OGH 6Ob147/07x

OGH6Ob147/07x13.9.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erich F*****, vertreten durch Dr. Helmut Grubmüller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Chih-Ching H*****, vertreten durch Dr. Franz Terp, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 14. März 2007, GZ 39 R 49/07f-31, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 14. November 2006, GZ 9 C 441/04w-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 1.348,82 EUR (darin 195,64 EUR Umsatzsteuer und 175 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer einer Wohnung in W*****, die aus zwei Zimmern, Küche und Vorzimmer besteht und 90 m² Wohnfläche aufweist. Er hat sie 1999 von seinem Vater geerbt und erst nach dessen Tod von ihr Kenntnis erlangt.

Dieser hatte die Wohnung 1994 gekauft und bis zu seinem Tod jeweils von Donnerstag bis Sonntag bewohnt. Er lebte dort mit der Schwester des Beklagten in einer Lebensgemeinschaft. Auch der Beklagte und die Mutter der beiden Geschwister lebten in dieser Wohnung. Am 28. 1. 1997 schlossen der Beklagte und der Vater des Klägers im Hinblick auf dessen Lebensgemeinschaft mit der Schwester des Beklagten und „aus Sicherheit" einen Vertrag unter Verwendung eines Mietvertragsformulars betreffend die Überlassung der Wohnung zum Gebrauch. In Punkt 2. dieses Formulars wurde unter dem Punkt „Frei vereinbarter Hauptmietzins" ein Betrag von 600 S eingesetzt; der „Mietvertrag" wurde auch beim Finanzamt für Gebühren und Verkehrssteuern angezeigt. Grund für den Abschluss dieses Vertrags war „sozusagen eine Versicherung" für den Beklagten, in der Wohnung bleiben zu können; dies auch deshalb, weil die Schwester des Beklagten dem Vater des Klägers ein Darlehen in Höhe von 700.000 S zugezählt hatte. Zusätzlich zum schriftlichen Vertrag vereinbarten der Vater des Klägers und der Beklagte allerdings mündlich, dass „überhaupt niemals Mietzins zu zahlen" sei; sie wären ja eine Familie. Tatsächlich leistete der Beklagte vereinbarungsgemäß bis zum Tod des Vaters des Klägers auch keine Zahlungen; erst nach Aufforderung durch den Kläger kam es zu solchen an den Klagevertreter.

Am 1. 7. 1999 begehrte der Kläger zu GZ 15 C 149/99p des Bezirksgerichts Döbling Räumung der Wohnung durch den Beklagten und dessen Schwester wegen titelloser Benützung. Am 2. 1. 2000 wurde die Klage abgewiesen; titellose Benützung sei nicht gegeben. Das LGZ Wien bestätigte diese Entscheidung zu GZ 39 R 130/00g. Anschließend forderte der Kläger im Jahr 2001 vom Beklagten die Bezahlung rückständiger Miete; aufgrund der beiden Entscheidungen ging er von der Anwendbarkeit des Mietrechtsgesetzes aus.

Am 7. 1. 2002 kündigte der Kläger das Bestandverhältnis gegenüber dem Beklagten zu GZ 15 C 1/02f auf. Diese Aufkündigung wurde jedoch am 16. 1. 2004 in erster Instanz aufgehoben und das Räumungsbegehren abgewiesen; ein Bestandverhältnis zwischen den Parteien sei nicht gegeben. Aufgrund dieser Entscheidung teilte der Kläger dem Beklagten am 13. 10. 2004 mit, allenfalls eingehende monatliche Zahlungen seien lediglich als teilweises Benützungsentgelt und nicht als Mietzinszahlungen anzusehen. Seit dem Tod des Vaters des Klägers zahlen nämlich der Beklagte bzw seit 2002 (auch) die Schwester des Beklagten monatlich 600 S bzw 43,60 EUR an den Klagevertreter, obwohl der Kläger dem Beklagten niemals Mietzinszahlungen vorgeschrieben hatte. Es steht nicht fest, ob diese Zahlungen als „Mietzins" tituliert waren.

Der Kläger begehrt mit der seit 26. 7. 2004 anhängigen Klage die Räumung der Wohnung durch den Beklagten und stützt sich (wieder) auf titellose Benützung; Zahlungen des Beklagten seien lediglich als Benützungsentgelt und nicht als Mietzinse zu betrachten. Der Beklagte hält dem entgegen, der Vater des Klägers habe zunächst im Jahr 1995 die Wohnung an die Mutter und die Schwester des Beklagten vermietet und am 28. 1. 1997 sodann auch mit diesem selbst einen Mietvertrag abgeschlossen. Im Übrigen habe der Kläger selbst im Jahr 2001 vom Beklagten die Bezahlung eines Mietzinses verlangt, weshalb der Beklagte nach wie vor einen monatlichen Mietzins von 47,96 EUR bezahle.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Räumung der Wohnung. Der Kläger habe mit ihm nie einen Mietvertrag abgeschlossen; ein solcher sei auch nicht konkludent durch die Einmahnung von Zahlungen durch den Kläger aufgrund der Gerichtsentscheidungen zustandegekommen. Ein Mietvertrag habe infolge vereinbarter Unentgeltlichkeit auch nicht zwischen dem Vater des Klägers und dem Beklagten bestanden.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, die zwischen dem Vater des Klägers und dem Beklagten getroffene Vereinbarung sei „zumindest als obligatorisches Wohnrecht mit vertraglicher Bindung anzusehen". Auch wenn die Zeit des Gebrauchs weder bestimmt noch bestimmbar sei, könne doch Leihe vorliegen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, weil das Berufungsgericht zu Unrecht das Vorliegen eines Wohnungsleihvertrags angenommen hat; sie ist auch berechtigt.

1. Der Kläger bekämpft die Auffassung des Berufungsgerichts, zwischen dem Vaters des Klägers und dem Beklagten sei ein Wohnungsleihvertrag zustande gekommen:

Nach § 971 ABGB liegt ein Leihvertrag vor, wenn jemandem eine unverbrauchbare Sache bloß zum unentgeltlichen Gebrauche auf eine bestimmte Zeit übergeben wird. Es ist dabei zwar richtig, dass etwa auch Wohnungen Gegenstand eines Leihvertrags sein können, wenn sie bloß zum unentgeltlichen Gebrauch überlassen werden. Weitere Voraussetzung ist aber, dass sie „auf bestimmte Zeit" überlassen werden; dies entspricht nicht nur der ausdrücklichen Regelung des Gesetzes, sondern auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl etwa 3 Ob 599/85 = SZ 58/163 = EvBl 1986/66 ua) und der herrschenden Lehre (s etwa Schubert in Rummel, ABGB³ [2000] § 971 Rz 2; Binder in Schwimann, ABGB³ [2006] § 971 Rz 15; Griss in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB² [2007] § 971 Rz 4). Die Dauer kann sich zwar (lediglich) aus dem Gebrauchszweck ergeben (Griss, aaO), sie muss aber erschließbar sein (3 Ob 1565/90 = EFSlg 63.185); dies ist etwa bei einer Überlassung auf Lebenszeit, für die Dauer einer Ehe, bis zur Erlangung einer anderen Wohnungsmöglichkeit oder für die Dauer des Bedarfs des Entlehners der Fall (Schubert, aaO). Auch aus der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 8 Ob 590/88 (= MietSlg 40.077) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Es ist zwar richtig, dass diese an der vom Berufungsgericht zitierten Fundstelle „MGA ABGB36 § 971 E 7" mit dem Leitsatz zitiert ist „Auch wenn die Zeit des Gebrauchs weder datumsmäßig bestimmt noch von vornherein datumsmäßig bestimmbar ist, kann Leihe vorliegen."; dieser Leitsatz gibt aber den Inhalt der Entscheidung nur verkürzt und inhaltlich unrichtig wieder. Tatsächlich sollten die dort Beklagten „so lange in der Wohnung bleiben können, als sie das Haus in Stand hielten". Die Dauer des Gebrauchs war damit auch in diesem Fall erschließbar und daher bestimmt im Sinne des § 971 ABGB.

Gerade eine - zumindest bestimmbare - Dauer der Gebrauchsüberlassung der Wohnung an den Beklagten und/oder seine Schwester lässt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht erschließen. Der Beklagte sollte „in der Wohnung bleiben können"; er und seine Schwester müssten „überhaupt niemals" Mietzins zahlen, „weil sie eine Familie wären". In der Berufungsbeantwortung geht der Beklagte auch selbst von einem Vertragsabschluss „auf unbestimmte Zeit" aus (AS 147). Dass das Vertragsverhältnis „auf Lebenszeit" geschlossen worden wäre, wie der Beklagte nunmehr im Revisionsverfahren meint, lässt sich den Feststellungen der Vorinstanzen nicht entnehmen. Die Annahme eines Wohnungsleihvertrags durch das Berufungsgericht war somit verfehlt. Im Übrigen hat sich der Beklagte im gesamten Verfahren vor den Vorinstanzen immer nur auf den Abschluss eines Mietvertrags mit dem Vater des Klägers bzw den Kläger selbst berufen, niemals jedoch auf einen Wohnungsleihvertrag, sodass es dem Berufungsgericht schon im Grundsätzlichen versagt gewesen wäre, sich auf den vom Beklagten gar nicht erwähnten Rechtsgrund zu stützen (vgl dazu die Ausführungen bei Fasching in Fasching/Konecny, ZPO² [2004] § 226 Rz 91 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen erschiene zwar die Überlegung nicht ganz abwegig, zwischen dem Vater des Klägers, dem Beklagten und dessen Schwester ein familienrechtliches Wohnverhältnis anzunehmen; immerhin waren der Vater des Klägers und die Schwester des Beklagten Lebensgefährten. Darauf kann jedoch nicht näher eingegangen werden, weil sich der Beklagte weder in den vorinstanzlichen Verfahren noch im Revisionsverfahren darauf berufen hat.

3. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte die rechtliche Auffassung des Erstgerichts bekämpft, das das Vorliegen eines Mietverhältnisses verneint hatte, und in Richtung Mietverhältnis argumentiert. Im Revisionsverfahren hat er nunmehr allerdings seinen Standpunkt geändert und geht von einem Wohnungsleihvertrag aus. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit seiner früheren Argumentation erübrigt sich somit; ein Wohnungsleihvertrag liegt aber - wie dargestellt (1.) - nicht vor.

Das Erstgericht ist zutreffend von einer titellosen Benützung der Wohnung durch den Beklagten ausgegangen; sein Urteil war daher wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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