Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den Beklagten die mit EUR 1.976,83 (darin enthalten EUR 329,47 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 28. 9. 2002 ereignete sich in S***** ein Verkehrsunfall, an dem Ihesa S***** als Radfahrerin und der Zweitbeklagte als Lenker und Halter eines bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten PKWs beteiligt waren. Ihesa S***** wurde bei diesem Unfall tödlich verletzt. Der klagende Verband erbrachte an ihre Hinterbliebenen (Ehemann und sieben Kinder) für den Zeitraum von November 2002 bis einschließlich Mai 2006 Sozialhilfeleistungen auf Grund des Oberösterreichischen Sozialhilfegesetzes 1998 (Oö SHG 1998) in einem den Klagsbetrag übersteigenden Ausmaß. Im Verfahren 2 Cg 110/05m des Landesgerichtes Wels begehren die Hinterbliebenen der Getöteten unter anderem Renten von den hier wie dort Beklagten. Dieses Verfahren war zum Schluss der Verhandlung erster Instanz noch nicht rechtskräftig beendet. Der Zweitbeklagte wurde wegen dieses Unfalles strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt. Der klagende Verband hat gegenüber den Beklagten eine schriftliche Anzeige im Sinne des § 49 Abs 1 Oö SHG 1998 erstattet.
Der klagende Verband begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Bezahlung von EUR 47.029,-- sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für sämtliche künftigen Schäden und Nachteile, die ihre Ursache im genannten Unfall hätten, soweit die Hinterbliebenen der beim Unfall Getöteten soziale Hilfe vom klagenden Verband empfingen und gegen die Beklagten Ansprüche dieser Sozialhilfeempfänger bestünden, die der Deckung jenes Bedarfes dienten, der die Leistung sozialer Hilfe erforderlich gemacht habe, wobei die Haftung der Erstbeklagten nach Maßgabe des zwischen dieser und dem Zweitbeklagten abgeschlossenen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrages beschränkt sei. Der klagende Verband brachte vor, das Alleinverschulden am Verkehrsunfall und somit am Tod der Getöteten treffe den Zweitbeklagten. Im erwähnten Verfahren vor dem Landesgericht Wels hätten die hier wie dort Beklagten den Rechtsstandpunkt vertreten, im Umfang der erbrachten Sozialhilfeleistungen seien die von den Hinterbliebenen geltend gemachten Rentenansprüche im Wege der Legalzession bereits auf den klagenden Verband übergegangen. Diesem würde daher das Regressrecht und das Quotenvorrecht zukommen. Nach Ansicht des klagenden Verbandes widerspreche diese Ansicht zwar § 49 Abs 1 Oö SHG 1998. Der klagende Verband sehe sich aber aus prozessualer Vorsicht veranlasst, die erbrachten Sozialhilfeleistungen selbst gerichtlich einzuklagen und die Feststellung der Haftung der Beklagten ihm gegenüber zu begehren. Der geleistete Betrag stehe dem Kläger infolge des Forderungsüberganges gegenüber den Beklagten zu.
Die Beklagten beantragten Klagsabweisung und brachten vor, dem Kläger fehle die Aktivlegitimation, weil sich § 49 Oö SHG 1998 auch dahin interpretieren lasse, die Legalzession von Schadenersatzansprüchen (§ 49 Abs 2 Oö SHG 1998) trete erst mit der im gegenständlichen Fall noch nicht erfolgten vertraglichen oder gerichtlichen Festsetzung dieser Ansprüche des Sozialhilfeempfängers (der Hinterbliebenen nach Ihesa S*****) gegen den Dritten (die Beklagten) ein. Im Übrigen treffe die Getötete ein gravierendes Mitverschulden, überstiegen die Leistungen des Klägers den Deckungsfonds der einzelnen Sozialhilfeempfänger und liege kein Feststellungsinteresse vor. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es hielt den Wortlaut von § 49 Oö SHG 1998 fest:
„§ 49
Übergang von Rechtsansprüchen
(1) Vertraglich oder gerichtlich festgesetzte Ansprüche des Empfängers sozialer Hilfe gegen einen Dritten, die der Deckung jenes Bedarfes dienen, der die Leistung sozialer Hilfe erforderlich gemacht hat, gehen für den Zeitraum, in dem soziale Hilfe geleistet wurde, bis zur Höhe der aufgewendeten Kosten auf den Träger sozialer Hilfe über, sobald dieser dem Dritten hievon schriftlich Anzeige erstattet hat. Dies gilt nicht für Ansprüche auf laufende Ausgedingeleistungen gegenüber Kindern und Enkelkindern und deren jeweiligen Ehegatten auf Grund eines Übergabsvertrages, sofern Hilfe in einer stationären Einrichtung oder nach Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet wurde.
(2) Abs. 1 gilt auch für Schadenersatzansprüche, die dem Empfänger sozialer Hilfe auf Grund eines Unfalls oder eines sonstigen Ereignisses zustehen, soweit es sich dabei nicht um Schmerzensgeld handelt."
Daraus folgerte es, der im zweiten Absatz enthaltene Verweis auf den ersten Absatz sei so auszulegen, dass es auch für das Vorliegen einer Legalzession von Schadenersatzansprüchen notwendig sei, dass diese Ansprüche vertraglich oder gerichtlich festgesetzt seien. Da im vorliegenden Fall eine gerichtliche Festsetzung der Schadenersatzansprüche der Hinterbliebenen der Getöteten noch nicht erfolgt sei, sei noch keine Legalzession eingetreten und daher die Klage wegen mangelnder Aktivlegitimation abzuweisen. Das Berufungsgericht gab der Berufung des klagenden Verbandes nicht Folge. Durch die Verwendung des in Absatz 1 nicht aufscheinenden Wortes „zustehen" in Absatz 2 werde die Frage aufgeworfen, ob die dortige Bezugnahme auf Absatz 1 so zu verstehen sei, dass auch bei Schadenersatzansprüchen deren vertragliche oder gerichtliche Festsetzung Voraussetzung für den Eintritt der Legalzession sei, oder ob sich der Verweis des zweiten Absatzes nur auf die übrigen im ersten Absatz genannten Voraussetzungen beziehe. Eine Wortinterpretation des Begriffes „zustehen" lasse beide Deutungen zu, also einerseits die, dass von zustehenden Schadenersatzansprüchen nur dann gesprochen werden könne, wenn sie bereits gerichtlich festgesetzt seien, andererseits aber auch jene, dass letzteres hiefür nicht Voraussetzung sei. Die letztgenannte Interpretationsvariante führe freilich zu dem Ergebnis, dass die in Absatz 2 genannten Schadenersatzansprüche früher auf den Träger sozialer Hilfe übergingen als sonstige außervertragliche Ansprüche. Da das Bestehen von Schadenersatzansprüchen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zumindest im Regelfall jedenfalls nicht klarer sei als das Bestehen sonstiger außervertraglicher Ansprüche, zB Unterhaltsansprüche, sei kein nachvollziehbarer Grund für eine solche Vorverlagerung des Überganges von Schadenersatzansprüchen erkennbar. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass von den im zweiten Absatz genannten Schadenersatzansprüchen solche auf Schmerzengeld ausdrücklich ausgeklammert seien.
Der Umstand, dass für die Sozialhilfe der Grundsatz der Subsidiarität kennzeichnend sei, könne zur Lösung der aufgeworfenen Frage nichts beitragen; er stehe der Deutung, zustehende Schadenersatzansprüche im Sinne des § 49 Abs 2 Oö SHG 1998 seien erst nach ihrer vertraglichen oder gerichtlichen Festsetzung gegeben, nicht entgegen. Da eine solche Festsetzung noch nicht erfolgt sei, habe das Erstgericht das Klagebegehren zu Recht abgewiesen.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Frage des Verhältnisses der beiden Absätze von § 49 Oö SHG 1998, insbesondere die Auslegung des Begriffes „zustehen", von grundsätzlicher, über den Anlassfall hinausgehender Bedeutung sei und dazu eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Dagegen richtet sich die Revision des klagenden Verbandes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung durch die Vorinstanzen und verweist darauf (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend und in Erwiderung auf die Revisionsausführungen ist Folgendes auszuführen:
Am Anfang jeder Gesetzesauslegung steht die wörtliche (sprachliche, grammatikalische) Auslegung, die nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb des durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens nach der Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung fragt (SZ 64/26 uva; Posch in Schwimann, ABGB3, § 6 Rz 5; P. Bydlinski in KBB, § 6 Rz 3; vgl F. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 6 Rz 17).
Danach ergibt sich zunächst: Wenn Absatz 2 des § 49 Oö SHG 1998 normiert, Absatz 1 gelte auch für Schadenersatzansprüche, so gilt diese Verweisung im Zweifel auf den gesamten Wortlaut des ersten Absatzes, der eben auch festlegt, dass es sich um vertraglich oder gerichtlich festgesetzte Ansprüche handeln muss.
Der Umstand, dass im ersten Absatz das Wort „zustehen" nicht vorkommt, spricht nicht gegen die Auslegung der Vorinstanzen: Auch bei vertraglich oder gerichtlich festgesetzten Ansprüchen ist in aller Regel davon auszugehen, dass sie schon davor grundsätzlich bestanden haben. Vertraglich festgesetzten Ansprüchen, zB einem außergerichtlichen Vergleich, werden vielfach tatsächlich bestehende, jedoch vorderhand noch strittige materiell-rechtliche Ansprüche zugrundeliegen. Desgleichen wird ein gerichtlicher Leistungstitel in der Regel aufgrund eines materiell-rechtlichen Anspruches geschaffen. Absatz 1 der Bestimmung kann daher nicht so gedeutet werden, der Empfänger sozialer Hilfe hätte derartige Ansprüche vor ihrer vertraglichen oder gerichtlichen Festsetzung überhaupt nicht. In aller Regel werden auch in den Fällen des Absatzes 1 dem Empfänger schon vor vertraglicher oder gerichtlicher Festsetzung seiner Ansprüche solche materiell-rechtlichen Ansprüche, wenngleich oftmals der Höhe oder dem Grunde nach strittig, „zustehen". Die Gesetzesauslegung darf aber bei der Wortinterpretation nicht stehen bleiben (SZ 64/26 uva); es ist insbesondere auch die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen. Der Sinn einer Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf deren Zweck zu erfassen (objektiv-teleologische Interpretation). Die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe sind selbständig weiter und zu Ende zu denken (vgl RIS-Justiz RS0008836 T1, T3; vgl Posch in Schwimann, ABGB3, § 6 Rz 21-23; P. Bydlinski in KBB, § 6 Rz 6; F. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 6 Rz 20 f).
Wenn § 49 Abs 1 Oö SHG 1998 (vgl 6 Ob 8/03t; 6 Ob 237/03a) für die dort geregelte Legalzession vertraglich oder gerichtlich festgesetzte Ansprüche voraussetzt, so bezweckt dies auch, insbesondere für den Sozialhilfeträger selbst größtmögliche Klarheit über das Bestehen von Ansprüchen, die Gegenstand der Legalzession sein können, zu schaffen. Sind nämlich Ansprüche nicht vertraglich oder gerichtlich festgesetzt, so sind sie oftmals aus verschiedensten Gründen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach strittig. Ohne diese Bestimmung müssten strittige Forderungen wohl oft in einem vom Sozialhilfeverband erst anzustrengenden Prozess gerichtlich geklärt werden. Dies will die Bestimmung vermeiden.
Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann auch von Schadenersatzansprüchen nicht gesagt werden kann, diese seien im Regelfall dem Grunde oder der Höhe nach klarer als andere Ansprüche. Der im ersten Absatz der Bestimmung verfolgte Zweck kommt daher auch im zweiten Absatz zum Tragen.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten:
Für einen Übergang von Schadenersatzansprüchen gemäß § 49 Abs 2 Oö SHG auf den Träger sozialer Hilfe ist gemäß Abs 1 dieser Bestimmung auch erforderlich, dass sie vertraglich oder gerichtlich festgesetzt sind.
Die Vorinstanzen haben daher zu Recht die Aktivlegitimation des klagenden Verbandes verneint, weshalb dessen Revision nicht Folge zu geben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.
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