Spruch:
In der Strafsache des Landesgerichtes Krems an der Donau, AZ 16 E Hv 47/06z, verletzt der Beschluss des Präsidenten dieses Gerichtshofes vom 19. Mai 2006, AZ 4 Ns 12/06k (ON 8), mit dem die Ausgeschlossenheitsanzeige der Richterin Dr. Andrea H***** für nicht gerechtfertigt angesehen wurde, § 68 Abs 2 StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben.
Es wird in der Sache selbst erkannt, dass die Ausgeschlossenheitsanzeige der Richterin des Landesgerichtes Krems an der Donau Dr. Andrea H***** gerechtfertigt ist und dem Präsidenten dieses Gerichtshofes aufgetragen, gemäß § 74 Abs 3 StPO iVm § 22 Abs 3 GOG den Richter zu bezeichnen, dem die Sache zu übertragen ist.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Krems an der Donau vom 24. März 2004, GZ 3 U 91/03a-44, wurde ua Franz St***** des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 (ergänze: erster Fall) StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei gemäß § 43a (ergänze: Abs 3) StGB ein Strafteil von sechs Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Genannte bekämpfte das Urteil mit Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche. Mit Urteil vom 11. Jänner 2005, AZ 11 Bl 6/05y (GZ 3 U 91/03a-57 des Bezirksgerichtes Krems an der Donau), gab das Landesgericht Krems an der Donau ua der Berufung des Franz St***** wegen Nichtigkeit Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Krems an der Donau vom 11. Juli 2005, GZ 3 U 91/03a-65, wurde ua Franz St***** neuerlich des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 (ergänze: erster Fall) StGB schuldig erkannt und wieder zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, wobei gemäß § 43a (ergänze: Abs 3) StGB ein Strafteil von sechs Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Auch dieses Urteil bekämpfte der Genannte mit Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche. Mit Urteil vom 17. Jänner 2006, AZ 11 Bl 38/05d (GZ 3 U 91/03a-71 des Bezirksgerichtes Krems an der Donau), gab das Landesgericht Krems an der Donau der Berufung des Franz St***** wegen Nichtigkeit Folge, hob das angefochtene Urteil in Bezug auf ihn auf und verwies die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
An beiden Berufungsurteilen wirkte die Richterin des Landesgerichtes Dr. Andrea H***** als Mitglied des Berufungssenates und Berichterstatterin mit.
Mit Beschluss vom 3. Mai 2006 verfügte das Landesgericht Krems an der Donau in dem gegen Franz St***** zur AZ 16 E Hv 47/06z anhängigen Verfahren die Einbeziehung ua des Verfahrens 3 U 91/03a des Bezirksgerichtes Krems an der Donau gemäß § 56 StPO. Die nach der Geschäftsverteilung für die Verhandlung und Entscheidung in diesem Verfahren zuständige Einzelrichterin Dr. Andrea H***** zeigte darauf ihre Ausgeschlossenheit und Befangenheit an. Mit Beschluss vom 19. Mai 2006, AZ 4 Ns 12/06k (GZ 16 E Hv 47/06z-8), stellte der Präsident des Landesgerichtes Krems an der Donau fest, dass die genannte Richterin weder ausgeschlossen noch befangen ist.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss des Präsidenten des Landesgerichtes steht, wie der Generalprokurator in seiner dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Ergebnis zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Bei der Beurteilung der Ausgeschlossenheit eines Richters sind, unter Berücksichtigung der grundsätzlichen - nach nunmehr bereits gefestigter Judikatur - uneingeschränkten Analogiefähigkeit des § 68 StPO (Lässig WK-StPO Vorbem zu §§ 67 bis 76 Rz 3, § 68 Rz 9 mwN) fallbezogen folgende Grundsätze anzunehmen:
Nach den Intentionen des VII. Hauptstückes der Strafprozessordnung geht das Gesetz davon aus, dass bei jedem Richter volle Unbefangenheit vorhanden sein müsse und seine Unparteilichkeit und Unbefangenheit nicht angezweifelt werden solle. Daher müssen alle Verhältnisse beseitigt werden, welche geeignet erscheinen, die Unparteilichkeit und Unbefangenheit des erkennenden Richters in Zweifel zu stellen. Um an der Unparteilichkeit der Richter keinen Zweifel aufkommen zu lassen, ist es notwendig, sie von der Mitwirkung an einer Strafsache fernzuhalten, zu der sie in einem solchen Verhältnis stehen, das ihre Unbefangenheit in Frage stellt (SSt 31/123 mwN).
Nach § 68 Abs 1, Abs 2, Abs 3 und Abs 5 StPO ist ein Richter von der Mitwirkung und Entscheidung in der Hauptverhandlung dann ausgeschlossen, wenn er entweder (dem Untersuchungsgrundsatz folgend) als Untersuchungsrichter tätig war oder bei einer Sachentscheidung (Schuld- oder Freispruch; Verfahrensführung ohne Wahrnehmung der möglichen Einstellungsvoraussetzungen nach dem IXa. Hauptstück der StPO) mitwirkte, die im Rechtsmittel- oder Erneuerungsverfahren zumindest teilweise abgeändert wurde, oder wenn über den Bestand dieser Sachentscheidung im Wiederaufnahme- oder Erneuerungsverfahren zu befinden ist (vgl EvBl 2000/145).
§ 68 Abs 4 StPO erweitert die Ausschlusswirkung bei der Entscheidung über eine Erneuerung des Verfahrens sowie bei der Mitwirkung im anschließend neu durchzuführenden Verfahren auf alle im Grundverfahren zuvor tätig gewordenen Richter, unabhängig von der Art ihrer entfalteten richterlichen Tätigkeit, wobei nach den Gesetzesintentionen eine dem Ausschlussgrund nach § 68 Abs 3 StPO (Vorbefasstheit im Wiederaufnahmeverfahren) analoge Regelung angestrebt worden war (vgl RV 33 BlgNR 20. GP , 66). Eine Wiederholung der Hauptverhandlung infolge einer Rechtsmittelentscheidung iSd § 68 Abs 2 letzter Fall StPO vermag nur bei einer im ersten Rechtsgang getroffenen, vom Rechtsmittelgericht inhaltlich korrigierten Sachentscheidung einen unabhängig vom Einzelfall nicht auszuschließenden Anschein einer Voreingenommenheit des befassten Richters zu begründen, wobei einerseits das Gericht gegen den Vorwurf geschützt werden soll, schon aufgrund der Beteiligung am Grundverfahren voreingenommen zu sein und andererseits dem Verurteilten die naheliegende Besorgnis genommen werden soll, die Richter des Grundverfahrens könnten schon infolge eines verurteilenden Erkenntnisses für das erneuerte Verfahren nicht die nötige Objektivität aufbringen. Ein zu Unrecht gefälltes Unzuständigkeitsurteil bewirkt hingegen keinen Ausschluss der daran beteiligten Richter für das weitere Strafverfahren (13 Ns 20/03 mwN). Ein die volle Unbefangenheit in Frage stellender Zweifel kann bei der abermaligen Befassung eines Rechtsmittelgerichtes mit derselben Strafsache mangels Korrektur in der Schuldfrage durch eine übergeordnete Instanz im Regelfall nicht erblickt werden (anders etwa, wenn eine Berufungsentscheidung aufgrund einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes aufgehoben wurde [vgl EvBl 1991/146] oder - im Hinblick auf den spezifischen Regelungsgehalt des § 68 Abs 3 StPO - ein Rechtsmittelsenat über die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens befinden muss, bei dem er infolge Beweiswiederholung in der Sache selbst entschieden hatte [vgl 12 Os 49/96; 13 Os 175/96]).
Wenngleich die frühere Judikatur, nach der die Teilnahme eines Richters an einer Entscheidung gemäß § 475 Abs 2 StPO, mit welcher das Urteil eines Bezirksgerichtes wegen Unzuständigkeit aufgehoben wird, weil die angelastete Tat in die Zuständigkeit des Gerichtshofes erster Instanz oder des Geschworenengerichtes fällt, seine Ausgeschlossenheit von der Hauptverhandlung bewirkt (KH 408, 2865; ÖR 407), aus den dargelegten Grundsätzen nicht abzuleiten wäre (vgl auch Burgstaller, Aussetzung als Rechtsproblem 50 Anm 136), ist ungeachtet der gemäß §§ 473, 489 StPO vorgesehenen Beweiswiederholung durch das Rechtsmittelgericht selbst im bezirksgerichtlichen Verfahren und im Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz von der Ausgeschlossenheit eines an einer zwar kassatorischen, aber über die Sache selbst ergangenen Rechtsmittelentscheidung beteiligten Richters im nachfolgenden erstinstanzlichen Verfahren auszugehen. Denn es besteht zumindest der Anschein, dass er sich anlässlich seiner inhaltlichen Vorbefassung in zweiter Instanz über die maßgeblichen Sach- und Rechtsfragen bereits eine in eine bestimmte Richtung weisende Meinung gebildet haben könnte, die geeignet wäre, ihn gleich einem vom Rechtsmittelgericht korrigierten Erstrichter im Rahmen der dem Rechtsmittelverfahren nachfolgenden Beweisaufnahme zu beeinflussen und an einer vorgefassten Beurteilung ungeachtet geänderter Beweissituation festhalten sowie demgemäß anlässlich der neuerlichen Urteilsfällung die volle Objektivität vermissen zu lassen.
Nicht vergleichbar ist diese Konstellation mit der eines über eine Beschwerde gegen die Abweisung eines Wiederaufnahmsantrags entscheidenden Senatsmitglieds, das an der vorangegangenen Rechtsmittelentscheidung ohne Beweiswiederholung teilgenommen hat (vgl 13 Ns 23/02), hat es doch insbesondere über die Relevanz von nova reperta und nova producta zu befinden, also eine im Wesentlichen neue Beweislage zu prüfen und nicht - wie hier - als Erstrichter in Entsprechung, unter Umständen sogar nach den Vorgaben der von ihm mitbeschlossenen Rechtsmittelentscheidung zu agieren. Bereits der Blick auf die von § 68 Abs 2 erster Satz StPO erfassten Fälle der §§ 211 bis 213 StPO zeigt, dass an diesem Ergebnis auch der Umstand nichts zu ändern vermag, dass die vorliegenden - kassatorischen - Rechtsmittelentscheidungen zum Vorteil des Angeklagten erfolgten. Da der Gesetzgeber der Konstellation eines nicht auszuschließenden Anscheins der Voreingenommenheit bei neuerlicher Entscheidung über die Sache augenscheinlich nicht gedachte, ist von einer planwidrigen und somit analogiefähigen Gesetzeslücke auszugehen.
Der allgemeine Grundsatz, dass ein in der Rechtsmittelinstanz tätig gewesener Richter von der neuerlichen Verhandlung und Entscheidung erster Instanz generell ausgeschlossen ist (vgl Losing/Serini, Österreichisches Strafprozessrecht4, 128), zumal er mit der Sache, wenngleich ohne Durchführung eines eigenständigen Beweisverfahrens, inhaltlich durch die Beurteilung des zuvor ergangenen Ersturteils, insbesondere bei Behandlung einer Schuldberufung gemäß § 470 Z 3 StPO, vorbefasst wurde, deckt sich im Übrigen auch mit der - noch weiter reichenden - Zielrichtung des mit 1. Jänner 2008 in Kraft tretenden § 43 Abs 3 StPO idF des Strafprozessreformgesetzes, BGBl I 19/2004, wonach ein Richter der ersten Instanz ausgeschlossen ist, wenn er selbst oder sein Angehöriger als Richter eines übergeordneten Gerichts tätig gewesen ist.
Die Richterin Dr. Andrea H***** ist daher wegen ihrer Vorbefassung mit der Strafsache im Rechtsmittelverfahren von der Mitwirkung und der Entscheidung in der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Da nicht auszuschließen ist, dass sich die Gesetzesverletzung zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, den erwähnten Beschluss aufzuheben, die Ausgeschlossenheit der genannten Richterin festzustellen und dem Präsidenten des Landesgerichtes Krems an der Donau aufzutragen, jenen Richter zu bezeichnen, dem die Sache zu übertragen ist (§ 292 letzter Satz StPO).
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