OGH 3Ob128/07f

OGH3Ob128/07f27.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer sowie Dr. Jensik und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Norbert Gugerbauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Salpius Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 965.179,38 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 5. April 2007, GZ 3 R 42/07b-33, womit das Teilurteil des Landesgerichts Salzburg vom 27. Dezember 2006, GZ 10 Cg 180/03h-29, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die klagende Partei war seit 1970 Vertragshändlerin für J*****-Fahrzeuge. Zuletzt schloss sie mit der beklagten GmbH, die Generalimporteurin solcher Fahrzeuge in Österreich ist, am 13. August 2001 einen Händlervertrag ab. Die beklagte Partei kündigte mit Schreiben vom 26. Februar 2002 diesen Vertrag unter Berufung auf dessen Punkt 21.2 zum 30. Juni 2003. Dieser Punkt lautet auszugsweise:

„Die Gesellschaft [beklagte Partei] ist zur Kündigung dieses Vertrages mit einer Frist von 1 (einem) Jahr berechtigt, falls die Notwendigkeit zur teilweisen oder gänzlichen Reorganisation ihrer Absatzorganisation gegeben ist oder ..."

Die beklagte Partei führte zur Umstrukturierung ihres österreichischen Vertragshändlernetzes zum 1. Oktober 2003 ein so genanntes selektives Vertriebssystem ein. Bis zum 30. September 2003 gab es in Österreich neun J*****-Vertragshändler. Drei von ihnen stimmten einer Änderung bzw. Einschränkung ihres Vertragsgebiets zu und erhielten im Gegenzug von der beklagten Partei die Zusage für den Abschluss neuer Händlerverträge mit 1. Oktober 2003, ohne dass eine Kündigung der jeweiligen Handelsverträge erfolgt wäre. Die beklagte Partei kündigte österreichweit bis 30. September 2003 die Verträge mit vier ihrer Vertragshändler, ohne mit ihnen Nachfolgeverträge abzuschließen. Bis September 2004 hatte sie in Österreich zwölf Vertragshändler etabliert und war auf der Suche nach zwei weiteren, langfristiges Ziel war ein Händlernetz mit 16 Vertriebspunkten. Schon bei den vorangegangenen Vertragsverhandlungen hatte die klagende Partei die Auffassung vertreten, dass mit den von der beklagten Partei vorgegebenen Händlerspannen kein profitabler Handel zu betreiben sei. Unter diesen Gesichtspunkten erachtete diese eine weitere Zusammenarbeit mit jener nicht als sinnvoll. Da klar war, dass die klagende Partei der Einsetzung eines weiteren Vertragshändlers in ihrem vertraglich zugesicherten Gebiet nicht zustimmen würde, wurden nach der Vertragskündigung zwei andere Vertragshändler im betreffenden Bundesland eingesetzt. Die klagende Partei begehrte ua wegen Verkürzung der Vertragslaufzeit 965.179,38 EUR an Schadenersatz.

Das Erstgericht wies dieses Teilbegehren ab.

Das Gericht zweiter Instanz gab der nur in diesem Umfang erhobenen Berufung der klagenden Partei nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es führte im Wesentlichen aus:

Bis 30. September 2003, nach dessen Ablauf die (neue) Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Art 81 Abs 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor in Kraft trat, hätten alle Kfz-Vertriebssysteme dieser GVO entsprechen müssen. Der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 30. November 2006 (C-376/05 und 377/05) betont, das Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 habe als solches keine Umstrukturierung des Vertriebssystems eines Lieferanten iSd Art 5 Abs 3 Unterabsatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 vom 28. Juni 1995 über die Anwendung von Art [81] Abs 3 des Vertrags auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge notwendig gemacht. Dieses Inkrafttreten habe jedoch nach Maßgabe des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes des einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig machen können, dass sie eine echte Umstrukturierung dieses Netzes iS dieser Bestimmung darstellten. Es sei Sache der nationalen Gerichte und der Schiedsgerichte, zu beurteilen, ob dies unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, der Fall ist.

Das Erstgericht habe nun unbekämpft festgestellt, dass die beklagte Partei zur Umstrukturierung ihres österreichweiten Vertragshändlernetzes zum 1. Oktober 2003 ein sogenanntes selektives Vertriebssystem eingeführt habe. Diese Entscheidung sei - wie sich auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs C-125/05 ergebe - wohl im Zusammenhang mit der Kfz-GVO 2002 gestanden, allerdings nicht in zwingendem Zusammenhang. Das habe auch das Erstgericht nicht ausgeführt. Nach dieser müsse sich der Hersteller für ein exklusives oder selektives Vertriebssystem entscheiden. Die beklagte Partei hätte daher auch nach Inkrafttreten der genannten GVO bei ihrem exklusiven Vertriebssystem bleiben können. Sie habe aber das langfristige Ziel verfolgt, ein Händlernetz mit 18 statt bisher neun Vertriebspunkten zu errichten. Diese betriebswirtschaftlich im vorliegenden Einzelfall getroffene Entscheidung halte der erforderlichen Plausibilitätskontrolle stand; die beklagte Partei vermöge dagegen nichts ins Treffen zu führen. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 6 Ob 74/05h seien bei Beurteilung der konkret erforderlichen Veränderungen des Vertriebssystems vor allem jene zu berücksichtigen, die erforderlich würden, um weiterhin den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung in Anspruch nehmen zu können. Auch in jenem Fall habe - wie hier - eine zwingende Verknüpfung zwischen Vertrieb und Kundendienstleistungen bestanden, die als Voraussetzung einer Freistellung nach dem [gemeint offenbar: bis zum] 1. Oktober 2003 habe aufgelöst werden müssen. Die in der Kfz-GVO verankerten Vertriebsprinzipien hätten eine - auch objektiv gesehen - entsprechende grundlegende inhaltliche Neuordnung des Vertriebssystems erfordert, wenn die beklagte Partei die Rechtsvorteile der Gruppenfreistellung nicht habe verlieren wollen. Die Vornahme einer grundlegenden Strukturänderung ergebe sich aus der Umstellung auf das selektive Vertriebssystem samt Erweiterung der Vertriebspunkte. Der Nachweis effektiver Umstrukturierungsmaßnahmen habe unterblieben können, weil einer jener Fälle vorliege, die auch der Oberste Gerichtshof im Einklang mit dem Europäischen Gerichtshof als notwendige grundlegende Neuordnung des Vertriebssystems beurteile.

Das Berufungsgericht sei von der zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht abgewichen, die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens sei wegen der bereits vorliegenden Judikatur des Europäischen Gerichtshofs nicht erforderlich.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.

Art 5 Abs 2 und 3 der Verordnung Nr. 1475/95 lauten:

(2) Sofern der Händler nach Art 4 Abs 1 Verpflichtungen zur Verbesserung der Strukturen von Vertrieb und Kundendienst übernommen hat, gilt die Freistellung unter der Voraussetzung, ... 2. dass die Dauer der Vereinbarung mindestens fünf Jahre oder die Frist für die ordentliche Kündigung einer auf unbestimmte Dauer geschlossenen Vereinbarung für beide Vertragspartner mindestens zwei Jahre beträgt;

...

(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Voraussetzungen für die Freistellung berühren nicht das Recht des Lieferanten, die Vereinbarung innerhalb einer Frist von mindestens einem Jahr zu kündigen, falls sich die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren ... Nach Ansicht der klagenden Partei habe das Berufungsgericht vom jüngsten zu dieser Norm ergangenen Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Jänner 2007, C-273/06 , Peter Petschenig GmbH vs. Toyota Frey Austria GmbH (= wbl 2007/97, 234) abweichend entschieden, der auch von der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 6 Ob 74/05h (= RdW 2005, 692 = ecolex 2005, 851 [Zinober] = wbl 2006/20, 42 [Schuhmacher] „Fiat-Vertragsbindung II"), auf die sich das Berufungsgericht stütze, abweiche. Dem ist aber nicht zu folgen. Wie in der außerordentlichen Revision ohnehin eingeräumt wird, judizierte der Europäische Gerichtshof gleichförmig zu der hier relevante Auslegung der genannten VO; dies sagte er auch ausdrücklich in seiner E C-273/06 , einem Beschluss iSd Art 104 § 3 Abs 1 seiner Verfahrensordnung, in dem er auf seine Vorentscheidungen verweist. Wie dieser in dem von der klagenden Partei zitierten Urteil vom 7. September 2006, C-125/05 VW-Audi Forhandlerforeningen für Vulcan Silkeborg A/S vs. Skandinavisk Motor Co. A/S (= wbl 2006/236, 513) darlegte, beinhaltet eine solche Umstrukturierung notwendigerweise eine Änderung der Organisation der Vertriebsstruktur dieses Lieferanten, die insbesondere die Art oder die Gestalt dieser Strukturen, ihren Zweck, die Aufteilung der internen Aufgaben innerhalb dieser Strukturen, die Modalitäten der Versorgung mit den betroffenen Waren und Dienstleistungen, die Anzahl oder Stellung der Beteiligten an diesen Strukturen und ihre räumliche Reichweite betreffen kann. Daraus ist bereits abzuleiten, dass eine - jedenfalls eine ganz erhebliche wie die schon teilweise durchgeführte und teils noch geplante - Veränderung der Anzahl der Beteiligten an der Vertriebsstruktur eine solche Umstrukturierung darstellen kann. Dass dies für eine Vergrößerung der Händlerzahl von neun auf 16, also um nahezu 80 % iVm der Einführung eines selektiven Systems und der Lösung der Verknüpfung zwischen der verpflichtenden Verknüpfung von Vertrieb und Kundendienst gilt, wie das Berufungsgericht entschied, steht mit diesem Rechtssatz durchaus in Einklang. Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 6 Ob 74/05h die Änderung der Händlerzahl in dem von ihm zu beurteilenden Fall keine Rolle spielte, weil er eben schon allein wegen der Umstellung des Vertriebssystems von selektiv-exklusiv auf rein selektiv eine hinreichende Umstrukturierung als gegeben annahm (so auch die von ihm zitierte Meinung von Wendel, Die neue GVO Nr. 1400/2002 vom 31. 07. 2002 - Automobilvertrieb seit 01. 10. 2002, WRP 2002, 1395 [1400], der auch die Auflösung der Einheit von Verkauf und Kundendienst berücksichtigt). Dass eine solche Änderung keine Umstrukturierung bedeute, wird damit keineswegs ausgedrückt. Damit sind aber in Wahrheit erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

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