OGH 15Os93/07a (15Os94/07y)

OGH15Os93/07a (15Os94/07y)6.9.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2007 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Markus S***** wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 425 Hv 1/07z des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen 1. den Beschluss des Schwurgerichtshofes vom 18. April 2007, 2. das auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhende Urteil vom selben Tag und 3. die Unterlassung der Entscheidung über die ohne vorherige Anmeldung ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Höpler und des Verteidigers Dr. Kier zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 425 Hv 1/07z des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verletzen

1. die Fassung der Hauptfragen durch den Schwurgerichtshof § 312 Abs 1 zweiter Satz StPO;

2. das auf dem Wahrspruch der Geschworenen über diese Fragen beruhende Urteil vom 18. April 2007

  1. a) § 302 iVm § 260 Abs 1 Z 1 StPO und § 142 StGB und
  2. b) durch die Bildung von Subsumtionseinheiten § 260 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 29 StGB;

    3. die Unterlassung der Entscheidung über die ohne vorherige Anmeldung ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde § 344 iVm § 285a Z 1 StPO.

    Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 18. April 2007 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

    Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wird der Angeklagte auf diese kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In der Strafsache gegen Markus S***** wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 425 Hv 1/07z des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, setzte der Schwurgerichtshof in der Hauptverhandlung vom 18. April 2007 den Wortlaut und die Reihenfolge der Fragen an die Geschworenen fest (S 257/III iVm Beilage ./D des Hauptverhandlungsprotokolls vom selben Tag).

An die Geschworenen wurden elf Hauptfragen (A./ bis K./) gerichtet, nämlich - zusammengefasst -, ob der Angeklagte Markus S***** jeweils durch Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (teilweise unter Verwendung einer Waffe und/oder mit schweren Tatfolgen, bei den Hauptfragen C./, D./, E./, H./ und I./ durch - teils angsteinflößende - Vermummung) Angestellten angeführter B*****-, S*****- und A*****filialen Bargeld wegnahm bzw abnötigte. Ob sich dessen Vorsatz auch auf eine durch die Erlangung des Bargeldes bewirkte unrechtmäßige Bereicherung bezog, blieb ungefragt. Änderungen oder Ergänzungen der Fragen wurde von den Parteien nicht beantragt.

Gestützt auf den die angeführten Fragen an die Geschworenen bejahenden Wahrspruch wurde der Angeklagte Markus S***** mit Urteil vom selben Tag (ON 120) schuldig erkannt, und zwar zu den Urteilspunkten 1./a./ bis c./ „des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs 1, 143, erster Satz, zweiter Fall, StGB", zu den Urteilspunkten 2./a./ bis e./ „des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Raubes nach den §§ 142 Abs 1, zweiter Fall und 15 StGB" und zu den Urteilspunkten 3./a./ bis c./ „des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Raubes nach den §§ 142 Abs 1, erster Fall, 15 StGB" (S 261/III).

Der Angeklagte meldete Berufung wegen Strafe an (S 261/III). Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2007 beantragte der Angeklagte - verbunden mit der Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung - das Hauptverhandlungsprotokoll gemäß § 271 Abs 1 StPO dahingehend zu berichtigen, dass er, vertreten durch seinen Verfahrenshilfeverteidiger, „Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wegen Strafe" angemeldet habe (ON 125).

Dieser Antrag wurde mit unbekämpft gebliebenem Beschluss der Vorsitzenden vom 30. Mai 2007 abgewiesen (ON 127) und der Akt dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten vorgelegt.

Das Oberlandesgericht Wien hat noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Das Gesetz wurde - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt - in mehrfacher Hinsicht verletzt.

Nach § 312 Abs 1 StPO sind in die Hauptfrage alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung aufzunehmen und die besonderen Umstände der Tat nach Ort, Zeit, Gegenstand usw soweit beizufügen, als es zur deutlichen Bezeichnung der Tat oder für die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche notwendig ist.

In der Fragestellung an die Geschworenen ist daher ein solches Maß an konkreten Tatsachen anzuführen, dass damit der Tat das Gepräge eines individuellen Vorgangs verliehen und ferner die rechtliche Überprüfung des Wahrspruches durch den Schwurgerichtshof gleichwie - im Rechtsmittelverfahren - durch den Obersten Gerichtshof ermöglicht wird (vgl Schindler, WK-StPO § 312 Rz 48).

Auch das - auf dem Wahrspruch beruhende - Urteil muss das Erkenntnis über die Schuldfrage mit allen hiezu im § 260 Abs 1 StPO angeführten Punkten enthalten (§ 302 iVm § 260 Abs 1 StPO), somit ua welcher Tat der Angeklagte schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingten Tatumstände (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO; 13 Os 3/94; Philipp, WK-StPO § 341 Rz 3).

Die Hauptfragen C./, D./, E./, H./ und I./ und - aufgrund deren Bejahung - das Erkenntnis zu den Urteilspunkten 2./a./ bis 2./e./ entsprechen diesem Erfordernis schon aus folgenden Erwägungen nicht. Der äußere Tatbestand des Raubes nach § 142 StGB setzt - als alternatives Raubmittel - eine „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben" voraus.

Dieser Begriff wird durch den Hinweis auf § 89 StGB präzisiert; er ist erheblich enger als jener der gefährlichen Drohung nach § 74 Abs 1 Z 5 StGB. Die Drohung muss sich auf eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Gesundheit oder die körperliche Sicherheit beziehen, weshalb beim Raub die Drohung mit körperlicher Misshandlung im Sinne der §§ 83 Abs 2 und 115 Abs 1 StGB ebenso ausscheidet wie die Drohung mit einer Verletzung, die keine Gesundheitsschädigung nach sich zieht (vgl Eder-Rieder in WK2 § 142 Rz 32).

Die Formulierung der Hauptfragen und somit die - auf deren Bejahung basierende - Urteilsannahme einer Drohung durch „angsteinflößende Vermummung" (Schuldsprüche 2./a./ bis 2./e./, die im Übrigen mangels Anführung des Adjektivs „angsteinflößend" bei den Hauptfragen H./ und I./ nur mit den Hauptfragen C./, D./ und E./ korrespondieren) reicht mangels Konkretisierung des in Aussicht gestellten Übels für eine Subsumtion des Verhaltens des Angeklagten Markus S***** unter den Tatbestand des § 142 StGB nicht hin.

Darüber hinaus erfüllen sämtliche Hauptfragen (A./ bis K./) und - aufgrund deren Bejahung - sämtliche Schuldsprüche (Urteilspunkte 1./a./ bis c./, 2./a./ bis e./, 3./a./ bis c./) auch aus nachstehenden Gründen das Erfordernis der deutlichen Bezeichnung der Tat nicht.

Der Tatbestand des § 142 StGB setzt bezüglich der inneren Tatseite den erweiterten Vorsatz voraus, durch die Zueignung einer weggenommenen oder abgenötigten fremden beweglichen Sache „sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern". Bei Handeln ohne Bereicherungsvorsatz ist Raub zu verneinen (vgl Eder-Rieder in WK2 § 142 Rz 44).

Dieses Tatbestandselement ist - obwohl durch das Beweisverfahren aufgrund der Verantwortung des Angeklagten und des äußeren Tatgeschehens indiziert (S 225 ff/III) - in den Fragen an die Geschworenen nicht angeführt und demzufolge von den Geschworenen auch im Wahrspruch nicht bejaht worden.

Der Wahrspruch der Geschworenen vermag daher die rechtliche Unterstellung der Taten als strafbare Handlungen des (teils schweren, teils im Versuchsstadium gebliebenen) Raubes nicht zu tragen. Nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO hat das Strafurteil auszusprechen, welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Angeklagte schuldig befunden worden ist, begründet wird. Das Erstgericht hat hiezu Schuldspruchgruppen (Punkte 1./, 2./, 3./ des Urteils) gebildet und jeweils gleichartig begangene Taten „Subsumtionseinheiten" unterworfen.

Nach § 29 StGB sind Subsumtionseinheiten jedoch nur zu bilden, wenn die Höhe der Strafdrohung vom ziffernmäßig bestimmten Wert einer Sache, gegen die sich die Handlung richtet, oder von der ziffernmäßig bestimmten Höhe des Schadens, den sie verursacht oder auf den sich der Vorsatz des Täters erstreckt hat, abhängt.

Da der Tatbestand des Raubes nach § 142 StGB bzw des schweren Raubes nach §§ 142, 143 StGB jedoch keine ziffernmäßig bestimmten Wert- oder Schadensqualifikationen kennt, kommt - wie im hier gegebenen Fall realkonkurrierender Taten - die Bestimmung des § 29 StGB nicht zum Tragen.

Diese Gesetzesverletzung gereicht dem Angeklagten jedoch nicht zum Nachteil.

Eine Nichtigkeitsbeschwerde ist vom Gerichtshof erster Instanz ua zurückzuweisen, wenn sie zu spät angemeldet oder von einer Person eingebracht wurde, der die Nichtigkeitsbeschwerde nicht zukommt oder die auf sie verzichtet hat (§ 344 iVm § 285a Z 1 StPO). Das Erstgericht hat die Ausführung der Berufung, die vom Angeklagten unter einem mit der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und dem - deren Anmeldung reklamierenden - Antrag auf Protokollsberichtigung gemäß § 271 Abs 7 StPO eingebracht wurde (ON 125), nach unbekämpfter Abweisung des Berichtigungsantrags (ON 127) dem Oberlandesgericht Wien vorgelegt, ohne zuvor gemäß § 285a Z 1 StPO die nach der Aktenlage ohne Anmeldung ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuweisen.

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren festzustellen. Gemäß § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, den dem Angeklagten zum Nachteil gereichenden Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Mit seiner - nach der Aktenlage unzulässigen - Nichtigkeitsbeschwerde war der Angeklagte ebenso wie mit seiner Berufung auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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