Spruch:
Die Begründung des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 25. April 2006, AZ 6 Bs 161/06m (ON 12), verletzt mit ihrer Aussage, es sei unzulässig, die gerichtliche Anordnung der vorläufigen Verwahrungshaft mit der Anordnung einer niederschriftlichen Vernehmung des Festgenommenen durch die Sicherheitsbehörde zu verbinden, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 176, 177 StPO.
Text
Gründe:
Im Verfahren gegen David H***** wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen nach dem SMG, AZ 29 Ur 14/06z des Landesgerichtes Feldkirch, erteilte der Untersuchungsrichter mit Beschluss vom 13. März 2006 (ON 3), der auch einen Hausdurchsuchungs- und einen Beschlagnahmebefehl enthielt, dem Landeskriminalamt Bregenz den Auftrag, den jugendlichen Beschuldigten David H***** aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 175 Abs 1 Z 3 und 4 StPO iVm § 176 StPO in vorläufige Verwahrungshaft zu nehmen (S 27), ihn „zur Person, zur Sache und zu den Haftgründen" niederschriftlich zu vernehmen, die Sachverhaltserhebungen fortzusetzen bzw zu ergänzen und „über den aktuellen Erhebungsstand an die Staatsanwaltschaft Feldkirch und den Untersuchungsrichter (Journalrichter) innerhalb der Höchstfrist von 48 Stunden zur Entscheidung über die weitere Vorgangsweise wegen der Haft" Bericht zu erstatten (S 31).
David H***** wurde noch am 13. März 2006, um 17:50 Uhr festgenommen (S 45) und - nach Einlieferung in die Justizanstalt Feldkirch am 15. März 2006, um 17:10 Uhr (Einlieferungsbericht in ON 7) sowie Durchführung ergänzender, vom Untersuchungsrichter angeordneter Erhebungen (Aktenvermerk vom 16. März 2006; Seite 4 im AV-Bogen) - am 17. März 2006 (um 11:50 Uhr; siehe Abgangsbericht in ON 7) unter Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 180 Abs 5 Z 1, 2, 3, 4 und 4a StPO enthaftet (S 139 ff).
Mit Beschluss vom 25. April 2006, AZ 6 Bs 161/06m (ON 12), gab das Oberlandesgericht Innsbruck der gegen den Haftbefehl erhobenen Beschwerde des Beschuldigten nicht Folge. Unter Hinweis auf die gesetzliche Verpflichtung zur amtswegigen Überprüfung des Haftbefehls führte das Beschwerdegericht abschließend aus, die erstinstanzliche Vorgangsweise habe zwei gesetzwidrige Aspekte aufgewiesen: die „richterliche Anordnung, wonach der Beschuldigte festzunehmen und von der Polizei zu vernehmen, aber bis auf weiteres nicht dem Gericht einzuliefern sei", wäre der StPO fremd und widerspreche § 176 Abs 2 zweiter Halbsatz StPO; die Vernehmung durch die Polizei vor Einlieferung sehe § 177 Abs 1 StPO „nur ausnahmsweise für den hier nicht vorliegenden Fall der vorläufigen Verwahrung ohne richterliche Anordnung vor" (S 170 f).
Zum erstangeführten Aspekt ist klarstellend festzuhalten, dass dem in Rede stehenden Haftbefehl des Untersuchungsrichters ein Auftrag an die Sicherheitsbehörden, den Beschuldigten „bis auf weiteres nicht dem Gericht einzuliefern", gar nicht zu entnehmen ist. Insoweit geht das Oberlandesgericht daher von einer aktenfremden Annahme aus.
Rechtliche Beurteilung
Die weiters vertretene, durch Verweis auf eine Literaturstelle (Schwaighofer, RZ 2006, 62 ff) begründete und - auf Grund der allgemein gehaltenen Formulierung - nicht nur auf den Einzelfall bezogene Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes Innsbruck steht, wie der Generalprokurator in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht in Einklang. Gemäß § 177 Abs 1 StPO können Organe der Sicherheitsbehörden ausnahmsweise ohne richterlichen Befehl die vorläufige Verwahrung eines Tatverdächtigen zum Zweck der Vorführung vor den Untersuchungsrichter vornehmen, wobei diesfalls der Festgenommene (durch die Sicherheitsbehörde) unverzüglich zur Sache sowie zu den Voraussetzungen der Verwahrungshaft zu vernehmen und, wenn sich dabei ergibt, dass kein Grund zu weiterer Anhaltung vorhanden ist, sogleich freizulassen ist (§ 177 Abs 2 StPO). Andernfalls ist er, sofern der Zweck der weiteren Anhaltung (mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft) nicht durch die Abnahme der Reisepapiere oder der zur Führung eines Fahrzeuges erforderlichen Papiere erreicht werden kann (§ 177 Abs 3 StPO), ohne unnötigen Aufschub, längstens aber binnen 48 Stunden nach der Festnahme dem zuständigen Gericht einzuliefern. Erklärt der rechtzeitig zu verständigende Staatsanwalt aber, dass er keinen Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft stellen werde, ist der Festgenommene sogleich freizulassen.
Der vom Oberlandesgericht aus dem Vernehmungsgebot des § 177 Abs 2 StPO gezogene Umkehrschluss, in sonstigen Fällen wären polizeiliche Vernehmungen des Festgenommenen und dementsprechend die Anordnung solcher durch das Gericht stets unzulässig, ist weder zwingend noch sachgerecht.
Der kriminalpolitische Sinn der in Rede stehenden Vorschrift liegt darin, dass Organe der Sicherheitsbehörden beim ausnahmsweise zulässigen Einschreiten ohne richterlichen Befehl selbst die Gefahr einer ungerechtfertigten Verwahrungshaft zu minimieren haben, indem sie dem Verdächtigen Gelegenheit zur Verdachtsentkräftung und Aufklärung von Missverständnissen geben müssen, ohne insoweit auf die bevorstehende untersuchungsrichterliche Anhörung verweisen zu dürfen (vgl S. Mayer, Commentar zur StPO II § 177 Z 4).
Wurden hingegen die Voraussetzungen für die Verhängung einer vorläufigen Verwahrungshaft iSd § 175 StPO bereits durch einen Richter geprüft und bejaht, obliegt es diesem, für die Einhaltung der in § 193 Abs 1 StPO normierten, auch für die Verwahrungshaft geltenden (EvBl 1989/184 = JBl 1990, 191) Verpflichtung, die Haft so kurz wie möglich zu halten (s auch Art 5 Abs 1 PersFrG), Sorge zu tragen.
Dass der Festgenommene nach § 177 Abs 2 StPO „ohne unnötigen Aufschub", im Falle einer Festnahme auf Grund eines richterlichen Haftbefehls nach §§ 175 f StPO jedoch „unverzüglich" (§ 176 Abs 2 StPO), längstens jeweils aber binnen 48 Stunden dem zuständigen Gericht einzuliefern ist, und die Verwendung dieser unterschiedlichen Begriffe wird von Schwaighofer, auf dessen Argumentation sich das Oberlandesgericht in seinem Beschluss, ohne sich damit allerdings inhaltlich auseinanderzusetzen oder sie auch nur wiederzugegeben, stützt, unter Bezugnahme auf Reindl (Untersuchungshaft und Menschenrechtskonvention, Verlag Österreich 1997, S 111) durchaus nachvollziehbar mit dem zur Erfüllung der in § 177 Abs 2 StPO angeführten Aufgaben regelmäßig erforderlichen größeren Zeitaufwand erklärt, wohingegen für den Fall einer Festnahme nach § 175 StPO der Festgenommene gemäß § 178 StPO nur über den gegen ihn bestehenden Tatverdacht und den Festnahmegrund zu unterrichten sei. Unerwähnt bleibt allerdings, dass § 178 StPO darüber hinaus anordnet, jeden Festgenommenen darüber zu belehren, dass er das Recht habe, nicht auszusagen, und ihn darauf aufmerksam zu machen, dass seine Aussage seiner Verteidigung dienen, aber auch als Beweis gegen ihn Verwendung finden könne. Weil nun aber § 178 StPO nicht zwischen einer Festnahme nach § 175 StPO und einer solchen nach § 177 StPO unterscheidet, diese Bestimmung daher auch für eine Festnahme auf Grund eines richterlichen Haftbefehls gilt, ist die These Schwaighofers (und Reindls), eine Vernehmung des Festgenommenen zur Sache dürfe in diesem Fall gar nicht stattfinden, nicht aufrechtzuerhalten, würde doch die Belehrungspflicht diesfalls ihres Sinnes entleert. Ein Verbot, den Festgenommenen über die bloße Mitteilung von Tatverdacht und Haftgrund hinaus zu befragen, ist aus § 177 Abs 2 StPO im Hinblick auf den Regelungsinhalt des § 178 StPO daher nicht ableitbar.
Zutreffend weist allerdings Schwaighofer darauf hin, dass die nach dem Gesetz zur Einlieferung beim Gericht vorgesehene Maximalfrist von 48 Stunden von den Sicherheitsbehörden nicht willkürlich ausgeschöpft werden darf. Dem steht in Ansehung einer Festnahme nach § 175 StPO in der Tat das Gebot der unverzüglichen Einlieferung des Festgenommenen beim zuständigen Gericht entgegen, worunter auch unter Heranziehung der gleichlautenden Vorschrift des Art 5 Abs 3 MRK und des bezughabenden englischen („promptly") und französischen („aussitot") Textes nur „unmittelbar und sofort" verstanden werden kann. Aber auch nach der Judikatur des EGMR ist eine Frist von drei bis vier Tagen noch als konventionskonform anzusehen, wobei im Einzelfall, so etwa in komplexen Fällen oder unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung organisierter oder terroristischer Kriminalität sogar eine, wenngleich nur geringe Überschreitung dieser Frist akzeptiert wird. Im Besonderen wird es aber für zulässig erachtet, bei Beurteilung der Frage, ob die Einlieferung beim Gericht unverzüglich erfolgte, auch Bedürfnisse der ermittelnden Behörden zu berücksichtigen, etwa um weiteres Material für die erste Haftentscheidung durch den Richter zu sammeln (Reindl aaO S 106 ff mN). Für den Standpunkt Schwaighofers, der eine Verzögerung der sofortigen Einlieferung nur aus technischen Gründen für hinnehmbar erachtet, nicht aber durch eine Vernehmung des Festgenommenen, ist aus der Rechtsprechung des EGMR somit nichts zu gewinnen.
Weil entgegen der Ansicht Schwaighofers die Verantwortung des Beschuldigten vor dem Untersuchungsrichter für sich allein regelmäßig nicht hinreicht, den Tatverdacht oder die in Betracht gezogenen Haftgründe zu entkräften, es vielmehr einer Überprüfung der Angaben des Beschuldigten bedarf, welche der Untersuchungsrichter gemäß § 179 Abs 2 StPO vor der Haftentscheidung auch anordnen kann, kann es angesichts des dem Untersuchungsrichter für diese Entscheidung zur Verfügung stehenden Zeitraums von 48 Stunden dienlich sein, die polizeiliche Vernehmung eines auf Grund eines richterlichen Haftbefehls Festgenommenen oder die Durchführung zusätzlicher Erhebungen, die geeignet sind, die Entscheidungsgrundlage für die Prüfung der Haftfrage zu verbreitern, noch vor dessen Einlieferung in die Justizanstalt des zuständigen Landesgerichtes unter Wahrung der dafür vorgesehenen Frist zu veranlassen. Solche Erhebungen, durch welche die Dauer der freiheitsentziehenden Maßnahme letztlich verkürzt werden kann (vgl JAB zum StRÄG 1993, BGBl 526/1993, 1157 BlgNR 16. GP 12 [zu § 179 StPO]), entsprechen daher den Intentionen des Gesetzgebers sowie einer an Art 5 Abs 1 lit c MRK orientierten Gesetzesauslegung (vgl in diesem Sinne auch 14 Os 150/01) und können somit, zumal sie nach dem Gesetz nicht untersagt sind, je nach Lage des Falles bereits mit Ausstellung eines Haftbefehls angeordnet werden.
Daraus folgt, dass die Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes, wonach die vom Untersuchungsrichter verfügte Vernehmung des Beschuldigten durch Organe der Sicherheitsbehörden noch vor dessen Einlieferung bei Gericht jedenfalls unzulässig sei, mit dem Gesetz nicht in Einklang steht. In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher diese Gesetzesverletzung festzustellen.
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