OGH 4Ob45/07g

OGH4Ob45/07g22.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Vera R*****, vertreten durch Dr. Werner Stolarz, Dr. Ernst Summerer, Mag. Rainer Ebert Rechtsanwälte KEG in Hollabrunn, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 28. November 2006, GZ 23 R 101/06z-U11, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hollabrunn vom 22. September 2006, GZ 4 P 167/03f-U2, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Minderjährige ist Österreicherin. Deren Vater verpflichtete sich im pflegschaftsgerichtlich genehmigten Scheidungsvergleich vom 19. April 2004 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 850 EUR. Der Vater war in Polen ein angesehener Privatdetektiv, bis Herbst 2005 auch Abgeordneter des polnischen Parlaments, vor dem polnischen EU-Beitritt offizieller Beobachter in Brüssel, nach dem Beitritt bis zur Wahl des neuen EU-Parlaments EU-Parlamentarier für Polen. Dennoch besitzt er kein Vermögen und hat nichts angespart. Kurz vor seiner Verhaftung am 25. Juli 2006 musste er ein Grundstück in Polen verkaufen, um den Unterhalt für Juli überweisen zu können. Kurz danach erfolgte die Verhaftung wegen des Verdachts von Korruption und Steuerhinterziehung. Gläubiger forderten bereits auch von der Mutter Geld. Von einer längeren Haftdauer ist auszugehen.

Mit der Behauptung, der Vater komme seit Ende Juli 2006 seiner monatlichen Unterhaltsverpflichtung nicht mehr nach, begehrte die Minderjährige die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ab 1. August 2006 gemäß § 4 „Abs 1" (gemeint offenkundig: Z 1) UVG. Mangels Einkommens oder Vermögens des Vaters im Inland könnten die laufenden Unterhaltsbeiträge nicht hereingebracht werden.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Es verneinte infolge der Untersuchungshaft des Vaters seine Leistungsfähigkeit. Bei Haft im Ausland könnten Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG nicht gewährt werden. Die Gewährung von Titelvorschüssen hätte auch in den ersten sechs Monaten einer Haft zur Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner Ersparnisse besitze, um den Unterhalt weiter leisten zu können. Sonst bestünden begründete Bedenken, die hier dazu führten, dass die Leistungsfähigkeit des Vaters von Vornherein verneint werden müsse.

Das Rekursgericht bestätigte die Antragsabweisung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht entschieden habe, ob bei erstmaliger Gewährung von Titelvorschüssen eine amtswegige Überprüfung nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG im Hinblick auf die Haft des Unterhaltsschuldners in den ersten sechs Monaten des Freiheitsentzugs ausgeschlossen sei. Zweck des § 7 Abs 2 UVG sei die vereinfachte Abwicklung der Bevorschussung oder die Vermeidung der früher häufig vorgekommenen Unterbrechung von Vorschussleistungen. Hier gehe es aber um die erstmalige Gewährung von Titelvorschüssen. Schon in der hohen Unterhaltsverpflichtung des polnischen Unterhaltsschuldners sei eine hohe Wahrscheinlichkeit für die materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung gelegen. Da nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Vater wegen seiner Haft seit Antragstellung zur Zahlung von Unterhalt in der Lage sei, seien die vom Erstgericht zunächst nur angenommenen begründeten Bedenken durch die getroffenen Feststellungen nun verifiziert. Das führte gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG zur Versagung von Unterhaltsvorschüssen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen, mit dem sie die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen anstrebt, ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt ist. Der aufgrund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll damit der jeweiligen materiellen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen und darf außerdem den in § 6 Abs 1 UVG angeführten Betrag nicht übersteigen (3 Ob 257/05y mwN; Neumayr in Schwimann³ § 7 UVG Rz 1).

2. Nach § 7 Abs 2 UVG sind bisher gewährte Vorschüsse nach §§ 3 oder 4 Z 1, 2 oder 4 UVG nicht zu versagen, wenn dem Unterhaltsschuldner die Freiheit iSd § 4 Z 3 UVG entzogen wird. Nur wenn ihm für länger als sechs Monate die Freiheit entzogen wird, sind nach Ablauf dieser Zeit von Amts wegen anstelle der bisher gewährten Vorschüsse solche nach § 4 Z 3 UVG zu gewähren, soweit ein entsprechender Antrag nicht bereits früher gestellt worden ist. Zweck der erst mit der Novelle BGBl 1980/278 eingeführten Bestimmung des § 7 Abs 2 UVG ist die vereinfachte Abwicklung der Bevorschussung bzw die Vermeidung der vor der Novelle häufig vorgekommenen Unterbrechung von Vorschussleistungen. Das kann aber nur für solche Fälle gelten, in welchem der den gewährten Vorschüssen zugrundeliegende Unterhaltstitel vom Freiheitsentzug unberührt bleibt (1 Ob 594/91 = EvBl 1992/15).

3. Der Oberste Gerichtshof billigt die auf den vorgenannten Gesetzeszweck gestützte Auffassung des Rekursgerichts, dass allein aufgrund der Wahlmöglichkeit nach § 7 Abs 2 UVG zur Inanspruchnahme von Titel- oder Haftvorschüssen in den ersten sechs Monaten eines Freiheitsentzugs die amtswegige Überprüfung des materiellen Fortbestands der Unterhaltspflicht nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG nicht ausgeschlossen ist, wenn - wie hier - die erstmalige Gewährung von Titelvorschüssen zu prüfen ist. Daraus ist folgende Leitlinie abzuleiten:

Nur wenn Vorschüsse nach den §§ 3 oder 4 Z 1, 2 oder 4 UVG bereits gewährt wurden, bildet der Entzug der Freiheit des Geldunterhaltsschuldners für längstens sechs Monate keinen Versagungsgrund; bei erstmaliger Antragstellung nach dessen Verhaftung hat dagegen eine amtswegige Prüfung der materiellen Unterhaltspflicht nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG als Voraussetzung einer Vorschussgewährung zu erfolgen.

4. Zur Auslegung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen, die gänzliche oder teilweise Versagung der Vorschüsse sei an begründete Bedenken gegen das Weiterbestehen des zu bevorschussenden Unterhaltsanspruchs im titelmäßigen Ausmaß geknüpft. Objektiv gerechtfertigte Zweifel reichten noch nicht aus, es müsse vielmehr nach der Sachlage bei der Entscheidung über den Vorschussantrag mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Geldunterhaltspflicht (nicht mehr) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. § 7 Abs 1 UVG soll vor allem einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen vorbeugen und es dem Gericht im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ermöglichen, die Vorschüsse in einer der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Höhe zu bemessen (3 Ob 257/05y mwN).

5. Im vorliegenden Fall ist bescheinigt, dass der Geldunterhaltsschuldner schon vor seiner Verhaftung in einer sehr schlechten finanziellen Situation und im Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Haft war. Diese Haft wird überdies „länger" dauern. Es besteht daher die hohe Wahrscheinlichkeit, dass infolge einer Änderung der für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Umstände die titelmäßige Unterhaltsfestsetzung nunmehr jedenfalls nicht mehr der materiellen Unterhaltspflicht entspricht. Die Voraussetzungen für eine Anspannung des Geldunterhaltsschuldners fehlen im Hinblick auf die voraussichtlich länger dauernde Haft. Der Unterhaltsschuldner ist daher derzeit offensichtlich nicht in der Lage, für sein minderjähriges Kind Unterhalt zu leisten. Davon ausgehend haben die Vorinstanzen die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen vor dem Hintergrund der unter 3. formulierten Leitlinie gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu Recht versagt.

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