Spruch:
Es verletzten
I. in der Jugendstrafsache AZ 1 U 9/05d (nunmehr 3 U 97/06m) des Bezirksgerichts Mattighofen
1. die nicht in Form eines Beschlusses, sondern im Urteilsspruch erfolgte Anordnung der Bewährungshilfe für Slaven S***** § 50 StGB iVm § 494 Abs 1 StPO;
2. die Abfassung eines Protokollvermerks § 32 Abs 2 JGG;
II. Im Verfahren AZ 3 U 110/06y des Bezirksgerichts Mattighofen
1. das Urteil vom 9. November 2006
a. soweit Slaven S***** und Birgit Barbara B***** (nur) des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB sowie (darüber hinaus) der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs 1 StGB schuldig erkannt wurden, §§ 224, 228 Abs 1 StGB;
b. durch die Festsetzung zweier gesonderter Sanktionen hinsichtlich Slaven S***** § 494a Abs 1 Z 3 erster Halbsatz StPO und § 28 Abs 1 StGB;
2. die unterlassene Wahrnehmung der Unzuständigkeit § 450 StPO aF bzw § 261 iVm § 458 Abs 5 StPO aF;
3. das Unterbleiben des Ausspruchs, dass im Verfahren 1 U 9/05d (nunmehr 3 U 97/06m) des Bezirksgerichts Mattighofen ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt, § 494a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO;
4. die Vernehmung des (Mit-)Beschuldigten Slaven S***** als Zeuge in der Hauptverhandlung am 9. November 2006 das XIII. und XIV. Hauptstück der Strafprozessordnung in der Fassung vor dem 1. Jänner 2008 sowie die aus §§ 245, 246, 248 StPO hervorgehende grundsätzliche Rollentrennung zwischen Beschuldigten und Zeugen.
Das Urteil des Bezirksgerichts Mattighofen vom 29. November 2006, GZ 3 U 110/06y-14, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldspruchpunkten I/2 und II/2 (insoweit ersatzlos) sowie in den Strafaussprüchen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuerlichen Entscheidung über das Strafausmaß hinsichtlich beider Beschuldigten sowie über den Slaven S***** betreffenden Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Straffestsetzung zu AZ 1 U 9/05d (nunmehr 3 U 97/06m) des Bezirksgerichts Mattighofen an das Erstgericht verwiesen.
Text
Gründe:
Mit gemäß § 458 Abs 3 StPO gekürzt ausgefertigtem, am 26. November 2005 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichts Mattighofen vom 22. November 2005, GZ 1 U 9/05d-30 (nunmehr 3 U 97/06m-30), wurde der am 30. Mai 1988 geborene Slaven S***** des am 2. Juli 2005 begangenen Vergehens der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Gemäß § 13 JGG wurde der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftat zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten. Unter einem erfolgte im Urteilsspruch die Anordnung von Bewährungshilfe gemäß § 50 StGB (S 200 in 1 U 9/05d des Bezirksgerichts Mattighofen). Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde durch einen Vermerk im Sinn des § 458 Abs 2 StPO ersetzt. Mit ebenfalls gekürzt ausgefertigtem, am 14. November 2006 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichts Mattighofen vom 9. November 2006, GZ 3 U 110/06y-14, wurden Birgit B***** und Slaven S***** der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (I/1 und II/1) sowie der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs 1 StGB (I/2 und II/2) schuldig erkannt. Danach haben Birgit B***** und Slaven S***** am 20. Dezember 2005 in Ostermiething im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter
1. „dadurch eine gefälschte Urkunde zum Beweis eines Rechtsverhältnisses gebraucht, dass sie der D***** zur Erlangung der Zulassung des Pkw BMW 318i mit der Fahrgestellnummer W***** ein gefälschtes Kfz-Gutachten (§ 57a Abs 4 KFG) vorgelegt" haben, „wobei sie mit dem Vorsatz gehandelt" haben, „dass die gefälschte Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, nämlich zur Zulassung zum Straßenverkehr gebraucht werde",
2. „durch Vorlage eines gefälschten Kfz-Gutachtens bei der D***** bewirkt, dass gutgläubig das Recht des Staates auf Zulassung des Pkw BMW 318i zum Straßenverkehr in einem Zulassungsschein, mithin einer inländischen öffentlichen Urkunde, unrichtig beurkundet wurde, wobei sie mit dem Vorsatz" handelten, „dass die Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis des oben genannten Rechts gebraucht werde."
Beide Beschuldigten wurden hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB, Slaven S***** weiters unter Bedachtnahme auf § 5 Z 4 JGG, zu Freiheitsstrafen in der Dauer von je zwei Monaten verurteilt, deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Zugleich sprach das Bezirksgericht Mattighofen über Antrag der Staatsanwaltschaft (S 167 in 3 U 110/06y des Bezirksgerichts Mattighofen) gemäß § 15 Abs 1 JGG hinsichtlich des von diesem Gericht am 22. November 2005 zu GZ 1 U 9/05d-30 unter Vorbehalt der Strafe nach § 13 JGG erfolgten Schuldspruchs des Slaven S***** (gesondert) eine weitere, für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von einem Monat aus. Neben den der Verurteilung vom 9. November 2006 zu Grunde liegenden Tathandlungen war auch der weitere, allein gegen Birgit B***** erhobene Vorwurf (ON 9) der fahrlässigen Körperverletzung im Zuge eines Verkehrsunfalls am 22. Juli 2006 in St. Pantaleon Gegenstand der Hauptverhandlung. Hiezu vernahm der Bezirksrichter unter anderem den bei diesem Unfall verletzten Slaven S***** als Zeugen (S 160 ff in 3 U 110/06y des Bezirksgerichts Mattighofen) und schied das Verfahren betreffend diesen Tatvorwurf danach mangels Spruchreife gemäß § 57 StPO aF aus (S 167 in 3 U 110/06y des Bezirksgerichts Mattighofen). Letztlich erfolgte mit am 23. Jänner 2007 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichts Mattighofen vom 18. Jänner 2007, GZ 3 U 110/06y-28, insoweit ein Freispruch.
Rechtliche Beurteilung
In den genannten Verfahren wurde - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - das Gesetz in mehrfacher Hinsicht verletzt.
1. Die Anordnung von Bewährungshilfe gemäß § 50 StGB iVm § 494a Abs 1 StPO hätte nicht im Urteilsspruch, sondern mit gesondert zu verkündendem und auszufertigendem Beschluss zu erfolgen gehabt (Schroll in WK2 [2006] § 50 Rz 16; Danek, WK-StPO § 270 Rz 50). Deren Aufnahme in den Urteilsspruch zu GZ 1 U 9/05d-30 des Bezirksgerichts Mattighofen, erfolgte daher rechtsirrig. Auch die Abfassung eines Vermerks nach § 458 Abs 2 StPO an Stelle eines Protokolls war gemäß § 32 Abs 2 JGG im Hinblick auf den ausgesprochenen Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe nach § 13 Abs 1 JGG unzulässig.
Beide Gesetzesverletzungen in diesem Verfahren haben sich jedoch nicht zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt, sodass es mit deren Feststellung sein Bewenden haben kann.
2. Gutachten über die wiederkehrende Begutachtung von Fahrzeugen gemäß § 57a Abs 4 KFG sind auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung öffentliche Urkunden. Durch den Gebrauch eines falschen Kfz-Gutachtens verwirklichten Birgit Barbara B***** und Slaven S***** zu den Schuldspruchpunkten I/1 und II/1 des Urteils des Bezirksgerichts Mattighofen vom 9. November 2006, GZ 3 U 110/06y-14, daher das mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bedrohte, in die sachliche Zuständigkeit des Gerichtshofs erster Instanz (§§ 9 Abs 1 Z 1, 10 Z 2 StPO aF) fallende Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß §§ 223 Abs 2, 224 StGB.
Das Bezirksgericht wäre somit verpflichtet gewesen, seine sachliche Unzuständigkeit auf Grund der mit Antrag auf Bestrafung vom 1. August 2006 angelasteten, jedoch nur § 223 Abs 2 StGB unterstellten Vorlage eines gefälschten Gutachtens gemäß § 57a Abs 4 KFG an die D***** beschlussmäßig gemäß § 450 StPO aF auszusprechen (14 Os 181/94 = JBl 1996, 271; vgl auch Rainer, WK-StPO § 450 Rz 2) oder diese in der Hauptverhandlung durch Unzuständigkeitsurteil gemäß § 261 StPO iVm § 458 Abs 5 StPO aF wahrzunehmen gehabt.
Da das Bezirksgericht Mattighofen den Gebrauch des gefälschten Kfz-Gutachtens durch Birgit Barbara B***** und Slaven S***** mit rechtskräftigem Urteil rechtsirrig, jedoch zum Vorteil der Beschuldigten nur als das Vergehen nach § 223 Abs 2 StGB beurteilt hat, obwohl rechtsrichtig das in die Zuständigkeit des Gerichtshofs erster Instanz fallende Vergehen nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB vorlag, ist eine Urteilsaufhebung und die Anordnung der Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens vor dem Gerichtshof erster Instanz im Rahmen der Entscheidung gemäß § 292 StPO ausgeschlossen; eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die Tat durch den Einzelrichter des Gerichtshofs würde den Verurteilten nämlich unter dem Gesichtspunkt des strenger strafbaren Delikts, mag auch keine strengere Strafe verhängt werden können, im Ergebnis zum Nachteil gereichen (vgl RIS-Justiz RS0100480). Es kann daher mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.
3. Haben die Täter - wie hier - die Zulassung eines Kraftfahrzeugs durch Vorlage gefälschter Urkunden erschlichen, so ist ihnen die bewirkte Ausstellung des Zulassungsscheins nicht zusätzlich als Vergehen nach § 228 Abs 1 StGB anzulasten, weil im Zulassungsschein nur die Tatsache der (vorangegangenen) Erlassung des Zulassungsbescheids bestätigt wird und diese Tatsache richtig beurkundet wurde. Auf die materielle Richtigkeit der - vorliegend infolge eines gefälschten Gutachtens nach § 57a Abs 4 KFG erfolgten - Zulassung kommt es nach § 228 Abs 1 StGB dagegen nicht an (11 Os 29/83; vgl auch 15 Os 173, 174/99; Kienapfel/Schroll in WK2 § 228 Rz 20).
Der Schuldspruch wegen des Vergehens der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung ist daher zu Unrecht ergangen, sodass der Oberste Gerichtshof insoweit die ersatzlose Aufhebung des Urteils für erforderlich erachtete, ohne dass - angesichts der vom Erstgericht irrtümlich angenommenen Idealkonkurrenz - mit Freispruch vorzugehen war.
4. Die Festsetzung zweier gesonderter Sanktionen hinsichtlich Slaven S***** mit Urteil des Bezirksgerichts Mattighofen vom 9. November 2006, GZ 3 U 110/06y-14, steht mit dem Gesetz ebenfalls nicht im Einklang.
Gemäß § 494a Abs 1 Z 3 StPO ist bei Vorliegen der Voraussetzungen für einen nachträglichen Ausspruch der Strafe (§§ 15, 16 JGG) diese in einem Ausspruch so zu bemessen, wie wenn die Verurteilung wegen beider strafbarer Handlungen gemeinsam erfolgt wäre. Das Gesetz schließt somit für die vorliegende Fallgestaltung einen nachträglichen Strafausspruch als gesonderte Unrechtsfolge - von hier nicht in Frage kommenden Ausnahmen abgesehen - aus und schreibt insoweit eine von der Fiktion gemeinsamer Aburteilung aller zu ahndenden Taten ausgehende Sanktionsfindung nach den Bestimmungen über das Zusammentreffen strafbarer Handlungen (§ 28 StGB) vor. Im vorliegenden Fall wäre daher unter Zugrundelegung der für beide Schuldsprüche des Slaven S***** maßgebenden Strafdrohung des § 223 Abs 1 StGB (iVm § 5 Z 4 JGG) und unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB nur eine Strafe zu verhängen gewesen. Der verfehlte Ausspruch einer gesonderten Strafe für die im Schuldspruch des Bezirksgerichts Mattighofen zu GZ 3 U 97/06m-30 festgestellte Straftat wirkt sich zum Nachteil dieses Beschuldigten aus (EvBl 1997/90 = 12 Os 147, 163/96).
5. Darüber hinaus wurde anlässlich des nachträglichen Strafausspruchs gemäß § 494a Abs 1 Z 3 erster Halbsatz StPO der im zweiten Halbsatz der genannten Gesetzesstelle vorgesehene - wenn auch bloß deklarativ wirkende - Ausspruch unterlassen, dass im Verfahren AZ 3 U 97/96m des Bezirksgerichts Mattighofen ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt.
6. Letztlich steht die Vernehmung des Slaven S***** in der unter anderem auch gegen ihn geführten Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Mattighofen zu AZ 3 U 110/06v vom 9. November 2006, soweit diese zum alleine gegen Birgit B***** erhobenen Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung als Zeuge (S 160 ff) erfolgte, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Zeugen im Sinne der österreichischen Strafprozessordnung sind vom Beschuldigten (Angeklagten) verschiedene physische Personen, die über eigene Wahrnehmungen aussagen (Fabrizy, StPO9 § 150 Rz 1; nunmehr § 154 Abs 1 StPO). Die zeugenschaftliche Vernehmung einer Person, die im selben Verfahren, sei es auch wegen einer anderen Tat als der den Gegenstand der Vernehmung bildenden, Beschuldigter oder Angeklagter ist, ist unzulässig (Kirchbacher, WK-StPO § 150 Rz 10, § 247 Rz 6). Für den Fall der Notwendigkeit, einen Mitbeschuldigten in der Hauptverhandlung als Zeugen zu vernehmen, wäre dies nur nach (und keineswegs vor) Ausscheidung des betreffenden Faktums gemäß § 57 StPO aF zulässig gewesen (EvBl 1984/137 = 11 Os 181/83). Da sich die rechtswidrige Vernehmung des Slaven S***** als Zeuge in Ansehung des rechtskräftigen Freispruchs der Birgit Barbara B***** vom 18. Jänner 2007, GZ 3 U 110/06y-28 des Bezirksgerichts Mattighofen, weder zu deren, noch zum Nachteil des Slaven S***** auswirkte, kann es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben.
Das Urteil des Bezirksgerichts Mattighofen vom 29. November 2006 war daher in dem im Spruch bezeichneten Umfang aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung über das Strafausmaß hinsichtlich beider Beschuldigten sowie über den Slaven S***** betreffenden Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Straffestsetzung an das Erstgericht zu verweisen.
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