OGH 12Os49/96 (12Os50/96)

OGH12Os49/96 (12Os50/96)23.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Mai 1996 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Rouschal, Dr. E.Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Waldner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Franz Heinrich S***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 18. Oktober 1995, AZ 9 Bs 325/95, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten Franz Heinrich S*****, und des Verteidigers Dr. Herzog, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Franz Heinrich S***** wegen §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB, AZ 37 E Vr 1459/93 des Landesgerichtes Salzburg, verletzt die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 18. Oktober 1995, AZ 9 Bs 325/95 (ON 59 des Vr-Aktes), das Gesetz in der Bestimmung des § 68 Abs 3 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Verurteilten Franz Heinrich S***** gegen die Abweisung seines Wiederaufnahmsantrages in einer dem Gesetz entsprechenden Senatszusammensetzung aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 8. November 1993, GZ 37 E Vr 1459/93-13, wurde Franz Heinrich S***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Seiner dagegen wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie wegen des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche erhobenen Berufung (ON 16) gab das Oberlandesgericht Linz unter Mitwirkung des Richters Dr. G***** als Senatsmitglied nach Beweiswiederholung nicht Folge (ON 33, 34).

Am 7. November 1994 beantragte Franz Heinrich S***** die Wiederaufnahme des Strafverfahrens (ON 41) und erhob nach Abweisung dieses Antrages durch das Landesgericht Salzburg (ON 53) Beschwerde an das Oberlandesgericht Linz (ON 55), das - ua durch Dr. G***** (als Berichterstatter) - mit Beschluß vom 18. Oktober 1995, AZ 9 Bs 325/95 (= GZ 37 E Vr 1459/93-59 des Landesgerichtes Salzburg) der Beschwerde nicht Folge gab.

Rechtliche Beurteilung

Die Zusammensetzung des Oberlandesgerichtes Linz bei dieser Beschlußfassung steht - wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß dem - durch das StPÄG 1993, BGBl Nr 526, neu eingefügten - Abs 3 des § 68 StPO ist von der Entscheidung (ua) über einen Antrag auf Wiederaufnahme (§ 357 StPO) ausgeschlossen, wer in derselben Sache (als Untersuchungsrichter tätig gewesen ist oder) als Richter an der früheren Hauptverhandlung teilgenommen hat.

Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers des StPÄG 1993 sollte - da eine analoge Anwendung des § 69 Z 2 StPO nicht in Betracht gezogen wurde - die Anwendung des für den Regelungsinhalt des § 68 Abs 2 StPO geltenden Grundsatzes einer umfassenden Sicherstellung der psychologischen Unbefangenheit des rechtsprechenden Organs auf jene Richter ausgedehnt werden, die über einen Wiederaufnahmeantrag entscheiden. Damit sollte das Gericht gegen den Vorwurf geschützt werden, schon durch das Grundverfahren voreingenommen zu sein, und dem Verurteilten die naheliegende Besorgnis genommen werden, die Richter des Grundverfahrens könnten schon infolge des verurteilenden Erkenntnisses für das Wiederaufnahmeverfahren nicht die nötige Objektivität aufbringen (vgl 1157 BlgNR XVIII GP, 7).

Daraus ergibt sich aber, daß die Grundzüge der zu § 68 Abs 2 StPO entwickelten Judikatur (vgl SSt 31/123; 11 Os 20/91) auch auf die (neu eingefügte) Regelung des Abs 3 des § 68 StPO anzuwenden und somit nicht nur die Richter von einer Entscheidung (in erster oder zweiter Instanz) im Wiederaufnahmeverfahren ausgeschlossen sind, die im Grundverfahren (als Untersuchungs- oder in der Hauptverhandlung als Tatrichter) in erster Instanz mitgewirkt, sondern auch jene, die in diesem Verfahren (erst) als Rechtsmittelrichter die Tat- und Schuldfrage unmittelbar selbst entschieden haben.

Dies trifft aber zu, wenn (wie hier) der Berufungssenat im Grundverfahren seine Entscheidung auf die Ergebnisse einer Beweiswiederholung (für die die Vorschriften für die Hauptverhandlung in erster Instanz gelten - §§ 473 Abs 1, 489 Abs 1 StPO) gründete. Ist doch - nicht zuletzt durch die damit einhergehende eigenständige Würdigung der Verfahrensergebnisse - die mögliche Beeinträchtigung der Unbefangenheit der involvierten Richter durchaus jener eines im Verfahren erster Instanz erkennenden Richters gleichzusetzen.

Die analoge Anwendung des § 68 Abs 3 StPO auch auf in einer höheren Instanz tätige Richter des Grundverfahrens entspricht somit auch dem verfassungsrechtlich abgesicherten Anspruch jedes Angeklagten darauf, daß seine Sache in billiger Weise von einem unparteiischen Gericht gehört werde (Art 6 Abs 1 MRK).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich die nicht prozeßordnungsgemäße Zusammensetzung des Senates des Oberlandesgerichtes Linz bei seiner Entscheidung vom 18. Oktober 1995 zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat, war mit Kassation des hievon betroffenen Beschlusses vorzugehen und insoweit die Erneuerung des Verfahrens anzuordnen (§ 292 letzter Satz StPO).

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