OGH 11Os140/07h

OGH11Os140/07h29.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Dr. Danek, Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtswärterin Mag. Wieltschnig als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Andrej N***** und weitere Angeklagte wegen der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB, AZ 14 Hv 38/07z des Landesgerichtes Leoben, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Jugendgeschworenengerichts beim Landesgericht Leoben vom 2. April 2007, GZ 14 Hv 38/07z-93, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Eisenmenger,

I. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der mit Urteil des Jugendgeschworenengerichts beim Landesgericht Leoben vom 2. April 2007, GZ 14 Hv 38/07z-93, erfolgte, den Angeklagten George S***** betreffende nachträgliche Strafausspruch zum Urteil des Bezirksgerichts Knittelfeld vom 18. September 2006, GZ 10 U 25/06k-10, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 15 Abs 1

JGG.

Das Urteil des Jugendgeschworenengerichts, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in dem George S***** betreffenden Strafausspruch einschließlich des (gemäß §§ 15, 16 JGG) erfolgten nachträglichen Ausspruches der Strafe sowie aller darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen, nicht aber hinsichtlich des Ausspruches nach § 494a Abs 1 Z 3 letzter Halbsatz StPO aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträglichen Ausspruch der Strafe (§§ 15, 16 JGG) zurückgewiesen.

George S***** wird wegen der Verbrechen des vollendeten und des versuchten schweren Raubes als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall und 15 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichts Leoben vom 20. September 2007, GZ 14 U 8/07z-9, zu einer Freiheitsstrafe von siebzehn Monaten verurteilt. Die Vorhaftanrechnung wird aus dem Ersturteil übernommen; II. den Beschluss

gefasst:

George S***** wird der noch nicht verbüßte Rest der Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren - die mit 5. Oktober 2007 beginnt - bedingt nachgesehen.

Text

Gründe:

Der am 17. Dezember 1990 geborene George S***** wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Knittelfeld vom 18. September 2006, GZ 10 U 25/06k-10, der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, des Diebstahls nach § 127 StGB und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Gemäß § 13 Abs 1 JGG wurde der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftaten zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten. Mit rechtskräftigem Urteil des Jugendgeschworenengerichts beim Landesgericht Leoben vom 2. April 2007, GZ 14 Hv 38/07z-93, wurde George S***** des in der Nacht zum 4. August 2006 verübten Verbrechens des schweren Raubes als Beitragstäter nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB und des am 16. August 2006 begangenen Verbrechens des versuchten schweren Raubes als Beitragstäter nach §§ 12 dritter Fall, 15, 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür - über Antrag der Staatsanwaltschaft (S 263 iVm S 396/III) - „gemäß §§ 15, 16 JGG unter Einbeziehung des Schuldspruches im Verfahren 10 U 25/06k des Bezirksgerichts Knittelfeld" zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei ausgesprochen wurde, dass ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt.

Aus dieser Freiheitsstrafe wurde George S***** am 5. Oktober 2007 gemäß § 46 Abs 2 StGB unter Anordnung von Bewährungshilfe mit einem Strafrest von sechs Monaten bedingt entlassen (ON 137).

Rechtliche Beurteilung

Der nachträgliche Strafausspruch des Jugendgeschworenengerichts verletzt, wie die Generalprokuratur in der deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, das Gesetz in der Bestimmung des § 15 Abs 1 JGG.

Erfolgt ein Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe (§ 13 Abs 1 JGG), ist die Strafe - nachträglich - auszusprechen, wenn der Rechtsbrecher wegen einer vor Ablauf der Probezeit begangenen strafbaren Handlung neuerlich verurteilt wird, sofern dies in Anbetracht der Verurteilung zusätzlich zu dieser geboten erscheint, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 15 Abs 1 JGG). Voraussetzung für den nachträglichen Strafausspruch ist daher die Verurteilung wegen einer während der nach § 13 Abs 1 JGG bestimmten Probezeit begangenen Straftat, weil die Appellfunktion des Schuldspruchs unter Vorbehalt der Strafe erst einsetzt, wenn eine solche Probezeit rechtswirksam bestimmt wurde (Schroll in WK² JGG § 15 Rz 1 erster Absatz; RIS-Justiz RS0088791).

Vorliegend wurden die zur Straffestsetzung führenden Raubtaten nicht während der vom Bezirksgericht Knittelfeld gemäß § 13 Abs 1 JGG festgesetzten Probezeit, sondern bereits zuvor verübt, sodass eine nachträgliche Straffestsetzung nach § 15 Abs 1 JGG nicht in Betracht kommt. Dass insoweit bei Fällung des Jugendgeschworenenurteils die zeitlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 31 Abs 1 StGB vorlagen, wonach jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist, wegen einer Tat, die nach dem Zeitpunkt ihrer Begehung schon im früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können, (nur mehr) zu einer Zusatzstrafe verurteilt werden kann, ist ohne Belang, weil vom Bezirksgericht Knittelfeld keine Strafe verhängt worden ist (vgl Schroll in WK² JGG § 15 Rz 1 dritter Absatz). Die einen Widerruf bei nachträglicher Verurteilung ermöglichende Bestimmung des § 55 Abs 1 StGB wiederum wird von § 15 Abs 1 JGG als lex spezialis verdrängt (Schroll in WK² JGG § 15 Rz 1 zweiter Absatz), für dessen Heranziehung aber erneut die Begehung der Straftaten während der mit dem Vorbehaltsurteil festgelegten Probezeit Bedingung ist. Die Voraussetzungen für einen nachträglichen Ausspruch der Strafe (§§ 15, 16 JGG) lagen somit nicht vor, sodass das Jugendgeschworenengericht nicht befugt war, die Strafbemessung nach § 494a Abs 1 Z 3 StPO vorzunehmen.

Weil sich diese Gesetzesverletzung durch die Einbeziehung der vom Vorbehaltsurteil erfassten strafbaren Handlungen in die Entscheidung des Jugendgeschworenengerichts über die Strafe zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), den Strafausspruch sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen, namentlich die bedingte Entlassung zum AZ 31 BE 146/07b des Landesgerichts Leoben vom 7. September 2007, nicht aber den zum Vorteil des Verurteilten ergangenen Ausspruch nach § 494a Abs 1 Z 3 letzter Halbsatz StPO aufzuheben.

Der jugendliche Angeklagte, seine gesetzlichen Vertreter, sein Verteidiger und sein ihm bestellter Bewährungshelfer wurden zum Gerichtstag ordnungsgemäß geladen und sind ohne Bekanntgabe von Gründen nicht erschienen, womit der Straffestsetzung durch den Obersten Gerichtshof kein Hindernis entgegenstand, zumal der Verteidiger auf die Teilnahme ausdrücklich verzichtet und der Bewährungshelfer einen schriftlichen Bericht erstattet hat. Bei der nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB iVm § 5 Z 4 JGG innerhalb eines Rahmens bis zu siebeneinhalb Jahren und bei Bedachtnahme auf die Verurteilung durch das Bezirksgericht Leoben vom 20. September 2007, GZ 14 U 8/07z-9 (50 Tagessätze Geldstrafe oder 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe wegen des am 27. März 2007 begangenen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB) gemäß §§ 31, 40 StGB auszumessenden Freiheitsstrafe wurde als erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit einem Vergehen sowie die Tatbegehung während eines anhängigen Strafverfahrens, als mildernd hingegen das Geständnis, der untergeordnete Tatbeitrag, die teilweise Schadensgutmachung und der Umstand gewertet, dass eine der beiden vom Angeklagten zu verantwortenden Raubtaten nur versucht wurde. Eine Freiheitsstrafe von siebzehn Monaten wird dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat, aber auch spezial- und generalpräventiven Erwägungen gerecht.

Die Vorhaftanrechnung war aus dem Ersturteil zu übernehmen. Zufolge Vorliegens der Voraussetzungen nach § 46 Abs 1 StGB war überdies der noch nicht verbüßte Rest der Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen (§ 265 StPO), wobei der Beginn dieser Probezeit zur Vermeidung einer Benachteiligung mit dem ursprünglich in Rechtskraft erwachsenen Termin 5. Oktober 2007 festzusetzen war. Die (neuerliche) Anordnung von Bewährungshilfe wird das Erstgericht vorzunehmen haben.

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