OGH 4Ob143/07v

OGH4Ob143/07v22.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Gugerbauer & Partner Rechtsanwälte KEG in Wien, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Hausmaninger Kletter Rechtsanwälte-Gesellschaft mbH in Wien, wegen 126.000 EUR sA und Feststellung (Gesamtstreitwert 136.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 11. Mai 2007, GZ 2 R 61/07s-66, mit welchem infolge Berufung der beklagten Partei das Teil- und Zwischenurteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Jänner 2007, GZ 34 Cg 226/02w-60, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.023,91 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 337,32 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Generalimporteurin für Neufahrzeuge der Marke C*****. Sie schloss mit der Klägerin im Jahr 2001 einen Direkthändlervertrag, der dieser ein exklusives Vertragsgebiet für den Vertrieb von Neuwagen zuwies. Die ordentliche Kündigung war mit einer Frist von zwei Jahren möglich. Das entsprach Art 5 Abs 2 Nr 2 der bei Vertragsabschluss anwendbaren Kfz-GVO 1995, wonach die Freistellung von der Vereinbarung einer fünfjährigen Befristung oder einer zweijährigen Kündigungsfrist abhing. Nach Art 5 Abs 3 erster Anstrich Kfz-GVO 1995 berührten aber die für die Freistellung vorgesehenen Voraussetzungen - unter anderem also die Vereinbarung einer zumindest zweijährigen Kündigungsfrist - nicht das Recht des Lieferanten, die Vereinbarung mit einjähriger Frist zu kündigen, „falls sich die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren". Offenbar in Umsetzung dieser Bestimmung sah Punkt 15.3. des Vertrags vor, dass die Beklagte ihn „im Fall der Neustrukturierung des gesamten oder eines wesentlichen Teils des Vertriebsnetzes" mit einjähriger Frist kündigen könne.

Aus Anlass des Inkrafttretens der neuen Kfz-GVO 2002 stellte die Beklagte ihren Vertrieb von einem kombiniert selektiv-exklusiven System auf ein rein selektives System um. Zu diesem Zweck kündigte sie am 23. September 2002 die Verträge mit allen österreichischen Vertragshändlern zum 30. September 2003.

Im alten Vertriebssystem hatte die Beklagte Verträge mit etwa 55 Händlern. Diesen war ein „ausschließliches Marktverantwortungsgebiet" zugewiesen, außerhalb dessen sie nicht aktiv tätig werden durften (Exklusivität). Weiters durften sie Neufahrzeuge nur an solche Wiederverkäufer veräußern, die selbst dem Vertriebssystem angehörten (Selektivität). Mehrmarkenvertrieb war nur eingeschränkt zulässig. Die Händler schlossen ihrerseits - jeweils mit Zustimmung der Beklagten - Verträge mit „Vertragswerkstätten" als „Subhändlern". Diese etwa 40 „Subhändler" waren in erster Linie im Werkstätten- und Ersatzteilbereich tätig; sie konnten aber auch selbst - offenbar von ihrem Vertragspartner (Händler) erworbene - Fahrzeuge verkaufen („fakturieren"). Wenn der Händler mit dem Subhändler eine „Direktbetreuung" durch die Beklagte vereinbart hatte, gab es im Werkstätten- und Ersatzteilbereich unmittelbare Beziehungen zwischen den Subhändlern und der Beklagten, so beim Bezug von Ersatzteilen und bei der Abrechnung von Kundendienstleistungen. Das war bei etwa 20 Subhändlern der Fall.

Das neue System entspricht dem selektiven Vertrieb iSd Kfz-GVO 2002. Die Beklagte schloss getrennte Verträge mit Händlern, Werkstätten und „Ersatzteilpartnern". Sie hat nun insgesamt etwa 116 Vertragspartner, davon 66 Händler, wobei in jedem Fall unmittelbare Beziehungen bestehen. Die für die Händler früher zwingende Verbindung zwischen Verkauf und Kundendienst ist gelöst; insofern bestehen nun getrennte Verträge. Ein ausschließliches Marktverantwortungsgebiet gibt es nicht mehr, jeder Händler kann nach Belieben Zweigniederlassungen gründen (keine Exklusivität). Von den seinerzeit 55 Händlern sind fünf ausgeschieden. Reine Werkstätten können beim Verkauf - anders als früher die „Subhändler" - nur mehr als Vermittler tätig werden. Der Vertrieb von Konkurrenzmarken ist erlaubt.

Die neue Vertragsgestaltung mit der deutlich höheren Zahl von (unmittelbaren) Vertragspartnern führte bei der Beklagten zu einer Änderung der betrieblichen Organisation. Das Bestellwesen selbst blieb aber im Wesentlichen gleich.

Die Beklagte zog nicht in Erwägung, statt der Umstellung vom selektiv-exklusiven auf ein selektives Vertriebssystem nur die bestehenden Verträge an die neue Kfz-GVO anzupassen. Warum sie sich für ein selektives Vertriebssystem entschied, steht nicht fest. Die Klägerin begehrt (zuletzt) Schadenersatz von 126.000 EUR sA wegen Nichtbelieferung durch die Beklagte vom 15. Oktober 2003 bis zum 31. August 2004 sowie die Feststellung der Haftung wegen Nichtbelieferung im September 2004. Eine inzwischen mögliche Bezifferung auch dieses Schadens unterblieb. Eine Vertragsauflösung sei nur durch ordentliche Kündigung zum 30. September 2004 möglich gewesen; die Erklärung der Beklagten sei in diesem Sinn umzudeuten. Tatsächlich habe die Beklagte ihr österreichisches Vertriebsnetz weder insgesamt noch in wesentlichen Teilen neu strukturiert. Dazu habe auch keine Veranlassung bestanden. Das Inkrafttreten der Kfz-GVO 2002 rechtfertige die Verkürzung der Kündigungsfrist nicht. Die Abläufe beim Vertrieb seien im Wesentlichen unverändert geblieben, sodass keine geänderte Vertriebsstruktur vorliege.

Die Beklagte wendet ein, dass die Kündigung mit einer einjährigen Kündigungsfrist nach Punkt 15.3. des Händlervertrags zu Recht erfolgt sei. Zumindest ein wesentlicher Teil ihres Vertriebsnetzes sei europaweit neu strukturiert worden. Die Hersteller und Importeure seien durch die Kfz-GVO 2002 vor die Wahl gestellt worden, sich zwischen einem rein exklusiven und einem selektiven Vertriebssystem zu entscheiden. Die Beklagte habe sich für ein selektives Vertriebssystem entschieden. Die bisher von der Beklagten in den Verträgen vorgesehene Vertriebsstruktur sei aufgrund der Kfz-GVO 2002 nicht mehr zulässig gewesen. Im alten System sei in den Direkt-Händlerverträgen auch der Kundendienst inkludiert gewesen. Nun bestehe neben dem Händlervertrag ein eigener Werkstättenvertrag für Reparaturleistungen und den Kundendienst. Die alten Verträge hätten die Zuweisung eines exklusiven Vertragsgebiets vorgesehen. Dies sei nun nicht mehr der Fall. Außerdem sei nun der Mehrmarkenvertrieb uneingeschränkt möglich.

Im ersten Rechtsgang bejahte das Erstgericht mit Zwischenurteil den Zahlungsanspruch dem Grunde nach und stellte mit Teilurteil die Haftung für September 2004 fest. Das Inkrafttreten nach der Kfz-GVO 2002 mache keine Verkürzung der Kündigungsfrist erforderlich. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens über die Neustrukturierung des Vertriebsnetzes an das Erstgericht zurück. Ein Wechsel von einem selektiv-exklusiven zu einem ein rein selektiven System könne eine wesentliche Veränderung des Vertriebssystems sein und so die Kündigungsfrist auf ein Jahr verkürzen.

Auch im zweiten Rechtsgang bejahte das Erstgericht mit Zwischenurteil den Zahlungsanspruch dem Grunde nach und stellte mit Teilurteil die Haftung für September 2004 fest. Nach ausführlicher Darstellung von inzwischen ergangenen Entscheidungen des EuGH nahm es an, dass sich zwar die Anzahl der Verträge (durch die Trennung zwischen Vertrieb, Werkstätte und Ersatzteilwesen) wesentlich erhöht habe, was zur Schaffung einer neuen Abteilung bei der Beklagten geführt habe. Die Anzahl der direkten Vertragspartner habe sich aber „nur geringfügig erhöht". Ebenso wenig seien Änderungen bei der internen Aufgabenverteilung oder der Versorgung der Vertragspartner aufgetreten. Es habe zudem nicht festgestellt werden können, dass die (einstweilige) Beibehaltung der Vertriebsstruktur einen Wettbewerbsnachteil für die Beklagte bedeutet hätte. Die Beklagte habe die einjährige Kündigungsfrist daher zu Unrecht in Anspruch genommen.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Es stützte sich im Wesentlichen auf die Entscheidung 6 Ob 74/05h (= ecolex 2005, 851 [Zinober] = wbl 2006, 42 [W. Schuhmacher] - Fiat-Vertragsbindung II), die noch vor jenen des EuGH ergangen war. Eine Umstrukturierung sei jedenfalls gerechtfertigt, wenn das bisherige Vertriebssystem wegen einer Änderung der Kfz-GVO dem Kartellverbot widerspreche. Weil sich die Beklagte für ein selektives Vertriebssystem nach der Kfz-GVO 2002 entschieden habe, liege eine notwendige Umstrukturierung vor; damit sei die verkürzte Kündigungsfrist anwendbar. Wieweit sich die Änderung des Vertriebssystems auch „organisatorisch niederschlage", sei nicht vertieft zu prüfen.

Die Klägerin macht in ihrer außerordentlichen Revision geltend, das Berufungsgericht habe die neuere Rechtsprechung des EuGH nicht beachtet. Danach könne die Umstellung auf ein selektives Vertriebssystem zwar eine Umstrukturierung sein; daraus folge aber, dass das nicht in jedem Fall zutreffe. Diese Annahme liege aber dem Berufungsurteil zugrunde. Die Beklagte hält dem entgegen, dass das Berufungsurteil ebenso wie die Entscheidung 6 Ob 74/05h im Einklang mit der richtig verstandenen Rechtsprechung des EuGH stehe.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil eine Auseinandersetzung mit den nach 6 Ob 74/05h ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs erforderlich ist. Sie ist aber nicht berechtigt.

1. Nach Art 5 Abs 2 Nr 2 Kfz-GVO 1995 ist eine auf unbestimmte Dauer geschlossene Vertriebsvereinbarung, in der sich der Händler zu Verbesserungen der Strukturen von Vertrieb und Kundendienst verpflichtet hat, nur dann vom Kartellverbot freigestellt, wenn die Frist für die Kündigung für beide Teile mindestens zwei Jahre beträgt. Davon unberührt bleibt jedoch nach Art 5 Abs 3 Kfz-GVO 1995 „das Recht des Lieferanten, die Vereinbarung innerhalb einer Frist von mindestens einem Jahr zu kündigen, falls sich die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren".

Die Parteien haben Art 5 Abs 3 Kfz-GVO 1995 zwar nicht unverändert in ihre Vereinbarung übernommen. Ungeachtet dessen sehen sie aber diese Bestimmung im Revisionsverfahren als allein maßgebend an. Das ist nicht selbstverständlich, da Gruppenfreistellungen weder zwingende zivilrechtliche Vorschriften enthalten noch Verträge unmittelbar ergänzen (RIS-Justiz RS0109282; zuletzt 6 Ob 74/05h und 8 Ob 57/06z mwN). Wollten die Parteien allerdings - wie hier - eine Vereinbarung schließen, die die Bedingungen einer Freistellungsverordnung erfüllt, so kann bei deren (ergänzender) Auslegung auf die Regelungen der Verordnung zurückgegriffen werden (6 Ob 74/05h). Denn es ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass die Vertragspartner die angestrebte Freistellung durch einzelne ihr entgegenstehende Vertragsklauseln gefährden wollten. Maßgebend ist daher tatsächlich die Auslegung von Art 5 Abs 3 Kfz-GVO 1995.

2. Die am 31. Juli 2002 beschlossene Kfz-GVO 2002 trat am 1. Oktober 2002 in Kraft. Nach ihrem Art 10 galt aber das Kartellverbot des Art 81 EG bis zum 30. September 2003 nicht für Vereinbarungen, die bereits vor dem Inkrafttreten der Kfz-GVO 2002 geschlossen worden waren und die zwar nicht die Freistellungsvoraussetzungen dieser GVO, wohl aber jene der Kfz-GVO 1995 erfüllten. Damit wurde ein einjähriger Übergangszeitraum geschaffen, während dessen das Vertriebssystem an die Neuregelung angepasst werden konnte. Nach der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 6 Ob 74/05h ist anhand der im konkreten Fall erforderlichen Veränderungen des Vertriebssystems zu beurteilen, ob das Inkrafttreten der Kfz-GVO 2002 eine Reorganisation (Umstrukturierung) des Vertriebsnetzes des Herstellers (Lieferanten) mit dem Ende der Übergangsfrist objektiv erforderlich machte. Dabei sind vor allem jene Änderungen zu berücksichtigen, die erforderlich werden, um auch weiterhin den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung nach Art 81 Abs 1 EG in Anspruch nehmen zu können. Diese Grundsätze hat der 3. Senat des Obersten Gerichtshofs zuletzt in 3 Ob 128/07f fortgeschrieben.

3. Nach Ergehen der Entscheidung 6 Ob 74/05h hat der EuGH in drei Vorabentscheidungen zu Art 5 Abs 3 Kfz-GVO 1995 Stellung genommen. In der ersten dieser Entscheidungen (C-125/05 - VW-Audi Forhandlerforeningen/ Skandinavisk Motor Co. A/S) führt er aus, dass die Kündigung mit bloß einjähriger Frist zwei Voraussetzungen hat:

3.1. Es muss eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes vorliegen. Eine solche Umstrukturierung enthält nach Auffassung des EuGH „notwendigerweise eine Änderung der Organisation der Vertriebsstruktur dieses Lieferanten, die insbesondere die Art oder die Gestalt dieser Strukturen, ihren Zweck, die Aufteilung der internen Aufgaben innerhalb dieser Strukturen, die Modalitäten der Versorgung mit den betroffenen Waren und Dienstleistungen, die Anzahl oder Stellung der Beteiligten an diesen Strukturen und ihre räumliche Reichweite betreffen kann". Weiters muss sie „sowohl in finanzieller als auch in räumlicher Hinsicht bedeutsam sein" (Rz 29 f).

3.2. Die Umstrukturierung muss notwendig sein. Bei der Prüfung dieser Frage dürften zwar die wirtschaftlichen Erwägungen des Lieferanten „nicht in Frage gestellt werden" (Rz 35); gleichwohl muss aber „die Notwendigkeit einer Umstrukturierung für die Ausübung des Kündigungsrechts mit einer Frist von mindestens einem Jahr auf plausible Weise mit Gründen der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden können, die sich auf interne oder externe objektive Umstände des Unternehmens des Lieferanten stützen, welche ohne eine schnelle Umstrukturierung des Vertriebsnetzes in Anbetracht des Wettbewerbsumfelds, in dem der Lieferant agiert, die Effizienz der bestehenden Strukturen des Vertriebsnetzes beeinträchtigen könnten" (Rz 37). Die subjektive Einschätzung der Notwendigkeit durch den Lieferanten sei irrelevant, erheblich seien aber „wirtschaftlich nachteilige Folgen, die der Lieferant im Fall einer Kündigung der Vertriebsvereinbarung mit einer Frist von zwei Jahren erleiden könnte" (Rz 38).

3.3. Das Inkrafttreten der Kfz-GVO 2002 macht nach Auffassung des EuGH als solches keine Umstrukturierung des Vertriebssystems erforderlich (Rz 58). Änderungen in den Vertriebsvereinbarungen könnten jedoch dann erforderlich sein, wenn die Vereinbarungen nach der Kfz-GVO 1995 geschlossen worden waren und in Übereinstimmung mit dieser Verordnung Kernbeschränkungen iSd Art 4 Abs 1 Kfz-GVO 2002 enthielten (Rz 59). Gerade wegen dieser „wesentlichen Änderungen" sehe Art 10 Kfz-GVO 2002 vor, dass das Kartellverbot bis zum 30. September 2003 nicht für Altvereinbarungen gelte, die zwar die Freistellungsvoraussetzungen nach der Kfz-GVO 1995, nicht aber jene nach der Kfz-GVO 2002 erfüllten (Rz 61). In diesem Zusammenhang habe das Inkrafttreten der Kfz-GVO 2002 „in bestimmten Fällen nach Maßgabe der Besonderheiten des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes jedes einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig machen [können], dass diese als echte Umstrukturierung des Netzes [...] betrachtet werden müssen" (Rz 62), und zwar insbesondere bei einer Umstellung von einem selektiv-exklusiven auf ein selektives System (Rz 63).

Die Gerichte müssten unter Berücksichtigung der oben genannten „Hinweise" und „unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, und insbesondere der Beweise, die zu diesem Zweck von dem Lieferanten vorgelegt wurden, [...] beurteilen, ob die von dem Lieferanten vorgenommenen Änderungen eine solche Umstrukturierung seines Vertriebsnetzes darstellen und ob diese durch das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 notwendig gemacht wurde" (Rz 64).

4. In den verbundenen Rechtssachen C-376/05 und C-377/05 (A. Brünsteiner GmbH bzw Autohaus Hilgert GmbH/Bayerische Motorenwerke AG) sowie in der Rechtssache C-273/06 (Auto Peter Petschenig GmbH/Toyota Frey Austria GmbH) hielt der EuGH an dieser Auffassung fest. Die vom vorlegenden Gericht in der Rechtssache C-273/06 angestrebte Klarstellung, ob die Umstellung von einem kombiniert selektiv-exklusiven auf ein selektives Vertriebssystem in jedem Fall die einjährige Kündigungsfrist rechtfertige, unterblieb. Der EuGH beschränkte sich wiederum auf die Aussage, dass das der Fall sein könne. Maßgebend seien die „konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit" (Rz 38).

5. Die Lehre versteht die Entscheidungen des EuGH - soweit sie nicht bloß deren Gründe paraphrasiert (so etwa Chagny, La Semaine juridique - édition générale 2007 I 104, 23 f; Cheynel, Revue Lamy droit des affaires 2006, nº 9, 57 f) - überwiegend dahin, dass beim Übergang von einem kombiniert selektiv-exklusiven zu einem selektiven Vertriebssystem regelmäßig eine Umstrukturierung vorliege, die durch das Inkrafttreten der Kfz-GVO 2002 notwendig geworden sei. So meint etwa Idot (Revue des contrats 2007, 325), der EuGH habe zwar offenkundig keinen allgemeinen Grundsatz aufstellen wollen. Allerdings hätten alle großen Hersteller, die nach der Kfz-GVO 1995 die Vorteile beider Systeme kumuliert hatten, ihr Vertriebsnetz umstellen müssen. In der Praxis werde die Kündigung mit bloß einjähriger Frist daher regelmäßig zulässig sein (aaO 327). Ähnlich argumentieren Kletter/Höltl (Die Zulässigkeit der einjährigen Kündigungsfrist im Kfz-Vertrieb, ecolex 2006, 915) für den ihrer Auffassung nach vom EuGH „beispielhaft" aufgezeigten Fall der Umstellung von einem gemischt selektiv-exklusiven auf ein selektives Vertriebssystem (idS auch, wenngleich äußerst knapp, Philippe/Janssens, Gazette du Palais 2006, nº 305-308, 17). Demgegenüber leitet Pellegrini (Revue Lamy droit des affaires 2006, nº 10, 73 ff) aus den EuGH-Entscheidungen ab, dass die bloß rechtliche Notwendigkeit einer Änderung der Vertriebsverträge die Verkürzung der Kündigungsfrist noch nicht rechtfertige; es müssten darüber hinaus auch „ökonomische" Gründe vorliegen (aaO 74).

6. Der BGH konnte die hier strittige Frage in KZR 14/04 (= WuW 2007, 1141) offen lassen, da er - durch weitere Ausführungen des EuGH in der Entscheidung C-376/05 , C-377/05 gedeckt - die Gesamtnichtigkeit eines Vertragshändlervertrags annahm, der nach Ablauf der Übergangsfrist nicht mehr vom gemeinschaftsrechtlichen Kartellverbot freigestellt war. Grundlage für diese Entscheidung war § 306 BGB, wonach die Unwirksamkeit einzelner Bedingungen zur Unwirksamkeit des Gesamtvertrags führt, wenn ein Festhalten am Vertrag auch unter Berücksichtigung der Ergänzungen durch das dispositive Recht eine unzumutbare Härte für eine Partei wäre.

Eine vergleichbare Bestimmung kennt das österreichische Recht nicht. Leitlinie für die Beurteilung der Frage, ob bei einem Verstoß gegen kartellrechtliche Bestimmungen Teil- oder Gesamtnichtigkeit vorliegt, ist hier nicht der Gedanke der Vertragsgerechtigkeit, sondern - nach dem Zweck der Verbotsnorm - die Wiederherstellung der wettbewerblichen Handlungsspielräume der gebundenen Parteien (6 Ob 322/00x = wbl 2001, 445 mwN; RIS-Justiz RS0114029). Das würde an sich schon durch die Teilnichtigkeit kartellrechtswidriger Vertragsklauseln bewirkt. Eine Vertiefung dieser Frage ist aber nicht erforderlich, weil die Beklagte nur die wirksame Auflösung des Vertrags, nicht aber dessen mit Ablauf der Übergangsfrist eingetretene Nichtigkeit einwendet.

7. Mit den dargestellten Entscheidungen hat der EuGH den Gerichten der Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum eingeräumt, den er - wie zuletzt die Entscheidung in der Rechtssache C-273/06 belegt - nicht einzuengen gedenkt. Der Senat sieht sich daher nicht veranlasst, ein weiteres (insgesamt viertes) Vorabentscheidungsersuchen an ihn zu richten. Vielmehr ist zu prüfen, ob die - mit 6 Ob 74/05h jedenfalls im Einklang stehende - Entscheidung des Berufungsgerichts auch nach den Beurteilungskriterien des EuGH bestehen kann. Das ist ohne jeden Zweifel der Fall.

7.1. Die Beklagte hat ihr Vertriebssystem umstrukturiert. War es früher dreistufig (Beklagte - Händler - Subhändler), so besteht es jetzt aus zwei Ebenen (Beklagte - Partner). Dadurch hat auch die Anzahl ihrer (unmittelbaren) Vertragspartner zugenommen (von 55 auf 116). Zwar sind am System insgesamt nicht wesentlich mehr Unternehmen beteiligt (früher 55 Händler und 40 Subhändler; jetzt 116 Vertragspartner, davon 66 Händler). Geändert haben sich aber ihre Beziehungen zueinander. Schon darin liegt eine andere „Struktur", dh ein anderer - auch und gerade durch die Vertragsbeziehungen bestimmter - Aufbau des Systems.

Es trifft zwar - wie bereits erwähnt - zu, dass sich die Zahl der in einer Vertragsbeziehung mit der Beklagten stehenden Händler nicht wesentlich erhöht hat (66 statt 55). Nach der Rsp des EuGH kann aber auch deren geänderte „Stellung" maßgebend sein (Rs C-125/05 Rz 29: „Anzahl oder Stellung"); allein auf die Anzahl kommt es daher nicht an. Diese Stellung hat sich grundlegend geändert, sind doch der Gebietsschutz, die Markenbindung und die Pflicht zum Erbringen von Kundendienstleistungen weggefallen. Damit sind die Händler wesentlich freier in der Gestaltung ihrer unternehmerischen Tätigkeit als früher.

Die österreichweite - und damit jedenfalls räumlich bedeutsame - Änderung des Vertriebssystems lässt nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch erhebliche wirtschaftliche (finanzielle) Folgen erwarten. Konkrete Anhaltspunkte für eine wirtschaftliche Unerheblichkeit sind nicht hervorgekommen.

Diese Umstände reichen nach Auffassung des Senats aus, um - im Rahmen des vom Europäischen Gerichtshof eröffneten Ermessensspielraums - das Vorliegen einer „Umstrukturierung" iSv Art 5 Abs 3 Kfz-GVO 1995 anzunehmen. Zwar sind einige andere Elemente des Vertriebssystems - insbesondere das Bestellwesen - gleich geblieben. Wenn das Erstgericht daraus aber ableitet, dass es in Wahrheit keine Umstrukturierung gegeben habe, so liegt darin eine rechtliche Beurteilung und nicht - wie die Revision annimmt - eine den Obersten Gerichtshof bindende Tatsachenfeststellung.

7.2. Die Kriterien für die Notwendigkeit einer Umstrukturierung hat der EuGH in der Rechtssache C-125/05 - veranlasst durch die Fragestellung des dänischen Höchstgerichts - zunächst abstrakt dargelegt (Rz 37, oben 3.2). Maßgebend sind danach Gründe der wirtschaftlichen Effizienz, die sich aus objektiven unternehmensinternen oder unternehmensexternen Umständen ergeben können.

(a) Die grundlegende Umgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen ist zweifellos ein objektiver externer Umstand, der Auswirkungen auf die Effizienz einer bestehenden Vertriebsstruktur haben kann. Das gilt auch und gerade für das Inkrafttreten der Kfz-GVO 2002 (Rs C-125/05 , Rz 62). Es trifft nun zweifellos zu, dass dieses Inkrafttreten nicht in jedem Fall eine Umstrukturierung notwendig macht. Zum einen ist von vornherein keine Änderung erforderlich, wenn das bestehende Vertriebssystem keine nach der Kfz-GVO 1995 freigestellten Beschränkungen enthielt, die nach der Kfz-GVO 2002 nicht mehr zulässig sind (Rs C-125/05 , Rz 56). Zum anderen kann unter Umständen auch eine „einfache Anpassung der Verträge" ausreichen, um die weitere Freistellung sicher zu stellen (Rs C-125/05 , Rz 61). Ob das zutrifft oder eine „echte Umstrukturierung" erforderlich ist, hängt vom spezifischen Aufbau des Vertriebssystems ab (Rs C-125/05 , Rz 62).

(b) Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass das frühere System der Beklagten aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung die Voraussetzungen für eine Freistellung nach der Kfz-GVO 2002 nicht erfüllt hätte. Nach Ablauf der Übergangsfrist wäre es daher unmittelbar am Kartellverbot zu messen gewesen. Das hätte zur Unanwendbarkeit aller darin enthaltenen Wettbewerbsbeschränkungen - nicht nur jener, die unter die Kernbeschränkungen der Kfz-GVO 2002 fallen - geführt (BGH KZR 14/04 Rz 14 ff mwN). Den Vertriebspartnern der Beklagten wäre es daher nicht nur freigestanden, Konkurrenzmarken zu führen. Sie hätten auch nicht zur Organisation der Beklagten gehörende Zwischenhändler beliefern und außerhalb des ihnen zugewiesenen Vertragsgebiets aktiv tätig werden dürfen. Das Vertriebssystem wäre daher für ein Jahr - bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist - weder exklusiv noch selektiv gewesen. Damit hätten die Vertriebspartner eine unternehmerische Freiheit gewonnen, die ihnen die Beklagte weder nach altem noch nach neuem Recht gewähren musste.

Zwar wäre es der Beklagten im Gegenzug freigestanden, weitere Händler in den (nicht mehr exklusiven) Vertragsgebieten zu bestellen. Im Übrigen wäre sie aber - so man nicht Gesamtnichtigkeit annimmt - an den Vertrag gebunden gewesen. Die einheitliche Gestaltung des Vertriebssystems nach den Vorgaben der Kfz-GVO 2002 wäre daher für ein Jahr nicht möglich gewesen. Dass dieser Zustand (auch) die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten schwerwiegend beeinträchtigt hätte, ist offenkundig.

(c) Für die objektiv erforderliche Neugestaltung des Vertriebssystems konnte die Beklagte zwischen einem exklusiven und einem selektiven System wählen (mit möglichen Differenzierungen zwischen Vertrieb und Kundendienst; Rs C-125/05 , Rz 61). Die Umsetzung dieser Entscheidung hätte zwar theoretisch auch durch eine bloße Anpassung der bereits bestehenden Verträge erfolgen können (Rs C-125/05 Rz 61: „einfache Anpassung der Verträge"). Eine einheitliche Neugestaltung des Vertriebssystems hätte die Beklagte auf diesem Weg aber nur erreichen können, wenn schon die bestehenden Verträge, und zwar auch die Subhändlerverträge, konkrete Regelungen für diesen Fall enthalten hätten. Denn sonst hätte die Beklagte über kein Mittel verfügt, den realistischerweise zu erwartenden Widerstand einzelner Händler oder Subhändler gegen die Einführung des einen oder des anderen Modells zu überwinden. Eine „automatische" Anpassung konnte es wegen der grundsätzlichen Wahlmöglichkeit der Beklagten nicht geben (vgl 8 Ob 57/06z = RdW 2007, 217).

(d) Ohne solche Vorsorge schied die Möglichkeit einer „einfachen Anpassung der Verträge" von vornherein aus. Die Kündigung der bestehenden Verträge nach Art 5 Abs 3 Kfz-GVO 1995 war daher objektiv erforderlich, damit die Beklagte ihr Vertriebssystem mit Ablauf der Übergangsfrist einheitlich neu gestalten konnte.

7.3. Aus den Entscheidungen des EuGH ist zwar - worauf die Revision an sich zutreffend hinweist - abzuleiten, dass der Übergang von einem kombiniert selektiv-exklusiven System auf ein selektives oder exklusives System in gewissen Fällen auch ohne Umstrukturierung iSv Art 5 Abs 3 Kfz-GVO 1995 möglich sein kann. Das könnte - abgesehen von einer Vorsorge in bestehenden Verträgen - etwa dann zutreffen, wenn das Vertriebssystem nur aus einer geringen Anzahl von Mitgliedern besteht, sodass eine einvernehmliche Anpassung der Verträge nicht ganz unrealistisch ist. Davon kann hier aber angesichts von über 100 Vertriebspartnern keine Rede sein. Wie schon in 6 Ob 74/05h konnte daher auch im vorliegenden Fall die objektiv erforderliche und auch tatsächlich erfolgte Neugestaltung (Umstrukturierung) des Vertriebssystems nur durch eine Strukturkündigung nach Art 5 Abs 3 Kfz-GVO 1995 erreicht werden.

8. Aufgrund dieser Erwägungen muss die Revision der Klägerin scheitern. Allgemein gilt: Ob das Inkrafttreten der Kfz-GVO 2002 eine Strukturkündigung nach Art 5 Abs 3 Kfz-GVO 1995 rechtfertigte, hängt nach der Rechtsprechung des EuGH von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der konkreten Ausgestaltung des bisherigen Vertriebssystems und den vorgenommenen Änderungen, ab. Bei einer über hundert Unternehmen umfassenden Vertriebsorganisation, die unter Wegfall einer Vertriebsebene von einem kombiniert selektiv-exklusiven auf ein selektives System umgestellt wird, waren die Voraussetzungen für eine Strukturkündigung im Regelfall erfüllt.

9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

Stichworte