OGH 13Os84/07p

OGH13Os84/07p3.10.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Oktober 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Roland R***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 6. Februar 2007, GZ 12 Hv 191/02f-122, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) sowie Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 (zu ergänzen:) Z 2 StGB (II) schuldig erkannt. Danach hat er in St. P*****

(I) in der Zeit vom September 2001 bis zum Juli 2002 wiederholt außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an der am 20. Jänner 1991 geborenen Vanessa A***** vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er sie veranlasste, Gel oder Creme auf sein erigiertes Glied aufzutragen und es bis zum Samenerguss zu reiben, und sie, nachdem sie sich über seine Aufforderung entkleidet hatte, an den Brüsten sowie an der Scheide betastete, und

(II) durch die zu I beschriebenen Taten mit der seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden Tochter seiner Lebensgefährtin (nunmehrigen Ehefrau) unter Ausnützung seiner Stellung geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 3, 4, 5, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wird der herangezogene Nichtigkeitsgrund allein durch das Fehlen einer Begründung der Entscheidung über einen Parteienantrag nicht hergestellt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 316, 318). Es sei daher nur der Vollständigkeit halber festgehalten, dass das Erstgericht die Abweisung mehrerer Beweisanträge des Beschwerdeführers (S 211/II) nach der Aktenlage sehr wohl begründet hat (S 211 f/II). Hinsichtlich der Behauptung, das Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 121) sei insoweit fehlerhaft, genügt der Hinweis auf den - einen diesbezüglichen Berichtigungsantrag (ON 127) abweisenden, unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen (S 301/II) - Beschluss des Erstgerichts vom 29. Mai 2007 (ON 134).

Auch inhaltlich wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Angaben der Vanessa A***** zum Tatvorwurf nicht erlebnisbegründet sind, sondern auf von dritter Seite suggerierte Einflüsse basieren" (S 211/II), Verteidigungsrechte nicht verletzt, weil die Prüfung der Beweismittel auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft nach dem Gesetz allein dem erkennenden Gericht zukommt (§ 258 Abs 2 StPO). Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen kommt insoweit die Hilfestellung durch einen Sachverständigen in Betracht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Ein solcher seelischer oder geistiger Defektzustand wurde aber anlässlich der Antragstellung nicht behauptet und war auch durch die Verfahrensergebnisse nicht indiziert. Vielmehr wies die Zeugin Vanessa A***** nach dem Gutachten des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen (S 202 bis 207/II iVm ON 74) keine aus gesundheitlich-seelischen Faktoren resultierende Einschränkung ihrer Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit auf (s insbes S 202 f/II).

Dem Antrag auf Beischaffung eines (dort näher bezeichneten) Aktes der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg zum Nachweis dafür, „dass Vanessa A***** gegen ihren Willen im Landeskrankenhaus Klagenfurt angehalten wurde" (S 211/II), folgte das Erstgericht zu Recht nicht (S 212/II), weil sich dieser nicht auf für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage erhebliche Umstände bezog.

Das ergänzende Beschwerdevorbringen zu den Beweisanträgen hat aufgrund des im Nichtigkeitsverfahren geltenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen.

Der Vorwurf der Mängelrüge (Z 5), die angefochtene Entscheidung gebe den Inhalt eines in der Hauptverhandlung verlesenen (S 214/II), angeblich von Vanessa A***** verfassten Briefes (Beilage zu ON 78) aktenwidrig wieder (Z 5 fünfter Fall), trifft nicht zu (US 14). Auch setzt sich das Erstgericht mit der für den Prozessstandpunkt des Beschwerdeführers wesentlichen Aussage dieses Briefes, Vanessa A***** habe sich unter Druck gesetzt gefühlt, beweiswürdigend auseinander (US 14). Darin, dass nicht der gesamte Inhalt des Briefes im Einzelnen erörtert wurde, ist keine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zu erblicken, vielmehr würde dies dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) zuwiderlaufen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428).

Die Conclusio der Tatrichter, dass die Annahme einer Druck-Situation nicht zwingend auf die Unwahrheit einer in diesem Zustand abgelegten Aussage schließen lässt (US 14) und daher der angesprochene Brief den übrigen beweiswürdigenden Erwägungen (US 7 bis 17) nicht entgegensteht, ist aus dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden. Die Beschwerdeprämisse, das - lediglich abrundend verwendete - Urteilsargument, die in dem Brief beschriebene Belastungssituation beziehe sich möglicherweise auf den Krankenhausaufenthalt der Vanessa A*****, stelle eine das Begründungsgebot des § 270 Abs 2 Z 5 StPO verletzende Vermutung dar, ignoriert die Gesamtheit der tatrichterlichen Argumentationskette und verfehlt solcherart die prozessförmige Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394, jüngst 12 Os 70/07x).

Der Einwand, die angefochtene Entscheidung übergehe, dass Vanessa A***** „im LKH Klagenfurt Körperverletzungen erlitten hat" (Z 5 zweiter Fall), entzieht sich mangels Bezugnahme auf konkrete Verfahrensergebnisse einer inhaltlichen Erwiderung. Hinzu kommt, dass dieses Vorbringen nicht erkennen lässt, aus welchem Grund der behauptete Umstand schuld- oder subsumtionsrelevant sein soll. Der pauschale Verweis der Tatsachenrüge (Z 5a) auf die Mängelrüge lässt nicht erkennen, aus welchen in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismitteln sich aufgrund welcher Überlegungen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen ergeben sollen, und verfehlt solcherart die prozessordnungskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes.

Der Vorwurf, das Erstgericht habe es unter Verletzung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung unterlassen, Vanessa A***** zum Inhalt des vorgelegten Briefes (Beilage zu ON 78) zu befragen, legt nicht dar, wodurch der Beschwerdeführer insoweit an der Ausübung seines Rechts auf zweckdienliche Antragstellung gehindert gewesen sein soll, und geht solcherart ins Leere (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480, jüngst 11 Os 130/06m).

Soweit die Rüge in diesem Zusammenhang die ihrer Ansicht nach verfehlte Belehrung dieser Zeugin zu ihrem Entschlagungsrecht (S 191/II) anspricht (Z 3), übersieht sie, dass die - hier bedeutsame - Bestimmung des § 152 Abs 5 StPO nur die Aussage eines Zeugen, der auf sein Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, nicht ausdrücklich verzichtet hat, als nichtig erklärt. Hingegen können sich die Prozessparteien gegen die irrige Gewährung eines Entschlagungsrechts nur durch einen zu begründenden Antrag, dem Zeugen kein solches Recht einzuräumen, zur Wehr setzen. Wird einem derartigen - hier nicht vorliegenden - Antrag nicht entsprochen, kommt zur Urteilsanfechtung Nichtigkeit aus Z 4 in Betracht (Kirchbacher, WK-StPO § 152 Rz 74). Indem die Beschwerde die schon im Rahmen der Verfahrensrüge relevierte Beweisaufnahme durch Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens sowie Beischaffung eines Aktes der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg aus dem Blickwinkel der Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsfindung einfordert, verkennt sie die insoweit bestehende Subsidiärität der Aufklärungs- gegenüber der Verfahrensrüge, die daraus resultiert, dass andernfalls die wesentlichen Inhaltserfordernisse letzterer unterlaufen würden (Lässig, Das Rechtsschutzsystem der StPO und dessen Effektuierung durch den OGH, ÖJZ 2006, 409).

Der Einwand der Sanktionsrüge (Z 11), die - soweit auf der gleichen schädlichen Neigung beruhend - erschwerend (§ 33 Z 2 StGB) gewerteten Vorstrafen (US 17) seien bereits getilgt, ist verfehlt, weil der Beschwerdeführer nach der im Akt befindlichen Strafregisterauskunft (ON 109) zuletzt zu einer zweimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, deren Vollzug mit 28. Oktober 2002 datiert (S 133/II). Die diesbezügliche Tilgungsfrist endet daher gemäß § 3 Abs 1 Z 2 TilgG am 28. Oktober 2007. Aufgrund der Bestimmung des § 4 Abs 1 TilgG sind auch die davor erlittenen Verurteilungen (S 131 f/II) noch nicht getilgt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Gerichtshof zweiter Instanz zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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