Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Erstgerichts wird wiederhergestellt.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.165,50 EUR (darin enthalten 165,09 EUR USt und 175 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zweiter und dritter Instanz binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist seit 14. 6. 2002 Mieter der Wohnung in *****.
Mit Aufkündigung vom 24. 10. 2005 begehrte die Klägerin, dem Beklagten aufzutragen, das genannte Objekt bis 31. 1. 2006 geräumt der Klägerin zu übergeben. Die Klägerin stützte sich auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 1 (dieser Kündigungsgrund ist für das drittinstanzliche Verfahren nicht mehr von Bedeutung) und § 30 Abs 2 Z 3 zweiter und dritter Fall MRG. Der Beklagte dehne durch Installation von Videokameras sein Benützungsrecht an nicht in Bestand genommenen Flächen aus und verleide durch die ständige Videoüberwachung des Gangs im 16. Stockwerk des Hauses das Zusammenleben mit den übrigen Bewohnern. Der Beklagte befestige wiederholt Drohbriefe an Türen und zeige die Nachbarn regelmäßig unbegründet wegen Lärmerregung bei der Polizei an. Der Beklagte habe seinen Nachbarn Dr. Karl R***** wegen fahrlässiger Körperverletzung infolge mangelhafter Hundehaltung nach § 88 StGB angezeigt, da angeblich dessen Hund den Beklagten gebissen habe. Der Beklagte habe Dr. R***** durch Verfassen eines E-Mails an dessen Arbeitgeber verunglimpft. Der Beklagte putze drei- bis viermal pro Tag mit stark übelriechenden Chemikalien den Gang vor seiner Wohnung. Die Klägerin führte noch weitere Handlungen des Beklagten an, die unleidliches Verhalten begründeten.
Der Beklagte bestritt die Vorwürfe, beantragte Klagsabweisung, in eventu im Fall der Verurteilung die Verlängerung der Räumungsfrist um neun Monate gemäß § 34 Abs 1 MRG wegen drohender Obdachlosigkeit. Die Installation der Videokamera stelle keine unbefugte Ausdehnung des Mietrechts dar, weil dem Mieter auch Gebrauchsbefugnisse hinsichtlich der allgemeinen Teile des Hauses zustünden und die Installation vor Provokationen des Nachbarn Dr. R***** und vor Verschmutzungen des Gangs schützen solle. Die Briefe des Beklagten stellten keine Drohungen dar. Die Anzeigen habe der Beklagte stets zu Recht erstattet. Das Verfahren gegen Dr. R***** wegen fahrlässiger Körperverletzung sei zwar eingestellt worden, doch sei diese Anzeige nicht mutwillig oder leichtfertig erfolgt. Der Beklagte putze den Gang vor der gegenständlichen Wohnung nur, wenn dieser stark verschmutzt sei.
Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung vom 24. 10. 2005 für rechtswirksam und trug dem Beklagten auf, die Wohnung binnen 14 Tagen geräumt von eigenen Fahrnissen der Klägerin zu übergeben. Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:
Anfangs bestand ein friedliches Zusammenleben des Beklagten mit den anderen Bewohnern des 16. Stockwerks. Das Verhältnis zwischen den Mietparteien verschlechterte sich ab Sommer 2004, als sich die Familie R***** auf demselben Stockwerk einen Hund anschaffte. Im Sommer 2005 installierte der Beklagte zunächst eine, in weiterer Folge eine zweite Videokamera über seiner Wohnungstüre. Die Klägerin forderte den Beklagten erfolglos auf, diese Kameras abzumontieren. Die Kameras sind auf den unmittelbaren Bereich vor der Wohnungstüre des Beklagten gerichtet.
Der Beklagte zeigte Dr. R***** dreimal an, und zwar am 16. 1. 2005 und 10. 3. 2005 wegen fahrlässiger Körperverletzung durch mangelhafte Hundehaltung und am 18. 9. 2005 wegen Lärmerregung. Diese Anzeigen führten zu keiner gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verurteilung des Dr. R*****. Die Anzeige vom 10. 3. 2005 führte zu einer rechtskräftigen Verurteilung des Beklagten zu einem Monat bedingter Freiheitsstrafe wegen Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB.
Am 20. 9. 2005 schrieb der Beklagte ein E-Mail an den Arbeitgeber von Dr. R*****, zu Handen Dr. Paul T*****. Darin schrieb der Beklagte von Bedrohungen, Beschimpfungen, Verleumdungen und Psychoterror durch Dr. R***** und bat Dr. T*****, auf Dr. R***** einzuwirken, dass dieser sein Verhalten gegenüber dem Beklagten ändere.
Das Schloss der Brandschutztüre im Gang des 16. Stockwerks wurde mehrfach vom Beklagten verklebt, sodass die Tür nicht mehr ganz in das Schloss fiel und immer ein Stück geöffnet blieb.
Der Beklagte öffnete mehrmals in der Woche das Fenster im Gang des 16. Stockwerks, wodurch es zu einer starken Sogwirkung kam, wenn andere Türen in diesem Gang geöffnet wurden. Dieses Fenster kann nur mit einem speziellen Hebel geöffnet und geschlossen werden, den von den Bewohnern des 16. Stockwerks nur der Beklagte besitzt. Dass der Beklagte am 19. 9. 2005 das Zylinderschloss der Wohnungstüre der Familie R***** mit Superkleber verklebt hat, konnte nicht festgestellt werden.
Der Beklagte benützte die Dusche im Saunabereich auch an den Tagen, an denen die Benützung ausschließlich Damen vorbehalten ist. Es kam dadurch jedoch zu keinen Belästigungen.
Der Gang im 16. Stockwerk wird vom Beklagten mehrmals täglich nass gewischt. Dabei werden aber keine besonders aggressiven Reinigungsmittel verwendet. Der Beklagte benützt handelsübliche Putzmittel, die dem normalen Hausgebrauch dienen.
Rechtlich verneinte das Erstgericht den Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 1 MRG. Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG auf Grund unleidlichem Verhaltens liege infolge der rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung des Beklagten wegen Verleumdung sowie wegen der Verunglimpfung des Dr. R***** bei seinem Arbeitgeber durch das E-Mail des Beklagten vom 20. 9. 2005 vor. Die wissentliche Aussetzung der Gefahr einer behördlichen Verfolgung und die absichtliche Diskreditierung beim Arbeitgeber überschritten das Maß des Zumutbaren und seien auch geeignet, das friedliche Zusammenleben mit den Mitbewohnern zu verleiden. Die wissentliche Verunglimpfung beim Arbeitgeber könne zu ernsthaften Problemen beim Arbeitnehmer führen, die ein positives Fortkommen hinderten und sogar zum Arbeitsplatzverlust führen könnten. Der Umstand, dass das E-Mail tatsächlich zu keinen nachteiligen Folgen für Dr. R***** geführt habe, sei irrelevant, da es beim Tatbestand des unleidlichen Verhaltens darauf ankomme, ob ein Verhalten einer Partei objektiv dazu geeignet sei, das friedliche Zusammenleben auch nur einem Mitbewohner zu verleiden. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben. Die Installation der Videokamera erfülle nicht den Tatbestand des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG. Das Interesse des Beklagten sei die Überwachung seiner eigenen Wohnungstüre zum Schutz seines Eigentums und vor Sachbeschädigung und zur Abschreckung vor Einbrüchen. Das Reinigen des Gangs sei nicht als unleidliches Verhalten zu qualifizieren.
Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und wies das Klagebegehren ab. Aus der bloßen Tatsache der Verurteilung des Beklagten wegen Verleumdung könne noch nicht geschlossen werden, dass der Tatbestand der Verleumdung in objektiver und subjektiver Sicht erfüllt worden sei. Es ergäben sich insgesamt Zweifel daran, dass der Beklagte dem Mitbewohner Dr. R***** wissentlich und fälschlich ein strafbares Verhalten, nämlich eine fahrlässige Verletzung durch Hundebiss, angelastet habe. Selbst wenn der Tatbestand der Verleumdung erfüllt wäre, wäre die Straftat jedenfalls als geringfügig zu beurteilen. Auch das Schreiben des Beklagten an den Arbeitgeber von Dr. R***** sei nicht geeignet, den herangezogenen Kündigungsgrund zu erfüllen. Selbst wenn die in diesem E-Mail erhobenen Vorwürfe nicht den Tatsachen entsprächen, wäre das Schreiben nämlich nur dazu geeignet, die ohnehin gespannte Beziehung des Beklagten zu Dr. R***** und umgekehrt aufzuschaukeln. Der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens sei somit nicht erfüllt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben, hilfsweise im Fall der Klagsstattgebung die Räumungsfrist um neun Monate zu verlängern.
Die Revision ist wegen einer auffallenden Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht zulässig (vgl RIS-Justiz RS0021095, RS0042984) und auch berechtigt.
Die Revisionswerberin vertritt zusammengefasst die Ansicht, durch das Verhalten des Beklagten insgesamt sei der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens verwirklicht.
Diese Ansicht ist im Ergebnis berechtigt:
Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigeren Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Einmalige Vorfälle bilden den Kündigungsgrund nur, wenn sie schwerwiegend sind, jedoch können mehrere an sich geringfügige Vorfälle den Kündigungstatbestand bilden (RIS-Justiz RS0070303). Schwerwiegend ist ein Vorfall, wenn er das Maß des Zumutbaren überschreitet und objektiv geeignet erscheint, auch nur einem Mitbewohner das Zusammenleben zu verleiden (RIS-Justiz RS0070303 [T2]).
Der erkennende Senat erachtet die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts für zutreffend, weshalb darauf verwiesen werden kann. Die Verleumdung des Nachbarn sowie dessen Verunglimpfung beim Arbeitgeber durch den Beklagten ist so schwerwiegend, dass der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG gegeben ist.
Soweit der Beklagte auch in der Revisionsbeantwortung den Antrag, für den Fall einer Klagsstattgebung die Räumungsfrist um neun Monate zu verlängern, aufrechterhält, ist ihm zu entgegnen, dass sein dazu erstattetes allgemein gehaltenes Vorbringen, ihm drohe die Obdachlosigkeit, jedem Räumungstitel immanent ist und dass der Beklagte sonst keine konkreten wichtigen Gründe iSd § 34 Abs 1 MRG geltend gemacht hat. Es besteht daher kein Grund, die gesetzliche Räumungsfrist von 14 Tagen (§ 573 ZPO) im Erkenntnisverfahren zu verlängern, zumal er im Exekutionsverfahren ohnehin die Möglichkeit einer Antragstellung gemäß § 35 Abs 1 MRG hat.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.
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