OGH 13Os51/07k

OGH13Os51/07k20.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Juni 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Frizberg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rainer N***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 25. Jänner 2007, GZ 405 Hv 3/06w-58, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, demzufolge auch der Widerrufsbeschluss, nicht aber der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes sowie zu der darauf bezogenen Zusatzfrage nach dem Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung und der Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Rainer N***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in der Nacht zum 15. Oktober 2005 in Wien Ulrike H***** vorsätzlich getötet, indem er seinen linken Arm um den Hals der Genannten legte und mit seiner geschlossenen Faust ihren Kehlkopf zerdrückte, sodass diese erstickte.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Angeklagten aus Z 6 und 8 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt teilweise Berechtigung zu. Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert zunächst die Unterlassung der Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags. Für die Stellung einer Eventual- oder Zusatzfrage verlangen die §§ 313, 314 Abs 1 und 316 StPO das „Vorbringen" von Tatsachen in der Hauptverhandlung. Darunter ist nichts anderes zu verstehen als das Vorkommen einer erheblichen Tatsache in der Hauptverhandlung, einer Tatsache also, die, wäre sie im schöffengerichtlichen Verfahren vorgekommen, bei sonstiger Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO erörterungsbedürftig gewesen wäre. Dass ein solcher Tatumstand vom Angeklagten, einem Zeugen oder einem Sachverständigen behauptet wird, ist nicht erforderlich. Es genügt, wenn die Aussage des Angeklagten oder sonstige Beweisergebnisse der Klärung bedürftige Indizien enthalten. Der Inhalt von prozessleitenden Verfügungen oder von Anträgen begründet ein solches Tatsachenvorbringen nicht (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 42).

Mit dem Hinweis auf die Anklagebegründung, wonach der Angeklagte aus Wut beschloss, Ulrike H***** zu töten (S 411/I), und der Behauptung, „der Tatbestand (gemeint des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB) könnte auch im Zusammenhang mit der Verantwortung des Angeklagten" vorliegen, beruft sich der Beschwerdeführer nicht auf ein solches (substantiiertes) Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung, durch welches die vermisste Eventualfrage indiziert gewesen wäre.

Die darauf bezogene Instruktionsrüge (Z 8) behauptet eine irreführende Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung infolge Nichtaufnahme von Ausführungen zum Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB und übersieht dabei, dass die Rechtsbelehrung lediglich insoweit angefochten werden kann, als sie Fragen betrifft, die den Geschworenen tatsächlich gestellt worden sind (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63).

Im Recht ist die Fragenrüge dagegen, soweit sie die Unterlassung der Stellung einer Zusatzfrage „in Richtung § 8 StGB", - der Sache nach - nach Notwehr und Notwehrexzess aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 erster und zweiter Fall StGB) sowie einer Eventualfrage nach fahrlässiger Tötung infolge fahrlässig irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation (§ 8 zweiter Satz StGB) vermisst.

Sie zeigt im Sinne obiger Ausführungen beachtliche Verfahrensergebnisse auf, indem sie sich auf die Aussagen des Angeklagten sowohl vor der Polizei als auch in der Hauptverhandlung bezieht, er habe sich von Ulrike H***** bedroht gefühlt, weil sie - als er in der Nacht aufschreckte - mit einem Kampfmesser in der Hand neben ihm im Bett saß und sie in Panik gewürgt, damit sie das Messer loslasse (S 183, 185/I; 73, 75, 77, 81/II).

Mag der Beschwerdeführer auch in der Hauptverhandlung eingestanden haben, nicht mehr zu wissen, ob das spätere Tatopfer das Messer gegen ihn richtete (S 81/I), und mögen auch Teile seiner Depositionen vor der Sicherheitsbehörde - die in der Hauptverhandlung im Übrigen im Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen Dr. Sigrun R***** (S 95/II) relativiert wurden (S 67/II) - gegen ein Handeln in Notwehr oder die irrtümliche Annahme einer Notwehrsituation sprechen (S 183, 185/I), ändert dies nichts an der Indikation der Stellung der vermissten Fragen.

Denn die Beweiswürdigung kommt allein den Geschworenen zu, sodass Zusatz-(und allenfalls Eventual-)fragen ohne Rücksicht auf die Glaubwürdigkeit des entsprechend substantiierten, rechtlich relevanten Tatsachenvorbringens in der Hauptverhandlung zu stellen sind (14 Os 48/99; Schindler, WK-StPO § 313 Rz 6, 8; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 42; E. Steininger, Nichtigkeitsgründe3 § 345 Abs 1 Z 6 Rz 68). Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher Folge zu geben, das Urteil - nicht aber der von der Nichtigkeit nicht betroffene Wahrspruch der Geschworenen (§ 349 Abs 2 StPO) - sowie demzufolge auch der Widerrufsbeschluss aufzuheben und ein zweiter Rechtsgang anzuordnen (§§ 285e, 344 StPO).

Im fortgesetzten Verfahren wird den Geschworenen eine einzige Zusatzfrage nach sämtlichen aufgrund des Tatsachenvorbringens in Betracht kommenden Strafausschließungsgründen (im weiteren Sinn) zu stellen sein, die demnach alternativ auf Notwehr, Notwehrexzess aus asthenischem Affekt und irrtümliche Annahme einer Notwehrsituation (§ 8 erster Satz StGB) zu lauten hat, um einem dem wahren Willen der Geschworenen nicht entsprechenden Abstimmungsergebnis, das im Fall der Trennung der Fragen dann entstehen würde, wenn die Abstimmung zwar kumuliert, nicht jedoch isoliert eine Stimmenmehrheit für die Annahme eines Strafausschließungsgrundes iwS mit sich brächte, vorzubeugen (Schindler, WK-StPO § 317 Rz 19 f).

Weiters werden an die Geschworenen Eventualfragen nach dem Vergehen der fahrlässigen Tötung infolge fahrlässiger Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt, fahrlässig irrtümlicher Annahme einer Notwehrsituation und fahrlässiger Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt zu richten sein, die im Falle der Bejahung der Zusatzfrage zu beantworten sind, wobei im Falle der Bejahung einer dieser Fragen die Beantwortung der jeweils anderen zu unterbleiben hat (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 29, 317 Rz 29; RIS-Justiz RS0100451).

Mit seiner Berufung und der Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss war der Rechtsmittelwerber auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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