095986). Es besteht keine Ausweichpflicht des Angegriffenen, weshalb der rechtswidrig Angegriffene dem Angriff nicht ausweichen oder gar flüchten muss. Dies ist ebenso auf einen in vermeintlicher Notwehrlage handelnden Täter zu übertragen (RIS-Justiz RS0089368). Das Urteil war somit infolge des Feststellungsmangels bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).
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