OGH 11Os51/07w

OGH11Os51/07w19.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juni 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Egger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael F***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten David H***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 4. Dezember 2006, GZ 39 Hv 208/06y-39, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten H***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil - das auch unbekämpft gebliebene Schuldsprüche der Mitangeklagten enthält - wurde der Jugendliche David H***** des Vergehens der Nötigung nach § 105 (ergänze: Abs 1) StGB (I 1), des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (I 2) und wiederholter Vergehen nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG (IV 3a und b) schuldig erkannt. Danach hat er - soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Belang -

I) am 23. Juli 2006 in Rankweil in bewusstem und gewolltem

Zusammenwirken mit Michael F***** und Andreas L***** als Mittäter (§ 12 StGB) Dominik B*****

1) mit Gewalt, nämlich dadurch, dass sie ihn mit den Fäusten attackierten, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme der Geltendmachung seiner Forderung auf Rückzahlung von 45 Euro gegenüber Andreas L*****, genötigt;

2) dadurch, dass sie ihn mit den Fäusten, verbunden mit der Aufforderung „Kohle her", attackierten, dem Genannten mit Gewalt gegen dessen Person eine fremde bewegliche Sache, nämlich Bargeld in unbekannter Höhe mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Nur gegen die Schuldsprüche I 1 und I 2 richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 [lit] a, 10 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H*****.

Die Mängelrüge (Z 5) zu Schuldspruch I 1 spricht mit der Ausformung der unbestrittenen Gewaltausübung durch den Nichtigkeitswerber - auch Faustschläge oder lediglich Stöße (US 19 „schupfen", US 21 „schubsen") neben dem tatplangemäßen Gewalteinsatz durch Schläge der Mittäter (US 14) - keine für den als Mittäter verwirklichten Tatbestand der Nötigung entscheidende Tatsache an (vgl Schwaighofer in WK² § 105 Rz 17, 35, 36; zur Mittäterschaft Fabrizy in WK² § 12 Rz 24 ff).

Zum Schuldspruch I 2 stützt der Beschwerdeführer die Behauptung der Unvollständigkeit der Begründung der ihn betreffenden inneren Tatseite - Nichterwähnen entlastender Beweisergebnisse - teils auf schuld- und subsumtionsirrelevante Tatsachen ([richtig:

gelegentliches] „Hin und Herlaufen" des Angeklagten H***** auf einer „gehörig großen Terrasse" während der der Tat vorangehenden Gespräche, zumal derselbe Zeuge überdies deponierte, am Gespräch seien „immer alle drei beteiligt" gewesen - S 415 f), teils mit eigenständig beweiswürdigenden Überlegungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen Schuld (zB hätte kein Anlass für H***** bestanden, die Geldforderung an B*****, der lediglich mit Badehose und T-Shirt bekleidet war, ernst zu nehmen; Äußerungen der drei Angeklagten im Tatvorfeld ergäben „überhaupt keinen Sinn"; auf einer Digitalkamera darüber aufgezeichnete Aussagen [siehe ON 22] wären „aus dem Zusammenhang gerissen"; über Geld sei nicht „großartig gesprochen worden"). Ein Verstoß der erstgerichtlichen Ableitungen gegen Logik und Empirie, somit eine unzureichende, weil willkürliche Beweiswürdigung der Tatrichter, wird solcherart ebensowenig zur Darstellung gebracht. Zum auch zu I 2 aus Z 5 relevierten Ausmaß der eingesetzten Gewalt ist auf die diesbezüglichen Ausführungen hinsichtlich des Schuldspruches I 1 zu verweisen.

Der formelle Nichtigkeitsgrund nach Z 5a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen (13 Os 43/03, 12 Os 38/04), nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt dem aus einer Mehrzahl von Richtern bestehenden Spruchkörper erster Instanz vorbehalten, der unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheidet. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft.

Die Glaubwürdigkeit einer Person als solche ist - der vom Beschwerdeführer hinsichtlich des Zweitangeklagten erhobenen Tatsachenrüge zuwider - keine nach Z 5a aufgreifbare entscheidende Tatsache (12 Os 97/06s, 11 Os 91/06a uva). Aus welchen zusätzlichen Gründen der Überfall auf B***** erfolgen sollte, ist ebenso wenig schuld- und subsumtionsrelevant wie die Behauptung, „sowohl der Erstals auch der Drittangeklagte verfügten über ausreichend Geld". Insgesamt gelingt es dem Rechtsmittelwerber auch mit den Hinweisen auf die Alkoholisierung der Teilnehmer des zum Teil recht ungeordneten Gedankenaustausches vor dem Überfall auf B***** und die in der Mängelrüge vorgetragenen Argumente nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit seines festgestellten Raubvorsatzes (US 15, 27) zu erwecken.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu Punkt I 1 des Schuldspruches vermisst Feststellungen zur Willensbeugung beim Genötigten, weil keiner der Angeklagten ihm gegenüber die Forderung erhoben habe, auf 45 Euro zu verzichten und er „im gegenständlichen Fall [...] auch nicht davon ausgehen [konnte], dass Ziel des Angriffs der Angeklagten die angelastete Nötigung sei".

Damit lässt die Rüge aber gerade jene Urteilsannahmen außer Acht, wonach Andreas L***** in einem (dem Zusammentreffen vorausgegangenen) Telefonat Dominik B***** mitteilte, dass er zur Rückzahlung der von ihm geforderten 45 Euro „nun bereit sei" und in der Nähe des Holzlagerplatzes beim Rankweiler Bahnhof auf ihn warten werde (US 14), woraus der dem späteren Opfer gegenüber erklärte Zweck dieses Treffens - die Begleichung der Schulden in Höhe von 45 Euro - klar ersichtlich ist.

Dass auf Grund dieses eindeutigen Zusammenhanges zwischen seiner Geldforderung und der Zusammenkunft mit Andreas L***** - dem Standpunkt des Rechtsmittelwerbers zuwider - für den Genötigten ersichtlich kein Zweifel bestanden hat, der plötzliche Überfall durch L***** und zwei maskierte Mittäter habe auch darauf abgezielt, von dieser Forderung Abstand zu nehmen, zeigt das anschließende (konsequente) Verhalten des Opfers selbst, das sich im Zuge der fortgesetzten Gewaltanwendung durch die drei Angeklagten - somit keineswegs „freiwillig", wie der Beschwerdeführer auf Basis urteilsfremder Prämissen einwendet - in der dem Tatplan entsprechenden Weise verhielt und letztendlich auf ein weiteres Einfordern der Schuld verzichtete (US 15).

Indem sich die Rechtsrüge einerseits nicht am durch den Urteilsspruch verdeutlichten (jüngst 13 Os 1/07g [verst Sen] mwN) festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit orientiert und andererseits nicht darlegt, aus welchen rechtlichen Überlegungen die hier für den Genötigten aus den besonderen Umständen erkennbare Zielrichtung der Gewaltanwendung für die Annahme einer Willensbeugung iSd § 105 Abs 1 StGB nicht genügen sollte und warum es ungeachtet dieser - bei verständiger Lesart (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19) ausreichenden, vom Beschwerdeführer bei seinen Ausführungen indes nicht beachteten - Konstatierungen auch noch zusätzlicher Feststellungen über eine (gemeint wohl: ausdrückliche) „Forderung der Angeklagten" bedurft hätte, die Rückforderung des Geldbetrages zu unterlassen, wird der herangezogene Nichtigkeitsgrund nicht meritorisch erwiderungsfähig zur Darstellung gebracht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584, 588). Die Subsumtionsrüge (Z 10) moniert einen Feststellungsmangel zum Wert der vom Vorsatz der Angeklagten umfassten Raubbeute, weil die „sonstigen Voraussetzungen für die Privilegierung nach § 142 Abs 1 (offenbar gemeint: Abs 2) StGB gegeben sind". Sie übergeht dabei die festgestellte Art der Tatbegehung - fortgesetzte Schläge durch drei das Überraschungsmoment ausnützende, teilweise maskierte Täter (US 14, 15 - wodurch jedenfalls erhebliche Gewaltanwendung vorliegt, vgl Eder-Rieder in WK² § 142 Rz 56, 57; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 142 RN 97; RIS-Justiz RS0094310) - und bleibt überdies die Darlegung schuldig, aufgrund welcher Beweisergebnisse die vermissten Feststellungen indiziert gewesen wären (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600, 611; zur opferbezogenen Sicht der Einstufung des Beutewertes eines Raubes 11 Os 140/04, EvBl 2005/138, 641). Eine Erledigung nach §§ 285c Abs 2, 286 ff StPO scheidet somit aus.

Dies trifft gleichermaßen auf die Diversionsrüge (Z 10a) zu: Auch die Darstellung dieses Nichtigkeitsgrundes ist - unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens der Voraussetzungen nach § 90a StPO (hier in Verbindung mit § 7 JGG) - auf der Basis der Urteilsfeststellungen methodisch korrekt zu entwickeln (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 659 f). In der allein auf eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit (so US 32) gestützten Behauptung nicht schwerer Schuld übergeht der Beschwerdeführer einerseits die Modalitäten der konkreten Tat - arglistiges Herbeilocken des ahnungslosen Opfers an einen abgelegenen Ort zwecks fortgesetzter Gewalteinwirkung durch drei teilweise maskierte Täter (US 13 bis 15) - und setzt sich überdies nicht mit den von der Judikatur entwickelten Auslegungskriterien für diesen Rechtsbegriff auseinander (siehe dazu eingehend Schroll, WK-StPO § 90a Rz 28 mit instruktivem Beispiel aus dem Bereich der Delinquenz Jugendlicher; jüngst 14 Os 84/06v, EvBl 2007/39, 205). Für ein Vorgehen des Obersten Gerichtshofes nach § 290 Abs 1 Satz 2 StPO bestand schon aus diesem Gesichtspunkt kein Anlass. Zur Abrundung sei erwähnt, dass dem begehrten diversionellen Vorgehen - dem Standpunkt des Nichtigkeitswerbers entgegen - überdies (vor allem spezial-)präventive Gründe entgegenstünden: Im Hinblick auf ein bislang wenig gefestigtes, von über eineinhalbjährigem Suchtgiftmissbrauch (Fakten IV 3a und b) überschattetes Vorleben - mag dies auch teilweise auf eine Entwicklungsstörung zurückgehen - und die aktuellen Tatabläufe kann auf Schuldspruch und Strafe nicht verzichtet werden, mag deren erzieherische Wirkung auch durch das Herausnehmen des Jugendlichen aus seinem bisherigen Umfeld (und Schulbesuch nunmehr in einem „streng geführten Internat in Deutschland") unterstützt werden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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