OGH 10ObS91/07s

OGH10ObS91/07s11.9.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Markus Kaspar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Monika Kemperle (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friedrich J*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Johann Kuzmich, Rechtsanwalt in Nebersdorf, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. März 2007, GZ 8 Rs 18/07m-39, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Oktober 2005 (richtig: 2006), GZ 30 Cgs 68/04p-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 23. 10. 1947 geborene Kläger, der den Beruf eines Maurers erlernt hat, war seit 1977 als LKW-Fahrer und Kranführer bei der Bauunternehmung DI Dr. Adalbert K***** beschäftigt. Seit einem Arbeitsunfall im Jahr 1997 verrichtete er nur mehr leichte Tätigkeiten am Ladeplatz der genannten Bauunternehmung. Im maßgebenden Zeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. 11. 2004) war der Kläger von 1. 11. 1989 bis 17. 11. 1997, von 24. 12. 1997 bis 26. 12. 1997, von 31. 12. 1997 bis 1. 1. 1998, am 6. 1. 1998, von 24. 12. 1998 bis 26. 12. 1998, von 31. 12. 1998 bis 1. 1. 1999, am 6. 1. 1999 und von 8. 3. 1999 bis 27. 9. 2000 pflichtversichert. Am 9. 8. 2000 war über das Vermögen des Dienstgebers der Konkurs eröffnet und mit Beschluss des Konkursgerichtes vom 30. 8. 2000 die Schließung des Unternehmens angeordnet worden. Das Dienstverhältnis des Klägers wurde vom Masseverwalter gekündigt; für die Zeit vom 28. 9. 2000 bis 31. 3. 2001 bezog der Kläger Kündigungsentschädigung.

Mit Bescheid vom 3. 2. 2004 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 15. 7. 2003 auf Zuerkennung der Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 11. 2004 gerichtete Klagebegehren ab. Es traf über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch Feststellungen über die Zeiten des Krankengeldbezuges sowie über das medizinische Leistungskalkül des Klägers und stellte fest, dass eine Dienstbereitschaft des Klägers für leichte Tätigkeiten für die Gemeinschuldnerin in der Zeit nach Konkurseröffnung bis März 2001 nicht erwiesen sei. Nach seiner rechtlichen Beurteilung erfülle der Kläger nicht die - im Revisionsverfahren allein strittigen - Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG, weil er in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 11. 2004) insgesamt nur durch 115 Monate und 20 Tage hindurch eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es verwies im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach Zeiten des Krankengeldbezuges so wie auch Zeiten des Bezuges einer Urlaubsentschädigung bzw Urlaubsabfindung oder einer Urlaubsersatzleistung nicht als Zeiten der Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG gewertet werden könnten. Dies müsse in gleicher Weise auch für Zeiten des Bezuges einer Kündigungsentschädigung gelten, da der Kläger in dieser Zeit keine Tätigkeit ausgeübt und auch keine Arbeitspflicht bestanden habe. Gegenteiliges lasse sich auch aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 9 ObA 55/06p nicht ableiten. Gegenstand dieser Entscheidung sei die Frage gewesen, inwieweit bei einem nach § 25 KO vorzeitig aus dem Dienstverhältnis ausgetretenen Arbeitnehmer der Zeitraum des Bezuges der Kündigungsentschädigung eine Beschäftigungszeit iSd § 5 BUAG, sohin eine anwartschaftsbegründende Zeit für Ansprüche gegen die Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungskasse auf Urlaubsentgelt und Abfertigung darstelle. Diese Frage sei vom Obersten Gerichtshof unter Bezugnahme auf den sich aus § 1162b ABGB ergebenden allgemeinen Grundsatz, wonach ein Dienstnehmer im Falle des berechtigten Austritts so zu stellen sei, als wäre das Dienstverhältnis vertragsmäßig beendet worden, bejaht worden. Diese Ausführungen könnten aber nichts daran ändern, dass während des Zeitraumes des Bezuges einer Kündigungsentschädigung das Dienstverhältnis regelmäßig bereits beendet und somit auch die Arbeitspflicht erloschen sei und daher keine Tätigkeit mehr ausgeübt werde. Dass es tatsächlich zu einer Wiederaufnahme der Beschäftigung gekommen wäre, werde auch vom Berufungswerber nicht behauptet. Die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG stelle im Unterschied zu den arbeitsrechtlichen Regelungen der §§ 29 AngG, 1162b ABGB nicht auf eine fiktive Dauer des Arbeitsverhältnisses für die Berechnung der daraus resultierenden Ansprüche, sondern auf die faktische Ausübung der konkreten Tätigkeit ab. Eine solche Ausübung der Tätigkeit erfolge jedoch während der Dauer des Bezuges einer Kündigungsentschädigung nicht, weshalb solche Zeiten nicht in die von § 255 Abs 4 ASVG verlangten 120 Kalendermonate der Ausübung einer Tätigkeit einzurechnen seien.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Berücksichtigung von Zeiten des Bezuges einer Kündigungsentschädigung für die 120 Monate der Ausübung einer Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung bzw sekundärer Feststellungsmängel mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen geltend, dass entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes auch Zeiten des Krankengeldbezuges und des Bezuges einer Kündigungsentschädigung in die von § 255 Abs 4 ASVG verlangte Dauer der Ausübung einer Tätigkeit durch 120 Kalendermonate hindurch einzurechnen seien. Er sei während der Zeit, für welche ihm die Kündigungsentschädigung zugestanden sei, arbeitsbereit gewesen und sei sogar zwecks Aufnahme der konkreten Berufstätigkeit bei einer allfälligen Fortführung des Betriebes in Evidenz gehalten worden. Er habe daher unter Berücksichtigung der Zeiten des Bezuges der Kündigungsentschädigung seine Tätigkeit als LKW-Fahrer und Kranführer bzw ab 1997 als Lagerplatzarbeiter mit Chauffeurdiensten im maßgebenden Beobachtungszeitraum vor dem Stichtag (1. 11. 2004) insgesamt durch 121 Beitragsmonate und 23 Beitragstage hindurch ausgeübt.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Nach § 255 Abs 4 ASVG gilt ein Versicherter, der - wie der Kläger - das 57. Lebensjahr vollendet hat, als invalid, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist der Umstand, dass der Gesetzgeber im § 255 Abs 4 ASVG beim erforderlichen Beschäftigungsausmaß auf „Kalendermonate" (und nicht auf „Beitragsmonate") abstellt, kein Redaktionsversehen. Dabei sind in analoger Anwendung des § 133 Abs 2 letzter Satz GSVG jeweils 30 Kalendertage zu einem Monat zusammenzufassen. Kurzfristige Unterbrechungen wie durch Urlaub oder Krankenstand sind zu vernachlässigen. Zeiten eines Krankengeldbezuges sind (im Gegensatz zu Zeiten der Entgeltfortzahlung durch den Dienstgeber) nicht zu

berücksichtigen (10 ObS 264/02z = SZ 2004/37; 10 ObS 79/04x; 10 ObS

62/04x = SSV-NF 18/70). Für die gegenteilige Ansicht des Klägers,

Zeiten des Krankengeldbezuges seien als „Arbeitszeiten" iSd § 255 Abs 4 ASVG anzusehen, werden in der Revision keine inhaltlichen Argumente vorgebracht, sodass schon aus diesem Grund kein Anlass für ein Abgehen von der zitierten Rechtsprechung besteht.

Auch Zeiten des Bezuges einer Urlaubsersatzleistung sind nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bei der von § 255 Abs 4 ASVG geforderten Mindestausübungsdauer nicht zu berücksichtigen. Zwar kommt es durch den Bezug einer Urlaubsersatzleistung zu einer Verlängerung der Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs 1 erster Satz ASVG, von einer „Ausübung" der Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG kann jedoch nicht mehr gesprochen werden, da das Dienstverhältnis arbeitsrechtlich bereits beendet ist, sodass keine kurzfristige Unterbrechung, die für die „Ausübung der Tätigkeit" unschädlich wäre, mehr eintreten kann (SSV-NF 18/70). Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, müssen diese Erwägungen in gleicher Weise auch für die Zeiten des Bezuges einer Kündigungsentschädigung gelten. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde das Dienstverhältnis des Klägers durch Kündigung seitens des im Konkurs des Dienstgebers bestellten Masseverwalters beendet. Nach § 25 Abs 1 KO kann das Arbeitsverhältnis vom Masseverwalter unter Einhaltung der gesetzlichen, kollektivvertraglichen oder der zulässigerweise vereinbarten kürzeren Kündigungsfrist unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen gelöst werden. Wird ein Arbeitnehmer vom Masseverwalter gemäß § 25 Abs 1 KO gekündigt, dann steht ihm gemäß § 25 Abs 2 KO für die Zeit ab Ende der gesetzlichen Kündigungsfrist bis zum fiktiven Kündigungstermin ein Schadenersatzanspruch zu (SZ 69/196 ua). In diesem Sinne hat ein arbeitsrechtlicher Senat des Obersten Gerichtshofes in der vom Kläger zitierten Entscheidung 9 ObA 55/06p ausgeführt, dass bei einem nach § 25 KO vorzeitig aus dem Dienstverhältnis ausgetretenen Arbeitnehmer der Zeitraum des Bezuges der Kündigungsentschädigung eine „Beschäftigungszeit" iSd § 5 BUAG, sohin eine anwartschaftsbegründende Zeit für Ansprüche gegen die Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungskasse auf Urlaubsentgelt und Abfertigung, darstelle. Daraus lässt sich jedoch, wie ebenfalls bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, für den Rechtsstandpunkt des Klägers im vorliegenden Verfahren nichts gewinnen. Während nämlich die Qualifizierung der Zeit des Bezuges einer Kündigungsentschädigung als „Beschäftigungszeit" iSd § 5 BUAG auf die fiktive Dauer des Arbeitsverhältnisses für die Berechnung der daraus resultierenden Ansprüche eines Bauarbeiters iSd §§ 29 AngG, 1162b ABGB abstellt, stellt § 255 Abs 4 ASVG im Gegensatz dazu auf die faktische Ausübung der konkreten Tätigkeit durch den Versicherten ab. Eine solche „Ausübung" der Tätigkeit erfolgt jedoch während der Dauer des Bezuges einer Urlaubsersatzleistung oder einer Kündigungsentschädigung nicht, weil das Dienstverhältnis in diesem Zeitraum arbeitsrechtlich regelmäßig bereits beendet ist und somit auch keine Arbeitsverpflichtung mehr besteht. Auch wenn daher der Kläger im Sinne seines Prozessvorbringens nach Auflösung seines Dienstverhältnisses durch den Masseverwalter während des Zeitraumes des Bezuges der Kündigungsentschädigung von 28. 9. 2000 bis 30. 3. 2001 im Hinblick auf eine bei einer Fortführung des Betriebes mögliche Wiederaufnahme der Beschäftigung „arbeitsbereit" gewesen wäre, könnte diese Zeit nicht mehr als Ausübung seiner unselbständigen Erwerbstätigkeit gewertet werden. Es liegt somit auch der vom Kläger in diesem Zusammenhang geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel nicht vor. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Kläger aufgrund der festgestellten Beschäftigungszeiten im Beobachtungszeitraum der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag eine Tätigkeit nicht mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, ist somit zutreffend. Die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG findet damit auf den Kläger keine Anwendung.

Der Revision musste daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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