OGH 4Ob77/07p

OGH4Ob77/07p12.6.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, Polen (vormals: M***** GmbH), vertreten durch Piaty Müller-Mezin Schoeller Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei M*****, USA, vertreten durch Fiebinger, Polak, Leon & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 18 Cg 13/98a des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 7. März 2007, GZ 6 R 36/07x-5, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Wiederaufnahmsklägerin wurde im Verfahren 18 Cg 13/98a des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz mit Urteil vom 28. 9. 2003 (ON 94) ua schuldig erkannt,

1. es zu unterlassen, in ihrem Firmenwortlaut den Begriff „M*****" oder irgend einen ähnlichen Namen, in welcher Schreibweise auch immer, zu verwenden;

2. es zu unterlassen, die Bezeichnung „M*****" in welcher Form auch immer im geschäftlichen Verkehr zu verwenden und Dienstleistungen unter dieser Bezeichnung anzubieten;

3. beim zuständigen Firmenbuch eine Änderung des Firmenwortlauts binnen 14 Tagen dahingehend zu veranlassen, dass die Bezeichnung „M*****" aus dem Firmenwortlaut zu entfernen ist;

4. der Klägerin über sämtliche Geschäfte, die sie in den letzten drei Jahren vor dem 3. 8. 2000 getätigt hat, Rechnung zu legen und ihr danach näher bestimmte Prozentsätze der daraus folgenden Jahresnettoumsätze zu zahlen.

Das Oberlandesgericht Graz hatte der Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil mit Entscheidung vom 21. 1. 2004, GZ 6 R 242/03k, 243/03g-102, nicht Folge gegeben und ferner ausgesprochen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei; die außerordentliche Revision wurde vom erkennenden Senat mit Beschluss vom 8. 6. 2004, GZ 4 Ob 64/04x-109, zurückgewiesen. Nach dem dort maßgebenden Sachverhalt gestattete die Rechtsvorgängerin der Wiederaufnahmsbeklagten der im Februar 1986 gegründeten M***** GmbH (MUP) als deren Mitgesellschafterin mit Lizenzvertrag vom 1. 3. 1986 die Verwendung des strittigen Kennzeichens „M*****" im Inland bis zum 28. 2. 1991. Die am 26. 2. 1990 gegründete Wiederaufnahmsklägerin, an der die MUP zu 90% beteiligt war, verwendete nach Ablauf dieser Lizenz das Kennzeichen „M*****" im Inland ohne Zustimmung der Lizenzgeberin weiter und ließ für sich auch entsprechende inländische Marken registrieren. Die Wiederaufnahmsbeklagte trat selbst nie am österreichischen Markt auf, allerdings war der Begriff „'M*****' den einschlägigen Verkehrskreisen im Jahre 1992 als Marke zur Kennzeichnung der auf dem Gebiete der Personalbereitstellung/Leiharbeit erbrachten Dienstleistungen bekannt".

Mit der ersten Wiederaufnahmsklage vom 5. 3. 2004 begehrte die Beklagte des Ausgangsverfahrens (AZ 18 Cg 13/98a des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz) dessen Wiederaufnahme. Dabei stützte sie sich auf zwei Behauptungen: Die Beweiswürdigung im wiederaufzunehmenden Verfahren zur Frage nach der Verkehrsgeltung des Zeichens „M*****" beruhe wesentlich auf der Beilage ./CC, einem Konvolut von 26 urkundlichen Erklärungen verschiedener Unternehmen, die bestätigt hätten, dass ihnen dieses Zeichen seit unterschiedlichen Zeiträumen bekannt sei. Am 17. 2. 2004 seien erstmals - näher erläuterte - Zweifel an der Richtigkeit der Erklärungen aufgetaucht; diese seien nur auf Grund von Verwechslungen, Irrtümern und teilweise sogar Verfälschungen zustandegekommen. Überdies sei im wiederaufzunehmenden Verfahren unter anderem auf Grund von Schiedssprüchen des internationalen Schiedsgerichts der Wirtschaftskammer Österreichs ein Lizenzverhältnis der Streitteile von 1986 bis 1991 festgestellt worden; diese Schiedssprüche seien mittlerweile aufgehoben worden. Die Wiederaufnahmsklage blieb erfolglos (Zurückweisung der außerordentlichen Revision mit Beschluss vom 21. 11. 2006, 4 Ob 200/06z).

Mit der nunmehrigen zweiten Wiederaufnahmsklage vom 6. 2. 2007 begehrte die Beklagte des Ausgangsverfahrens - gestützt auf die Wiederaufnahmsgründe nach § 530 Abs 1 Z 3 und 7 ZPO - neuerlich dessen Wiederaufnahme. Geltend gemacht wurde ein als „Geheimnisverrat" bezeichneter Informationsfluss zwischen der MUP und der Wiederaufnahmsbeklagten im November 1991. Davon habe sie - die Wiederaufnahmsklägerin - einige Tage nach dem 9. 1. 2007 erstmals Kenntnis erlangt. Eine Vertreterin der Wiederaufnahmsbeklagten habe einer ehemaligen, später entlassenen Mitarbeiterin der MUP Informationen über Kundenadressen und Ansprechpartner herausgelockt. Diese durch gerichtlich strafbare Handlungen beschafften Informationen hätten der Erstellung des im Ausgangsverfahren vorgelegten Beilagenkonvoluts ./CC als Grundlage gedient. Auf jene urkundlichen Erklärungen sei die streitentscheidende Feststellung über die Verkehrsgeltung des maßgebenden Kennzeichens gestützt worden. Die Tatsachen über den Informationsfluss seien „nova reperta". Die erörterten urkundlichen Erklärungen seien wertlos, weil im Zeitpunkt der Abfrage alle befragten Unternehmen „ausgewählte Kunden der Wiederaufnahmsklägerin", nicht dagegen solche der Wiederaufnahmsbeklagten gewesen seien. Nur „auf diesem Wege" habe „ein 100 % positives, jedoch konstruiertes Verkehrsgeltungsergebnis zugunsten der Wiederaufnahmsbeklagten" erzielt werden können. Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage vor Zustellung einer Gleichschrift an die Beklagte im Vorprüfungsverfahren zurück: Der Sache nach gehe es um eine Wiederaufnahme des Hauptverfahrens mit dem Versuch einer neuerlichen Bekämpfung und Entkräftung der Urkunden Beil./CC. Dieser Streitgegenstand entspreche jenem des ersten Wiederaufnahmsprozess. Die dort ergangene rechtskräftige Entscheidung bilde ein Prozesshindernis in diesem Verfahren.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Nach dessen Ansicht sind die geltend gemachten Wiederaufnahmegründe ungeeignet, eine andere Entscheidung im Hauptverfahren herbeizuführen. Die Wiederaufnahmsklägerin habe in jenem Verfahren „zu dem vom Prozessgegner in der Verhandlung vom 24. 10. 2001 vorgelegten Urkundenkonvolut Beilage ./CC (26 Bestätigungen zur Verkehrsgeltung) zunächst erklärt, vor einer inhaltlichen Stellungnahme bedürfe es 'der Einholung entsprechender Informationen, allenfalls sogar der Beiziehung einer sachverständigen Person zur Bewertung dieser Urkunden'". Am 29. 11. 2001 sei dieses Vorbringen durch die Vorlage eines Aktenvermerks ergänzt worden; danach habe der Vertreter der Wiederaufnahmsklägerin inhaltliche Zweifel an der Beilage angemeldet, weil „'die Bestätigungen einige Ungereimtheiten'" enthielten. Somit sei es der Wiederaufnahmsklägerin als Verschulden gemäß § 530 Abs 2 ZPO anzurechnen, „nach Vorlage des Urkundenkonvoluts Beilage ./CC nicht ehestens die Echtheit der darin enthaltenen Unterschriften, den Erklärungswillen und das Zustandekommen der Erklärungen hinterfragt zu haben". Die Urkunden seien ferner ungeeignet, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen, weil auch ohne sie keine andere Feststellung über die im Ausgangsverfahren wesentliche Verkehrsgeltung eines Unternehmenskennzeichens getroffen worden wäre. Das Berufungsgericht habe nämlich dort „ohne jegliche Berücksichtigung" jener Erklärungen das gleiche Ergebnis wie das Erstgericht erzielt. Soweit sich die Wiederaufnahmsklägerin auf § 530 Abs 1 Z 3 ZPO stütze, sei nicht zu erkennen, inwieweit eine bestimmte Verkehrsgeltung habe konstruiert werden können, sei doch die Benutzung des strittigen Kennzeichens durch die MUP im fraglichen Zeitraum der Wiederaufnahmsbeklagten zuzuordnen. Die Klage habe daher bereits im Vorprüfungsverfahren scheitern müssen, ohne dass noch auf die Ansicht des Erstgerichts über eine wahrzunehmende „res judicata" einzugehen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

1. Das Rekursgericht nahm in seine Entscheidung keinen Ausspruch über den Entscheidungsgegenstand auf. Das entspricht der Rechtslage, ist doch der Entscheidungsgegenstand einer Wiederaufnahmsklage denknotwendig mit jenem des Hauptprozesses identisch (RIS-Justiz RS0042445, RS0042409). Dort wurde aber der Entscheidungsgegenstand in zweiter Instanz bereits mit einem 20.000 EUR übersteigenden Betrag bewertet.

2. Das vom Erstgericht ins Treffen geführte - vom Rekursgericht nicht mehr erörterte - Argument, die Rechtskraft der im ersten Wiederaufnahmsprozess ergangenen Entscheidung stehe einer neuerlichen Sachentscheidung entgegen, ist mangels identischer Klagegründe in beiden Wiederaufnahmeverfahren jedenfalls unzutreffend: Die Wiederaufnahmsklägerin stützt ihr Begehren nunmehr nicht wie im ersten Wiederaufnahmsverfahren auf bestimmte Umstände, die das Zustandekommen der einzelnen urkundlichen Erklärungen betreffen, sondern sie macht einen bestimmten Weg der Beschaffung der Personaldaten der späteren Urkundenaussteller als Kunden der MUP geltend; erst dieses Vorgehen habe es der Wiederaufnahmsbeklagten ermöglicht, mit jenen Kontakt zur Erbringung des angestrebten Verkehrsgeltungsnachweises aufzunehmen.

3. 1. Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, dass der behauptete Sachverhalt einen Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO verwirkliche, der - wäre er im Vorprozess bekannt gewesen - in Ansehung der urkundlichen Erklärungen Beil./CC im Kontext mit anderen Beweisergebnissen die Beweiswürdigung beeinflussen und damit zu anderen, die Beurteilung der Verkehrsgeltung des strittigen Zeichens determinierenden Tatsachen führen könnte. Die Beurteilung des Beweiswerts der urkundlichen Erklärungen Beil./CC hänge nämlich davon ab, von wem sie herrührten; insofern sei es für die Beweiswürdigung nicht jedenfalls unerheblich, ob sämtliche Urkunden nur von Unternehmen stammten, die im bestätigten Zeitraum bereits Kunden der MUP gewesen seien.

3.2. Nach dem wesentlichen Sachverhalt im Ausgangsverfahren war die MUP Hauptgesellschafterin der Wiederaufnahmsklägerin mit einem Geschäftsanteil von 90 %, den restlichen Anteil hielt deren Geschäftsführer. Bei dieser engen wirtschaftlichen und personellen Verflechtung beider Gesellschaften, die noch dazu auf dem selben Markt tätig waren, liegt auf der Hand, dass die Wiederaufnahmsklägerin die Kunden ihrer Hauptgesellschafterin kennen musste. Insofern geht die Wiederaufnahmsklägerin sogar noch einen Schritt weiter, führte sie doch unter 3.2. ihrer Klage aus, es habe sich in Hinsicht auf die urkundlichen Erklärungen Beil./CC nunmehr herausgestellt, „dass alle abgefragten Unternehmen zum Zeitpunkt der Abfrage ausschließlich Kunden der Wiederaufnahmsklägerin waren (Hervorhebung durch den erkennenden Senat) und niemals Kunden der Wiederaufnahmsbeklagten".

3.3. Soweit der Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO geltend gemacht wurde, hatte die Wiederaufnahmsklägerin die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sie sich der als Wiederaufnahmsgrund ins Treffen geführten Tatsachen ohne ihr Verschulden nicht bereits im Vorprozess bedienen konnte (E. Kodek in Rechberger³ § 538 Rz 3 mN aus der Rsp). Angesichts dessen hätte die Wiederaufnahmsklägerin behaupten müssen, auf Grund welcher allenfalls besonderen Umstände sie während der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens nicht wissen konnte, dass jene Personen, von denen die für den Verkehrsgeltungsnachweis bedeutsamen urkundlichen Erklärungen Beil./CC herrühren - ihrer eigenen Diktion zufolge - ausschließlich ihre Kunden waren. Die Wiederaufnahmsklage ist im erörterten Punkt somit unschlüssig.

4. Der auch unter dem Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 3 ZPO geltend gemachte „Geheimnisverrat" betrifft nicht den Urkundeninhalt selbst, sondern die Art und Weise der Informationsbeschaffung durch die Wiederaufnahmsbeklagte. Allein der Weg dieser Informationsbeschaffung entbehrt aber eines Beweiswerts bei Lösung der streitentscheidenden Frage nach der Verkehrsgeltung eines Unternehmenskennzeichens auf Grund eines bestimmten urkundlichen Nachweises, kann doch die inhaltliche Beweiskraft der urkundlichen Erklärungen Beil./CC nicht von dem behaupteten Weg deren Beschaffung durch die Wiederaufnahmsbeklagte abhängen.

5. Die Frage nach einem allenfalls bestehenden Erfordernis zur Einleitung eines Verbesserungsverfahrens auf Grund einer unschlüssigen Wiederaufnahmsklage (siehe dazu Jelinek in Fasching/Konecny² § 530 ZPO Rz 220; G. Kodek in Fasching/Konecny² II/2 §§ 84, 85 ZPO Rz 146; vgl auch RIS-Justiz RS0036455) wird hier nicht aufgeworfen, weil im Unterbleiben eines Verbesserungsversuchs lediglich ein im Rechtsmittelverfahren zu rügender Verfahrensmangel liegen könnte. Eine solche Rüge ist aber bereits dem Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts nicht zu entnehmen.

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